7. Werkstattgespräche: Neues aus dem Mittelalter

7. Werkstattgespräche: Neues aus dem Mittelalter

Organizer(s)
Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte, Universität Heidelberg; Historisches Institut, Universität Mannheim
Location
Heidelberg
Country
Germany
From - Until
19.06.2015 - 20.06.2015
Conf. Website
By
Anna-Sophia Nübling / Eric Veyel, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg Email:

Bereits zum siebten Mal fanden am 19. und 20. Juni in Heidelberg die „Werkstattgespräche: Neues aus dem Mittelalter“ statt, die in zweijährigem Turnus vom Institut für Fränkisch-Pfälzische Geschichte der Universität Heidelberg und dem Historischen Institut der Universität Mannheim veranstaltet werden. Die diesjährige Veranstaltung bot elf Nachwuchswissenschaftlern ein Forum, ihre Dissertations- und Habilitationsprojekte vorzustellen und diese mit einem interessierten Publikum zu diskutieren.

Den Anfang machte TINA RADDATZ (Konstanz), die in ihrer Arbeit die Funktion des Mediums Wappen in den Chroniken des Konstanzer Konzils untersucht. Deren verschiedene Anordnung und Gruppierung innerhalb der Handschriften führt zu der Frage nach dem Sinn der Zusammenstellungen und, damit verbunden, nach den Rezipienten der jeweiligen Handschrift, da durch die Platzierung der Wappen je eine unterschiedliche Geschichte erzählt wird. Sie betrachtet Wappen als ein Kommunikationsmedium, das auch Nicht-Lesekundigen spezifische Inhalte vermitteln konnte. In diesem Sinne waren die Wappen weit mehr als eine bloße Auflistung der Konzilsteilnehmer – sie kommunizierten unter anderem Rang und Hierarchie. Durch die Abbildung mythischer und historischer Wappen konnte zudem der universale Anspruch des Konstanzer Konzils zum Ausdruck gebracht werden.

Mit den Kleiderordnungen der Städte Nürnberg, Regensburg und Landshut, die zwischen 1470 und 1485 entstanden, untersucht MELANIE BURGEMEISTER (Regensburg) ein weiteres Kommunikationsmedium. BURGEMEISTER betrachtet Kleiderordnungen als Indikator gesellschaftsimmanenter Wertvorstellungen innerhalb der spätmittelalterlichen Stadtgemeinschaften und als Grundlage kultureller Ordnungen. Sie bilden eine ,Sollrealität‘ ab, in der Kleidung als non-verbales Kommunikationsmittel funktioniert. Kleiderordnungen bieten daher Zugang zu Wertvorstellungen und kulturellen Ordnungen.

CHRISTOPHER FOLKENS (Hannover) beschäftigt sich mit dem Gesandtschaftswesen und der Außenpolitik der Reichsstadt Frankfurt als Teil der Frankfurter Stadtgeschichte. Im Zentrum stand dabei die Frage nach dem Verhältnis der Stadt Frankfurt zum Reich. Am Beispiel des Frankfurter Gesandten Walter von Schwarzenberg, der eine umfangreiche Korrespondenz hinterließ, wird die Positionierung Frankfurts in Konflikten, die das ganze Reich betrafen, deutlich. Als grundlegende Ziele der Frankfurter Außenpolitik konnten auf der Basis der bisher geleisteten Arbeit die Friedenssicherung sowie die Sicherung des Messe-Standorts und der Reichsunmittelbarkeit herausgearbeitet werden.

Mit der städtischen Vernetzung im Raum befasste sich FABIENNE MEIERS (Luxemburg) in ihrem Vortrag zum Boten- und Gesandtschaftswesen und dem damit verbundene Reitverkehr. Die Quellengrundlage ihrer Arbeit bilden die Rechnungsbücher der Stadt Luxemburg, die sie sowohl qualitativ als auch quantitativ auswertet. Einen besonderen Fokus legt sie auf das Reisemittel Pferd, das als Mobilitätsgarant im interurbanen Dialog im Spätmittelalter zunehmend an Bedeutung gewann. Die Arbeit will unter anderem Fragen sowohl nach der Verfügbarkeit und der Effizienz sowie Reichweite des Boten- und Gesandtschaftswesens zu Pferde, als auch der Tier-Mensch-Beziehung im Rahmen der animal studies klären.

