Für die Teilnehmer der 68. Jahrestagung der Kommission konnte pandemiebedingt keine Stadtführung in Ulm veranstaltet werden. Stattdessen begrüßte Oberbürgermeister GUNTHER CZISCH (Ulm) die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer kurzen Ansprache. Der Abendvortrag von REINHARD JOHLER (Tübingen) zum Thema „Ulm. Stadt an der Donau und Ort der Migration“ wurde per Livestream übertragen und ist unter https://youtu.be/SYIOTKlu-ZU abrufbar. Tags darauf traten parallel zwei Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themen zusammen.
Arbeitsgruppe 1 tagte im Lichthof des Ulmer Museums. PETER RÜCKERT (Stuttgart) und THOMAS ZOTZ (Freiburg im Breisgau) führten in das Thema „Stadt und Kirche im Spätmittelalter“ ein, stellten die Referenten vor und leiteten die Diskussion. Den Beginn eines „vorreformatorischen Kirchenregiments“ der Reichsstadt Ulm verortete TJARK WEGNER (Tübingen) in der Zeit Karls IV. Ab dem Jahr 1376 betrieb der städtische Rat nicht nur die Verlegung der für Ulm zuständigen, extra muros gelegenen alten Pfarrkirche mitten in die Stadt, sondern erklärte auch den Abriss des vor der Stadt situierten Wengenstifts verteidigungstechnisch für notwendig. Die Grundsteinlegung für die neue Pfarrkirche, das Ulmer Münster, erfolgte vorrangig schon 1377. Dagegen mussten sich die Augustinerchorherren noch längere Zeit gedulden, bis sie von der Stadt mit einem innerhalb der Mauern gelegenen Bauplatz für den Neubau des Stifts entschädigt wurden. Während der Erwerb der Vogteirechte über das Stift aus den Händen des Adels relativ unspektakulär verlief, führte der Versuch der Stadt, Einfluss auf die Besetzung der Pfarrstelle und der Stiftspropstei zu gewinnen, zu langwierigen Auseinandersetzungen, da die Patronats- und Präsentationsrechte der Pfarrei und die Investitur des Stiftspropsts dem Kloster Reichenau zustanden, dem die Ulmer Pfarrei seit 1327 auch inkorporiert war. Die 1383/84 vom Reichenauer Abt gegen Aufnahme ins Bürgerrecht, Steuerfreiheit und das Patronatsrecht der Pfarrkirche Dorndorf vorgenommene Verschreibung des Präsentationsrechts an die Stadt wurde 1395 zwar von päpstlicher Seite genehmigt, der Stadt aber trotz zwischenzeitlicher Bestätigungen immer wieder streitig gemacht. Endgültig erwerben konnte der Ulmer Rat die Reichenauer Rechte erst zur Zeit des Baseler Konzils durch die von Papst, Bischöfen und Ordensoberen abgesegnete Kompromisslösung von 1446, die unter anderem eine stattliche finanzielle Entschädigung des Klosters sowie die Bestätigung des Stiftspropsts durch den – unter städtischer Kontrolle stehenden – Ulmer Spitalmeister vorsah. Während die Reform des Söflinger Klarissenklosters 1434 offenbar ohne städtische Einmischung vonstattenging, belegen Korrespondenzen des Ulmer Rats mit dem Bischof von Konstanz, dem Ordensprovinzial der Dominikaner und den Städten Speyer und Heilbronn eine aktive Rolle der Stadt bei der Einführung der Observanz in den in ihrem Machtbereich gelegenen Klöstern seit den 1460er-Jahren. Das Dominikanerkloster konnte trotz einiger Gegenwehr 1465 erfolgreich reformiert werden. Dagegen widersetzten sich die Söflinger Klarissen sowie die Ulmer Franziskaner, Franziskaner-Terziarinnen und Augustinerchorherren dem „Reformprogramm“ des Ulmer Rats, das die Stadt erst in den 1480er-Jahren mehr oder weniger gewaltsam durchsetzen konnte.
