Wissenschaft – Krieg – Technik – Militär. Zur Vermessung komplexer Verhältnisse. 59. Internationale Tagung für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften

Wissenschaft – Krieg – Technik – Militär. Zur Vermessung komplexer Verhältnisse. 59. Internationale Tagung für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften

Organisatoren
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.09.2018 - 13.09.2018
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Von
Katharina Allram, Institut für Sozialwissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Anstelle einer thematischen Reduktion auf Militär und Krieg verwiesen die Vorträge und Diskussionen der diesjährigen Tagung auf die Interaktionssysteme von Militär und Krieg mit anderen Bereichen wie Universität, Medizin oder Rüstung und blickten dabei etwa auf Netzwerke, Innovationsprozesse, Hybrid-Gemeinschaften und Flows in den komplexen Konstellationen.

Das erste Panel thematisierte Interaktionen von Universität und Militär mit besonderer Berücksichtigung des Spannungsfeldes von Wissenschaft und Militär mit ihrer Suche nach Wahrheit beziehungsweise Sicherheit. Mit der Verflechtung dieser beiden Institutionen, den Motiven akademisch-militärischer Kooperationen und den resultierenden Konsequenzen für die junge Weimarer Republik beschäftigte sich FLORIAN J. SCHREINER (Würzburg). Hierbei ordne sich die Universität als mobilisierende Organisation dem Militär unter und nehme ihren Platz als Akteur im Kampf um das Gewaltmonopol ein. Ebenfalls im akademisch-militärischen Kontext skizzierte der spontan für den verhinderten Simon Meisch eingesprungene JÜRGEN ALTMANN (Dortmund) die Rolle der Friedens- und Zivilklausel. Zu diesem Zweck erläuterte er die Auswirkungen von militärischer Forschung und Entwicklung auf Rüstungs- und politische Prozesse und die daraus resultierenden Konflikte. Altmann folgerte, dass Zivil- und Friedensklauseln die naturwissenschaftlich-technologische Friedensforschung nicht verhinderten, sondern durch kritische Diskussion unterstützen sollten.

Das zweite Panel zum Thema Militär und Medizin wurde mit dem Hinweis auf die wachsende Bedeutung des Gesundheitssektors sowie der daraus resultierenden Relevanz für andere Akteursgruppen eingeleitet. Hierzu zeigten ANJA OPITZ (Tutzing) und MARTIN PROKOPH (München) die Verknüpfung zwischen menschlichen Grundbedürfnissen und Sicherheit als theoretisches Konstrukt auf. Ausgehend von der Bedürfnispyramide nach Maslow beschrieben die Referenten einen sich selbst verstärkenden Kreislauf zwischen Grundversorgern und Sicherheitsakteuren, in dem das Sicherheitsbedürfnis erst bei Befriedigung physiologischer Bedürfnisse relevant werde. Im konkreten Kontext der Zeit der Napoleonischen Kriege stellte anschließend NEBIHA GUIGA (Heidelberg) Versuche zur Verbesserung der medizinischen Versorgung auf dem Schlachtfeld dar. Sie stellte konkrete Beispiele für medizinische Innovationen, deren Vor- und Nachteile sowie ihre Konsequenzen für die zeitgenössische Militärmedizin vor. Zuletzt schilderte die Referentin die limitierten Ressourcen des Gesundheitswesens und die fehlende Berücksichtigung von Behandlungsvorschlägen von zeitgenössischen Fachleuten. Den Aspekt der Behandlung griff ANDREA GRÄFIN VON HOHENTHAL (Freiburg) auch in ihrer Präsentation zur Psychologie als Wissenschaft und ihrer Anwendung bei den Luftstreitkräften im Ersten Weltkrieg im Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland auf. Hierbei untersuchte sie insbesondere die Fragen nach den psychologischen Mitteln der Luftwaffe, der Ausnahmesituation im Cockpit sowie der innovativen Zusammenarbeit von Psychologen und Luftwaffe.

In seinem öffentlichen Festvortrag reflektierte MICHAEL DECKER (Karlsruhe) die Beziehung zwischen Mensch und Maschine im Hinblick auf die Innovationen technologischer Autonomie. Hierfür unterschied er zwischen Handeln und Verhalten sowie starker und schwacher Autonomie und illustrierte diese Überlegungen anhand von Fallbeispielen zu autonomem Fahren und der Frage der Ausstattung von Robotern mit moralischen Regeln. Bezüglich der Frage nach maschinellem Lernen zeigte der Referent auf, dass Lernen und Implementierung des Gelernten separat verlaufen müssten. Diese multiperspektivischen Ansätze wurden in der anschließenden Diskussion beispielsweise des Lernbegriffs, der Auswirkungen dieser Entwicklungen auf soziale Ungleichheit und der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine ausführlich beleuchtet.

