Unternehmen und medialer Wandel

Unternehmen und medialer Wandel

Organizer(s)
Arbeitskreis für Kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (AKKU); Wirtschaftsgeschichte Universität Siegen; Sonderforschungsbereich ‚Medien der Kooperation’
Location
Siegen
Country
Germany
From - Until
16.11.2019 - 17.11.2019
Conf. Website
By
Christian Henrich-Franke, Fachbereich 1/Geschichte, Universität Siegen; Boris Gehlen, Bonn / Institut für Zeitgeschichte München

Ausgehend von der Beobachtung, dass die Unternehmensgeschichte sich des medialen Wandels bisher nur vereinzelt gewidmet hat und Medien wie medialer Wandel daher eher als exogener Faktor der Unternehmensentwicklung wahrgenommen wurden, stellte die Jahrestagung einen ersten Schritt dar, um das Forschungsfeld auszuloten und einen Brückenschlag zwischen der Unternehmens- und der Mediengeschichte vorzunehmen. Dies ist umso dringlicher, stehen doch Unternehmen und medialer Wandel in einem engen Wechselverhältnis. Medien beeinflussen die unternehmensinterne Kommunikation und Struktur, sie organisieren die Produktionsbedingungen oder definieren Werbe- und Marketingstrategien. Medialer Wandel zwingt Unternehmen somit zwangsläufig, sich an veränderte mediale Bedingungen anzupassen. Moderne multi- und transnationale Unternehmen sind ohne mediale Vernetzung ihrer Teilbereiche undenkbar und in ihrer globalen Arbeitsteilung von Medien abhängig. Gleichzeitig ist medialer Wandel auch das Produkt unternehmerischer Tätigkeit, versuchen Unternehmen doch mediale Innovationen auf dem Markt zu platzieren, um Wettbewerbsvorteile und damit Gewinne zu erzielen.

Den Auftakt zur Tagung bildete ein Einführungsvortrag von BORIS GEHLEN (Bonn / München) und CHRISTIAN HENRICH-FRANKE (Siegen), in dem das bisher von der Forschung eher vernachlässigte Thema umrissen und eine Arbeitsdefinition von Medien vorgeschlagen wurde. Medien können demnach in weiter Form als Bedingungen der Kooperation und Interaktion von Menschen verstanden werden. Medien seien demnach sozio-technische Systeme, die sowohl aus der technischen Infrastruktur bestehen, als auch aus sozialen Faktoren sowie Akteuren, die mit der technischen Infrastruktur interagieren. Medien erlauben es, dass die Mitarbeiter/innen von Unternehmen miteinander kooperieren, ohne dass sie zwangsläufig die gleichen Motive, Ziele und Überzeugungen besitzen. Medialer Wandel bezeichnet dabei die Veränderung der Bedingungen menschlicher Kooperation und Interaktion, die beispielsweise durch technische und organisatorische Neuerungen wie den Computer, das Telefon, den Fernschreiber, Formulare oder ähnliches hervorgerufen werden können. Um die Interdependenzen von Medien und medialem Wandel auf der einen Seite sowie Unternehmen und Unternehmensentwicklung auf der anderen Seite näher beleuchten zu können, wurden drei Betrachtungsschwerpunkte gebildet, die auch die Sektionen der Tagung strukturierten.

Die erste Sektion der Tagung galt dem Zusammenhang von „medialem Wandel und externer Unternehmenskommunikation“. Die Kommunikation von Unternehmen nach außen – mit Kunden wie Geschäftspartnern – wird medial vermittelt. Marketing oder die Organisation komplexer Logistik-Ketten etwa erfordern spezifische Medien. So sehr in der Vergangenheit die Einführung von Zeitungen, Radio, Fernsehen, Internet etc. die Werbung verändert haben, so sehr veränderten Satellitentelefone auf Schiffen oder GPS-Tracking die Planbarkeit von Lieferung und machten just-in-time-Produktion und eine flächendeckende Reduktion von Lagerhaltung überhaupt erst möglich. Medialer Wandel wirkt sich deshalb umgehend auf die externe Kommunikation von Unternehmen aus.

ALEXANDER SIEVERS (Mannheim) eröffnete die Sektion mit einem Beitrag über die Fachzeitschrift „Petersmann Geographische Mitteilungen“ des Justus Perthes Verlags. Die Geographischen Mitteilungen, in denen Karten und Begleittexte zu unterschiedlichen Ländern und Regionen zusammengestellt wurden, nutzte der Verlag ab Mitte des 19. Jahrhunderts, um eine Spezialisierung des Unternehmens als „Geographische Anstalt“ voranzubringen. Medialer Wandel in Form einer kartographisch-geographischen Fachzeitschrift, die auf einem zunehmend spezialisierten und standardisierten Produkt basierte, wurde hierbei zum Träger des Unternehmenswandels. Zentral an diesem Vorgang – so Sievers – war das Marketing des Verlags, das dessen spezialisierte Expertise lange erfolgreich kommunizierte. Anschließend nahm DANIELA FLEIß-MYSLIWIETZ (Siegen) die Berichterstattung über industrielle Großunternehmen in der illustrierten Massenpresse der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Blick. Sie zeigte, inwieweit Unternehmen wie Krupp versuchten, durch selbst erzeugtes Informations- und Bildmaterial sowie diverse weitere Formen der Beeinflussung der Presse Imagepflege zu betreiben, um Vorurteile gegenüber industriellen Großunternehmen abzubauen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden in den Unternehmen spezialisierte Presse- und Öffentlichkeitsabteilungen, die versuchten, auf das sich wandelnde Populärmedium der illustrierten Zeitschrift Einfluss auszuüben.

