Kirchliche Räume und weltliche Herrschaften. Definitionen, Modelle und Konflikte in Kontaktzonen (9.-13. Jahrhundert)

Kirchliche Räume und weltliche Herrschaften. Definitionen, Modelle und Konflikte in Kontaktzonen (9.-13. Jahrhundert)

Organisatoren
Tristan Martine, Université Paris-Est Marne-la-Vallée / Université de Lorraine; Dr. Jessika Nowak, Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte; Université Paris-Est Marne-la-Vallée; Deutsches Historisches Institut Paris
Ort
Paris
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.04.2018 - 06.04.2018
Url der Konferenzwebsite
Von
Maria Kammerlander, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Ziel der Nachwuchstagung war es, ein deutsch-französisches Diskussionsforum rund um Räume kirchlicher und weltlicher Herrschaften zu schaffen und die verschiedenen Forschungstraditionen und -ansätze näher in den Blick zu nehmen.

Geneviève Bührer-Thierry verlas in Vertretung für den erkrankten MICHEL LAUWERS (Nizza) dessen einführenden Vortrag. Außerdem gab Jens Schneider, stellvertretend für CASPAR EHLERS (Frankfurt am Main), der wie einige weitere Redner wegen eines Bahnstreiks nicht anwesend sein konnte, einen Überblick über den bisherigen Forschungsstand.

FELIX GROLLMANN (München), dessen Vortrag ebenfalls in Vertretung verlesen werden musste, untersuchte aus rechtshistorischer Perspektive die aus dem Kirchenrecht ableitbaren Vorstellungen von Herrschaftsraum zu Zeiten der Karolinger und Ottonen. NICOLAS PERREAUX (Frankfurt am Main) wandte sich mittels einer Datenbank, in der ca. 140.000 europäische Urkunden erfasst sind (CEMA), einer semantischen Analyse wichtiger Begriffe von „spatialisation“ zu. Die rituelle Komponente von Raum nahm schließlich NICOLAS SCHROEDER (Brüssel) in den Blick, der dazu aufrief, nach dem Niederschlag sich verändernder Raumkonzepte auf die symbolische und materielle Seite von Herrschaft und auf das Leben der Unterschichten zu fragen.

Im zweiten Panel lag der Fokus auf dem bischöflichen Raum. Der erste Vortrag von AMÉLIE SAGASSER (Heidelberg) beleuchtete die jüdischen Minderheiten und deren Platz in den Bischofsstädten Lyon und Speyer. Dabei legte Sagasser einen starken Akzent auf die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten geistlicher und weltlicher Autoritäten bei der Integration von Gruppen in den bischöflichen Raum. Ein zeitlicher Sprung um knapp zweihundert Jahre folgte mit dem Vortrag von MIROSLAV POSARIC (Kiel), der über die Interaktionsformen kirchlicher und urbaner Herrschaftsgebiete vom 13. bis zum 14. Jahrhundert in der Region Istrien sprach. TOBIAS JANSEN (Bonn) richtete sein Augenmerk wieder auf die Zeit des frühen und hohen Mittelalters und fragte nach dem Eintreten, Agieren und Sich-Behaupten der Bischöfe von Verden im machtpolitischen Netz des mittelalterlichen „Personenverbandsstaats“, besonders in spätkarolingischer und ottonischer Zeit.

In der zweiten Hälfte dieses Panels wandte sich KATHLEEN ODENBACH (Halle-Wittenberg), ausgehend von dem Fallbeispiel der Erzdiözese Mainz, dem Verhältnis zwischen geistlichen Würdenträgern einerseits und Otto III. und Heinrich II. andererseits zu. Der Beziehung des Mainzer Erzbischofs zu seinem Herrscher Lothar von Süpplingenburg galt das Interesse von MARIANNE WENZEL (Leipzig). Sie verglich diese Beziehung mit derjenigen des Königs zu den Erzbischöfen von Bremen und Magdeburg. FERNAND PELOUX (Namur), dessen Beitrag ebenfalls in Vertretung verlesen wurde, untersuchte die politische Strategie des Bischofs Aldebert von Tournel, der im 12. Jahrhundert im Gévaudan die Bischofsherrschaft habe stärken können und dabei vor Manipulationen von Schriftzeugnissen und Reliquien nicht zurückgeschreckt sei.

Am zweiten Tag beleuchtete zunächst JÉRÔME BEAUMON (Rennes) die Gemengelage in den Grenz- und Übergangszonen zwischen der Bretagne und den benachbarten Regionen (Anjou, Maine, Normandie, Poitou), wobei sein besonderes Interesse den Mönchen von Saint-Florent galt. THOMAS LACOMME (Paris) stellte schließlich in seinem Vortrag dar, dass es die Kirche auch in der Champagne vermocht habe, sich immer weiter dem Einfluss der Grafen zu entziehen; zunächst im Zuge der Reformbewegung. Graf Theobald, der ein enger Vertrauter des französischen Königs war, habe diese Entwicklung gefördert; sein Sohn, Heinrich der Freigiebige, unter dem die Region wichtige territoriale Veränderungen erfuhr, habe aber wieder den gegenteiligen Kurs eingeschlagen und den Zugriff auf die Kirche erneut verstärkt. Recht komplex seien auch die quellenmäßig gut fassbaren kirchlichen und laikalen Räume in der Grafschaft Vermandois gewesen, die PAUL CHAFFENET (Lille) präsentierte. Dessen Interesse galt dabei vor allem den Beziehungen der Abtei Mont-Saint-Quentin und der Grafen von Péronne. Seine vergleichbaren Beobachtungen diskutierte schließlich JULIEN BACHELIER (Rennes) am Beispiel des bretonischen La Guerche und beschloss damit das vorletzte Panel.

