Helferinnen, Verfolgte, Akteurinnen. Frauen im NS-Staat

Helferinnen, Verfolgte, Akteurinnen. Frauen im NS-Staat

Organisatoren
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.04.2018 -
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Von
Thomas Roth, NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Am 27. April 2018 fand das Kolloquium des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln zum siebten Mal statt. Die Veranstaltungsreihe, die jüngere Forschungen zur NS-Zeit in Köln und dem Rheinland vorstellt, widmete sich dieses Jahr dem Thema „Frauen und Nationalsozialismus“. Dabei sollten unterschiedliche Perspektiven frauengeschichtlicher Forschung zur NS-Zeit aufgegriffen und für die Regionalgeschichte der NS-Diktatur erschlossen werden.

In der ersten Sektion ging es um die Mitwirkung von Frauen an den Herrschaftsapparaten des Regimes, einen Aspekt, der seit dem „Historikerinnenstreit“ Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre zunehmende Aufmerksamkeit bekommen hat und mittlerweile bereits in zahlreichen Untersuchungen differenziert behandelt worden ist.

Zunächst rückte THOMAS ROTH (Köln), an Elisabeth Kohlhaas‘ frühere Forschungen anknüpfend1, die weiblichen Angestellten der Kölner Gestapo in den Blick. Hierbei handle es sich um eine Gruppe von Frauen, die nicht als „Täterinnen“ im engeren Sinne bezeichnet werden könnten, die als Schreibkräfte, Telefonistinnen oder Dolmetscherinnen jedoch wesentliche Aufgaben im Kommunikationsapparat der Staatspolizei übernahmen und dabei weitgehenden Einblick in die Verfolgungspolitik des Regimes bekamen. Roth beschrieb die unterschiedlichen Rekrutierungswege und Einsatzbereiche der weiblichen Angestellten und skizzierte deren Verhältnis zum männlichen Mitarbeiterstab. Er schilderte nicht nur deren dienstliche Aufgaben in Tätigkeitsfeldern wie der Verfolgung der linken Arbeiterbewegung, der Erfassung und Deportation der jüdischen Bevölkerung oder der Kontrolle von Zwangsarbeiter/innen. Der Referent ging auch auf private Beziehungen zwischen Sekretärinnen und örtlichen Gestapoführern ein, in denen neben der zeitgenössischen Geschlechterhierarchie eine gemeinsame Haltung zur NS-Politik zum Ausdruck kam. Mit Blick auf die Nachkriegszeit und die Rolle der weiblichen Schreibkräfte in Entnazifizierungs- und Strafverfahren betonte Roth die Handlungsspielräume der Frauen: Während einige von ihnen den vor 1945 entwickelten Loyalitätsbeziehungen verpflichtet blieben, ihre Tätigkeit herunterspielten und den apologetischen Diskurs ihrer früheren Kollegen bedienten, verstanden sich andere als Zeuginnen der von der Gestapo verübten Verbrechen.

Eine hinsichtlich sozialem Hintergrund und Handlungskontext ähnliche Gruppe von Frauen behandelte der Vortrag von YVONNE SCHÄFERS (Köln). Im Anschluss an Jutta Mühlenbergs Studie aus dem Jahre 20102 widmete sie sich den Nachrichtenhelferinnen und weiblichen Zivilangestellten der SS. Die von der SS-Führung besonders während des Krieges forcierte Anwerbung und Ausbildung von SS-Mitarbeiterinnen war nicht nur dem Personalmangel geschuldet, sondern zielte letztlich auch auf eine Erweiterung der zunächst „männerbündischen“ SS-Elite. Schäfers schilderte, welche Anforderungen an die Frauen gestellt wurden, welche Ausbildung sie erhielten und welche „Karriereoptionen“ ihnen offenstanden. Anschließend diskutierte sie anhand eines Kölner Samples biografische Prägungen und Motivation der „Frauen in der SS“, wobei sich einige Übereinstimmungen mit den von Roth behandelten Hilfskräften der Gestapo ergaben. Anhand der erhaltenen Bewerbungs- und Sichtungsunterlagen machte Schäfers ein breites Spektrum von „Ambitionen“ aus: Während sich manche der meist aus Mittelschichtsfamilien stammenden Frauen und Mädchen aufgrund ideologischer Überzeugung bei der SS bewarben, strebten andere vor allem eine besser bezahlte und mittelfristig gesicherte Anstellung an; hinter der Bereitschaft zum „auswärtigen Einsatz“ in den SS- und Polizeidienststellen der besetzten Gebiete konnte neben allgemeiner „Abenteuer- und Reiselust“ auch das Bedürfnis stehen, dem Ehemann zu folgen. Bei aller Vielschichtigkeit der Motive, so Schäfers, sei jedoch eine grundsätzliche Identifikation mit dem politischen System anzunehmen. In SS-, SD-, Polizei- und Parteieinheiten seien die Frauen unausweichlich zu „Mitwisserinnen“ des NS-Terrors geworden.