Mit dem Einfluss der städtischen Bauherren auf Planung und architektonische Ausführung des Ulmer Münsters befasste sich ANNE-CHRISTINE BREHM (Karlsruhe). Nach dem Grundsteinlegungsrelief muss der Familie Krafft keine geringe Bedeutung beim Bau zugekommen sein. Als erster Pfleger des Kirchenbaus ist Heinrich Füßinger durch eine Inschrift belegt. Als Baumeister wurden zunächst die Parler (Prager Einflüsse) verpflichtet. Ab den 1390er-Jahren ist Ulrich von Ensingen in dieser Funktion nachzuweisen. Auf das Selbstbewusstsein der Werkmeister und deren Weigerung, nach fremden Plänen zu arbeiten, lassen sich Neukonzeptionen des Gewölbeentwurfs (mit noch nachweisbaren Umarbeitungsspuren) zurückführen. Einfluss nehmen konnten die Bürger demnach vor allem mit der Einstellung eines neuen Münsterbaumeisters. Die 1377 begonnenen Arbeiten waren 1435 soweit abgeschlossen, dass das Kirchenschiff benutzbar war und der Chor geweiht werden konnte. Die ursprünglich über fünfzig Altäre im Münster wurden großenteils von reichen Ulmer Familien (Roth, Besserer, Neithard, etc.) gestiftet. Diese finanzierten nach den in ihren Privatarchiven erhaltenen Rechnungen auch die Kirchenfenster. Die Beauftragung verschiedener Steinmetze (auch außerhalb der Münsterbauhütte) erklärt die Formenvielfalt etwa in der Gestaltung des Maßwerks der Fenster. Aufgrund der Steinarmut des Ulmer Gebiets mussten die Steine für den Münsterbau aus der Gegend von Isny im Allgäu und von anderen weit entfernten Orten importiert werden. Für Finanzierungstipps, Austausch von Arbeitskräften und Gutachtern sorgten städtische und familiäre Netzwerke, die auch in kritischen Situationen in Anspruch genommen werden konnten: Als 1492 der Turm des Münsters aufgrund einer ungenügenden Fundamentierung einzustürzen drohte, konnten die Ulmer nach Ausweis der Steinmetzzeichen über ihr Kontaktnetz mehr als 120 Steinmetze zur Turmverstärkung mobilisieren.
Einen Perspektivwechsel, bei dem nicht das kirchliche Leben in der Stadt, sondern die Präsenz der Stadt in der Kirche im Mittelpunkt stehen sollte, nahm OLIVER AUGE (Kiel) vor. Am Beispiel Ulms, dessen alte Pfarrkirche ennet felds ab 1377 durch den dem Vermögen der Stadt angemessenen Münsterbau im Stadtzentrum ersetzt wurde, zeigte er, wie die reiche Bürgerschaft Kirche und Pfarrer nicht nur in die Stadt, sondern auch unter städtische Kontrolle brachte. Das den Altbürgermeister Lutz Krafft in Wort und Bild verewigende Grundsteinlegungsrelief deutet an, dass die Initiative zum Münsterbau nicht nur vom städtischen Rat, sondern auch von einzelnen Personen und Familien der städtischen Oberschicht ausging. Deren wortwörtliche Teilhabe an der Kirche zeigt sich auch im Einfluss auf die Gottesdienste, die durch Pfründestiftungen wohlhabender Bürger und der von einzelnen Zünften dominierten Bruderschaften vermehrt wurden. Prädikaturstiftungen brachten die Volkssprache in die Predigt. Mit den von Ulmer Bürgern gestifteten Kapellen, Gestühlen, Ewiglichtern, Kelchen, Fastentüchern oder Büchern waren die Stadt und ihre Bewohner ebenso wie durch die Grabsteine und die mit Stadtansichten geschmückten Epitaphien in der Kirche präsent. Pfarr- und Predigerstellen wurden durch Söhne der Stadt besetzt, deren Primizfeiern in der Kirche gefeiert. Als Kirchenpfleger und damit Aufseher über die ordnungsgemäße Verwendung der Gelder fungierten bis 1407 die Ratsmitglieder, danach häufig Angehörige der Ratsfamilien. Anwesend in der Kirche war die Stadt auch durch die nichtkirchliche Nutzung von Kirchenräumen für weltliche Zwecke, für Verhandlungen, Vertragsabschlüsse oder als Rathaus. Die Entwicklung gleicht jener anderer großer Städte, wenn auch in Freiburg im Breisgau im 13. Jahrhundert noch der Stadtherr Einfluss auf den Münsterbau nahm, in Esslingen am Neckar der Anteil an Klerikern einheimischer Familien besonders hoch war oder im württembergischen Stuttgart nicht städtische, sondern gräfliche Baumeister zum Einsatz kamen.