Die Vorträge und Diskussion des dritten Panels thematisierten Konzepte des Wandels sowie die beteiligten Akteure und Netzwerke. Zu Beginn nahm TOBIAS NANZ (Dresden) in seiner medien- und kulturwissenschaftlichen Analyse den Titel der Tagung wieder auf und stellte anhand der Personenkonstellation George – Kubrick – Schelling das Problem der Vermeidung eines accidental nuclear war durch Abschreckung während des Kalten Krieges dar. Das Quasi-Objekt des "Roten Telefons" in einer Atmosphäre der Instabilität und übersteigerten Angst des Kalten Krieges diene auch in Romanen und Popkultur als fiktives Sprechobjekt und reale Kommunikationsverbindung. Im Anschluss an diesen Vortrag schilderte PHILIPP MÜNCH (Potsdam) die Akteurskonstellationen und Interessen um die Einführung von Operations Research in der Bundeswehr. Hierbei untersuchte er die Positionen von NATO, USA, der Bundeswehr als Militär- und als Wissenschaftseinrichtung und illustrierte diese anhand von Beispielen. Zusammenfassend beschrieb Münch Operations Research als Bestandteil der Bundeswehr, dessen Verbreitung ohne transatlantische Kontakte langsamer vorangeschritten wäre und dessen inhaltliche Verwissenschaftlichung heute zugunsten der formalen Verwissenschaftlichung in den Hintergrund getreten sei. ALEXANDER SALT (Calgary) thematisierte ebenfalls den Prozess der Implementierung von aus vorausgegangenen Konflikten und Problemen Erlerntem im Militär. Hierbei unterschied er zwischen dem Top-down-Prozess der Innovation in Friedenssituationen und dem Bottom-up-Prozess in Konfliktsituationen und ging auf die Einflussfaktoren auf diese Vorgänge ein.

Der inhaltliche Fokus wurde im vierten Panel auf das Thema Innovation gelegt. Dessen theoretischen Aspekt erläuterte MARTIN ELBE (Potsdam) anhand des Beispiels des neuen Fähigkeitsprofil der Bundeswehr. Zu diesem Zweck beschrieb der Referent den Innovationszyklus aus der Unterscheidung der drei Innovationsansätze: Innovation als Regelvariation, Invention als offener Regelbruch und Imitation als Innovationssprung. Um bei Innovationsprojekten auf eine möglichst angepasste und klare Lösung zu kommen sei ein agiles Management und Innovation durch Lernschlaufen notwendig. Die Bedeutung und Perspektiven von Transhumanismus als spezifische Form der Innovation erläuterte DIERK SPREEN (Berlin) im Anschluss, wobei er sich auf die Sozialtheorie der Upgrade Culture bis hin zur Substituierbarkeit des Menschen durch die Technologie berief. Der Referent zeigte die resultierenden Chancen für die Gesellschaft auf, äußerte jedoch auch Kritik am Transhumanismus und legte die Auswirkung dieser Entwicklung auf das Militär dar, wobei er von dessen militärischem Einsatz mit Verweis auf die humanistische Wertordnung stark abriet. Den Aspekt der konkreten Nutzung von Innovationen griff TOM DYSON (London) in seinem Vortrag auf und verschaffte einen differenzierten Überblick über die Umsetzung von Lessons Learned im britischen Militär während der ISAF-Mission und die daraus gezogenen Schlüsse. Zudem beleuchtete er die theoretische Entwicklung und die Konsequenzen von Lessons Learned für zivil-militärische Beziehungen sowie die Verteidigungsplanung. Hierbei stellte er die Gerda Henkel Stiftung und ihre Schwerpunkte sowie den NATO Lessons-Learned-Prozess vor, erläuterte dessen Organisation und die Probleme, akquirierte Erkenntnisse zu transformieren.

