Public History in der Lehre

Public History in der Lehre

Organizer(s)
Andreas Fickers, Universität Luxemburg; Irmgard Zündorf, Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) Potsdam; AG Angewandte Geschichte / Public History
Location
Esch-sur-Alzette und digital
Country
Luxembourg
From - Until
23.09.2021 - 24.09.2021
Conf. Website
By
Ulli Engst, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Dieses Jahr fand bereits zum fünften Mal der in zweijährigem Turnus durchgeführte Workshop zur Public History in der Lehre statt. Die Veranstaltungsreihe hat es sich zum Ziel gesetzt, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Public History-Studienangeboten im deutschsprachigen Raum zu diskutieren, Vor- und Nachteile herauszuarbeiten sowie Kooperationen zu planen. Der thematische Schwerpunkt des diesjährigen Workshops lag, mit Blick auf die Covid-19-Pandemie, auf der digitalen Lehre und darauf, welche Veränderungen diese mit sich brachte bzw. in Zukunft noch bringen könnte.

Zu Beginn des ersten Panels „Public History in Zeiten von social distancing und distant learning“ berichteten die Vortragenden von der Lage an ihren jeweiligen Heimuniversitäten und davon, wie gut oder schlecht der Umstieg auf digitale Lehrangebote funktioniert hat. CHRISTINE GUNDERMANN (Köln) etwa sprach von einem zunächst holprigen Start und einer Eingewöhnungsphase für sowohl Studierende als auch Lehrende, auf die dann aber die Einrichtung einer stabilen digitalen Infrastruktur folgte. Sie zeigte zudem auch positive Auswirkungen der Digitalisierung in allen Bereichen auf, etwa die einfachere Verfügbarkeit von externen Dozierenden für Online-Lehrveranstaltungen. Als Konsequenz aus den Erfahrungen der vergangenen drei Semester wünsche sie sich deshalb einen „digitalen Campus Public History“ zur weiteren Vernetzung verschiedener Institute.

ULRIKE WECKEL (Gießen) sah zwar auch die von Christine Gundermann erwähnten Vorteile, war der digitalen Lehre aber grundsätzlich kritischer gegenüber eingestellt. Sie bedauerte, dass vielen Studierenden dadurch zentrale Studienerfahrungen genommen würden. Ihr Kollege CLEMENS TANGERDING (Gießen) zog mit Blick auf drei vergangene Public-History-Lehrprojekte das Fazit, dass deren Umsetzung immer erfolgreicher wurde, je mehr Erfahrung die Beteiligten zuvor mit pandemiebedingter digitaler Lehre gemacht hatten. Hier ist also ein positiver Lernprozess festzustellen.

In der anschließenden Diskussion tauschten sich die Teilnehmenden unter anderem über die Möglichkeiten an ihren Instituten aus, digitale Projekte, zum Beispiel die Erstellung einer Website, als Alternative zur klassischen Hausarbeit anzuerkennen. Fast einstimmig war hier das Urteil, dass dies aufgrund starrer Regeln bisher nur schwer möglich sei. Irmgard Zündorf hinterfragte, ob angesichts der vorgestellten digitalen Projektentwicklung Standortvorteile wie zum Beispiel der des Public-History-Masterstudiengangs an der Freien Universität Berlin mit der geografischen Nähe zu zahlreichen Museen und Gedenkstätten verloren gingen. Thorsten Logge widersprach und betonte das Eingebundensein jeder Universität in ihre jeweilige lokale Geschichtskultur. So habe jede Uni weiterhin ihren eigenen Standortvorteil.

Das Panel zu Digital Public History war vor allem eine Bestandsaufnahme der Projekte, die in diesem Feld möglich bzw. künftig geplant sind. EVA BISCHOFF (Trier) stellte den geplanten Studiengang „Digital Public History“ vor, der Expert:innen sowohl im Bereich Public History als auch im Bereich Digital History ausbilden soll. Er werde auf vier Säulen aufbauen: Fachwissenschaft, Digital History, Public History und berufsorientierenden Praxisprojekten. Der Beginn sei für das Wintersemester 2022/23 geplant.