In der Diskussion der sich gegenseitig ergänzenden, neuesten Forschungen zu Ulm und dessen Münster reflektierenden Beiträge wurde die Gelenkfunktion des ursprünglich geistlichen, dann unter städtische Aufsicht gekommenen Spitals hervorgehoben, die es nicht nur beim Kompromiss von 1446, sondern auch bei der Reformierung des Franziskanerklosters 1484, als ihm die Güter des Konvents zugeschlagen wurden, übernehmen konnte. Nicht abschließend geklärt werden konnte die intensiv diskutierte Frage, ob die Übernahme von Steinmaterial (Tympana, filigrane Arbeiten) aus der alten Pfarrkirche in den Münsterbau und die Verwendung umgearbeiteter jüdischer Grabsteine für das Grundsteinlegungsrelief und den Inschriftstein für Füßinger mit einem Mangel an Baumaterial und damit rein ökonomisch zu deuten ist, wofür der hohe Aufwand für die über die Iller angeflößten Bausteine und -hölzer spräche, oder ob hier nicht im einen Fall eine bewusste Anknüpfung an die alte Pfarrkirche gesucht und im anderen Fall der Sieg der Ecclesia über die Synagoge zum Ausdruck gebracht werden sollte.
Die Arbeitsgruppe 2 tagte im Schwörhaus unter der Leitung von MICHAEL WETTENGEL (Ulm). In seiner Einleitung wies er auf das zunehmende Interesse am Thema Festungsstadt und Festungsbau in der Forschung hin. Gerade die Stadt und Festung Ulm seien hierfür gute Beispiele, da die Stadt Ulm stark durch die Festung und die darin liegende Garnison geprägt worden sei.
Den ersten Vortrag des Tages hielt HANNS CHRISTOF BRENNECKE (Erlangen) zum Thema "Militär als christliche Gemeinde? Garnisonskirchen als Gattung christlichen Kirchenbaus?". Garnisonskirchen spielen in Forschungen zum Kirchenbau bisher keine nennenswerte Rolle. Um sie dennoch zu thematisieren ist Ulm ein geeigneter Ort, finden sich doch hier und im benachbarten Neu-Ulm aus der Zeit der Bundesfestung im 19. Jahrhundert eine evangelische und zwei katholische Garnisonskirchen. Garnisonskirchen sind ein Phänomen des 19. Jahrhunderts und gehören in die Tradition des neuzeitlichen Staatskirchentums. Voraussetzung war die Existenz eines stehenden Heeres und fester Militärstandorte. Vorbildcharakter wird in dieser Entwicklung meist Brandenburg-Preußen zugesprochen, älteres Vorbild war jedoch, zumindest für die protestantischen Staaten, vor allem Schweden. Ab ca. 1700 sind aus Brandenburg Instruktionen zur Organisation einer selbständigen Garnisonskirche innerhalb der Landeskirche bekannt und am Beginn des 18. Jahrhunderts entstand in Berlin die erste ausdrücklich als Garnisonskirche erbaute Kirche. Anhand verschiedener Beispiele wird deutlich, dass es keine spezielle Architektur für Garnisonskirchen gab. Gebaut wurde im Stil der jeweiligen Zeit, auch mit modernen Baustoffen. Auffällig ist das häufig enge Nebeneinander verschieden konfessioneller Garnisonskirchen. Dies war der Notwendigkeit geschuldet, da sich im Militär die konfessionelle Vielfalt der Bevölkerung spiegelte. Nach ihrer Zeit als Garnisonskirchen wurden und werden die meisten als Gemeindekirchen weitergenutzt.
Per Videostream wurde der Vortrag "Auf-, Aus-, Abbau – zur Metamorphose von Festungsstädten im 19. Jahrhundert" von KLAUS T. WEBER (Mainz) in den Tagungssaal übertragen. Darin wurde die Entwicklung von deutschen Festungsstädten im 19. Jahrhundert nachgezeichnet, die in dieser Zeit eine Art Renaissance erlebten. Nach 1815 beschloss der Deutsche Bund, seine Grenze zu Frankreich durch die Anlage einer Reihe von Bundesfestungen in Luxemburg, Landau und Mainz, später zudem in Rastatt und Ulm zu sichern. Bei einem französischen Angriff sollten diese Festungen die Angreifer binden und zu einer Belagerung zwingen, während im deutschen Hinterland aus kleineren Lagerfestungen mit Soldaten und Vorräten der eigene Aufmarsch erfolgen sollte. Anhand zahlreicher bildlicher Darstellungen wurden die Entwicklungen im Festungsbau vorgestellt. Dieser hatte selbstverständlich auch Auswirkungen auf die Städte. Nach Ankunft der Garnison, die aus Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft und Konfessionen bestand, wurden die Festungsstädte zu Begegnungsräumen zwischen der alteingesessenen Bevölkerung und den Soldaten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Festungen vermehrt wieder aufgegeben, da sie der artilleristische Fortschritt obsolet machte. Fortan wurden Festungsbauten immer weiter von den Siedlungen entfernt angelegt und immer stärker eingegraben. Näher an den Städten gelegene Befestigungen wurden dagegen aufgegeben, umgebaut oder anders genutzt.
