313. Hessisch / Mittelrheinisches Kolloquium des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte

313. Hessisch / Mittelrheinisches Kolloquium des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte

Organisatoren
Ingrid Baumgärtner, Universität Kassel; Verena Epp, Philipps-Universität Marburg; Ludger Körntgen, Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Christine Reinle / Stefan Tebruck, Justus-Liebig-Universität Gießen; Gerrit Jasper Schenk, Technische Universität Darmstadt
Ort
Kassel
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.06.2018 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Daniel Gneckow / Daniel Götte, Fachbereich 05 Gesellschaftswissenschaften, Universität Kassel

Das seit 1964 regelmäßig stattfindende Kolloquium, dessen Ausrichtung seit einigen Jahren zwischen Darmstadt, Gießen, Kassel, Mainz und Marburg wechselt, bietet Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Gelegenheit, ihre Forschungsergebnisse zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Die diesmal Referierenden demonstrierten aus Sicht der Sozial-, Rechts- und Kirchengeschichte sowie der historischen Konflikt- und Materialitätsforschung sowohl den Facettenreichtum als auch konstituierende Merkmale mediävistischer Forschung.

Nach einer Begrüßung und Einführung von Tagungsleiterin Ingrid Baumgärtner thematisierte STEFANIE RÜTHER (Frankfurt am Main) die wechselvollen Konflikte des Schwäbischen Städtebunds mit dem Adel. Sie fragte danach, wie die Auseinandersetzungen das soziale Gefüge der Städte beeinflussten und wie sich der Bund angesichts eines Kriegszustands mit speziellen Erfordernissen organisierte. Zum Ausgangspunkt nahm sie die Erklärung des Konstanzer Rats, der im August 1376 seinen Beitritt zu einem Bündnis mit 13 anderen Reichsstädten verkündete und eine neue Satzung promulgierte, die es wegen des drohenden Konflikts den Bürgern für die nächsten vier Jahre untersagte, den urbanen Raum zu verlassen. Rüther interpretierte dies dahingehend, dass die Stadt die Geschlossenheit ihrer Bürgergemeinde zu demonstrieren und die divergierenden Interessen der Bewohner auszublenden versuchte. In der Folge begegnete die urbane Führungsschicht den nicht eindeutig zur Bürgergemeinschaft gehörenden Bevölkerungsteilen misstrauisch, da sie die gesellschaftliche Einbindung fremder oder geistlicher, mitunter überregional vernetzter Personen als potentiell gefährlich betrachtete. Ein weiteres Beispiel bietet Nürnberg, in dem Geistliche und Laien ohne Bürgerrecht während des Kriegszustands einen Eid auf die Stadt leisten mussten. Die lokalen Führungsschichten kontrollierten zudem die Warenströme und strebten mithilfe von Passierscheinen an, mögliche Sicherheitslücken zu schließen. Die stärkere gegenseitige Kontrolle sollte der inneren Sicherheit dienen und den Zusammenhalt des Gemeinwesens festigen. Zur besseren Organisation des Städtebunds richteten die Führungsschichten, so Rüther, zusätzliche Ämter und Funktionen ein, um das militärische Vorgehen zu koordinieren. So seien in Nürnberg und Regensburg Ratskommissionen gebildet worden, die die Truppenaufstellung regelten. Die Städte reagierten also mit Modifikationen ihrer Entscheidungsgremien, um den veränderten Anforderungen gerecht zu werden. In den verschiedenen Verfahren bei der Auswahl und Koordination der zum Militärdienst verpflichteten Bürger manifestierte sich Rüther zufolge eine zunehmende Transparenz der städtischen Kriegsplanung und Verwaltungspraxis. Sie konnte aufzeigen, dass die militärische Führung vornehmlich über Listen organisiert war, in denen Pflichten festgelegt und unter anderem den Bewohnern umliegender Dörfer Versammlungsplätze für den Konfliktfall zugeordnet wurden. Überdies hätten sich verschiedene Städte veranlasst gesehen, ihr Verwaltungsschriftgut zu sammeln und etwa im 1376 begonnenen ‚Roten Buch‘ der Stadt Ulm oder im ‚Gelben Stadtbuch‘ Regensburgs zu verzeichnen. Die einsetzende Verschriftlichung zentraler Ordnungen und Erlasse des Gemeinwesens habe damit eine weit über die Kriegszeiten hinausreichende Wirkungsmacht entfaltet. Wenngleich die Erlasse die Vorstellungen von der Bürgergemeinde als geschlossenem Ganzen unterstreichen sollten, manifestiere sich in ihnen laut Rüther eher ihre Fragmentierung. Der drohenden Auflösung begegneten die schwäbischen Städte mit der Intensivierung personeller Bindungen, um die Zugehörigkeit der Bürger zur urbanen Gemeinschaft zu stärken. Die Bundesstädte hätten eine gezielte Politik der Inklusion und Exklusion betrieben, indem sie sich vom ‚Außen‘ abgrenzten und ihren Zugriff auf das ‚Innen‘ intensivierten. Bei den Kriegsaktivitäten des Schwäbischen Städtebundes handelte es sich somit keineswegs um einen von außen aufgezwungenen Vorgang, sondern vielmehr um eine innerhalb der Städte geradezu selbstverständliche Gestaltung des Regierungshandelns.