An der Universität Hamburg dagegen gibt es keinen eigenen Public-History-Studiengang, sondern einzelne Lehrveranstaltungen mit diesem Schwerpunkt. NILS STEFFEN (Hamburg) stellte ausgewählte Projekte aus dem Bereich der digitalen Public History vor, in denen Studierende sich etwa mit Buchrezensionen auf dem Social-Media-Dienst Instagram oder auch mit transnationaler digitaler Forschung auseinandersetzten.

CHRISTINE SZKIET (Luzern) sprach über den Studiengang „Geschichtsdidaktik und öffentliche Geschichtsvermittlung“ und dazugehörige digitale Public-History-Aspekte, die den Kern des Studiengangs ausmachten. Er setze stark auf die Kooperation zwischen verschiedenen Hochschulen und Sprachregionen, wobei Studierende schon seit 2012 einige digitale Public-History-Produkte erarbeitet haben.

Die folgende Diskussion drehte sich verstärkt um die Frage, wie Public-History-Projekte in der digitalen Welt sichtbarer gemacht werden können und welche Alternativen es dazu gibt, Produkte „einfach online“ zu stellen. Dass es hier Nachholbedarf gibt, machte Ulrike Weckel deutlich, die anmerkte, dass selbst unter Studierenden das Interesse an den Projekten ihrer Kommiliton:innen meist recht gering sei. Hier gebe es allerdings auch Ausnahmen, wie Jan Simon Karstens berichtete, der die positive Erfahrung gemacht hat, dass Lehramtsstudierende bei einem Public-History-Projekt zu historischen Liedern noch mehrere Semester später bei ihm nach den darin erarbeiteten Materialien fragten.

Die Workshop-Teilnehmenden waren einer Meinung, dass bei digitalen Projekten also auch immer deren Rezeption einbezogen werden müsse und damit die Frage, woran es liegen könnte, wenn Produkte in der Öffentlichkeit nicht angenommen werden. Clemens Tangerding betonte, dass dieser Frage gerade mit Blick auf die berufsvorbereitenden Elemente eines Public-History-Studiums nachgegangen werden müsse.

THOMAS CAUVIN (Luxemburg) setzte sich in seinem Vortrag maßgeblich für eine stärkere Internationalisierung der Lehre ein. So betonte er, dass Public History bereits international praktiziert werde und deshalb auch so gelehrt werden müsse. Dem stimmten die anderen Workshop-Teilnehmenden zu und machten deutlich, dass der Blick in andere Weltregionen und der Blick von außen auf die eigene Region neue Perspektiven auf die verschiedenen Geschichtskulturen eröffnen können. Dadurch werde auch deutlich, dass Public History eben nicht „nur“ ein akademisches Fach ist, sondern eine gesellschaftliche Sphäre mit enormer Bedeutung. Auch für Cauvin gehe es bei einer international gelehrten Public History vor allem darum, in verschiedenen Ländern und damit auch in verschiedenen Geschichtskulturen aktiv und selbstreflexiv zu sein.

Es gebe weltweit zwar bereits Public-History-Studiengänge und es kämen dauerhaft neue hinzu, so Cauvin, jedoch wies er auf den Mangel an nichtenglischen Materialien und Literatur hin. Die Definitionen und Verständnisse von Public History müssten noch viel stärker dezentralisiert werden. Herausforderungen für eine internationalisierte Lehre sieht Cauvin vor allem in unterschiedlichen Lehrkulturen sowie administrativen Hürden. Mit Blick auf den Umgang mit Ländern ohne freie Forschungslandschaft sprach er sich dafür aus, diese anderen Verständnisse der Vergangenheit zuzulassen, sie aber auch kritisch zu diskutieren. Nur ein solches Vorgehen entspreche einem demokratischen Verständnis von Public History. Für Cauvin überwogen trotz aller Herausforderungen die Vorteile einer stärkeren Internationalisierung, und er machte am Ende seines Vortrages den Vorschlag für einen europäischen Public-History-Masterstudiengang, an dem mehrere Universitäten beteiligt sein könnten. Cauvins Idee fand unter den Workshop-Teilnehmer:innen große Zustimmung.

