Hospitaltypen und Krankenhäuser im Alpenraum in der Neuzeit. 21. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte e.V.

Hospitaltypen und Krankenhäuser im Alpenraum in der Neuzeit. 21. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte e.V.

Organisatoren
Fritz Dross / Alfred Stefan Weiß / Sabine Veits-Falk / Martin Scheutz / Carlos Watzka, Deutsche Gesellschaft für Krankenhausgeschichte e.V.
Ort
Salzburg
Land
Austria
Vom - Bis
23.09.2015 - 26.09.2015
Url der Konferenzwebsite
Von
Marina Hilber, Hall in Tirol

Umrahmt von einem beeindruckenden Exkursionsprogramm fand vom 23. bis 26. September 2015 das 21. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte e.V. in der grenznahen österreichischen Stadt Salzburg statt. Gemäß dem Thema Hospitaltypen und Krankenhäuser im Alpenraum besuchten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen das ehemalige St. Johanns-Spital in Salzburg und spürten in einem historischen Stadtrundgang den einschlägigen Salzburger Versorgungseinrichtungen wie etwa dem Leprosenhaus, dem Bürgerspital, oder dem Bruderhaus nach. Den thematischen Fokus behielt man auch auf einer Exkursion ins bayerische Mühldorf am Inn sowie nach St. Veit im Pongau, wo die ehemalige Lungenheilanstalt Grafenhof – das nunmehrige Landesklinikum St. Veit – besichtigt wurde. Ein Blick hinter die Kulissen der Salzburger Festspiele, sowie ein Exkurs zu Thomas Bernhard im Seelackenmuseum in St. Veit sowie ein Vortrag von Manfred Mittermayer im Salzburger Literaturarchiv, rundeten das Exkursionsprogramm ab.

Der Vortragsteil fand am letzten Tag des Symposiums an der Universität Salzburg, Fachbereich Geschichte, statt. In insgesamt drei chronologisch gereihten Sektionen, gaben elf Referenten und Referentinnen einen Überblick über die Entwicklungen und unterschiedlichen Ausformungen von Versorgungshäusern vom Mittelalter bis ins frühe 20. Jahrhundert. Sektion 1 widmete sich eingehend den Pestspitälern und Leprosien. Die Sektion begann mit einem Vortrag von ALEXANDRA DRUZYNSKI VON BOETTICHER (Cottbus) und der letztjährigen Preisträgerin des Förderpreises der Deutschen Gesellschaft für Krankenhausgeschichte (DGKG) MARIE ULRIKE SCHMIDT (Leipzig). Sie referierten zu ihren bereits abgeschlossenen interdisziplinären Forschungen zur mittelalterlichen Bau- und Sozialgeschichte der Lüneburger Leproserie. Der erstmals 1251 erwähnte Nikolaihof zählt mit seinen zahlreichen bis heute erhaltenen Gebäudestrukturen zu den am besten erhaltenen Leprahospitälern im deutschsprachigen Raum. Die Referentinnen rekonstruierten anhand der historischen Bausubstanz des Kapellenareals sowie diverser archivalisch erhaltener Schriftquellen nicht nur die Rolle des Leprosoriums als Repräsentationsobjekt, sondern betonten auch seine ökonomische Relevanz als Wirtschaftsfaktor. Hinsichtlich der Insassen und Insassinnen legten die Referentinnen eindrucksvoll dar, wie sich die sozial heterogene Klientel einer klosterähnlichen Lebensweise zu unterwerfen hatte. Um die interne soziale Ordnung zu gewährleisten, wurde auf (bauliche) Maßnahmen gesetzt, die sich in der Trennung der Geschlechter sowie der Separierung von kranken und gesunden Bewohner und Bewohnerinnen manifestierten.

MARTIN SCHEUTZ (Wien) widmete sich anschließend dem temporären Phänomen der Pestspitäler in Österreich. Ab der Mitte des 15. Jahrhunderts verbreiteten sich diese als Akutspitäler intendierten Behandlungs- und Quarantänezentren in mehreren Gründungswellen auch im deutschsprachigen Raum. Dabei veranschaulichte Scheutz anhand diverser bildlicher Darstellungen nicht nur die typische Lage solcher Einrichtungen, jenseits des städtischen Mauerrings, an Fließgewässern gelegen, sondern unterstrich auch die Tatsache, dass es sich dabei – der Notsituation geschuldet – tendenziell um wenig repräsentative und baulich nachhaltig errichtete Spitäler handelte. Scheutz thematisierte überdies die schwierige Quellenlage, die eine Annäherung an den Alltag von Patienten und Patientinnen und die Arbeitsabläufe des Personals in Krisenzeiten kaum ermöglicht. Dennoch lässt sich festhalten, dass die Pestspitäler vorwiegend von armen Kranken frequentiert wurden und die Einrichtungen auch nach überstandener Krise ihre soziale Ausrichtung als multifunktionale Armenanstalten weiter erfüllten.