In der letzten Sektion sprach CLÉMENT DE VASSELOT (Nantes) über die Herrschaftslegitimierung der Herren von Lusignan. Die hatten auf bischöflichem Boden eine Burg errichtet, woraus in den folgenden Jahrzehnten erhebliche Konflikte resultierten. Diese ließen sich – ebenso wie die zeitgenössischen Wahrnehmungen der Besitzrechte und das Verhältnis von Laien und Klerikalen zum regionalen Raum – aufgrund der Quellen gut fassen. JÉRÉMY WINANDY (Hamburg) untersuchte abschließend auf Basis der „Vita Gauzlini“ zahlreiche, während des Abbatiats Gauzlins, an das Kloster Fleury ergangene Schenkungen. Hervorzuheben sei hier, dass die Güterübertragungen in der Vita als Eigenleistung des Abtes auslegt wurden.

GERD LUBICH (Bochum) schloss die anregende und diskussionsreiche Tagung mit einer souveränen Zusammenführung der wichtigsten Erkenntnisse. Raum wurde von den Referenten/innen als Ort der Vergemeinschaftung mit identitätsstiftendem Charakter gedacht. Lubichs Abschlussplädoyer, eine internationale Diskussion sei möglich, solange Mediävisten/innen ihre Untersuchungsgegenstände kritisch benennen würden und im Bewusstsein um nationale Forschungszugriffe arbeiteten, lässt auf weitere spannende Zusammenkünfte hoffen.

Konferenzübersicht:

Éléments d’introduction

Rolf Große (Paris): Ouverture de l’atelier

Michel Lauwers (Nizza): Ecclesia et spatialisation des rapports sociaux

Jens Schneider (Paris): Raumforschung

Panel 1: Approches sémantiques, ritualistes et juridiques

Rolf Große (Paris): Présidence

Felix Grollmann (München): Vorstellungen vom Herrschaftsraum im Kirchenrecht: Von der karolingischen zur ottonischen Epoche

Nicolas Perreaux (Frankfurt): Naissance et développement d’un espace ecclésial: la parochia dans les textes diplomatiques (VIIe-XIIIe siècles)

Nicolas Schroeder (Brüssel): Des dominations désincarnées? La re-production des espaces seigneuriaux comme re-production de subordinations

Panel 2: Des territoires épiscopaux en contact

Miriam Czock (Duisburg-Essen): Présidence

Amélie Sagasser (Heidelberg): Die Juden und ihr Platz in den Bischofsstädten: Lyon-Speyer – Zwischen weltlichem Pragmatismus und kirchlicher Judenfeindschaft

Miroslav Posaric (Kiel): Die Bischöfe und die istrischen Küstenstädte. Interaktionsformen innerhalb kirchlicher und urbaner Herrschaftsgebiete (13.-14. Jahrhundert)

Tobias Jansen (Bonn): Die Bischöfe von Verden in ottonischer Zeit – Bischöfliches Agieren in Räumen geistlicher und weltlicher Macht

Uta Kleine (Hagen): Présidence

Kathleen Odenbach (Halle-Wittenberg): Die Bischöfe der Erzdiözese Mainz unter Otto III. und Heinrich II.

Marianne Wenzel (Leipzig): Lothar III. (1125-1137), die Etablierung seiner Königsherrschaft und die sächsischen Erzbischöfe

Fernand Peloux (Namur): La construction d’un espace épiscopal. Le cas du Gévaudan (XIe-XIIe siècles)

Giuliano Milani (Paris-Est Marne-la-Vallée): Ouverture

Panel 3: Intrication des espaces laïques et ecclésiastiques

Didier Panfili (Paris 1): Présidence

Jérôme Beaumon (Rennes 2): Implantation prieurale et enjeux territoriaux aux confins de la Bretagne, du Maine et de l’Anjou (XIe-XIIe siècles)

Thomas Lacomme (EPHE Paris): Comtes, vicomtes et chanoines: des espaces mixtes en Champagne? (XIIe-XIIIe siècles)

Alexis Wilkin (Brüssel): Présidence

Paul Chaffenet (Lille): Espaces ecclésiastiques et espaces laïques en Vermandois occidental (XIe - début XIIe siècles): distinctions et complémentarités

Julien Bachelier (Rennes 2): Terre d’Église puis seigneurie laïque en Bretagne: l’exemple de La Guerche (XIe-XIIIe siècles)

Panel 4: Interfaces, conflits et tensions

Geneviève Bührer-Thierry (Paris 1): Présidence

Clément De Vasselot (Nantes): Coseigneuries et conflits de nomination: la seigneurie de Lusignan entre l’abbaye de Saint-Maixent et l’évêché de Poitiers

Jérémy Winandy (Hamburg): Schenkungen als Kontakt- und Konfliktzonen zwischen kirchlichen und weltlichen Herrschaften – Die Beschreibungen von Güterübertragungen in der Vita Gauzlini

Gerd Lubich (Bochum): Conclusions


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