Die Organisator:innen des Panels zum Studium von Public History betonten die Bedeutung des Feedbacks von Studierenden der verschiedenen Studienangebote. Es ging dabei sowohl um die allgemeine Reflexion verschiedener Public-History-Studiengänge, aber auch um die Perspektive von Studierenden auf die Lehre während der Pandemie.

Von Letzterem konnte vor allem EVA KÖNIG (Köln) berichten. Sie hatte ihr Public-History-Studium 2019 begonnen und erlebte also den Großteil ihres Masters online. Aus Studierendensicht hob sie zwar auch positive Aspekte der Corona-Zeit hervor, etwa einen „Zwang zur Innovation“, bewertete die meisten Begleiterscheinungen aber eher kritisch. Beispielsweise erwähnte sie das plötzliche Gebundensein an den eigenen Schreibtisch, den fehlenden Bibliothekszugang sowie große Schwierigkeiten beim Finden eines Praktikumsplatzes. Thorsten Logge ergänzte, dass sich Lehrende ähnlichen Herausforderungen gegenübersahen. Er wünsche sich deshalb für die Zeit nach der Pandemie, dass das Verständnis füreinander zwischen Lehrenden und Studierenden noch mehr in den Fokus gerückt würde.

CÉLINE HUG (Luzern) merkte zum Studium während der Pandemie an, dass ihr die Beibehaltung der grundsätzlichen Studienstruktur trotz „distant learning“ sehr geholfen habe. Als schwierig empfand sie es, bei Online-Projekten wirklichen Teamgeist aufkommen zu lassen. Grundsätzlich beschrieb sie ihren Studiengang als sehr praxisorientiert und mit Vertiefungsmöglichkeiten in zahlreichen verschiedenen Bereichen der Public History. Auch DANIEL RICHTER (Luxemburg) hob positiv die Vielzahl an Praxisprojekten in seinem vorangegangenen Master an der Freien Universität Berlin hervor.

Kritik übte Hug vor allem daran, dass man zu Beginn des Studiums, mit Blick auf pädagogisch-didaktische Kenntnisse, sehr ins kalte Wasser geworfen werde. Sie hätte sich hier einen Kurs zur Einführung in pädagogische Konzepte gewünscht. ZOE STUPP (Bochum) berichtete von ähnlichen Erfahrungen, wobei die Zweiteilung ihres Studiums in einen fachwissenschaftlichen und einen Public-History-Teil geholfen habe, sich an bereits Bekanntem zu orientieren.

Grundsätzlich wünschten sich die Studierenden und Absolvent:innen im Sinne einer shared authority einen gleichberechtigteren Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden, etwa mit Blick auf die Interpretation von Geschichtsprodukten. Nach wie vor bestehe ein deutliches Machtgefälle, auch weil die Lehrperson am Ende diejenige sei, die Noten verteile. Die anwesenden Lehrenden stimmten dem zwar grundsätzlich zu, sahen aber auch Probleme in der praktischen Umsetzung im universitären Alltag.

Dass sich die Public History in der Lehre stets erweitert, wurde im nächsten Panel zu neuen Studienprogrammen deutlich. So beschrieb etwa BIANCA HOENIG (Regensburg) den an der dortigen Universität angebotenen Masterstudiengang „Public History und Kulturvermittlung“, der seit dem Wintersemester 2018/19 läuft und Plätze für bis zu 20 Studierende pro Jahrgang bietet. Gefestigt werde das Angebot künftig durch eine Juniorprofessur Public History. Ebenso erzählte Hoenig vom „Zentrum Erinnerungskultur“ in Regensburg, das sich aktuell im Aufbau befindet. Dessen Ziel werde die Verzahnung von universitärer und angewandter Auseinandersetzung mit Erinnerung sein, wobei es als Schnittstelle für entsprechende Akteur:innen dienen soll.

