„Spektakel, Inszenierung, Theatralität sind Schlüsselbegriffe für das Barockzeitalter. Zu den vielfältigen theatralen Vergnügungen des Barock, die in den zeitgenössischen Quellen als „Spektakel“, „Feste“, „Lustbarkeiten“ und „Divertissements“ bezeichnet wurden, gehörte alles, was ein „Schau-Spiel“ bot, was sich an Theatralischem im weitesten Sinne „anschauen“ und bestaunen ließ, nicht nur Opern, Komödien und Tragödien, sondern auch Turniere und Rossballette, Feuerwerke und Illuminationen, Bauernwirtschaften und Maskeraden. Gleichzeitig bezeichnet der Begriff „Theatrum“ im Barock ganz allgemein auch den Ort, an dem es etwas zu schauen gab (ein Podium für eine theatralische Aufführung ebenso wie ein Gerüst für ein Autodafé), und wurde oft im übertragenen Sinne als „Kriegs- oder Friedenstheater“, „Staats- oder Welttheater“, „Gedächtnis-“ oder „Anatomisches Theater“ in der Titulatur von Büchern nahezu jeder Disziplin verwendet.“ Soweit die Einleitung zu dem von der Theaterhistorikerin ANDREA SOMMER-MATHIS (Wien) erstellten inhaltlichen Programm der Tagung, aus der die Breite der Thematik und die Vielfalt der möglichen Zugänge gut ersichtlich wird.
Ausgehend von diesen Überlegungen findet bereits seit März 2016 im Österreichischen Theatermuseum am Wiener Lobkowitzplatz die Ausstellung „Spettacolo barocco! Triumph des Theaters“ statt. Ein Höhepunkt im Rahmenprogramm dieser Ausstellung war wohl die internationale Konferenz „Spettacolo barocco – Performanz, Translation, Zirkulation“, die vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften vom 5. bis 7. Oktober 2016 in Kooperation mit dem Theatermuseum in dessen Räumen – vor allem im prächtigen Eroica-Saal – organisiert wurde.
In seinem Einleitungsreferat differenzierte der in Wien tätige Schweizer Theaterwissenschaftler STEFAN HULFELD (Wien) zwischen verschiedenen barocken Theaterformen: Von der Commedia all’improviso über die Pastorale bis hin zur Commedia dell‘ Arte. Dabei wurde der ursprünglich abwertend gemeinte Begriff Commedia dell’Arte später, vor allem im 18. Jahrhundert, romantisiert. Der Mythos der Commedia dell’Arte, so Hulfeld, sei im Prinzip eine Erfindung der Boheme der französischen Romantik; allerdings eine durchaus produktive, die spätere Theatermacher beeinflusst habe.
MICHAEL RÖSSNER (München), Romanist in München und Direktor des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, widmete seine Ausführungen Giambattista Andreinis „Le due Commedie in Commedia“, in der der Autor in nachgerade postmodern anmutender Weise mit der dramaturgischen Form spielt – durch die Verdoppelung der Hauptfiguren einerseits, sowie durch mehrere Realitätsebenen und eine als Teil der Handlung auftretende Schauspielertruppe. Den Zugang, ein Werk der Epoche in den Fokus zu nehmen und daran Charakteristisches herauszuarbeiten, wählten mehrere Referenten: CHRISTINE FISCHER (Basel) widmete ihren Vortrag der Wiener Produktion von Johann Joseph Fux‘ „Angelica, vincitrice di Alcina“ (1716), die sie vor allem als Darstellung der Herrschertugenden im Sinn Karls VI. interpretierte. FLORIAN BARAYNI (Wien) sprach über Thomas Kyds „The Spanish Tragedy“, CHRISTOPHER LAFERL (Salzburg) analysierte „Los empeños de una casa“ von Sor Juana Inés de la Cruz als barockes Spektakeltheater.
Andere Vortragende näherten sich der Thematik aus sozialhistorischer Perspektive. SUSANNE WINTER (Salzburg) beispielsweise befasste sich mit dem europaweiten Kulturtransfer durch wandernde Schauspieltruppen, MARGIT SCHARRER (Saarbrücken) beschäftigte sich mit österreichischen Adeligen, die als Teil der Grand Tour nach Frankreich reisten und dortige Theaterformen kennen lernten und MATTHIAS MANSKY und EVA-MARIA HANSER (beide Wien) stellten Adaptions- und Transferprozesse im frühneuzeitlichen Berufstheater dar.