Am Beispiel der Versorgung von Leprakranken in der Stadt Nürnberg hinterfragte FRITZ DROSS (Erlangen) die bisherige Forschungsmeinung, die Leprosorien würden aufgrund ihres medizinischen sowie hygienischen Auftrages als Vorläufer moderner Krankenanstalten gelten. In einer komparativen Studie zu den vier Nürnberger Leprosorien zeigte Dross die geringen Bemühungen hinsichtlich medizinischer Behandlung auf und relativierte zudem den rigorosen Internierungs- und Isolationsgedanken. Die Erkrankten konnten das Leprosorium nicht nur temporär, unter Wahrung gewisser Regeln (Tracht), verlassen, sondern nutzten das Leprosorium ihrerseits als Versorgungsinstitution, indem mehrfache Ein- und Austritte bzw. Versorgungsperioden durchaus möglich waren. Andererseits stellten die unweit der Stadt im Grünen gelegenen Leprosorien eine Ausflugsdestination für die Städter dar. Interessant erscheint im Zusammenhang mit der vermeintlichen Absonderung der Kranken das ambulante Angebot des Nürnberger „Sondersiechenalmosen“, bei welchem auswärtige Leprakranke für drei Tage am Ende der Karwoche in die Nürnberger Innenstadt eingelassen und verpflegt wurden. ROBERT SCHWARZ (Salzburg) knüpfte an den Vortrag seines Vorredners an und skizzierte die ambivalente Attraktivität des Leprosenhauses Salzburg-Mülln. Auf der Basis reichhaltiger Quellenbestände aus dem Archiv der Erzdiözese Salzburg rekonstruierte der Referent den Funktionswandel hin zu einem Versorgungshaus für unheilbar Kranke und die sich zeitgleich ändernde Aufnahmepraxis während des 18. Jahrhunderts. Der ursprüngliche Stiftungszweck trat im Laufe der Zeit immer stärker in den Hintergrund und die Patienten und Patientinnen litten zusehends an einem breiteren Krankheitsspektrum. Die starke Frequentierung führte um 1800 sogar zu permanenter Überfüllung und zu heftigen Diskussionen um eine Revision der Aufnahmekriterien. Auch an diesem regionalen Beispiel wurde der starke Versorgungscharakter der durch Stiftungen wirtschaftlich gut abgesicherten Leprosorien deutlich.