Die dritte Sektion trug den Titel „Wissen“. GION WALLMEYER (Göttingen) legte in seinem Vortrag dar, dass sich nach dem Verlust des Heiligen Landes an den europäischen Herrscherhöfen regelrechte Märkte für sogenannte Kreuzzugs-Experten entwickelten. Er untersucht die Strategien dieser Akteure, die sich auf dem Markt möglichst erfolgreich als Experten zu inszenieren und zu positionieren suchten – unabhängig davon, ob sie tatsächlich über Expertise verfügten. Der Zugriff öffnet einen neuen Blickwinkel auf das Medium dieser Inszenierungen, die sogenannten Kreuzzugstraktate, die bisher vor allem als Mittel der Propaganda verstanden wurden.

ANNE DIEKJOBST (Konstanz) zeigte am Beispiel von Frauenkommunitäten im deutschen Südwesten, dass das monastische Ideal der Weltentsagung und die damit einhergehende Vorstellung von der sozialen Abgeschlossenheit dieser Gruppen gegenüber der „Gesellschaft“ nicht der mittelalterlichen Realität entsprachen. Auf der Grundlage der Konzepte von „Person“ und „Adressabilität“ nach Nikolas Luhmann nimmt Diekjobst eine Neubewertung der Strukturbedingungen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben des Mittelalters vor. Eine Nonne war eben nicht nur „Nonne“, sondern hatte als „Person“ auch an anderen sozialen Kontexten teil (z.B. innerhalb der Strukturen von Recht, Herrschaft und Familie).

Die vierte Sektion zum Thema „Grenzen“ eröffnete am Samstag ALAIN MICHEL KELLER (Koblenz-Landau). Er vertritt mit seiner Arbeit zur Genese der Landschaftswahrnehmung des Mittelrheins am Ende des Mittelalters die These, dass der eigentliche Ursprung der heutigen Wahrnehmung des Mittelrheins im Spätmittelalter liegt und nicht erst in der „Rheinromantik“ des 19. Jahrhunderts. Die Untersuchung von Reiseberichten zeigt, dass alle wesentlichen Elemente der Rheinromantik schon in der Zeit zwischen 1400 und 1550 auftauchten und sich entsprechende Topoi auch in Reiseberichten etablierten.

ANDREAS OBENAUS (Wien) beschäftigte sich mit muslimischen Herrschaftsgebieten in Südfrankreich und Süditalien während des 9. und 10. Jahrhunderts, die im Rahmen islamischer Expansionsbewegungen im Mittelmeerraum entstanden. Der Vortrag stellte die Frage, wie diese Herrschaften bezeichnete werden sollten: als Piratennester, Handelsaußenposten oder Militärstützpunkte? Die terminologische Unsicherheit ergibt sich aus der Perspektive der überwiegend christlichen Quellen. Anhand der Beispiele Bari und Fraxinetum wurde nach der politischen und wirtschaftlichen Stellung dieser Herrschaften im christlichen Umfeld und mit Hinblick auf die Herkunftsgebiete ihrer Bewohner und ihre Sozialstruktur gefragt.

In der fünften Sektion zum Themenkomplex „Herrschaft“ untersuchte KATHARINA LICHTENBERGER (Heidelberg) historiographische Perspektiven auf den Streit zwischen dem Straßburger Bischof Berthold von Buchegg und dem örtlichen Domkapitel. Meist werden die Ereignisse um diesen Konflikt herum aus drei zeitgenössischen Berichten rekonstruiert; Matthias von Neuenburg, Fritsche Closener und Jakob Twinger von Königshofen dienen hierzu als Grundlage. Hierbei sind aber gerade die Unterschiede und Widersprüche bisher kaum berücksichtigt worden. Diese geben sowohl Hinweise auf Loyalitäten und Abhängigkeiten der Beteiligten, als auch auf das Verhältnis zwischen Bischof, Stadt und Kaiser.