Im zweiten Teil der Tagung lag der Fokus auf der Verfolgung von Frauen. Zunächst stellte LENA HAASE (Trier) das Frauenstraflager Flußbach vor, eine Hafteinrichtung, die gleichermaßen von Justiz und Gestapo genutzt wurde und auch die Funktion einer Schutzhaftstätte hatte. Das 1942 eingerichtete Straflager, in dem während seines etwa zweijährigen Bestehens knapp 2.000 Frauen inhaftiert waren, ist aufgrund seiner Größe lange Zeit unbeachtet geblieben, obwohl es eine wichtige Rolle als Sammel- und Durchgangslager im Westen des Reiches spielte. Wie die Referentin erläuterte, nahm das zunächst schwerpunktmäßig mit deutschen Gefangenen belegte Lager ab Ende 1942 vermehrt Angehörige des luxemburgischen und französischen Widerstands auf, die meist als „Nacht- und Nebel-Häftlinge“ ins Reich gekommen waren und später von Flußbach in andere Haftstätten oder Konzentrationslager, v.a. nach Ravensbrück, verlegt wurden. In diesem Zusammenhang bestand auch eine enge regionale Beziehung mit dem Konzentrationslager Hinzert, das oft den „männlichen Teil“ der aus Luxemburg deportierten Paare und Familien aufnahm. Haase ging neben den (über)regionalen Verbindungen des Lagers auch auf die Haftbedingungen in Flußbach ein, die vor allem bei den ausländischen Häftlingen auch von Vernachlässigung, Schikanen und Gewalt gekennzeichnet gewesen zu sein scheinen.

Nach der politischen Verfolgung nahm MATTHIAS KLEIN (Trier) die rassenpolitische Erfassung von Frauen in den Blick. Aus dem Kontext seiner kürzlich abgeschlossenen Dissertation zur NS-„Rassenhygiene“ im Regierungsbezirk Trier3 trug er zur Praxis der Zwangssterilisationen vor. Nach einer Einführung zu Grundlagen und Durchführung des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ ging der Referent auf die geschlechtsspezifische Signatur der Sterilisationspolitik ein. Er betonte, dass gerade die Diagnose „angeborener Schwachsinn“ dazu gedient habe, einen sozial abweichenden, der zeitgenössischen „Moral“ widerstrebenden Lebenswandel zu sanktionieren, und stellte dar, welche Bedeutung der Überprüfung der Hausfrauenrolle und des Sexualverhaltens in Sterilisationsverfahren gegen Frauen zukam. Klein thematisierte darüber hinaus die vom Sterilisationsgesetz eröffnete Möglichkeit eines – vermeintlich freiwilligen – Schwangerschaftsabbruches und den für Frauen besonders massiven operativen Eingriff, der gravierende körperliche und seelische Folgen gehabt habe. Mit Blick auf Spezifika der von ihm untersuchten Region erwähnte Klein einen überdurchschnittlich hohen Männeranteil unter den Sterilisationsopfern, dessen Ursachen noch weiter abzuklären seien.

Die Beteiligung von Frauen am Widerstand gegen das NS-Regime, die bereits im Vortrag von Lena Haase angeklungen war, wurde im dritten Teil des Kolloquiums erörtert. Ausgangspunkt war die Feststellung, dass die in den 1990er-Jahren lebhafte Forschung zum Thema zuletzt stark an Umfang, Impetus und Interesse verloren hat, es gerade in regionalgeschichtlicher Sicht jedoch, jenseits von Dokumentationen und einzelnen Biografien, an systematischen Untersuchungen mangelt. Vor diesem Hintergrund stellte SUSANNE SCHINK (Bonn) ihre Untersuchungen zu weiblichen Bibelforschern im Rheinland vor. Sie betonte den im Vergleich zu anderen Oppositionsgruppen überdurchschnittlich hohen Frauenanteil (von bis zu 50 Prozent) und zeigte anhand einer Stichprobe von Personenakten der Gestapo Düsseldorf, in welch unterschiedlicher Weise die Zeuginnen Jehovas an der illegalen Tätigkeit ihrer Glaubensgemeinschaft mitwirkten. Dabei wurde die Spannung deutlich zwischen dem auf Verteidigung ihres Glaubens gerichteten Selbstverständnis der Frauen und ihrer Wahrnehmung als „fanatische Staatsfeinde“, zwischen dem in der Glaubensgemeinschaft verbreiteten Frauenbild und der zunehmend aktiven Rolle, die die „Ernsten Bibelforscherinnen“ im Laufe der Verfolgung ergriffen. ANNE LEY-SCHALLES (Duisburg), Kuratorin einer derzeit noch laufenden Ausstellung zum linken Arbeiterwiderstand in Duisburg4, griff diesen Aspekt auf und betonte, dass auch in der männlich geprägten kommunistischen Bewegung sowie in sozialistischen oder sozialdemokratischen Gruppen Frauen nicht nur im Rahmen üblicher Rollenzuschreibungen tätig wurden. „Weiblicher Widerstand“ bedeutete zwar meist Unterstützung und Absicherung der „männlichen Kader“ als Helferin, „Haushälterin“, „Versorgerin“; Ley-Schalles wies aber auch auf jene hin, die aktive und leitende Positionen eingenommen haben, häufig Frauen, die bereits in der Weimarer Republik – in Kampagnen, in der Partei-, Vereins- oder Stadtteilarbeit – politisch aktiv gewesen waren. Das bereits vor 1933 entwickelte Selbstverständnis habe sich auch in der Konfrontation mit den NS-Verfolgungsbehörden gezeigt. Wie Schink, so strich auch Ley-Schalles heraus, dass sich die im Widerstand aktiven Frauen gegenüber Gestapo und Justiz nicht auf verbreitete frauenspezifische Bagatellisierungsmuster („Verführung“ durch den Ehemann, mangelnder politischer Überblick etc.) zurückgezogen hätten.