Die zweite Sektion behandelte den „medialen Wandel als Produkt und Herausforderung unternehmerischer Tätigkeit“. Zum einen entwickeln Unternehmen neue Medien oder mediale Dienste. Sie investieren in Forschung und Innovation, um Wettbewerbsvorteile auf den verschiedenen Märkten für mediale Produkte zu erlangen. Zum anderen müssen sich Unternehmen an neue mediale Produkte, zum Beispiel technische Innovationen, anpassen und auf geänderte Marktsituationen reagieren.

SUSANNE KOKEL (Marburg) widmete sich den Kreditauskünften der Auskunftei Schimmelpfeng in den 1930er- und 1940er-Jahren. Diese reagierte auf den wachsenden Bedarf an Kreditauskünften, der durch größere Arbeitsteilung und zunehmende geographische und persönliche Distanz von Handelspartnern und Zulieferern entstand. Indem es Transparenz herstellte, stabilisierte das Medium Kreditauskunft (langfristige) business to business-Beziehungen. Kokel zeigte auf, wie Schimmelpfeng, unter anderem durch die Standardisierung von Vordrucken, immer präzisere Informationen lieferte, während die Kreditauskunft sich dabei permanent um das Vertrauen ihrer Lieferanten und Kunden kümmern musste, um weiterhin verlässliche Informationen bereitstellen zu können. Im zweiten Vortrag der Sektion widmete sich JONATHAN VOGES (Hannover) dem Einsatz von Medien in Baumärkten, die sich mit der beginnenden „do it yourself“-Welle mit einer neuen Käufergruppe, dem handwerklichen Laien, konfrontiert sah. Seit den 1970er-Jahren wurden deshalb in Baumärkten unter anderem Filmcenter errichtet, um Waren für Hobby-Handwerker/innen zu präsentieren. Audiovisuelle Medien wurden dabei durch Informationsbroschüren ergänzt, so dass auf ein komplettes Medienensemble zurückgegriffen wurde, um Kunden zu informieren und zum Kauf anzuregen, aber auch, um die Personalkosten zu senken. Voges zeigte, wie sich mediale Formate und Präsentationsformen im Verkaufsraum wandelten und unterschiedliche Zielgruppen adressierten. Für den Bundesverband Bau- und Heimwerkermärkte, der viele Filme zentral produzierte, bestand die Herausforderung darin, Medien und mediale Inhalte so zu gestalten, dass Kunden gezielt angesprochen und gebunden wurden.

Die dritte Sektion der Tagung fragte nach den Interdependenzen von „Medialem Wandel und Unternehmensorganisation“. Medien stellen die Grundlage der unternehmensinternen Kommunikation dar. Die Möglichkeit, mittels Medien wie Internet, Smartphone, Telefon oder Satelliten nahezu alle Erdteile in Echtzeit miteinander zu verbinden, erlaubt es heutzutage Unternehmen, ihre einzelnen Unternehmensbereiche dezentral zu organisieren. Medien und medialer Wandel wirken sich folglich in vielerlei Hinsicht auf Produktionsbedingungen und -kosten aus. Letztlich verändert medialer Wandel auch die Arbeitsplatz- und Qualifikationsanforderungen innerhalb von Unternehmen.