WOLFGANG KRUSE (Hagen) informierte über die an der Fernuniversität noch sehr allgemeinen Planungen im Bereich der Public History; der Bewerbungsprozess für die dort vorgesehene Professur läuft noch. Fest stehe aber schon, dass Public History in bestehende Studiengänge integriert werden soll, um einen Masterabschluss mit entsprechendem Schwerpunkt zu ermöglichen. Die historische Teildisziplin sei mit einer raum- und epochenübergreifenden Perspektive geplant, wobei vor allem ein vormoderner und globaler Blick auf historische Themenbereiche beabsichtigt ist.

ANNA VALESKA STRUGALLA (Tübingen) stellte das 2016 gegründete Institut für Geschichtsdidaktik und Public History vor. Aufgrund fehlender personeller Kontinuität stehe dort aktuell vor allem die Lehrer:innenausbildung im Fokus. Trotzdem gebe es diverse Forschungs- und Praxisprojekte dezidiert aus dem Bereich Public History, zum Beispiel die Lernplattform „Offene Geschichte“ und die Namibia-Initiative. Beim Public-History-Verständnis an der Universität Tübingen stehe das Konzept der Geschichtskultur im Zentrum, wobei Strugalla inhaltlich das Thema „koloniales Erbe“ hervorhob.

Es folgte eine zukunftsgewandte Podiumsdiskussion zum Thema „Wie weiter in der (Digital) Public History?“ In seinem Eröffnungsstatement sprach sich THORSTEN LOGGE (Hamburg) unter anderem für eine glokale (globale und lokale) Perspektive der Public-History-Lehre sowie eine stärkere Nutzung und Vermittlung digitaler Tools aus. JULIANE TOMANN (Jena) knüpfte hier an, da auch sie sich eine stärkere Professionalisierung der Lehre wünscht. Der Übergang von analog zu digital funktioniert ihrer Meinung nach nur durch die Einbeziehung professioneller Akteur:innen aus den jeweiligen Bereichen.

Auch THEKLA KEUCK (Bremen) betonte die Herausforderungen der langfristigen Verbindung von digitaler und traditioneller Lehre. Aus Sicht der Lehrenden müsse der digitale Wandel als ein ganzheitliches Phänomen wahrgenommen werden, wobei sie weiterhin die Didaktik als eine der Kernkompetenzen verstehe. FRANK DRAUSCHKE (Berlin) ergänzte diesen Punkt, indem er sich wünschte, dass Public History überhaupt nicht mehr ohne das Digitale gedacht werde. Für ihn sei darüber hinaus vor allem wichtig, dass Studierenden praktische Fähigkeiten vermittelt werden.

In der Abschlussdiskussion wurden zahlreiche Aspekte nochmals hervorgehoben, die schon zuvor im Workshop diskutiert worden waren. Breite Zustimmung fanden beispielsweise der Wunsch nach einer stärkeren nationalen und internationalen Vernetzung der Lehre, der Eigenanspruch einer strukturierten Nutzung von digitalen Tools unter Zuhilfenahme professioneller externer Partner:innen und eine noch stärkere Betonung von praktischen Elementen der Public History.

Der Workshop wollte sowohl eine Bestandsaufnahme speziell zur digitalen Lehre unter den Bedingungen von Covid-19 liefern als auch den Blick in die Zukunft richten. In ihrem Schlusswort ging Irmgard Zündorf auf diesen letzten Punkt ein und fasste die praktischen Vorschläge zusammen, die aus dem Workshop mitgenommen werden konnten. So nahmen sich die Lehrenden den Aufbau eines „Digitalen Public History Campus“ sowie die Einrichtung einer digitalen Ringvorlesung unter Beteiligung mehrerer Universitäten und Hochschulen vor. Ebenso sollten Planungen in Gang gesetzt werden, den Workshop künftig jährlich stattfinden zu lassen, wobei jedes zweite Mal eine reine Online-Veranstaltung sein könnte.

Konferenzübersicht:

Panel 1: Public History in Zeiten von „social distancing” und “distant learning”

Christine Gundermann (Universität Köln), Ulrike Weckel / Clemens Tangerding (Universität Gießen), Jörg Requate (Universität Kassel), Andreas Fickers (Universität Luxemburg)

Panel 2: Digital Public History

Eva Bischoff (Universität Trier), Nils Steffen (Universität Hamburg), