Tagungsort der 63. Jahrestagung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg im Jahr 2016 war Ellwangen an der Jagst. Nach der Vorstandssitzung führten IMMO EBERL und ANSELM GRUPP (beide Ellwangen) die Teilnehmer durch die Stadt und insbesondere durch die Stiftskirche St. Veit. Der öffentliche Abendvortrag von FRANZ BRENDLE (Tübingen) behandelte das Thema „Das habsburgische Kaisertum und die Fürstpropstei Ellwangen in der Frühen Neuzeit“. Auch die Arbeitsgruppe 1 beschäftigte sich mit der klösterlichen Geschichte von Ellwangen, die Arbeitsgruppe 2 hatte dagegen neue Präsentationsformen von Geschichte im digitalen Zeitalter zum Thema.
Unter dem Titel „Klosterwesen und Propstei Ellwangen“ tagte die Arbeitsgruppe 1, geleitet von SIGRID HIRBODIAN (Tübingen) und STEFAN WEINFURTER (Heidelberg). Einleitend charakterisierte Weinfurter den Tagungsort Ellwangen als einen der ganz frühen Kristallisationspunkte der westlich-christlichen Kultur in Deutschland, deren Träger in der Anfangszeit vor allem die Klöster waren. Zu ihnen zählte auch das um 764 gegründete Benediktinerkloster Ellwangen. Im Klosterwesen der Karolinger-, Ottonen- und Salierzeit dominierten Benediktinerklöster, während der zweiten großen Klostergründungswelle im 12. Jahrhundert gerieten diese jedoch in eine Krise. Etliche der Klöster gingen unter, andere gelangten unter landesherrliche Hoheit. Zu den Überlebensstrategien der Klöster konnte auch die Umwandlung in Säkularstifte gehören.
MARIA MAGDALENA RÜCKERT (Ludwigsburg) referierte über „Frühe Schriftkultur im Benediktinerkloster Ellwangen“. Hierbei beleuchtete sie zunächst die frühe Geschichte der um 764 gegründeten Benediktinerabtei und betonte die Nähe des Klosters und seiner Gründer zu den Karolingern. Ellwanger Schriftzeugnisse von vor dem 12. Jahrhundert sind rar, vor allem wegen zweier großer Brände aus den Jahren 1110 und 1182. Die wichtigste erhaltene Handschrift ist das zwischen 1124 und 1136 angelegte Ellwanger Lektionar, das unter anderem den ältesten Textzeugen der Vita Hariolfi enthält – die wichtigste Quelle zur Frühzeit des Klosters. Diese hatte der frühere Ellwanger Mönch Ermenrich verfasst, ein Hofkapellan Ludwigs des Deutschen und von 866–874 Bischof von Passau. Aus der Zeit nach dem ersten der beiden Brände sind weitere Schriftzeugnisse erhalten, wohl Ersatz für verlorene ältere Stücke. Ansonsten finden sich allenfalls Spuren, die auf eine zeitweise Nutzung verschiedener Handschriften in Ellwangen hinweisen, oder Fragmente älterer Codices, die als Makulatur bzw. Einbände erhalten geblieben sind. Hierzu gehört das Fragment einer Handschrift, die wegen der Verwendung einer angelsächsischen Minuskelschrift noch ins ausgehende 8. Jahrhundert datiert werden kann. Der Text besteht aus Auszügen aus den Sermones des syrischen Kirchenvaters Ephraim. In der Umbruchphase des 15. Jahrhunderts, als Ellwangen in ein weltliches Stift umgewandelt wurde, wurden anscheinend auch die Bücherbestände des Klosters erneuert. Die älteren Codices wurden dem Buchbinder überlassen und als Makulatur verwendet.
In der Diskussion wurde festgehalten, dass neuere Untersuchungen von Natalie Maag wegen der verbreiteten Verwendung der alemannischen Minuskel eine Schriftprovinz im Südwesten zeigen. Nachfragen galten der Verbindung Karls des Großen zu Ellwangen, der Vita Hariolfi und der Datierung des Sermones-Fragments.