Der erste Teil des Freitag-Vormittags widmete sich dann nachträglichen Rezeptions- und Adaptionsformen des Barocktheaters: KATHARINA WESSELY (Wien) analysierte die „Neuerfindung“ des Alt-Wiener Volkstheaters durch die Internationale Musik- und Theaterausstellung 1892, als eine Alt-Wiener Hanswurstbühne auf dem Hohen Markt errichtet wurde – sehr zur Freude der Besucher, die sich freilich durchaus im Klaren darüber waren, dass es sich dabei nicht um eine historische Rekonstruktion sondern um eine Neuerfindung (invention of tradition) handelte. ELISABETH GROSSEGGER (Wien) widmete ihre Ausführungen dem Theaterdiskurs der Zwischenkriegszeit in Österreich mit der Idee eines „zweiten Barock“ (Josef Nadler, Hermann Bahr, Joseph Gregor); ganz aktuell schließlich der Vortrag von UTE COBURGER (Mannheim), in dem die gerade laufende Mannheimer Barockausstellung präsentiert wurde.
Den Abschluss der Konferenz bilden zwei Referate, die sich unter völlig unterschiedlichen Gesichtspunkten mit der heutigen Aufführungspraxis von Barockopern beschäftigten: SEOLLYEON KONWITSCHNY (Berlin) stellte die Inszenierungen ihres Ehemannes Peter Konwitschny in den Mittelpunkt, während SIEGRIED T’HOOFT (Gent) den möglichen Nutzen von Gebärdenlehrbüchern der Barockzeit für moderne Inszenierungen darlegte. Dass ungeachtet der beiden vollkommen gegensätzlichen Zugänge beide Referentinnen für die von ihnen besprochenen Inszenierungen den Begriff der „Werktreue“ in Anspruch nahmen, zeigt die vielfältigen Möglichkeiten der Inszenierung barocker Stücke auch und gerade in der Gegenwart.
Die Veranstaltung bot mithin eine Vielzahl unterschiedlicher Zugänge – von Werkanalysen über sozialhistorische Zusammenhänge, bis hin zu späteren Formen der Barockrezeption. Eingerahmt wurde das Vortragsprogramm durch zwei Theateraufführungen – originellerweise auf jener Bühne, auf der auch die Vorträge stattfanden – und eine ausführliche Führung durch die Ausstellung im Wiener Theatermuseum.
Konferenzübersicht:
Thomas Trabitsch (Direktor des Theatermuseums) / Michael Rössner (Direktor des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte): Begrüßung
Stefan Hulfeld (Wien): Über Commedia dell’arte als Mythos und Forschungsgegenstand der Theatergeschichte
Arlecchino und sein Double. Eine Produktion der Scuola Sperimentale dell’Attore (Pordenone), mit Claudia Contin Arlecchino. Regie: Ferruccio Merisi
Andrea Sommer-Mathis: Einführung
Barocke Performanz
Moderation: Otto PFERSMANN
Michael Rössner (Wien / München): Comoedia est enim speculum comoediae (et imitatio vitae?). Translationen und Spiegelungen in der barocken Komödie
Susanne WINTER (Salzburg): TheaterKulturTransfer: Die Commedia dell’arte in Italien, Frankreich und Spanien
Christine Fischer (Basel): »Angelica, vincitrice di Alcina« – zu Herrschertugenden und ihrer Verortung in der Wiener Produktion von 1716
Margret Scharrer (Saarbrücken): Résistance oder Amüsement? Österreichs Adel besucht die Pariser Theaterbühnen
Translation des Barock
Moderation: Federico ITALIANO
Matthias Mansky / Eva-Maria Hanser (Wien): »Von Geberden und Reden aber, recht gut teütsch worden« – Adaptions- und Transferprozesse im frühneuzeitlichen Berufstheater
Florian Baranyi (Wien): Hofgesellschaft und Rache: Thomas Kyds The Spanish Tragedy und die Apologien des souveränen Rechts
Christopher F. Laferl (Salzburg): Der Festejo de Los empeños de una casa von Sor Juana Inés de la Cruz als barockes Spektakel
Spettacolo barocco! Triumph des Theaters. Kuratoren-Führung durch die Ausstellung
Zirkulation des theatralen Wissens
Moderation: Christoph Leitgeb
Katharina Wessely (Wien): ... dies Ragout aus Anderer Schmaus. Die Neuerfindung des Alt-Wiener Volkstheaters im Rahmen der Internationalen Musik- und Theaterausstellung 1892
Elisabeth Grossegger (Wien): Das zweite Barock. Ein Theaterdiskurs der Zwischenkriegszeit
Uta Coburger (Mannheim): Zur aktuellen Mannheimer Ausstellung Barock. Nur schöner Schein?
Moderation: Silke Leopold
Corinna Herr (Köln): Hybride Sänger? Zur Besetzung des Primo uomo in Barock und Postmoderne
Seollyeon Konwitschny (Berlin): Händel – unser Zeitgenosse? Peter Konwitschnys vier Händel-Inszenierungen
Sigrid T’hooft (Gent): Barockregie heute: Die Inszenierung von Händels Imeneo bei den Händel-Festspielen in Göttingen im Mai 2016
Abschlussdiskussion & Zusammenfassung