Das Verhältnis von Stadt und Festung beleuchtete SIMON PALAORO (Langenau) in seinem Referat "Städtische Gesellschaft und Bundesfestung Ulm/Neu-Ulm". Die ersten Planungen für die neue Bundesfestung in Ulm wurden nach den Kriegen gegen Napoleon bereits im Jahr 1819 vorgelegt, dann aber zunächst nicht weiterverfolgt. Erst als im Zuge der Rheinkrise 1840 ein Krieg Frankreichs gegen den Deutschen Bund drohte, begann man 1842 mit dem Bau. Dieser, zeitgleich mit dem Anschluss Ulms an das Eisenbahnnetz, wirkte wie ein Konjunkturprogramm und insbesondere alles Gewerbe, das für den Bau und die Versorgung von Arbeitern und Garnison mit Dingen des täglichen Bedarfs nötig war, expandierte. Die wirtschaftliche Dynamik hatte indes auch ihre Nachteile, da die Ulmer Unternehmer durch die beengten Verhältnisse in der Festung in ihrer Entwicklung eingeschränkt waren. Außerhalb war eine Expansion aufgrund der streng gehandhabten Rayonbestimmungen nicht möglich. So kam es bald zu Klagen und gar Forderungen, die Festung wieder aufzugeben. Da diese durch die Entwicklung der Artillerietechnik gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend veraltet war, konnte schließlich die Stadt Ulm die Festungsanlagen 1899 erwerben, Neu-Ulm kurze Zeit später 1906. Im Ersten Weltkrieg spielte die Ulmer Festung keine Rolle. Die Garnison wurde in der Folge jedoch stark verringert, so dass der Stadt ein bedeutender Wirtschaftsfaktor weitgehend verloren ging. Teile der ehemaligen Festungsbauten wurden in der frühen NS-Zeit als KZ Oberer Kuhberg genutzt, andere als Standorte für die Rüstungsproduktion. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren in den ehemaligen Festungsgebäuden Flüchtlinge und Vertriebene untergebracht. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurden die Glacisanlagen zu attraktiven Naherholungsgebieten umgestaltet, einzelne der ehemaligen Festungsgebäude wurden und werden kulturell genutzt, beispielsweise für das Donauschwäbische Zentralmuseum.
Die Diskussion der drei Referate wurde im Wesentlichen im Anschluss gebündelt. Fragen galten der Position des Festungsbaudirektors von Prittwitz, dem Verhältnis der Festung zur Eisenbahn, die die Festungswerke durchquerte, und der Abhaltung von Gottesdiensten in den Garnisonskirchen. Ferner, ob der angesprochene militärische Fortschritt bei den Planungen bereits berücksichtigt werden konnte oder ob die Festungen bei ihrer Fertigstellung nicht bereits veraltet waren.
Aus den Vorträgen gehen die intensiven Auswirkungen des Festungsbaus und des Lebens mit der Festung auf die Stadt Ulm/Neu-Ulm hervor. Diese betrafen wirtschaftliche, soziale und religiöse Bereiche und wirken in der Nachnutzung der ehemaligen Bauten bis heute nach.
Konferenzübersicht:
Begrüßung: Oberbürgermeister Gunter Czisch (Ulm)
Abendvortrag von Reinhard Johler (Tübingen): Ulm. Stadt an der Donau und Ort der Migration
Arbeitsgruppe 1: Stadt und Kirche im Spätmittelalter
Leitung: Peter Rückert (Stuttgart) / Thomas Zotz (Freiburg im Breisgau)
Tjark Wegner (Tübingen): Die Entwicklung des Kirchenregiments der Stadt Ulm in der Mitte des 15. Jahrhunderts
Anne-Christine Brehm (Karlsruhe): Ulm und sein Münster. Der Einfluss der städtischen Bauherren auf Architektur und Planung
Oliver Auge (Kiel): Die Stadt in der Kirche: Zur Begegnung von Kirche und Welt am Beispiel spätmittelalterlicher Städte Südwestdeutschlands
Arbeitsgruppe 2: Festungsstadt und Festungsbau im 19. Jahrhundert
Leitung: Michael Wettengel (Ulm)
Hanns Christof Brennecke (Erlangen): Militär als christliche Gemeinde? Garnisonskirchen als Gattung christlichen Kirchenbaus?
Klaus T. Weber (Mainz): Auf-, Aus-, Abbau – zur Metamorphose von Festungsstädten im 19. Jahrhundert
Simon Palaoro (Langenau): Städtische Gesellschaft und Bundesfestung Ulm