Zu Beginn des fünften Panels zur Beziehung von Rüstung und Militär thematisierte DIETER H. KOLLMER (Potsdam) die Fragen nach dem Zustandekommen von Rüstung und den Konstellationen und Dynamiken der beteiligten Akteure und Systeme. Der Referent führte die militärische Automatisierung im genannten Kontext auf die Faktoren des politischen Willens, der verfügbaren Ressourcen, der finanziellen Machbarkeit und der militärischen Bedrohungsperzeption zurück und veranschaulichte seine Erkenntnisse anhand des Beispiels der Schnellboot Typ-Klasse 143. Im Anschluss porträtierte HELMUT R. HAMMERICH (Potsdam) Baron Fuchs als Schöpfer der modernen schweren Artillerie vor dem Ersten Weltkrieg. Zu diesem Zweck legte der Referent basierend auf Briefen der Familie den militärischen Werdegang von Baron Fuchs und die wissenschaftlichen Errungenschaften dar, welche unter diesem durch Weiterbildung und ein ausgebildetes personales Netzwerk von Fachleuten zustande gekommen seien. An diese Innovationen knüpfte RALF STREMMEL (Essen) in seinem Vortrag zur Verwissenschaftlichung der Rüstungsforschung in der Industrie an und schilderte diese hin zur Spezialisierung durch die Rückkopplung militärischer und ziviler Forschung. Anhand seines Beispiels der Firma Krupp 1880-1980 erläuterte er die Auswirkung von direkter und indirekter Rüstungsforschung auf die Produktion und dem daraus folgenden qualitativen und quantitativen Ausbau.

Die Verschiebung des Fokus weg von Individuen und hin zu Institutionen wurde im sechsten Panel zum Thema Hybrid-Gemeinschaften reflektiert. Zu Beginn wurde die Zielsetzung und Struktur der Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft (KWKW) im Ersten Weltkrieg von MANFRED RASCH (Bochum) beschrieben. Nach der Schilderung der Vorgeschichte der Stiftung erläuterte der Referent ihre Finanzierung und organisatorische Ausgestaltung. Diese Organisationsstrukturen der Gremien, ihre Aufgaben und Mehrheitsverhältnisse legte er differenziert dar. In Anbetracht der Defizite der KWKW resümierte Rasch jedoch, dass keine mit anderen zeitgenössischen Großmächten vergleichbare Koordination zwischen Rüstungsforschung, Rüstungsindustrie und Militär vorgelegen habe. Als zweite Institution des Panels beleuchtete SÖREN FLACHOWSKY (Berlin) mit dem Reichsamt für Wirtschaftsausbau und der kriegs- und rüstungsrelevanten Industrie die Wissenschaftsorganisation im Nationalsozialismus. Diese habe, so Flachowsky, durch problemorientierte Lenkungsgremien im Zusammenspiel von Staat, Industrie und Wissenschaft agiert. Diese Arbeitsgemeinschaften zum ressortübergreifenden Wissensaustausch illustrierte er an Beispielen wie der vom Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe koordinierten AG „Hochdruckhohlkörper“. FRANK REICHHERZER (Potsdam) führte den Aspekt der Wissenschaftsorganisation in seinem Vortrag weiter und stellte die Zirkulation von Wissen ins Zentrum seiner Untersuchung. Hierzu schilderte er die Arbeitsweise der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften mit dem Ziel der Vernetzung von Militär, Behörden, Politik und Wirtschaft. Abschließend beschrieb Reichherzer die Funktionen als Kommunikations- und Interaktionsraum für Zirkulations- und Wissensmanagement sowie als institutionellen Raum für ansonsten voneinander separierte Bereiche.

