Verfolgung, Abwehr, Selbstbehauptung. Katholische Kirche und Nationalsozialismus

Verfolgung, Abwehr, Selbstbehauptung. Katholische Kirche und Nationalsozialismus

Organisatoren
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.03.2017 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Thomas Roth, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Am 17. März 2017 fand zum mittlerweile sechsten Mal das Kolloquium des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln statt. Die Veranstaltungsreihe möchte den Austausch zwischen Wissenschaft und geschichtsinteressierter Öffentlichkeit fördern und stellt dabei jüngere Forschungen zum NS-Regime in Köln und dem Rheinland in den Mittelpunkt. In diesem Jahr ging es um das Verhältnis von Katholischer Kirche und Nationalsozialismus, ein fast schon „klassisches“, jedoch noch keinesfalls abschließend bearbeitetes Thema der NS-Forschung. Während sich die älteren, zum Teil antagonistisch geführten Debatten um die Verantwortung der Kirche nach 1933 oder den nationalsozialistischen „Kirchenkampf“ abgeschwächt haben (freilich immer noch bemerkbar sind und auch auf der hier behandelten Tagung eine Rolle spielten), haben sich in den letzten Jahren Ansätze entwickelt, neue sozial- und kulturgeschichtliche Perspektiven auf das Thema zu erproben, die bereits bearbeiteten Themen und Überlieferungen einer nochmaligen Sichtung zu unterziehen und dabei auch bisher weitgehend vernachlässigte Quellenbestände zu berücksichtigen.

Zu Beginn der Veranstaltung schilderte ANSELM FAUST (Ratingen), früher Dezernent am Landesarchiv NRW, anhand der für die Jahre 1934–1936 vorliegenden Lageberichte, wie die regionalen Gestapostellen das im Rheinland besonders stark ausgeprägte katholische Milieu wahrgenommen haben. Faust zufolge spielten Überlegungen zum „katholischen Lager“ innerhalb der weitgespannten Berichterstattung eine wichtige Rolle, wobei besonders die Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit dem „Neuheidentum“, das Agieren der katholischen Jugendverbände und die kirchliche Gegenwehr gegen die drohende Abschaffung der „Bekenntnisschule“ unter Beobachtung der rheinischen Gestapostellen standen. Angesichts ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung und der allgemein registrierten Unzufriedenheit in der Bevölkerung habe die Staatspolizei die Kirche als „gefährlichen Gegner“ und möglichen Nutznießer einer Destabilisierung des Systems gesehen, aufmerksam Zeichen der „Resistenz“ registriert und Signale für einen „Waffenstillstand“ zwischen Kirche und Regime misstrauisch betrachtet. Die in Grundzügen richtige, gleichwohl verzerrte Wahrnehmung der Gestapo lässt sich laut Faust nicht nur auf die dominanten katholischen Traditionen im Rheinland und die Konsolidierungsprobleme der noch „jungen“ NS-Herrschaft zurückführen, sondern auch auf die allgemeine Tendenz von Sicherheitsapparaten, eigene Leistungen und Bedrohungen zum Zwecke der Selbstlegitimation hervorzuheben. Neben dem zeitgenössischen Szenario des befürchteten „Kulturkampfes“ sei jedoch der „Teilkonsens“ der Kirche mit dem Regime zu betonen. Dieser „Teilkonsens“ könne auch aus den Lageberichten erschlossen werden. Aufschlussreich sei etwa, was in den kirchenpolitischen Passagen der Berichte nicht zur Sprache kam, etwa kirchliche Kritik an Antisemitismus oder Rassenpolitik oder die Solidarisierung mit Regimegegnern. Faust betonte vor diesem Hintergrund die Aussagekraft der Gestapoberichte, aber auch die Notwendigkeit einer quellenkritischen Lektüre.