Neben der Geschichte der Pestspitäler und Leprosorien wurden in einem zweiten Panel auch diverse Aspekte der Hospitalgeschichte diskutiert. Unter dem fragenden Titel „Bier, Wein, Kreditgeschäfte – aber Insassen?“ präsentierte SARAH PICHLKASTNER (Wien) ihre wirtschaftshistorischen Forschungen zum Wiener Bürgerspital in der Frühen Neuzeit. Basierend auf der Analyse der Rechnungsbücher beschrieb Pichlkastner das größte Bürgerspital auf österreichischem Boden eindrucksvoll als einen Multikonzern, der nach dem habsburgischen Hof der größte Arbeitgeber in Wien war. Dabei war lediglich ein Bruchteil der Angestellten tatsächlich mit der Pflege von Patienten und Patientinnen betraut, die Mehrzahl war im Wirtschaftsbetrieb beschäftigt. Das Bürgerspital trat nicht nur als Grundherr extensiver Ländereien in Erscheinung, sondern war der größte Weinproduzent in Wien, verfügte über das Biermonopol und konnte Einkünfte aus dem Kapitalverleih verzeichnen. Um die eingangs gestellte Frage nach den Insassen beantworten zu können, wertete Pichlkastner stichprobenartig Insassenverzeichnisse aus. Dabei konnten nicht nur stetig steigende Aufnahmezahlen, sondern auch die heterogene Zusammensetzung der Klientel des Bürgerspitals rekonstruiert werden. Pichlkastner resümierte, dass das multifunktionale Bürgerspital als Vorgänger für die stärker spezialisierte Einrichtung des Allgemeinen Krankenhauses gelten kann. Im Anschluss referierte IRIS RITZMANN (Zürich) über die Gesundheitsversorgung in den Waisenhäusern des 18. Jahrhunderts. Dabei rückte sie einen beispielhaften Konflikt zwischen dem Waisenhausdirektor und dem Leiter der angeschlossenen Fabrik im Ludwigsburger Waisenhaus ins Zentrum ihrer Ausführungen. Das vom Herzog von Württemberg gegründete Haus galt lange Zeit als pietistische Vorzeigeanstalt und war an prominenter Stelle, gegenüber des Residenzpalastes positioniert. Die Waisenkinder arbeiteten gemeinsam mit den Insassen und Insassinnen der benachbarten Zucht- und Arbeitshäuser in der Baumwollspinnfabrik. Der Konflikt, der rund um die Wiedereinführung der als schmutzig erachteten Wollspinnerei entbrannt war, zeigt deutlich das Aufeinandertreffen merkantilistischer Interessen sowie philanthropischer Absichten. Ritzmann gelang es sehr anschaulich, die gesundheitlichen und moralischen Bedenken des Anstaltsdirektors als betriebswirtschaftlich beeinflusste Argumente zu entlarven. Letztlich portraitierte Ritzmann das Waisenhaus als gewinnorientiertes Unternehmen, in welchem die frühkapitalistische Ausbeutung des kindlichen Körpers nur allzu deutlich wurde. CARLOS WATZKA (Graz) versuchte anhand seiner reichhaltigen Datenbasis zur historischen Hospitallandschaft der Steiermark eine Typologie der neuzeitlichen Hospitäler zu erstellen. Unter Zuhilfenahme dieses Analyseinstruments sollte eine differenziertere Annäherung an das überaus facettenreiche Phänomen des frühneuzeitlichen Hospitalwesens gewährleistet werden. Watzka sprach dabei nicht nur die in der traditionellen Forschung bereits etablierten Kategorien (Trägerschaft, Standorte, Größe bzw. Kapazitäten, Personal) an, sondern konnte auch bislang weniger beachtete Kriterien (Leistungsspektrum der medizinischen und pflegerischen Versorgung, Freiheitsgrade der Insassen und Insassinnen, Umweltbezug bzw. soziale Einbettung der Einrichtungen) vorstellen und am vorerwähnten regionalen Material beispielhaft anwenden.

Die dritte Sektion des Tages war den Heil- und Krankenanstalten gewidmet und umfasste Beiträge mit einem Schwerpunkt vom 18. bis ins frühe 20. Jahrhundert. ALFRED STEFAN WEIß (Salzburg) ging in seinem Beitrag der Frage nach, wie und wann sich der Wandel vom (Pilger-)Hospital und frühmodernem Krankenhaus zu einer differenzierten Protoklinik vollzog. Weiß exemplifizierte am Beispiel des Salzburger St.-Johanns-Spitals welchen Niederschlag der epochenspezifische Zeitgeist auf normativer Ebene (Stiftungsbrief 1699, Statuten/Satzungen 1751, 1777, Spitalsordnung 1820er Jahre) hatte und zeichnete so eine kohärente Chronologie des Wandel nach. Dieser war einerseits gekennzeichnet von einer sukzessiven Zurückdrängung geistlicher Kompetenzen in Kontrolle und Überwachung des Personals sowie der Patienten und Patientinnen. Zudem zeigte sich der Wandel, laut Referent, an der erstarkenden Dominanz der Heilung als handlungsleitendem Element, welche sich unter anderem an der Professionalisierung der Behandlung und Pflege sowie der Hygienisierung des Anstaltsbetriebs manifestierte. Einmal mehr betonte Weiß die Rolle J.J. Hartenkeils als Zentralfigur im aufklärerischen Professionalisierungsprozess der Erzdiözese Salzburg.
Die Erhaltung und Revitalisierung von Gesundheit in den alpinen Kurorten der Belle Époque stand im Zentrum von CHRISTINA VANJAs (Kassel) Beitrag. Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung galten die Alpen zusehends als gesundheitsfördernde Umgebung und wurden für viele (zahlungskräftige) Städter zum Inbegriff von Reinheit und Gesundheit (Höhenluft). Der als „Sommerfrische“ einsetzende Massentourismus entdeckte bald auch die Qualität des alpinen Winters und popularisierte somit gleichzeitig den Wintersport. Gesundheit spielte somit bei der touristischen Erschließung der Alpen um 1900 eine zentrale Rolle. Die zahlreichen alpinen Kurorte waren dabei sowohl Erholungs- als auch Heilungszentren und boten eine vielfältige Palette an medizinischen Therapien (Wasser,- Liege-, Luft-, Mast- und Fastenkuren etc.) an. Vanja rundete ihre historische Reise zu den Kurstätten der Alpenregion durch eine beeindruckende Kollektion von historischen Gemälden, Fotografien und Werbeplakaten ab. Der letzte Beitrag des Tages beschäftigte sich mit der Ende des 19. Jahrhunderts in Salzburg bestehenden privaten Augenklinik Dr. Kerschbaumer. SABINE VEITS-FALK (Salzburg) thematisierte dabei nicht nur den außergewöhnlichen Lebenslauf der führenden Persönlichkeiten hinter dieser ophthalmologischen Privatklinik – der aus Russland stammenden Ärztin Rosa Kerschbaumer (Putjata) und ihres Mannes Friedrich – sondern zeichnete ebenso detailliert die institutionelle Entwicklung der 1877 gegründeten Klinik nach. Diese war nicht nur gekennzeichnet von moderner Ausstattung, überaus guter Auslastung und rascher Expansion, sondern auch von positiven medizinischen Resultaten, wissenschaftlicher Forschung und großem sozialem Engagement der leitenden Ärzte. Dennoch gelang es dem Ehepaar nicht, sich nachhaltig am medizinischen Markt der Stadt Salzburg zu behaupten. Bereits 1890 war die von Veits-Falk als Zweckehe bezeichnete Verbindung der beiden Ärzte zerbrochen, eine permanente Inkorporierung in das St. Johanns-Spital scheiterte 1892 und 1896 verließ Rosa Kerschbaumer Salzburg und setzte ihre Karriere an mehreren Stationen im In- und Ausland fort.