Die Vorträge und Diskussionen des siebten Panels beschäftigten sich mit der Rolle der Atombombe als Gamechanger und den verschiedenen Dimensionen dieses Begriffs. Hierzu schilderte MARKUS THURAU (Potsdam) die Entwicklung der Katholischen Soziallehre (KSL) in der Epoche moderner Kriegsführung. Er erläuterte die positive Position der KSL in den 1950er-Jahren bezüglich des Einsatzes von Atomwaffen zur Verteidigung sowie die hierzu geäußerte Kritik. In den 1960er-Jahren wurde laut Thurau ein Paradigmenwechsel von gerechtem Krieg zu gerechtem Frieden in Gang gesetzt sowie vor der gesteigerten Gefahr durch "wissenschaftliche Waffen" gewarnt. Die Doktrin für den Umgang Frankreichs mit eben diesem Waffentyp stellte XAVIER ROYER DE VÉRICOURT (Paris) vor. Der Referent beschrieb die Atombombe in der französischen Doktrin als defensive Waffe, wobei kein Wettrüsten, sondern eine vernünftige Anpassung in Qualität und Quantität und Souveränität angestrebt werde. Mit der Darlegung der sich gegenseitig kontrollierenden Akteure in der Politik der atomaren Abschreckung unterstrich er die Rolle der Atombombe als nicht strategische Waffe. Die Aufgabe der nuklearen Abschreckung stand auch im Zentrum des Vortrags von KATHARINA KUNTER (Frankfurt am Main). Hierzu beleuchtete sie die Deutungskonflikte, welche sich aus der Komplexität der Entspannungspolitik im Hinblick auf den KSZE-Prozess ergaben. Bei der Schilderung der beteiligten Akteurskonstellationen ging die Referentin insbesondere auf die offenen Fragen ein, welche sich aus Differenzen in zeitgenössischen Sicherheitsdefinitionen, multi- und bilateralen Strategien der Akteure und Fortschritten in der Nukleartechnologie ergeben hätten. Zusammenfassend seien Atomwaffen weniger als Gamechanger und vielmehr als "Teil eines neuen Spiels" zu verstehen. Die Entwicklung und den Stand dieser weltweiten nuklearen Ordnung skizzierte OLIVER MEIER (Berlin). Hierbei erläuterte er William Walkers Konzept der nuklearen Ordnung mit der Forderung nach einer Logik der Zurückhaltung zwischen nuklearer Abschreckung und Ächtung von Atomwaffen. Aus seinen drei Thesen zur Rolle von Atomwaffen im 21. Jahrhundert folgernd plädierte Meier für die alternativlose nukleare Abrüstung.

Das achte Panel machte sich die Aufbrüche in das digitale Zeitalter zum Gegenstand. Beginnend mit der Geschichte der Computerisierung in Bundeswehr und NVA beleuchtete JANINE FUNKE (Potsdam) das hieran beteiligte Akteursnetzwerk. Hierzu untersuchte sie die Frage, ob sich alle beteiligten Akteure auf den einen gleichen Computer bezogen. Anders als im operativen Bereich, so Funke, habe die Einführung von Computern in der Verwaltung der Bundeswehr wie selbstverständlich stattgefunden. Jedoch hätten je nach Funktion und Anwendungsgebiet sowohl Bundeswehr als auch NVA verschiedene Formen von Computern genutzt und so sei es zu einer stärkeren Vernetzung zwischen Wissenschaft, Militär und Industrie gekommen. Im Fokus der Untersuchungen von MARTIN SCHMITT (Potsdam) stand die Entwicklung des „Arpanets“ als geschlossene Welt mit militärischem Hintergrund im Kalten Krieg. Anhand der Methode der Social Construction of Technology definierte der Referent die Rolle des „Arpanets“ als Teil des militärischen Wettstreits, als wissenschaftlicher Fortschritt mit dem Ziel der Symbiose von Mensch und Maschine und als von gegenkulturellen Bewegungen angedachtes Mittel des egalitären Zugriffs auf Wissen mit der Kybernetik als Kontaktsprache zwischen allen Akteuren. Die Wahrnehmung und Impulse des Cyberraumes in den 1990er-Jahren erläuterte NIKLAS VAN ALST (Potsdam) in seinem anschließenden Vortrag. Hierbei unterschied er zwischen der Wahrnehmung als Raum der Freiheit mit der Utopie des Aufbruchs und der Strukturlosigkeit, als Raum des Krieges mit neuen Strategien im Cyberwar nach dem Ende des Kalten Krieges und als Raum des Terrors mit der Erweiterung des Terrorismus. Darüber hinaus erläuterte der Referent die maßgebliche Beeinflussung dieser Wahrnehmung durch Fiktion und Fantasie resultierend aus der sicherheitspolitischen Leere nach dem Kalten Krieg, in welcher die Fiktion die politische Vereinnahmung des Cyberraumes nach sich gezogen habe.

