Das Forschungsprojekt „Zukunft der Objekte – Objekte der Zukunft“ über die Möglichkeiten und Chancen der Digitalisierung von historischen Objekten und Sammlungen im Kölner Raum bot die Grundlage für das gleichnamige Symposium. Wegen der Einschränkungen der Corona-Pandemie entschied das Projektteam, das Symposium nicht wie geplant an zwei Tagen in Präsenz, sondern an einem Tag in kompakten sechs Stunden digital durchzuführen. Aus dem Homeoffice heraus organisierte das Team die digitale Tagung und richtete die Veranstaltung auf mehreren Kanälen – live via Zoom, per Stream via YouTube und in Echtzeit auf Twitter (#zukunftderobjekte) – professionell und versiert aus.
In dem von der RheinEnergie Stiftung geförderten Projekt des Kölner Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte von Habbo Knoch in Kooperation mit dem Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit von Gudrun Gersmann wird untersucht, wie sich digitaler Wandel auf historische Objekte auswirkt und welche Funktion diese als analoge und digitale Repräsentationen von Vergangenheit haben. Dem Symposium kam die Funktion der Einordnung und Reflexion über theoretische und methodische Zugänge und digitale Strategien zu. Vor dem Hintergrund einer nationalen Studie des Deutschen Museumsbundes aus dem Jahr 2018, in der 42 Prozent der Befragten angegeben haben, gar keine Informationen zu ihren Sammlungen online zu haben, lohnt es sich stets, nicht nur die Möglichkeiten und Chancen, sondern auch die Herausforderungen und Probleme bei der Digitalisierung zu thematisieren. Somit richtete sich das Symposium an ein breites Publikum, was sich auch im Programm widerspiegelte, das theoretische Positionen und praktische Impulse aus Universität, Forschung und Museen beinhaltete.
Den Auftakt machte DENNIS NIEWERTH (Bremerhaven) vom Deutschen Schifffahrtsmuseum, der ausgehend von der Ansicht, dass Museen und die historische Wirklichkeit im Museum schon immer virtuell gewesen seien, über die Begriffsgeschichte der Virtualität sprach. Nach Stefan Münker ist Virtualität „die (digital realisierte) Fähigkeit, etwas als etwas zu gebrauchen, was es (eigentlich) nicht ist.“1 Vor diesem Hintergrund wird das Museum als virtueller Raum beschrieben, in dem sich Dinge befinden, denen Kontexte, Wissen, Konnotationen, Assoziationen und Interpretationen innewohnen (Latenz), deren Bedeutungen von jedem/r Betrachtenden individuell virtuell erfasst wird. Was bringt dieser virtuelle Blick nun für Sammlungen und Objekte im Digitalen mit sich? Spätestens in der Zeit der Corona-Pandemie waren Museen und Sammlungen gezwungen, digital nach- und aufzurüsten. Dabei wurde vielerorts offenbar, welche Hürden und Herausforderungen es in Bezug auf Mindset, Technik, Knowhow, personelle und finanzielle Ressourcen gibt. Und selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, wird bislang oft in erster Linie versucht, dem physischen Besuch im Museum möglichst nahe zu kommen. Dabei bietet das Digitale eine große Freiheit und viele Möglichkeiten für (virtuelle) Neuentdeckungen musealer Objekte. Niewerth plädierte dafür, die didaktische und methodische Erschließung der Sammlungen im Digitalen schnell in die Werkzeugkästen der Museen aufzunehmen. Hier wurde der Ruf nach einem/r digitalen KuratorIn laut. Wichtig sei zudem Offenheit und Kreativität im Umgang mit digitalen Sammlungen. Neben Aspekten der Usability und des Interface Designs kann dabei ein Blick ins Gaming hilfreich sein.
