Zu der internationalen Tagung über „Stiftungen in der Weltgeschichte“ hatte das Forschungsprojekt FOUNDMED (Foundations in Medieval Societies. Cross-Cultural Comparisons) in Kooperation mit dem Bundesverband Deutscher Stiftungen eingeladen. Dabei wurden mehrere Ziele verfolgt: Zum einen ging es um eine kritische Würdigung des FOUNDMED-Projektes, das seit 2012 unter Leitung von Michael Borgolte im Rahmen eines European Research Grants drei Bände einer transkulturell-vergleichenden „Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften“ vorgelegt hat und kurz vor dem Abschluss steht.1 Zum anderen ging es um die Frage, wie Weltgeschichte künftig erforscht werden kann, also um eine inhaltliche und methodische Erweiterung des Ansatzes, der im FOUNDMED-Projekt am Beispiel der Stiftungen erprobt worden ist. Ein drittes Ziel der Veranstalter bestand daran, den Brückenschlag zwischen historischer Stiftungsforschung und aktueller Stiftungspraxis zu wagen. Dieser Anspruch zeigte sich bereits zu Beginn der Tagung, die mit Michael Borgolte ein ausgewiesener Stiftungshistoriker und mit Michael Göring der Vorsitzende des Bundesverbands Deutscher Stiftungen eröffneten.
ANNETTE SCHMIEDCHEN (Berlin) bilanzierte das Projekt FOUNDMED und die Entstehung der dreibändigen Enzyklopädie, indem sie die Arbeitsweise und die Entstehung der Artikel kritisch rekapitulierte. Ihr Fokus lag dabei auf den Synergien, die durch die interdisziplinäre Arbeit entstehen konnten. Thematisiert wurde allerdings auch die Schwierigkeit, die zumeist der Mediävistik entstammende Terminologie der Stiftungsforschung auf die in dieser Hinsicht (noch) weniger erfahrenen Fächer zu übertragen. An ausgewählten Beispielen aus der Enzyklopädie illustrierte sie schließlich, dass der Vergleich verschiedener Stiftungstraditionen dazu diene, entweder Alleinstellungsmerkmale oder aber Ähnlichkeiten hervorzuheben. Besonders ersteres habe innerhalb der einzelnen Fächer zu fruchtbaren Fragestellungen geführt, die in der jeweils ‚isolierten‘ Forschung womöglich nie aufgetreten wären.
MARTHA KEIL (St. Pölten / Wien) verglich das jüdische Stiftungswesen des späten Mittelalters mit dem des bürgerlichen 19. Jahrhunderts. Dabei konnte sie zeigen, dass Ehre und Anerkennung als Motivation, eine Stiftung zu errichten, zu beiden Zeiten von zentraler Bedeutung waren. Ein wichtiger Unterschied habe jedoch darin bestanden, dass der zentrale Bezugspunkt mittelalterlicher Stifter die eigene Gemeinde war, während jüdische Stiftungen der Moderne stärker auf die Integration in die christliche Mehrheitsgesellschaft abzielten. Sowohl im Mittelalter als auch in der Moderne habe man sich dabei auf das Konzept der Zedaka bezogen, das jüdische Gebot zur Wohltätigkeit.
Um den Vergleich zwischen mittelalterlichen Stiftungen und dem aktuellen Stiftungsgeschehen ging es in den Ausführungen von RUPERT GRAF STRACHWITZ (Berlin). Dabei betonte der Referent, dass das definitorische Proprium der Stiftung weder im Mittelalter noch im 21. Jahrhundert die Vermögensmasse (gewesen) sei, aus deren Erträgen Stiftungen ihren Unterhalt bestreiten, sondern das prosoziale Handeln des Stifters, das die Stiftung für die Dauer ihres Bestehens an den Stifterwillen binde. Damit seien Stiftungen hierarchisch strukturierte Institutionen, deren Verhältnis zu heterarchisch organisierten Gesellschaften moderner Demokratien ständig neu verhandelt werden müsse, um ein Gleichgewicht zwischen dem individuellen Verwirklichungswunsch des Stifters und dem Gemeinwohl der Gesellschaft herzustellen.
Der zweite Veranstaltungstag widmete sich ausführlich konkreten Ergebnissen des Forschungsprojekts FOUNDMED. DIONYSIOS STATHAKOPOULOS (London) hob in seiner kritischen Beurteilung der byzantinistischen Beiträge der FOUNDMED-Enzyklopädie die Bedeutung terminologischer Diskussionen hervor. Dabei werde deutlich, dass es ein fixes Stiftungskonzept nie gab. Auch die Ausführungen zu Periodisierung und Typisierung von Stiftung bestärkten diesen Eindruck. Die eingehende Reflexion des historischen Sprachgebrauchs zeige etwa, dass – anders als im lateinischen Christentum – Grenzen zwischen der Gründung eines Klosters, der Schenkung an dieses und ihrem Besitz in byzantinischen Quellen terminologisch schwierig zu ermitteln seien. Den Fokus seiner Kritik legte Stathakopoulos auf die Grundkategorien, die den Aufbau der Enzyklopädie bestimmen; diese seien dem Paradigma des westlichen Christentums entnommen, das so zum Ideal stilisiert werde, von dem man nicht divergieren könne, ohne als ‚minderwertig‘ zu gelten.