Während die Beiträge von Schink und Ley-Schalles Anregungen für die weitere wissenschaftliche Forschung gaben, lieferte der letzte Beitrag der Tagung zunächst einen Rückblick. IRENE FRANKEN (Köln), Mitbegründerin des 1986 ins Leben gerufenen Kölner Frauengeschichtsvereins, stellte anhand eines lokalen Beispiels dar, welcher Initiativen und Anstrengungen es bedurfte, um eine (nicht nur) auf das NS-Regime gerichtete „Frauengeschichte“ zu etablieren. Franken schilderte die unterschiedlichen Aktionen, die der Verein unternahm, um ein Bewusstsein für die Frauen- und Geschlechtergeschichte in der städtischen Öffentlichkeit zu schaffen, beschrieb verschiedene Mittel der Mobilisierung und Vermittlung (Protestaktionen, Vorträge, Lesungen, Stadtrundgänge) und machte deutlich, wie das Thema über aktive Kontaktpflege und „Netzwerkarbeit“ mit Archiven, Gedenkstätten und Bildungseinrichtungen auch wissenschaftlich verankert wurde. Laut Franken war der Anspruch des Vereins dabei, nicht nur „das Frauenthema“ abzuhandeln, sondern die Verbindungen und Widersprüche der gesellschaftlichen Konflikte um „gender“, „race“ und „class“ im Blick zu behalten. Frühzeitig habe man sich auch gegen jene Position aus der neueren Frauenbewegung gewandt, die Frauen im NS-Regime nur als „Unterdrückte“, „Widerständlerinnen“ und „Opfer“ verstand, und demgegenüber ebenso die „Täterschaft“ von Frauen zum Thema gemacht. Resümierend stellte Franken zwar eine Konsolidierung der frauengeschichtlichen Forschung und Bildungsarbeit fest, wies die Vorstellung einer „Erfolgsgeschichte“ jedoch angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen zurück. Was die weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung betrifft, plädierte sie, die Tagung gewissermaßen resümierend, für eine Fortführung von biografischen Untersuchungen, Lokal- und Detailstudien. Nur so seien die Voraussetzungen, Spielräume, Mehrdeutigkeiten und Widersprüche weiblichen Verhaltens während der NS-Zeit konkret und differenziert sichtbar zu machen.

Konferenzübersicht:

Thomas Roth (Köln): „Ich konnte mir vorstellen, was vorgefallen war“. Die weiblichen Angestellten der Kölner Gestapo

Yvonne Schäfers (Köln): Hilfe zum Sieg. Kölner Frauen in der SS

Lena Haase (Trier): Das Frauenstraflager Flußbach im nationalsozialistischen Lagersystem

Matthias Klein (Trier): Frauen als Betroffene der Zwangssterilisationen im Raum Trier

Susanne Schink (Bonn) und Anne Ley-Schalles (Duisburg): Männersache? Zur Rolle von Frauen im Widerstand (Präsentation, Gespräch)

Irene Franken (Köln): Der Kölner Frauengeschichtsverein und die NS-Geschichte

Anmerkungen:
1 Vgl. z.B. Elisabeth Kohlhaas, Weibliche Angestellte der Gestapo 1933-1945, in: Marita Krauss (Hrsg.), Sie waren dabei. Mitläuferinnen, Nutznießerinnen, Täterinnen im Nationalsozialismus, Göttingen 2009, S. 148-165.
2 Vgl. Jutta Mühlenberg, Das SS-Helferinnenkorps. Ausbildung, Einsatz und Entnazifizierung der weiblichen Angehörigen der Waffen-SS 1942-1949, Hamburg 2010.
3 Vgl. https://www.uni-trier.de/index.php?id=55046 (30.04.2018). Da vom Gesundheitsamt der Stadt Trier kaum Akten überliefert sind, bezieht sich die Untersuchung schwerpunktmäßig auf das Trierer Umland.
4 Vgl. Das rote Hamborn. Politischer Widerstand in Duisburg von 1933 bis 1945, Kultur- und Stadthistorisches Museum Duisburg. Hrsg. von der Stadt Duisburg, Zentrum für Erinnerungskultur, Menschenrechte und Demokratie, Duisburg 2017.


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