KATJA MÜLLER (Halle-Wittenberg) nahm die Studie über den Ist-Zustand der Digitalisierung an deutschen Museen als Ausgangspunkt, bei der nur 29 Prozent der Museen angaben, ausgewählte Objekte online zu zeigen, lediglich 8 Prozent bieten eine Onlinedatenbank an. Die Gründe dafür sind v.a. fehlende Mittel, juristische Unklarheit, zu wenig Kompetenzen, aber auch mangelnder (politischer) Wille. Die technischen Bedingungen und Standards sind vorhanden. So weit, so bekannt. Am Beispiel des Pergamonaltars, der im Zuge der Umbaumaßnahmen des Altarraumes in 3D vermessen und digitalisiert wurde, zeigte Müller zudem auf, dass digital und analog in (deutschen) Museen generell noch nicht zusammen gedacht würden. Wie lohnenswert es wäre, diese Zustände zu ändern, machte Müller anhand theoretischer Ausführungen über die (Im-)Materialität digitaler Objekte deutlich, die eben nicht nur aus 0 und 1 bestünden, sondern durch ihre Hardware – und auch durch Interface etc. – ins Materielle übergingen. Als Träger von Informationen, Wissen und Bedeutungen könnten digitale Objekte zu eigenständigen Entitäten werden. Ein häufiger Einwand gegen diese Objekte ist die fehlende Aura im Digitalen, die jedoch auch hier erzeugt werden kann, z.B. durch visuelle Aufbereitung und Kontextualisierung. Dieses Potenzial ist die Grundlage für eine Grenzüberschreitung des Digitalen ins Analoge, nicht nur umgekehrt. Digitale Objekte sollten mehr und mehr in museale Ausstellungen integriert werden, da sie so ihre, wie Müller es nennt, performative Materialität entfalten könnten. Darüber hinaus sind sie kein Ersatz für die originalen Objekte, sondern eine Ergänzung vor allem im Hinblick auf individuelle Angebote für Besuchende, die das auratische Erleben verstärken können.
Beispiele neuer und innovativer Zugänge zu musealen Sammlungen und Kulturerbe aus dem Projekt „Coding da Vinci“ präsentierte PHILIPPE GENÊT (Frankfurt am Main), Projektleiter des deutschen Kultur-Hackathons. Ziele dieses Formats sind es, den Wert digitaler, offener Kulturdaten erfahrbar zu machen, eine gemischte Community aus AkteurInnen aus Kultur und Technik aufzubauen, gegenseitige Potenziale zu erkennen und Ideen zu verbreiten. Diese Ideen werden im Hackathon auf der Basis der Daten der teilnehmenden Kulturinstitutionen in Creative Commons-Lizenz entwickelt, gemeinsam erarbeitet und umgesetzt. Im Anschluss sollen sie als öffentlicher Code auch für andere Institutionen zur Verfügung stehen. Wie nachhaltig die Ergebnisse weitergenutzt werden können, hängt aber von finanziellen Kapazitäten oder einer nachträglichen Förderung ab. Die gezeigten Beispiele aus verschiedenen Museen und Archiven haben eines gemeinsam: Sie verbindet ein verhältnismäßig niederschwelliger Zugang zu Objekten oder Sammlungen, der häufig spielerisch und partizipativ funktioniert. Die interaktive Aufbereitung einer Jesuitentafel mit Kupferstichen verschiedener Ordensmitglieder aus dem Stadtmuseum Landsberg am Lech oder eine Beatbox für Vogelstimmen aus dem Museum für Naturkunde Berlin machen die Bandbreite der Projekte deutlich. Diese neuen Perspektiven auf (bekannte) Objekte haben das Potenzial, neue NutzerInnenkreise anzusprechen. Die Ergebnisse von „Coding da Vinci“ sind durchaus motivierend, zeigen sie doch, wie durch (interdisziplinäre) Kollaborationen Kultur neu gedacht und vermittelt werden kann.