Mit der bereits in der Einleitung angesprochenen Krise des Benediktinerordens setzte sich STEFAN BURKHARDT (Heidelberg) in seinem Referat „Von der Reaktion zur Innovation: Benediktinerklöster im Kampf gegen die Reformbewegungen im 12. Jahrhundert“ auseinander. Reformbewegungen strebten die Wiederherstellung eines Ursprungszustands an, wobei die Ursprünge, an denen man sich orientierte, unterschiedlich waren. So war die Rückbesinnung auf die Zustände der christlichen Jerusalemer Urgemeinde ein mögliches Reformziel, ein anderes war das asketische Eremitentum und frühe Mönchtum des 3. und 4. Jahrhunderts. Das wohl wichtigste Reformziel war die Rückbesinnung auf die Mönchsregel des Benedikt von Nursia. Die tatsächlich durchgeführten Reformen spielten sich im Wesentlichen in vier Bereichen mit ganz unterschiedlichem Konfliktpotenzial ab. Sie betrafen das spirituelle Leben der jeweiligen Gemeinschaft, ferner die Zugriffsrechte von externen Instanzen und brachten oft auch personelle Veränderungen der Gemeinschaften mit sich. Schließlich veränderten Reformen auch die Wirtschaftsweise der Klöster. Bei aller Rückbesinnung auf ältere Idealzustände konnte jedoch auch – unbeabsichtigt – Neues entstehen: Gerade die Zisterzienser, die sich mit Ihrer Reform an der reinen Benediktsregel orientierten, kreierten mit ihrer spirituellen Lebensweise, ihrem Eingriff in weltliche und geistliche Zugriffsrechte und ihren wirtschaftlichen Neuerungen insgesamt gesehen Neues.
In der Diskussion wurde die Herausforderung des Benediktinerordens durch die Zisterzienser im 12. Jahrhundert betont und die Konkretisierung des Vortrags angeregt. Zudem wurde der Wandel der Wirtschaftskultur als Motivation für Reformen angesprochen.
Der dritte Vortrag dieser Arbeitsgruppe von BRIGITTE OBERLE (Mainz) galt der Umwandlung des Benediktinerklosters Ellwangen in ein Säkularkanonikerstift im Jahr 1460. Dieser Vorgang ist erstaunlich, da die an der Umwandlung Beteiligten, namentlich Graf Ulrich V. von Württemberg, der Augsburger Bischof Peter von Schaumberg und Papst Pius II., eigentlich der Klosterreform zuneigten. Herausragender Kritikpunkt am Kloster Ellwangen war die bis dahin aufrecht erhaltene adelige Exklusivität, die einherging mit einem regelwidrigen adeligen Lebensstil der Mönche. Der Druck auf den Konvent stieg massiv an, nachdem sich sowohl Graf Ulrich als auch Bischof Peter Urkunden hatten ausstellen lassen, die sie zur Reform aller in ihrem Einflussbereich liegenden Klöster ermächtigten. Nach einem letzten Reformversuch Ulrichs im Jahr 1459 entschloss sich offenbar der Konvent, die Umwandlung in ein Säkularkanonikerstift anzustreben und mit dem Papst hierüber zu verhandeln. Wohl wegen verwandtschaftlicher Beziehungen gab Bischof Peter seine Reformbemühungen auf und unterstützte den Vorstoß des Klosters. Das Anliegen durchgesetzt hat schließlich Markgraf Albrecht Achilles von Brandenburg. Dieser war zum Papst nach Mantua gereist, wo Pius gerade versuchte, einen Kreuzzug gegen die Türken zu initiieren. Dem Papst dürfte dieses Anliegen weit wichtiger gewesen sein, als der Erhalt Ellwangens als Benediktinerkloster und dessen Reform. Der Markgraf handelte wohl als Verbündeter des Württembergers, der angesichts des sich anbahnenden sogenannten Fürstenkriegs dringend darauf bedacht war, bereits bestehende Konflikte beizulegen – darunter auch derjenige mit dem Ellwanger Kloster. Daher dürfte er bereit gewesen sein, die Reformbemühungen in Ellwangen aufzugeben und der Umwandlung zuzustimmen.
Die kirchenrechtlichen Grundlagen der Umwandlung wurden in der Diskussion nochmals angesprochen. Dabei wurde betont, dass diesbezügliche Entscheidungsgewalt nur der Papst besaß. Weitere Fragen galten Vergleichsbeispielen, so etwa dem Kloster Klingenmünster, das ebenfalls umgewandelt wurde, und Kloster Schuttern.
Es zeigte sich, dass das Kloster Ellwangen, obwohl nur ganz wenige Reste seiner einstigen Schriftkultur erhalten geblieben sind, Anteil an der Kultur und am Bildungsleben der Karolingerzeit hatte. Zum Thema der Klosterreform ist festzuhalten, dass das Kloster Ellwangen zunächst, während der Reformphase des 11./12. Jahrhunderts eine Benediktinerabtei blieb. In der Krisenphase des mittleren 15. Jahrhunderts bot sich dann durch verschiedene äußere Umstände die Gelegenheit, die Lebensweise im Ellwanger Kloster durch eine Umwandlung in ein Säkularkanonikerstift beizubehalten.