Im zweiten Vortrag untersuchte THOMAS ROTH (Köln) vom Kölner NS-Dokumentationszentrum die Vorgehensweise der lokalen Staatspolizei und Justiz gegenüber unangepassten Geistlichen, wobei er die Überlieferung der Kölner Staatsanwaltschaft in den Mittelpunkt stellte. Der Referent wies auf das breite inhaltliche Spektrum der Strafverfahren gegen Pfarrer und Kapläne hin, das neben politischen Kanzeläußerungen, dem Vertrieb von Schriften und öffentlichen Auftritten katholischer Jugendverbände auch nicht genehmigte Kollekten oder Verstöße gegen das Flaggengesetz umfasste. Roth betonte, dass einem hohen Ermittlungsaufwand eine überschaubare Strafbilanz gegenübergestanden habe und der Großteil der Verfahren eingestellt worden sei. Das habe mit den Denunziationen und überschießenden Verdächtigungen der lokalen Parteiverbände zu tun gehabt, die den Normen des Strafverfahrens häufig nicht standgehalten hätten. Es sei aber nicht zuletzt auf die strategische Herangehensweise der staatlichen Instanzen zurückzuführen. Während man einerseits bestrebt gewesen sei, die katholische Kirche politisch zu marginalisieren und auf den Sakralbereich zu beschränken, habe man andererseits versucht, die um katholische Selbstbehauptungsversuche entstehenden Konflikte nicht zu stark eskalieren zu lassen, um eine regimekritische Mobilisierung und Distanzierung der katholischen Bevölkerung zu vermeiden. Zu diesem Zweck habe man gegenüber Geistlichen vor allem auf Sanktionsmittel wie Ermahnungen, Verwarnungen, Geldstrafen, Redeverbote und Ausweisungen gesetzt und nur in besonderen Fällen zur öffentlichkeitswirksamen „Abstrafung“ gegriffen. Vor diesem Hintergrund sei die Konfliktgeschichte zwischen Staat und Kirche, so Roth, auch als Folge von Aushandlungsprozessen und Anpassungsleistungen zu verstehen. Der „Märtyrer“, der in der Erinnerungskultur nach 1945 eine wichtige Rolle gespielt habe, sei für die meisten Geistlichen kein „role model“ gewesen.

KEYWAN KLAUS MÜNSTER (Bonn) vom Bonner LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte befasste sich mit der 1934 im Kölner Erzbistum eingerichteten „Abwehrstelle gegen die antichristliche Propaganda“, einer Einrichtung, die zahlreiche gegen die kirchenfeindlichen Kampagnen des Regimes gerichtete Schriften produzierte und vertrieb und die mit ihren „Studien“ zum „Mythus“ Alfred Rosenbergs sowie den „Katechismuswahrheiten“ einen wesentlichen Beitrag zur weltanschaulichen Orientierung gläubiger Katholiken leistete. Der Referent erläuterte die Entstehungsgeschichte der Einrichtung sowie die Zielsetzungen der hinter ihr stehenden Akteure (Kardinal Schulte, der Kölner Generalvikar David und der Leiter der Stelle Joseph Teusch). Er skizzierte aber auch die von staatspolizeilichem Zugriff bedrohte Praxis der „Abwehrstelle“: von der Erstellung der Manuskripte über den Druck bis zur Verteilung in den Gemeinden. Münster betonte die Breitenwirkung der von der „Abwehrstelle“ entwickelten Publikationstätigkeit, die sich nicht nur in der Beteiligung zahlreicher Kleriker und Laien an der Verbreitung der Schriften zeige, sondern auch in einer Gesamtauflage von 17 Millionen Broschüren. Mit ihren Veröffentlichungen habe die „Abwehrstelle“ zwar nicht scharfe Kritik geübt oder Fundamentalopposition praktiziert, sondern primär die „Glaubenswahrheiten“ bekräftigt. Damit habe sie jedoch Teile der katholischen Bevölkerung gegen weltanschauliche Indoktrinierung „immunisiert“, für eine distanzierte Wahrnehmung der in der NS-Presse verbreiteten Rassenlehre sensibilisiert und innerhalb des NS-Regimes eine von alternativen Denk- und Handlungsmustern geprägte „Teilöffentlichkeit“ erhalten.