JO VAN STEENBERGEN (Gent) veranschaulichte anhand zweier Beispiele aus dem spätmittelalterlichen Ägypten, wie die islamische Stiftung (waqf) als meta-institutionelle Matrix fungierte, um Herrschaft zu sichern und auszubauen. So sei für diesen Zeitraum zu beobachten, dass vermehrt Ländereien in Stiftungen umgewandelt wurden, diese aber unter der Kontrolle einiger weniger Familien standen. Damit hätten Stiftungen also nicht zwingend zur Integration gesellschaftlicher Gruppen geführt, sondern es hätten sich Eliten des Instruments Stiftung bedient, um transregionale Netzwerke zu erhalten und auszubauen und sich auf diese Weise als staatliche Führungsschicht zu reproduzieren. Die für die islamwissenschaftliche Stiftungsforschung zentrale Unterscheidung zwischen Familienstiftung und öffentlicher Stiftung lasse sich folglich nicht eins zu eins in eine Dichotomie von privat und staatlich übersetzen, weil beide Bereiche miteinander verwoben gewesen seien.
EMILIA JAMROZIAK (Leeds) illustrierte die Defizite zweier Arten von Ordensforschung, die die religiöse Dimension des Kloster- und Stiftungswesens auf nationalstaatliche Logiken beziehungsweise ökonomische Mechanismen reduzieren. Solche Ansätze erklärten die Entstehung von Stiftungen in rein geopolitischen respektive wirtschaftlichen Begriffen und rissen sie somit aus ihrem spezifischen kulturellen Kontext. Die Publikationen des Projekts FOUNDMED reihten sich hingegen nicht in diese Tradition ein und zeichneten sich außerdem durch eine globale Untersuchung des Phänomens Stiftung aus, die die Mediävistik ihrer Vormachtstellung enthebe. Indem die Enzyklopädie auch soziologische Kategorien berücksichtige – etwa mit der Frage nach der Bedeutung sozialen Kapitals für Stiftungen –, habe sie das Spektrum mediävistischer Forschung erweitert und neue Fragestellungen ermöglicht. Nicht zuletzt die vergleichende Methode selbst habe sich als gewinnbringend erwiesen – es sei zu hoffen, dass sie einen Standard setze, dem die zukünftige Forschung folgen wird.
Über stiftungsgeschichtliche Fragen hinaus ging schließlich eine Podiumsdiskussion unter der Leitung von BENJAMIN SCHELLER (Essen), die nach dem methodischen Modellcharakter des FOUNDMED-Projektes fragte. Mit BENJAMIN JOKISCH (Berlin), KONRAD HIRSCHLER (Berlin), GERRIT JASPER SCHENK (Darmstadt) und ISABELLE AUGÉ (Montpellier) konnten hierfür Diskutant/innen verschiedener Fachrichtungen (Islamwissenschaft, Mediävistik, Armenologie) gewonnen werden. Dabei wurde auf die Stärken und Schwächen der „Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften“ eingegangen. So ermögliche die transkulturelle Ausrichtung der Enzyklopädie zwar die Analyse ähnlicher Phänomene in verschiedenen Regionen der Erde, könne aber beziehungsgeschichtliche Dynamiken in Kontaktzonen verschiedener Religionen wie etwa im spätmittelalterlichen Kairo oder Al-Andalus nicht adäquat abbilden. Ein Vorteil des transkulturellen Zuschnitts der Enzyklopädie sei hingegen, dass Fragen aufgeworfen würden, die sich bei der Behandlung durch lediglich eine Disziplin nicht gestellt hätten. Perspektivisch müssten nun die in der Enzyklopädie aufgeworfenen Fragen in die jeweiligen Fächer getragen werden, um sie dann wieder beziehungsgeschichtlich verorten zu können. Das Phänomen Stiftung biete sich als Untersuchungsgegenstand an, weil es universalgeschichtlich überall anzutreffen sei, während der Vergleich anderer Phänomene häufig zu stark auf eine Disziplin – zumeist die Mediävistik – zugeschnitten sei und damit als singuläres Phänomen einer Gesellschaft nicht auf andere Gesellschaften anwendbar erscheine. Der Vorteil der Stiftung als Untersuchungsobjekt läge nun gerade darin, als soziales System von seiner Umwelt abgrenzbar, gleichzeitig aber offen genug zu sein, um permanent mit seiner Umwelt zu kommunizieren und sich zu reproduzieren. Vergleichbare Untersuchungen seien etwa zu Familie oder Geschlechterbeziehungen denkbar. Die Diskussion, die auch als Tonmitschnitt zugänglich ist2, verdeutlichte das methodische Potenzial, das die interkulturell vergleichende Forschung für die Geschichtswissenschaft birgt.