BORIS GEHLEN (Bonn / München) eröffnete die Sektion mit einem Beitrag über die Reaktionen des deutschen Unternehmertums auf die Ausdifferenzierung und Pluralisierung des Mediensystems in der Weimarer Republik. Im Spannungsfeld von Medien, Politik und Unternehmen ging es darum, antikapitalistischen Tendenzen in Presse und Rundfunk zu begegnen und ein positives Unternehmerbild zu zeichnen. Gezielte Maßnahmen gegen unliebsame Berichterstattung richteten sich dabei nicht auf die Medien selber, sondern auf deren Inhalte, denen durch eigene Interpretationen alternative Inhalte angeboten werden sollten. Gehlen resümierte, dass die segmentierte Medienlandschaft mit einer sich innerhalb gesellschaftlicher Gruppen selbst verstärkenden jeweils sehr eigenen Wahrnehmung von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problemlagen, die bürgerliche (Leit-) Medien unter Druck setzten. Trotz gezielter Maßnahmen der Unternehmen widersetzten sich die Medien einer inhaltlichen Beeinflussung von außen. MARTIN SCHMITT (Potsdam) verglich anschließend die Digitalisierung der Kreditwirtschaft am Beispiel der Berliner Sparkassen in Ost und West zwischen 1961 und 1991. Digitalisierung – so das Argument – war dabei Teil eines Systemwettbewerbs, der sich in mehreren Phasen vollzog. In beiden Teilen der Stadt entwickelte sich die Digitalisierung, das heißt der Einsatz von Computern, parallel und aus ähnlichen Motiven. Dabei war der Einsatz von Computern kein Selbstläufer, sondern das Produkt von Aushandlungsprozessen und Problemlösungsstrategien, mittels derer Sparkassen sich modernisierten und ihren Kunden neue Dienste anboten. Bemerkenswert – so Schmitt – war der frühe Einsatz von Computern in der DDR, wenngleich das Land technisch rückständig war. Im letzten Beitrag der Sektion nahmen CHRISTIAN HENRICH-FRANKE und EVA MARIA HOLLY (Siegen) die Produktion von Rechenmaschinen und Computern der Siegener Maschinenbau AG (SIEMAG) in den 1950er- und 1960er-Jahren in den Blick. Sie zeigten, dass der Aufstieg der SIEMAG von einem Produzenten von mechanischen Buchungs- hin zu elektronischen Rechenmaschinen im Segment der mittleren Datentechnik sowohl auf der technischen Entwicklungsarbeit beruhte als auch auf einer Reihe von unternehmenspolitischen Entscheidungen. Eine gezielte Lizenz- und Kooperationspolitik wurde ergänzt durch eine Fokussierung der Produktion sowie den sukzessiven Ausbau eines effektiven Vertriebsnetzes in Europa, das auf das bestehende Netz für Büromaschinen aufbauen konnte und der SIEMAG so einen Marktvorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffte. Auf einem zunehmend umkämpften Markt ging die SIEMAG 1966 eine enge Kooperation mit dem niederländischen Philips-Konzern ein, um den schnellen Wandel von Datenverarbeitungsmedien mitgestalten zu können. Medialer Wandel, so das Fazit, änderte die SIEMAG grundlegend.

Eine Podiumsdiskussion zum Thema "Archive und (Unternehmens-) Marketing" rundete die Tagung ab. Dabei diskutierten die Teilnehmer insbesondere das sich verändernde Verhältnis von Unternehmenskommunikation und Unternehmensarchiven. Im digitalen Zeitalter finden sich Unternehmensarchive zunehmend als verlängerter Arm der Kommunikationsabteilungen wider und müssen den Spagat meistern zwischen populärwissenschaftlichen Dienstleistungen einerseits und den wissenschaftlichen Standards der Unternehmensgeschichte andererseits. Dabei müssen Archive und Archivare einen Ausgleich finden zwischen den Denklogiken von Freiheit und Forschung und der Marktlogik von Auftragsarbeiten. Kontrovers diskutierten die Teilnehmer der Tagung die Rolle von Archivaren, von wissenschaftlichen Standards und der Unternehmensgeschichte als korrespondierende Fachwissenschaft.

Neben dem wissenschaftlichen Diskurs besichtigten die Teilnehmer die Ausstellung "Vom Brief zum digitalen Netz", die sich am Beispiel von multinationalen Unternehmen des Maschinenbaus den Zusammenhängen des Themas "Unternehmen und medialer Wandel" widmete. Mediale Techniken und Infrastrukturen globaler (Tele-) Kommunikation wurden dabei sichtbar gemacht und ihre Bedeutung für die Unternehmenskommunikation sowie die Unternehmensorganisation dargestellt.

Am Ende der Tagung stand die Erkenntnis, dass "Unternehmen und medialer Wandel" ein wichtiges und lange vernachlässigtes Thema der unternehmenshistorischen Forschung sei, dass einerseits ein enormes Potential besitzt, andererseits aber noch ein enormer Bedarf an einer theoretischen wie methodischen Einordnung des Themenfeldes besteht.

Konferenzübersicht:

Sektion: Medialer Wandel und externe Unternehmenskommunikation

Alexander Sievers (Mannheim): Fachmagazin und Werbemittel: Petermanns Geographische Mitteilungen als Marketinginstrument des Justus Perthes Verlags

Daniela Mysliewitz-Fleiß (Siegen): "Die fesselndsten Arbeitsstätten in vollem Betriebe" – Die Großunternehmen des späten 19. Jahrhunderts in den Berichten der illustrierten Massenpresse

Sektion: Medien als Produkt und Herausforderung unternehmerischer Tätigkeit

Susanne Kokel (Marburg): Kreditauskunft und Kooperation

Jonathan Voges (Hannover): Medien zum Selbermachen. Der Baumarkt als Ort des medialisierten Einkaufs seit den 1970er-Jahren

Sektion: Medialer Wandel und Unternehmensorganisation

Boris Gehlen (Bonn / München): Die Reaktionen des deutschen Unternehmertums auf massenmedialen Wandel in den 1920er-Jahren

Martin Schmitt (Potsdam): Die Digitalisierung der Kreditwirtschaft: Computereinsatz in deutschen Sparkassen am Beispiel Ost- und West-Berlins. 1961–1991.

Christian Henrich-Franke / Eva Maria Holly (Siegen): Computerproduktion bei der Siegener Maschinenbau AG (SIEMAG)


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