Die Arbeitsgruppe 2 beschäftigte sich in ihrer von NORBERT HAAG und SABINE HOLTZ (beide Stuttgart) geleiteten Sitzung mit „Neuen Präsentationsformen von Geschichte im digitalen Zeitalter“. In ihrer Einführung hob Holtz hervor, dass das Internet auch aus der wissenschaftlichen Arbeit nicht mehr wegzudenken sei. Allerdings sei die Seriosität vieler Internetseiten mit historischen Inhalten zweifelhaft, worauf aber großer Wert gelegt werden müsse. Wichtige und kompetent gestaltete Internetauftritte, welche die gesamte Geschichtswissenschaft im Blick hätten, seien seit längerem im Netz (sehepunkte; H-Soz-Kult usw.). In den letzten Jahren gebe es aber auch Internetangebote zur Landesgeschichte. Nicht zuletzt diese sollten in der Sitzung von ihren Betreibern näher vorgestellt werden.
Im ersten Beitrag erläuterte Norbert Haag das im Juli 2015 freigeschaltete Internetprotal „Württembergische Kirchengeschichte online“.1 Es wird vom Landeskirchlichen Archiv sowie vom Verein für württembergische Kirchengeschichte mit dem Ziel betrieben, die regionale Kirchengeschichte in zeitgemäßer Form darzubieten. Dies sei nötig, da im gesellschaftspolitischen Diskurs der Gegenwart die christliche Prägung unserer Kultur immer mehr in Vergessenheit zu geraten drohe. Zielgruppen seien die interessierte Öffentlichkeit wie auch die historische Forschung. Von seiner Struktur her sei das Portal so gestaltet, dass durch die Vernetzung mit anderen Arbeitsfeldern (Landeskirchliches Archiv, Landeskirchliche Zentralbibliothek) größtmögliche Synergieeffekte erzielt werden können. Darüber hinaus sei eine Vernetzung mit anderen Portalen wie zum Beispiel mit „LEO-BW“ anvisiert. Im Unterschied zu anderen Internetauftritten werden die meisten Inhalte beim WKGO von eigenen Autoren neu erarbeitet. Selbstkritisch merkte Haag an, dass man den dafür nötigen personellen Aufwand unterschätzt habe. Anschließend erläuterte er die zentralen Bestandteile des Portals. Am häufigsten werde die Rubrik „Personen“ benutzt, da hier – neben biographischen Einzelartikeln – Datenaggregationen eingebaut wurden, auf die man von Nutzerseite schon lange gewartet habe (Württembergisches Pfarrerbuch). Zum Abschluss skizzierte Haag noch den zukünftigen Ausbau des Portals.
In der anschließenden Diskussion wurden Fragen nach der Zielgruppe des Internetangebots und den Möglichkeiten der Kommunikation mit den Nutzern behandelt. Dabei wies Haag darauf hin, dass die Möglichkeiten des Austauschs mit den Nutzern im Falle von „württembergische Kirchengeschichte online“ begrenzt seien, da das Kirchenarchiv als Betreiber nicht über die Kapazitäten verfüge, eingehende Anregungen und Fragen zu beantworten. Als Ergänzung zum Vortrag wurde aus dem Auditorium heraus das digitale Stadtlexikon von Karlsruhe kurz vorgestellt. Schließlich wurde noch die Zusammenarbeit mit Anbietern zur technischen Umsetzung der Projekte als Problemzone bei der Realisierung von Internetauftritten thematisiert.
Im zweiten Referat präsentierten WOLFAGNG KRAUTH und DANIEL FÄHLE (beide Stuttgart) das landesgeschichtliche Portal LEO-BW.2 Unter der Federführung des Landesarchivs stellt es ein Kooperationsunternehmen zahlreicher Forschungs- und Kulturinstitutionen des Landes Baden-Württemberg dar und ist seit 2012 freigeschaltet. Wie Krauth betonte, werden hier redaktionelle Inhalte und digitalisiertes Kulturgut aus den kooperierenden Institutionen vernetzt präsentiert. Derzeit seien es circa 2,2 Mio. Objekte (Texte, Bilder, Karten, Filme, Audio-Dateien) zu Orten, Personen und Themen des Südweststaats. Die Datenhoheit und somit die inhaltliche und rechtliche Verantwortung verbleibt dabei bei den Datenlieferanten. LEO-BW verstehe sich als sogenannte Linked Data-Anwendung, in der alle Daten über eindeutige Normdaten (auf Basis der GND) miteinander verknüpft seien.
In einem Praxistest veranschaulichte Fähle die Möglichkeiten von LEO-BW am Beispiel des Tagungsortes Ellwangen. Eine Recherche könne als textliche Suche über Datenbankinhalte der Kooperationspartner, über die redaktionell gepflegten Themenseiten oder über eine räumlich-geografische Suche im Kartenmodul stattfinden. Die enge Verknüpfung aller drei Komponenten gehöre zu den Markenzeichen des Portals. Danach verwies Fähle auf die Beiträge der Kommission für geschichtliche Landeskunde zu LEO-BW: die biographischen Sammelwerke und seit 2015 den digital aufbereiteten Historischen Atlas von Baden-Württemberg.