Nach diesen Beispielen aus der Gegenwart referierte VANESSA BORKMANN (Stuttgart) über das Forschungsprojekt „Future Museum“. Es stellt das Erlebnis wegen des Potenzials der nachhaltigen, positiven und emotionalen Erinnerungen des Einzelnen in den Mittelpunkt des Museumsbesuchs und macht den Erlebniswert eines Museums zum Schlüsselfaktor. Erlebnisorientierte Museen könnten die Begeisterung für die Inhalte wecken, regten zur tieferen Auseinandersetzung mit dem Gezeigten an und förderten die Motivation aller Beteiligten. Darüber hinaus ließen sich damit mehr finanzielle Einnahmen generieren; – vor dem Hintergrund steigender Konkurrenz um finanzielle Mittel, Sichtbarkeit und Zielgruppen ein durchaus interessanter und richtiger Gedanke. Nach dem Vorbild der Hotelbranche stellte Borkmann die Smart Visitor Experience des „Future Museum“ als Kernstück heraus, durch die der klassische Museumsbesuch um digitale Angebote der Visitor Journey und Visitor Economy erweitert werden soll. Dabei geht es um die Vernetzung des Museums und seiner Objekte mit Daten und Informationen, um die Interaktion mit den Besuchenden und die Einbettung in eine übergeordnete Erlebniswelt. Die Basis dafür bilden (personalisierte) Daten, anhand derer Typen von Besuchenden erstellt werden sollen, denen individuelle und an den Moment angepasste Angebote und Erlebnisse im Museum bereitgestellt werden, je nach Erwartungen, Wissensstand, zeitlicher Kapazität etc. – museales Targeting sozusagen. Auf die Frage, ob dabei nicht die Spontaneität und das individuelle Entdecken verloren gingen, betonte Borkmann die Freiwilligkeit der Angebote. Des Weiteren wurden anhand von Kurzvideos die Möglichkeiten von Augmented, Virtual und Mixed Reality für die Museen der Zukunft gezeigt, welche den immersiven Erlebniswert erheblich steigern. Auch wenn VR- und AR-Installationen bereits in Museen Einzug gefunden haben, überstiegen die gezeigten Beispiele das bereits Vorhandene in technischer und künstlerischer Qualität und durch einen universellen Ansatz, der den Museumsbesuch als Teil eines Gesamterlebnisses einordnet. Dass diese beeindruckenden Visionen des „Future Museum“ allerdings weit weg von der Realität der meisten Museen und Sammlungen liegen, zeigte sich in der Diskussion. Dass Museen überdies nicht die Rolle kommerzieller Dienstleister übernehmen sollten, sondern stattdessen der Bildungsauftrag für die Gesellschaft hervorgehoben wurde, verwies auf einen größeren (ideologisch-politischen) Kontext, in dem sich das Museum in der Zeit des technologischen Wandels befindet, und stieß eine notwendige Reflexion über die Rolle des Museums an.
STEFAN SCHWAN (Tübingen) lieferte eine empirische Grundlage aus der Besuchendenforschung und zeigte Perspektiven für die digitale Wissensvermittlung auf. Obwohl es relativ wenige empirische Arbeiten zu den Erwartungen, den Interessen und dem Verhalten von Besuchenden und Nutzenden digitaler Angebote gibt, sind die Ergebnisse aufschlussreich: Die Websites der Museen werden vor allem zur Planung eines Museumsbesuchs oder auch zur professionellen Recherche genutzt.2 Bei der Objektrecherche wünschten fast alle Befragten hochauflösende Abbildungen und mehr als die Hälfte Kontextinformationen zur Objektfunktion.3 Sehr großer Wert bei der Nutzung digitaler Sammlungsangebote wird generell auf Visualisierung gelegt, auf den interaktiven Charakter und auch die Usability.4 Ein interessantes Ergebnis nicht nur für das Symposium lieferte eine Studie aus dem Jahr 2008, wonach digitale Sammlungen oder virtuelle Museen nicht als Ersatz für den realen Museumsbesuch gesehen würden, sondern als eigenständige Angebote, die mit unterschiedlichen Motiven und Erwartungen rezipiert würden.5 Vor dem Hintergrund der teilweise geringen Anzahl an Teilnehmenden ist es jedoch eine offene Frage, wie repräsentativ und nutzbar solche Studien sind. Empirische Befunde zu Nicht-Besuchenden oder zur Auswirkung digitaler Angebote auf eine jüngere Zielgruppe gibt es außerdem kaum. Schwan plädierte für mehr Forschung und offenere und grundlegende Fragestellungen.