Im zweiten Vortrag konstatierte CARLA MEYER-SCHLENKRICH (Köln), dass der Übergang vom Pergament zum Papier im Mittelalter nicht eindeutig als ein ‚Medienumbruch‘ zu bewerten sei. Mit dem Verweis auf den heutigen Digital Turn und den zunehmenden Verzicht auf Papier und andere analoge Formate zugunsten digitaler Datenträger zog sie eine Parallele zu ihrem Forschungsfeld und verdeutlichte hierdurch den sich im Mittelalter allmählich vollziehenden und keinesfalls abrupten Wechsel der Schriftmaterialien, der zu einem gleichzeitigen Gebrauch verschiedener Beschreibstoffe führte. Zunächst ging Meyer-Schlenkrich auf aktuelle wissenschaftliche Diskurse ein, um die nicht immer unproblematische Einordnung von Quellenfunden aufzuzeigen. In der Vergangenheit seien anhand einzelner papierner Schriftstücke verallgemeinernde Aussagen über quantitative Verfügbarkeiten und primäre Nutzungen des Beschreibstoffs in bestimmten Gebieten getroffen worden. Auch eine nach singulären Beschreibformen vorgenommene zeitliche Einordnung könnte, so Meyer-Schlenkrich, der pluralistischen, synchronen und ortsgebundenen Vielfalt von Beschreibstoffen nicht gerecht werden. So sei der in der Handbuchliteratur vielfach verwendete Begriff des ‚Pergamentzeitalters‘ irreführend, zumal der kulturhistorische Faktor des Papiers in der aktuellen Forschung kaum Betrachtung finde. Die Referentin verwies auf die frühe, im normannischen Herrschaftsbereich Süditaliens häufige Verwendung von Papier, etwa als Beschreibstoff in der Kanzlei Friedrichs II. sowie unter den angevinischen Herrschern. Diese Schriftstücke seien jedoch größtenteils verloren. Aufgrund der schwierigen Überlieferungslage und methodischer Probleme bleibe die Einschätzung und Einordnung der bis ins 13. Jahrhundert ausgefertigten europäischen Papierschriftstücke bis zum heutigen Tag ungenau. Um die Frage nach den Intentionen der Papiernutzung beantworten zu können, bedürfe es daher der Auswertung zeitgenössischer Kommentare über das von Schreibern und Rezipienten genutzte Material. Als Beispiel für den Gebrauchswert asiatischen Papiers zitierte Meyer-Schlenkrich Marco Polos Reisebeschreibung Il Milione, in der über die chinesische Papiergeldherstellung in unterschiedlichen Termini berichtet wird, die zu Missverständnissen unter Europäern führten. Polo wäre vor allem am Geldwert und der scheinbar unerschöpflichen Transformation des unedlen, preiswerten Papiers zum wertvollen Gegenstand interessiert gewesen. So wäre der Begriff c(h)arta mit Papiermünzen oder urkundenartigem Geld in Verbindung gebracht worden. Meyer-Schlenkrich zufolge erschwerten die unterschiedlichen Begrifflichkeiten auch heute noch alle Versuche, das Interesse der Zeitgenossen an Papier nachzuweisen und den Medienumbruch im europäischen Kontext zeitlich genau festzulegen.