Abschließend stellten die Referenten einige Punkte der Weiterentwicklung von LEO-BW vor (Relaunch des Designs mit Schwerpunkt auf mobile Anwendungen, verbesserte Benutzerführung, inhaltlicher Ausbau zu einer Wissenschaftsplattform).
Im letzten Beitrag präsentierte GREGOR HORSTKEMPER (München) die Publikations- und Rechercheplattform „historicum.net“. Bei Einbeziehung des Vorgängerangebots „Server Frühe Neuzeit“ ergebe sich eine fast zwanzigjährige „Erfahrungsgeschichte“ des elektronischen Publizierens in der Geschichtswissenschaft. Zunächst wurden die ursprünglichen Zielsetzungen mit dem gegenwärtigen Entwicklungsstand verglichen. Die programmatisch angestrebte Erprobung neuer Publikationsverfahren führte zu einer ganzen Reihe von Themenangeboten, die häufig aus der universitären Lehre bzw. aus speziellen Forschungsgebieten Einzelner resultierten. Dann ging der Referent auf die Etablierung einer inhaltlich weit gefassten und technisch auf einem komplexen CMS basierenden Publikationsplattform ein: E-Books, digitale Editionen, Wikis etc. dienen jeweils spezifischen Publikationszielen und sind inhaltlich stärker fokussiert. Als zentrale Herausforderung bei der Planung neuer digitaler Publikationsvorhaben wurde die Nachhaltigkeit des gewählten Ansatzes im Hinblick auf die kontinuierliche Befüllung mit neuen Inhalten, auf die Anpassbarkeit und Flexibilität der technischen Basis und auf die langfristige Finanzierung des Vorhabens hervorgehoben. Schließlich wurde der allmähliche Umbau von historicum.net zu einer Rechercheplattform für die historische Forschung skizziert, die als Zugangsportal für den im Aufbau befindlichen Fachinformationsdienst Geschichtswissenschaft fungieren solle.
Die Diskussion über die beiden letzten Beiträge erfolgte zusammen am Ende der Sitzung. Insbesondere Chancen und Risiken der Präsentation von Inhalten unterschiedlicher Provenienz in „LEO-BW“ wurden kritisch diskutiert. Dabei konzedierten die Referenten, dass Vollständigkeit bei den Trefferanzeigen zu Orten und Personen nicht garantiert werden könne. An einer verbesserten Struktur der Ergebnislisten werde aktuell gearbeitet. Von anderer Seite wurde angemerkt, dass sich „LEO-BW“ als Bereitsteller und nicht als Redakteur der eingestellten Inhalte verstehe.
Zum Beitrag über „historicum.net“ konzentrierten sich die Fragen auf die Finanzierung des Internetauftritts. Schließlich wurde allgemein aus dem Teilnehmerkreis heraus noch darauf hingewiesen, dass es nicht genüge Inhalte nur online zu stellen, sondern dass bei allen derartigen Projekten die nicht unerheblichen laufenden Folgekosten für Pflege, Migration und Aufbereitung der Daten im Blick gehalten werden müssten.
Insgesamt machten die Beiträge und die Diskussionen in der Arbeitsgruppe deutlich, wie komplex und anspruchsvoll eine kompetente und fachlich seriöse Präsentation historischer Inhalte im Internet ist. Andererseits zeigte sich, dass Ansprüche und Erwartungen der Nutzer zuweilen die personellen und finanziellen Möglichkeiten der Anbieter historischer Internetportale übersteigen. Vielleicht sollte daher die Begrenztheit der eigenen Ressourcen von den Betreibern der Internetseiten transparenter gemacht werden.
Konferenzübersicht:
Arbeitsgruppe 1: Klosterwesen und Propstei Ellwangen
Leitung: Sigrid Hirbodian, Stefan Weinfurter
Maria Magdalena Rückert: Frühe Schriftkultur im Benediktinerkloster Ellwangen
Stefan Burkhardt: Von der Reaktion zur Innovation: Benediktinerklöster im Kampf gegen die Reformbewegungen im 12. Jahrhundert
Brigitte Oberle: Die Umwandlung des Klosters Ellwangen in ein Säkularkanonikerstift
Arbeitsgruppe 2: Neue Präsentationsformen von Geschichte im digitalen Zeitalter
Leitung: Sabine Holtz, Norbert Haag
Norbert Haag: Württembergische Kirchengeschichte online
Wolfgang Krauth, Daniel Fähle: leobw. Das landeskundliche Informationssystem Baden-Württemberg
Gregor Horstkemper: historicum.net
Anmerkungen:
1 <https://www.wkgo.de/> (20.08.2016).
2 <http://www.leo-bw.de/> (20.08.2016).