Nach der Einstimmung auf das Thema der autonomen Waffensysteme durch ein Video, welches auf eindringliche Art und Weise vor den Risiken dieser Systeme für die Gesellschaft warnte, wurden unterschiedliche Perspektiven auf diese Thematik im neunten Panel dargestellt. Aus technologischer Sichtweise erläuterte JÜRGEN ALTMANN (Dortmund) die militärischen Motive, autonome Waffensysteme zu entwickeln. Er beleuchtete die spezifischen Fragen des Kommunikationsverlusts zum autonomen Waffensystem, der Schwarmproblematiken und des Einsatzes von künstlicher Intelligenz. Altmann plädierte in Anbetracht der Risiken für das Völkerrecht und des Wettrüstens für ein vorbeugendes Verbot dieser Systeme. Der sicherheitspolitischen Perspektive widmete sich GÖTZ NEUNECK (Hamburg) in seinem Vortrag. Neue Waffensysteme entstünden durch Umrüstung, Miniaturisierung und Vernetzung, was zu einem technologischen Rüstungswettlauf führe und Rüstungskontrolle notwendig mache. Zudem schilderte er neu entstandene Problemstellungen bezüglich der Automatisierung von strategischen Systemen, den Auswirkungen auf Kriegsführung und Rüstungsdynamiken, technologischen Risiken und Problemen, zur Durchführbarkeit von Rüstungskontrollen sowie zum humanitären Völkerrecht. Diese völkerrechtliche Perspektive erläuterte ROBIN GEIß (Glasgow) anhand der Problemstellungen der grundsätzlichen Vereinbarkeit von autonomen Waffensystemen mit diesem, der Problematik der Haftbarkeit sowie tieferliegender ethischer Bedenken. Hierzu schlug er eine dynamische Klausel als Anknüpfungspunkt vor. Zudem bestehe wenig Fortschritt bezüglich der Frage nach dem Anteil an menschlicher Kontrolle in autonomen Systemen. Der abschließende Beitrag von BERNHARD KOCH (Hamburg) beleuchtete die ethische Perspektive des Themas. Hierbei behandelte Koch die Frage, ob Maschinen eine bessere Ethik entwickeln könnten, die Frage nach den Grenzen defensiver Gewalt sowie die Problematik der Herstellung positiven Friedens bei gegenteiliger Kommunikation. Der Referent empfahl das Vorsichtsprinzip bei autonomen Waffensystemen und einen Einsatz für konsensuelle Lösungen. Zuletzt wies er auf die Diffusität des Begriffes Würde und ihre intersubjektive Konstitution hin.

In der Podiumsdiskussion zum Abschluss der Tagung unter der Moderation von JÖRG HILLMANN (Potsdam), dem Kommandeur des ZMSBw legten MdB und Mitglied des Verteidigungsausschusses KATJA KROLL (Berlin), der Chefredakteur der Zeitschrift Loyal und Journalist MARKUS SELIGER (Berlin) und der Politikwissenschaftler und Lehrbeauftragte an der Universität der Bundeswehr FRANK SAUER (München) ihre Standpunkte dar. Diskutiert wurden die Themen Rüstungsbeschaffung, -export und -kontrolle im nationalen und internationalen Kontext sowie die Kommunikation zwischen Bundeswehr und Gesellschaft, die allgemeine sicherheitspolitische Kontroverse und die Bilanz der Auslandseinsätze. Mit der Anmerkung, die Bundeswehr könne Diskurse beispielsweise durch ebendiese Tagung befeuern und durch unkonventionelle Denkweisen wie sie in den Vorträgen gezeigt worden seien ihren Beitrag leisten, schloss Hillmann die Veranstaltung.

Durch ihre interdisziplinäre Gestaltung mit heuristischer und analytischer Methodik gelang es der 59. ITMGS, die Dynamiken und Konstellationen, die sich aus der Betrachtung des Tagungsthemas ergeben, multiperspektivisch zu reflektieren. Die Beschreibung der im Titel der Tagung genannten "komplexen Verhältnisse" erwies sich als äußert ertragreich.

Konferenzübersicht:

Panel I: Wandern zwischen Welten. Die Universität und das Militär
Moderation: Nina Leonhard (Potsdam)

Florian J. Schreiner (Würzburg): Akademische Wehr- und Studentendivision. Universität und Militär im Nachkrieg des Ersten Weltkrieges

Simon Meisch (Potsdam): Friedens- und Zivilklauseln zwischen Zumutung und Verantwortung

Panel II: Militär und Medizin
Moderation: Ralf Vollmuth (Potsdam)

Anja Opitz (Tutzing) / Martin Prokoph (München): Global Health Security und Militär. Zur Interpendenz zwischen resilienten Gesundheitssystemen und der Rolle des Sicherheitssektors

Nebiha Guiga (Heidelberg): Amputation and Evacuations during the Napoleonic Wars. Theoretical Discussions, Technical Solutions and Logistical Difficulties