Das dichte Vortragsprogramm erlaubte nicht nur einen Einblick in die aktuellen Forschungen der einzelnen Referenten und Referentinnen, sondern exemplifizierte die unterschiedlichen Funktionen und sozialen Ausrichtungen der verschiedenen Hospitaltypen der Neuzeit sowie die Entwicklungen hin zu (früh-)modernen Krankenanstalten. Neben wirtschaftshistorischen Erkenntnissen über die finanzielle Absicherung und die Wirtschaftlichkeit der einzelnen Einrichtungen standen in etlichen Beiträgen auch die Insassen und Insassinnen respektive Patienten und Patientinnen im Fokus. Dabei konzentrierte man sich jedoch nicht nur auf sozialstatistische Herkunftsanalysen, sondern hinterfragte im Sinne einer kritischen Patientengeschichte auch das (individuelle) Nutzungsverhalten, das den Versorgungscharakter der einzelnen Häuser noch deutlicher hervortreten ließ. Trotz der vielfach schwierigen Quellensituation erscheint eine Intensivierung der Forschungen zu diesem Bereich lohnend.

Konferenzübersicht:

Sektion I: Pestspitäler und Leprosorien

Alexandra Druzynski von Boetticher (Cottbus) / Marie Ulrike Schmidt (Leipzig), Vorbuwet up sunte Nicolai hove. Interdisziplinäre Forschungen zur Bau- und Sozialgeschichte der Lüneburger Leproserie im Mittelalter

Martin Scheutz (Wien), Pestspitäler in Österreich: Temporäre Krisenbewältigung
und Versuch der Einrichtung von Akutspitälern

Fritz Dross (Erlangen), Spitalische und außerspitalische Versorgung von Leprosen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Nürnberg

Robert Schwarz (Salzburg), Das Leprosenhaus Salzburg-Mülln im 18. Jahrhundert – Funktionswandel und Aufnahmepraxis

Sektion II: Hospitäler

Sarah Pichlkastner (Wien), Bier, Wein, Kreditgeschäfte – aber Insassen? Der Stellenwert des Spitalbetriebes innerhalb des „Großunternehmens“ Wiener Bürgerspital in der Frühen Neuzeit

Iris Ritzmann (Zürich), Gesundheitsversorgung in Waisenhäusern des 18. Jahrhunderts: Zwischen bürgerlicher Moral und wirtschaftlichem Kalkül

Carlos Watzka (Graz), Hospitäler in der neuzeitlichen Steiermark – Funktionen und Typen

Sektion III: Heil- und Krankenanstalten

Alfred Stefan Weiß (Salzburg), Das Salzburger St.-Johanns-Spital – Hospital oder frühneuzeitliches Krankenhaus?

Christina Vanja (Kassel), Zur Kur in die Alpenregion – Heilanstalten um 1900

Sabine Veits-Falk (Salzburg), Die Augenheilanstalt Dr. Kerschbaumer in Salzburg. Eine „Privatklinik“ in Österreich im späten 19. Jahrhundert


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