In seinem Abschlussvortrag gab MICHAEL BORGOLTE (Berlin) Einblicke in sein aktuelles Buchprojekt zur Weltgeschichte der Stiftungen von den Anfängen bis 1500. Dabei griff er das Beispiel monarchischer Stiftungen heraus, um das Verhältnis von Stiftung und Herrschaft zu beleuchten. Er konnte zeigen, dass sich königliche Stiftungen in sämtlichen untersuchten Gesellschaften belegen lassen und vielfältigen Zwecken dienten, wie etwa der Stadtentwicklung (Osmanenzeit) oder der Errichtung von Kultstätten (Altes Ägypten). Die Ursprünge nicht-königlicher Stiftungen sieht Borgolte nicht in erster Linie in einer sekundären Imitation herrscherlicher Stiftungen, sondern vor allem in der Achsenzeit. In dieser Zeit habe es nämlich nicht nur einen Individualisierungsschub gegeben, sondern auch eine Ethisierung der Lebenswerte, die es für Stifter erst attraktiv machte, im Diesseits wohltätiges Handeln durch Stiftungen anzustreben und dafür auf Gedenken zu hoffen.
Als Leitmotiv der Tagung ließen sich früh zwei – eng miteinander verknüpfte – zentrale Themen ausmachen, auf die auch in den Diskussionen der einzelnen Beiträge immer wieder eingegangen wurde: einerseits die Bewertung der Methode der Enzyklopädie – des interkulturellen Vergleichs – sowie andererseits deren Implikationen für die globalhistorische Mittelalterforschung und den Begriff des Mittelalters selbst. Tendiert die Methode dazu, Gemeinsamkeiten zu betonen, oder schärft sie den Blick für Unterschiede? Bestimmt diejenige Disziplin den Vergleich, die bestimmte Konzepte und Begriffe vorgibt, und unterwirft sie so die anderen Disziplinen zwangsläufig ihrem Paradigma? Einigkeit herrschte darüber, dass der vergleichende Ansatz des Projekts Diskussionen um die Frage eröffnet hat, ob das Konzept des Mittelalters in seinen bisherigen zeitlichen und räumlichen Dimensionen bestehen kann oder im Zuge transkultureller Untersuchungen zwangsläufig mit alternativen Konzepten überwunden werden muss. Die Enzyklopädie des Projekts FOUNDMED hat mit ihrer sorgfältigen Grundlagenforschung entscheidende Anstöße gegeben – es bleibt der erwartungsvolle Blick auf die Rezeption des Werkes in der zukünftigen Forschung.
Konferenzübersicht:
Michael Göring (Bundesverband Deutscher Stiftungen; Berlin) / Michael Borgolte (FOUNDMED; Berlin): Eröffnung
Annette Schmiedchen (Berlin): FOUNDMED: Bilanz eines interkulturellen Projekts aus der Sicht einer Beteiligten
Martha Keil (St. Pölten / Wien): Jüdische Stiftungen des Mittelalters und der Moderne. Ein diachronischer Vergleich
Rupert Graf Strachwitz (Berlin): Was die Einsichten zum mittelalterlichen Stiftungswesen in mehr als fünf Kulturen aus der Sicht aktuellen Stiftungsgeschehens irritieren und auch animieren kann
Besuch der Zentrale des Bundesverbandes deutscher Stiftungen
Dionysios Stathakopoulos (London): Stiftungen in Byzanz und was FOUNDMED zu ihrer Erkenntnis beigetragen hat; Antwort darauf durch Zachary Chitwood (Berlin)
Jo Van Steenbergen (Gent): Stiftungen im Islam und was FOUNDMED zu ihrer Erkenntnis beigetragen hat; Antwort darauf durch Ignacio Sánchez (Warwick) und Corrado la Martire (Berlin)
Emilia Jamroziak (Leeds): Stiftungen im christlichen ‚Abendland‘ und was FOUNDMED zu ihrer Erkenntnis beigetragen hat; Antwort darauf durch Tillmann Lohse (Berlin)
Podiumsdiskussion unter der Leitung von Benjamin Scheller (Essen): FOUNDMED – ein Modell vergleichender Weltgeschichtsforschung?
Teilnehmer: Benjamin Jokisch (Berlin), Konrad Hirschler (Berlin), Gerrit Jasper Schenk (Darmstadt), Isabelle Augé (Montpellier)
Michael Borgolte (Berlin): Stiftungen in der Weltgeschichte. Eine Zwischenbilanz
Abschlussdiskussion
Anmerkungen:
1 Michael Borgolte (Hrsg.), Enzyklopädie des Stiftungswesens in mittelalterlichen Gesellschaften, Band 1: Grundlagen, Berlin 2014; Bd. 2: Das soziale System Stiftung, Berlin 2016; Bd. 3: Stiftung und Gesellschaft (im Druck).
2 <http://www.foundmed.eu> (26.03.2017).