Andrea Gräfin von Hohenthal (Freiburg): Experten in der Luft. Psychologische Diagnostik bei den Luftstreitkräften im Ersten Weltkrieg. Großbritannien und Deutschland im Vergleich

Öffentlicher Festvortrag
Michael Decker (Karlsruhe): Menschliches Handeln und autonome Technik. Eine multiperspektivische Reflexion

Panel III: Akteure – Netzwerke – Konzepte des Wandels
Moderation: Christian Stachelbeck (Potsdam)

Tobias Nanz (Dresden): Krisenkommunikation im Kalten Krieg. Konstellationen faktischer und fiktionaler Akteure

Philipp Münch (Potsdam): Einfallstor der Wissenschaft? Die NATO, die USA und der Beginn von „Operations Research“ in der Bundeswehr

Alexander Salt (Calgary): Military Organizational Change. Integrating the Lessons of War

Panel IV: Militär 4.0
Moderation: Heiko Biehl (Potsdam)

Martin Elbe (Potsdam): Innovation als Regelverletzung. Zur Temporalität der Organisation

Dierk Spreen (Berlin): Transhumanismus im Militär

Tom Dyson (London): The British Army as a Learning Organisation. Exploring the Sources of Military Learning

Panel V: Rüstung und Militär
Moderation: Reiner Pommerin

Dieter H. Kollmer (Potsdam): Die 143er-Klasse zwischen technischem Fortschritt und politischem Willen

Helmut R. Hammerich (Potsdam): Baron Fuchs und die Modernisierung der deutschen Artillerie vor dem Ersten Weltkrieg

Ralf Stremmel (Essen): Zur Verwissenschaftlichung der Rüstungsforschung in der Industrie. Das Beispiel der Firma Krupp, 1880-1980

Panel VI: Hybrid-Gemeinschaften. Der Blick in die Zwischenräume
Moderation: Markus Pöhlmann (Potsdam)

Manfred Rasch (Bochum): Wollen und Wirken der Kaiser Wilhelm Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft im Ersten Weltkrieg

Sören Flachowsky (Berlin): Das Reichsamt für Wirtschaftsausbau und die kriegs- und rüstungsrelevante Industrie

Frank Reichherzer (Potsdam): Im Zwischenraum. Die Deutsche Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften (1928-1945)

Panel VII: Die Atombombe als Gamechanger
Moderation: Angelika Dörfler-Dierken (Hamburg)

Markus Thurau (Potsdam): Die Atombombe und der Gerechte Krieg. Ein Paradigmenwechsel in der katholischen Soziallehre?

Xavier Royer de Véricourt (Paris): French Nuclear Doctrine in Context

Katharina Kunter (Frankfurt am Main): Auf der Suche nach Sicherheit und Gleichgewicht. Die Rolle der Atomwaffen im KSZE-Prozess

Oliver Meier (Berlin): Die Bedeutung von Atomwaffen für die internationalen Beziehungen des 21. Jahrhunderts

Panel VIII: Aufbrüche in das digitale Zeitalter. Die Rolle des Militärs als Innovationsbetreiber und Anwender
Moderation: Rüdiger Bergien (Potsdam)

Janine Funke (Potsdam): Erst organisieren, dann automatisieren. Die frühe Computerisierung in Bundeswehr und NVA. Eine Problemkonzeption

Martin Schmitt (Potsdam): Computernetzwerke im Kalten Krieg. Das „ARPANET“ als kybernetisches System

Niklas van Alst (Potsdam): Albtraum oder Aufbruch? Wahrnehmungen des Cyberraumes in den 1990er-Jahren

Panel IX: Autonome Waffensysteme
Moderation: Bernhard-Wilhelm Rinke (Osnabrück)

Jürgen Altmann (Dortmund): Technologien für autonome Waffensysteme. Stand und Perspektiven

Götz Neuneck (Hamburg): Sicherheitspolitische Implikationen und Möglichkeiten der Rüstungskontrolle autonomer Waffensysteme

Robin Geiß (Glasgow): Die völkerrechtliche Dimension autonomer Waffensysteme

Bernhard Koch (Hamburg): Ethische Fragestellungen im Kontext autonomer Waffensysteme

Podiumsdiskussion
Komplexe Verhältnisse. Rückblick, Ausblick
Moderation: Jörg Hillmann (Potsdam)