Auch der aus einem laufenden Dissertationsprojekt hervorgegangene Vortrag von MARKUS KÖHLER (Köln) widmete sich der „Abwehrstelle“, wobei er einen biografischen und ideengeschichtlichen Zugang wählte. Der Referent stellte den Bonner Kirchenhistoriker Wilhelm Neuß ins Zentrum seiner Ausführungen und schilderte dessen Beitrag zur katholischen Schrift „Studien zum Mythus des XX. Jahrhunderts“. Neuß habe Rosenbergs „Mythus“ als „Kriegserklärung“ an die katholische Kirche verstanden und die Pflicht zu einer Gegendarstellung betont, für die Zurückweisung des nationalsozialistischen Geltungsanspruchs jedoch eine betont sachliche, wissenschaftliche Herangehensweise gewählt. Köhler betonte die Wirkungen der Schrift, die in kirchlichen (und nicht nur katholischen) Kreisen zustimmend rezipiert worden sei, während sie in Teilen der NS-Bewegung eine harsche Reaktion hervorgerufen habe (insbesondere in Gestalt von Rosenbergs „Dunkelmänner“-Pamphlet). Für Neuß selbst hatten die „Studien“, auch wenn sie anonym publiziert worden waren, eine verstärkte Überwachung zur Folge. Der Referent sah in der katholischen Auseinandersetzung mit dem „Mythus“ und Neuß‘ Beitrag einerseits eine „milieuegoistische“ Verteidigungshaltung, betonte aber andererseits die mit den „Studien“ praktizierte Zurückweisung der NS-Ideologie und wertete sie als wichtiges Mittel zur Stärkung katholischer „Resistenz“.

Einen Perspektivwechsel nahm VERENA KÜCKING (Köln) vor, deren Vortrag die Ergebnisse ihrer kürzlich abgeschlossenen Dissertation zusammenfasste. Kücking behandelte die Kommunikationsbeziehungen katholischer Jugendlicher im Zweiten Weltkrieg und widmete sich vor allem der Rekonstruktion ihres Wahrnehmungs- und Wertehorizontes. Anhand dichter Briefkorpora und dreier unterschiedlich strukturierter Gruppen aus Köln und Essen konnte sie zeigen, wie jugendbewegte Katholiken auch nach der Auflösung ihrer Organisationen und unter den Bedingungen des Krieges besondere Beziehungen und gemeinsame Erfahrungsräume aufrechtzuerhalten versuchten. In der Briefkommunikation zeige sich das spezifische Verständnis einer katholisch geprägten „Gemeinschaft“, die sich von der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ absetze, ohne diese jedoch grundlegend infrage zu stellen. Kücking zeigte anhand verschiedener Themen – Kirchenpolitik, Judenverfolgung, Krieg und soldatische Leitbilder – die ambivalente Haltung der Katholiken zur NS-Gesellschaft. Zwar habe man sich im Schreiben „Frei-“ und „Schutzräume“ gegenüber dem nationalsozialistischen Zugriff geschaffen; der Rückzug in die eigene katholische „Nische“ habe jedoch zugleich zu einer Verengung des Wahrnehmungshorizonts geführt und systemstabilisierend wirken können.

In der dritten Sektion der Tagung zeigte MARTIN RÜTHER (Köln) vom NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln einen Ausschnitt aus seinem breitangelegten Forschungs- und Publikationsprojekt zur Geschichte der Jugend 1918–1945: eine Internetpräsentation zum katholischen Schülerverband „Bund Neudeutschland“ (ND).1 Die Website stellt große Teile des seit den 1950er-Jahren (wieder)aufgebauten „Altarchivs“ des Bundes in digitalisierter Form vor, von den Verbandszeitschriften über Feldpost und Rundbriefe bis zu den Gruppenakten sowie Orts- und Gruppenchroniken der „ND‘ler“. Die Quellen werden erläutert durch einführende Texte zur Geschichte und Überlieferung des ND, die Scans der Dokumente begleitet von Transkripten, die Textrecherchen und -analysen erleichtern. Anspruch der Präsentation sei es nicht nur, einen lange Zeit weitgehend unbeachteten Bestand ins Bewusstsein zu rücken, sondern auch dem veränderten Nutzungsverhalten jüngerer Historiker/innen entgegenzukommen, also: Forschungen zu ermöglichen und zu stimulieren. Rüther betonte die Bedeutung des ND-Archivs, das nicht nur die Formierungsphase des Verbandes in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren, sondern auch dessen Auseinandersetzung mit dem NS-Regime differenziert nachzuzeichnen erlaube. Der Referent machte deutlich, wie ertragreich das Material gerade für neuere Untersuchungsperspektiven sein kann: So bieten die im Bestand enthaltenen Fotoalben Ansätze für eine vergleichende Visual History von katholischer Jugendbewegung und HJ, während schriftliche Selbstzeugnisse erlauben, die immer noch weitgehend unbeantwortete (und auch auf der Tagung immer wieder aufgeworfene) Frage nach der Rezeption der NS-Gesellschaftspolitik und der kirchlichen Deutungsangebote zu behandeln.