Abschließend referierte CLAUDIA GARNIER (Vechta) über die hochmittelalterliche Exkommunikation im Spannungsfeld von Theorie und Praxis. Ursprünglich und grundsätzlich zielte die Exkommunikation, so Garnier, auf den Schutz der christlichen Gesellschaft, aus der sündhafte Gefährder, die gegen die Normen der Religion verstießen, temporär oder dauerhaft ausgeschlossen werden sollten. Bereits die Wortsemantik des Quellenbegriffs excommunicatio, der erstmals im vierten Jahrhundert bei Augustinus zu fassen sei, verdeutliche dem Lateinkundigen den Ausschluss des Missetäters aus der Gemeinschaft (communio) und aus den wechselseitigen sozialen Bindungen wie rituellen Handlungen des religiösen Zusammenlebens (communicatio). Die Grundlage dieser Sanktionsmaßnahme bildete laut Garnier das Matthäusevangelium (Mt 18, 15–17), das zunächst eine zweimalige Ermahnung unter vier Augen beziehungsweise zwei bis drei Zeugen und schließlich eine Zurechtweisung in der Gemeinde vorsehe. In den Paulusbriefen finde sich zudem die Option zur Reintegration des Verstoßenen. Seit Papst Gregor dem Großen sei entweder die ‚medizinale / kleinere Exkommunikation‘ oder die ‚mortale / größere Exkommunikation‘ beziehungsweise das Anathem angewandt worden. Die medizinale Form diente als letztes Mittel der Zurechtweisung und der ‚Heilung‘, welche die Rückführung des Delinquenten in die christliche Gemeinschaft ermöglichte. Die ‚mortale‘ Exkommunikation führte hingegen nicht nur zur unwiderruflichen gesellschaftlichen Isolation, sondern auch zum Ausschluss vom corpus christi und zum sofortigen Seelentod. Das Anathem sprach ein Bischof aus, den zwölf Priester umgaben, die ihre mitgeführten Fackeln demonstrativ zu Boden warfen, um zu zeigen, dass die Hoffnung auf das ewige Leben symbolisch erlosch. Garnier zufolge entwickelte sich die Exkommunikation unter dem Einfluss des Reformpapstums seit der Mitte des elften Jahrhunderts zu einer Sanktions- und Disziplinierungsmaßnahme. Am Beispiel Papst Gregors VII. und Kaiser Heinrichs IV. verdeutlichte sie zudem die Diskrepanz zwischen geltendem Kirchenrecht und dessen lebensweltlicher Umsetzung. Das mit dem Anathem verbundene Kommunikationsverbot war in der Praxis weder realisierbar noch gewollt, sollte Heinrich doch letztlich in die christliche Gemeinschaft zurückgeführt werden und über seine Räte der hierfür nötige Austausch zwischen Papst und König stattfinden. Diese Wiederaufnahme wurde daher durch ein demonstratives Ritual beschlossen, das den Friedenskuss und die Kommunionsfeier beinhaltete. Während der zweiten Exkommunikation Heinrichs war es für den gleichnamigen Sohn über den Tod des Vaters hinaus unerlässlich, den mehrfach umgebetteten Leichnam wieder in die spirituelle und soziale Gemeinschaft zurückzuführen, um das Seelenheil des Verstorbenen wiederherzustellen. Laut Garnier entwickelte sich die Exkommunikation unter Gregor VII. zum kontrollierten Ausschluss. Im Sinne seines Dekrets Quoniam multos verfielen eigentlich nicht nur der Gebannte, sondern auch seine Helfer und jene, die in Kontakt zum Delinquenten standen, dem Bann, ohne dass dem früheren Anspruch auf spirituelle Fürsorge Rechnung getragen wurde. In der Praxis mussten allerdings bestimmte Gruppen wie Kernverwandte, Bedienstete und dritte Personen, die den Gesprächspartnern des Gebannten nahestanden, vom Kontaktverbot ausgenommen werden, um die Ansteckungsgefahr des Bannspruchs zu begrenzen. Der durch die Exkommunikation bedingte Ausschluss nicht nur aus der Spiritualität, sondern auch aus dem sozialen und machtpolitischen Gefüge war also, wie Garnier abschließend feststellte, nicht ohne Weiteres umsetzbar.

Konstruktive Diskussionen und ein intensiver Meinungsaustausch unter reger Beteiligung verdeutlichten die Relevanz der Vorträge und deren weiterführende Ergebnisse für die gegenwärtige historische Mediävistik. So konnten etablierte Forschungsfelder wie die Politik-, Rechts- und Kirchengeschichte mit neueren kulturgeschichtlichen Fragestellungen in Verbindung gebracht und neu überdacht werden. Das Kolloquium, das somit wieder einmal dem produktiven wissenschaftlichen Austausch diente, wird am 8. Februar 2019 in Gießen fortgesetzt.

Konferenzübersicht:

Ingrid Baumgärtner (Kassel): Begrüßung und Moderation der Veranstaltung

Stefanie Rüther (Frankfurt am Main): Kriegszustände. Die gewaltsamen Konflikte des Schwäbischen Städtebundes mit dem Adel (1376-1390)

Carla Meyer-Schlenkrich (Köln): Vom Pergament zum Papier – ein ‚Medienumbruch‘?

Claudia Garnier (Vechta): Von Ausgeschlossenen und Grenzgängern. Die hochmittelalterliche Exkommunikation im Spannungsfeld von Theorie und Praxis