NADINE RUDOLPH (Kassel) betrachtete die vielfältigen Handlungsspielräume und Partizipationsmöglichkeiten der hessischen Landgräfinnen als Ehefrauen, Witwen oder Töchter. Sie wählte für ihre Arbeit einen interdependenten Zugang, der Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie in seiner wechselseitigen Abhängigkeit mit Kategorien wie Stand, Zivilstatus, Alter oder Position in der Familie versteht. Auch das Einbeziehen räumlicher, mentaler, physischer, sozialer und kommunikativer Aspekte soll Auskünfte über die Handlungsspielräume der Landgräfinnen geben.

STEPHAN MAGNUSSEN (Kiel) betrachtete Burgen als Mittel zur herrschaftlichen Durchdringung von Räumen im Spätmittelalter. Hierfür sind besonders Kontaktzonen zwischen zwei strukturell verschiedenen Räumen (sog. contested landscapes), wie dem von MAGNUSSEN untersuchten Sønderjylland interessant. Anhand von Toponymen, frühneuzeitlichem Kartenmaterial und durch die Generierung von Primärquellen in Form von Ausgrabungen, sollen Fragen nach der Verteilung von Burgen und deren Verhältnis untereinander, nach ihrer Einbettung in den Naturraum sowie strukturellem und herrschaftlichem Wandel beantwortet werden.
Benjamin Müsegades sprach das Schlusswort, nicht ohne den Referenten und dem Plenum für die spannenden Vorträge und die angeregten Diskussionen zu danken und bereits eine herzliche Einladung zu den nächsten Werkstattgesprächen im Jahr 2017 auszusprechen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung (Benjamin Müsegades, Heidelberg)

Sektion Symbole
Moderation Simon Sosnitza, Mannheim

Tina Raddatz (Konstanz): Wappen erzählen Geschichte(n). Zur Funktion des Mediums Wappen in den Chroniken des Konstanzer Konzils

Melanie Burgemeister (Regensburg): Kleiderordnungen als Indikator gesellschaftsimmanenter Wertvorstellungen und kultureller Ordnungen. Eine Analyse der normativen Prozesse in Nürnberg, Regensburg und Landshut zwischen 1470 und 1485

Sektion Stadt
Moderation Manuel Kamenzin, Heidelberg

Christopher Folkens (Hannover): Frankfurt und das Reich. Städtische Außenpolitik und Gesandtschaftswesen am Beispiel des Frankfurter Gesandten Walter von Schwarzenberg

Fabienne Meiers (Luxemburg): Städtische Mobilität und interurbane Verkehrsnetze im Spätmittelalter mit besonderer Betonung des Reitverkehrs in vergleichender Perspektive

Sektion Wissen
Moderation Tanja Skambraks, Mannheim

Gion Wallmeyer (Göttingen): De recuperatione Terre Sancte – Strategien der Inszenierung von „Kreuzzugs-Experten“ an den Höfen des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts

Anne Diekjobst (Konstanz): Wege in die Gesellschaft. Personenkonzepte und soziale Adressierung im monastischen Kontext des späten Mittelalters

Sektion Grenze
Moderation Stephan Köhler, Mannheim

Alain Michel Keller (Koblenz-Landau): Die Genese der Landschaftswahrnehmung des Mittelrheins am Ende des Mittelalters

Andreas Obenaus (Wien): Piratennest, Außenposten oder Kleinstemirat? Muslimische Herrschaftsgebiete in Südfrankreich und Süditalien während des 9. und 10. Jahrhunderts

Sektion Herrschaft
Moderation Anuschka Gäng, Heidelberg

Katharina Lichtenberger (Heidelberg): Bischof und Domkapitel im Konflikt – historiographische Perspektiven

Nadine Rudolph (Kassel): „Tat als ein wip tut“ – Handlungsräume der hessischen Landgräfin Mechthild von Württemberg

Stefan Magnussen (Kiel): Castles in Contested Landscapes. Kleinburgen in Sønderjylland als Phänomen herrschaftsräumlichen und gesellschaftlichen Wandels (13. bis 16. Jahrhundert)


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