Den Abschluss der Tagung bildete ein Beitrag von HANS HESSE (Hürth), der auf Basis eines länger angelegten Forschungsprojektes „Archiv des Gedenkens an die NS-Zeit im Rheinland“ die Gedenktopographie der katholischen Kirche in der Region umriss. Hesse skizzierte eine ausgeprägte und weit ausdifferenzierte „Erinnerungsstruktur“, die sich aus Kriegerdenkmälern, Gedenkbüchern, Andachtsräumen, Skulpturen im öffentlichen Raum, Stolpersteinen, Gedenktafeln und Straßennamen konstituiere. Anhand lokaler Beispiele benannte Hesse verschiedene Grundzüge katholischen Gedenkens nach 1945: die Überleitung des nach dem 1. Weltkrieg entstandenen „Heldengedenkens“ in ein allgemeines Erinnern an die Opfer von „Krieg und Gewaltherrschaft“, die kirchenamtliche Kodifizierung des Gedenkens in „Martyrologien“, die Konzentration der lokalen Erinnerungsarbeit auf einzelne herausragende Figuren sowie die Integration jüdischer Opfer und politischer Widerständler in katholische Denkmäler, die zum Teil als erinnerungspolitische „Instrumentalisierung“ erscheine.

Hesses Vortrag machte überdies auf offene Fragen aufmerksam – so nach den Konjunkturen kirchlichen Erinnerns, den Parallelen und Unterschieden zu anderen Konfessionen oder politischen Milieus sowie zum Verhältnis von lokaler Initiative und obrigkeitlicher Steuerung bei Gedenkinitiativen. Damit wurde ein Grundtenor der Tagung noch einmal aufgegriffen: dass trotz der produktiven Forschung und kirchlichen Erinnerungsarbeit der letzten Jahrzehnte immer noch wesentliche Desiderate bestehen, denen gerade mit lokal und regional ansetzenden Untersuchungen begegnet werden kann.

Konferenzübersicht:

Anselm Faust (Ratingen): „Die katholische Kirche ist heute einer der gefährlichsten Gegner für den Staat“. Die rheinischen Katholiken im Fokus der Geheimen Staatspolizei 1933–1936

Thomas Roth (Köln): Die Verfolgung von Geistlichen durch Kölner Justiz und Gestapo – ein Werkstattbericht

Keywan Klaus Münster (Bonn): Joseph Teusch und die Kölner „Abwehrstelle gegen die antichristliche Propaganda“

Markus Köhler (Köln): Wilhelm Neuß (1880–1965). Ein katholischer Kirchenhistoriker und seine Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Propaganda

Verena Kücking (Köln): „Das gemeinsame Band“. Schreiben als Praxis – Katholische Jugendgruppen im Zweiten Weltkrieg

Martin Rüther (Köln): Das Archiv des „Bund Neudeutschland“ und neue Möglichkeiten historischer Forschung – ein Projektbericht

Hans Hesse (Hürth): Widerstand und Martyrium? Zur NS-Gedenktopografie katholischer Christen im Rheinland

Anmerkung:
1 Vgl. die Seite http://www.nd.nsdok.de; zum Gesamtprojekt http://www.jugend1918-1945.de/portal/Jugend/default.aspx?id=418 (24.03.2017).


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