Der letzte Beitrag des Symposiums kam von DAVID KÜHNER und PETER MOOS (beide Tübingen) aus dem Museum der Universität Tübingen (MUT), einer Dachorganisation für die fast 70 unterschiedlichen Tübinger Universitätssammlungen, die sie in Form von analogen (Sonder-)Ausstellungen, (multidisziplinären) Seminaren, durch digitale (Ausstellungs-)Formate und eine zentrale Objektdatenbank für Forschung, Lehre und Transfer zugänglich und nutzbar macht. Die digitalen Produkte haben einen hohen Stellenwert und umfassen ein digitales Objekte-Ensemble mit fast 1.500 Stücken, das eMuseum, darüber hinaus das 3D-Museum und das neue Format der 360°-Ausstellungen. In diesem Format steht die digitale Vermittlung und auch Dokumentation im Vordergrund. Interessant und überraschend war, dass die virtuellen Touren mit Interaktionspunkten mit Informationen und Videos von den Mitarbeitenden selbst mit Panoramafotos und entsprechender Software (kuula) erstellt worden sind. Die Abhängigkeit von teuren externen ExpertInnen und ein Verbleib des Wissens außerhalb der Institutionen konnte dadurch vermieden werden. Vor dem Hintergrund der im Laufe des Symposiums immer wieder thematisierten oder subtil mitschwingenden Ressourcenknappheit zeigte das Tübinger Beispiel, was dennoch möglich sein kann.
Die sechs spannenden und ganz unterschiedlichen Vorträge über die Zukunft der Objekte bzw. Objekte der Zukunft haben gezeigt, dass die digitale Gegenwart in den Museen und Sammlungen extrem heterogen ist. Maßgebliche Faktoren für eine gelungene digitale Strategie und Umsetzung sind vor allem personelle und finanzielle Ressourcen, Kompetenzen, Kreativität und Kollaboration. Es wurden Visionen thematisiert, größere Strategien und kleinere Projekte präsentiert. Gerade die letzteren, die vielen motivierenden Beispiele aus der Praxis, haben das thematisch breit angelegte Symposium bereichert. Vor diesem Hintergrund wäre es interessant gewesen, auch den aktuellen Stand des Kölner Forschungsprojekts mit einzubeziehen. Als Ergebnis des digitalen Symposiums lässt sich festhatlten, dass die Zukunft der Objekte allein aus konservatorischen, aber auch aus gesellschaftlichen, kultur- und bildungspolitischen Gründen (auch) digital ist und die Objekte der Zukunft durch das Zusammenspiel analoger Präsentation und digitaler Vernetzung an Bedeutung steigen können. Im Hinblick auf zukünftige Tagungsformate hat das Kölner Symposium zudem bewiesen, wie effizient, diskursiv, zugänglich und – trotz räumlicher Distanz – persönlich digitales Konferieren sein kann.
Konferenzübersicht:
Dennis Niewerth (Bremerhaven): Der virtuelle Blick. Neuentdeckungen musealer Objekte in Zeiten ihrer Abwesenheit
Katja Müller (Halle-Wittenberg): Von der (Im-)Materialität digitaler Objekte
Philippe Genêt (Frankfurt am Main): Frischer Wind für Ihre Daten: Der Kultur-Hackathon Coding da Vinci
Vanessa Borkmann (Stuttgart): Smart Visitor Experience – Chancen und Lösungen für immersives Erleben im Museum der Zukunft
Stefan Schwan (Tübingen): Sammlungsobjekte online: Perspektiven für die Wissensvermittlung aus Sicht der Besucherforschung
David Kühner / Peter Moos (beide Tübingen): Digital erfasst. Und jetzt? Verwaltung und Vermittlung von digitalen Daten
Anmerkungen:
1 Stefan Münker, Virtualität, in: Alexander Rosler / Bernd Stiegler (Hrsg.), Grundbegriffe der Medientheorie, Paderborn 2005, S. 244–250, hier S. 244.
2 Vgl. Elena Villaespesa / John Stack, Finding the motivation behind a click: Definition and implementation of a website audience segmentation, in: MW2015: Museums and the Web 2015 (2015).
3 Vgl. Mette Skov / Peter Ingwersen, Museum Web search behavior of special interest visitors, in: Library & Information Science Research 36, 2 (2014), S. 91–98, Tabelle 4.
4 Vgl. Stella Sylaiou / Katerina Mania / Ioannis Paliokas / Laia Pujol-Tost / Vassilis Killintzis / Fotis Liarokapis, Exploring the educational impact of diverse technologies in online virtual museums, in: International Journal of Arts and Technology 10, 1 (2017), S. 58–84.
5 Vgl. Paul F. Marty, Museum websites and museum visitors: digital museum resources and their use, in: Museum Management and Curatorship 23, 2 (2008), S. 81–99.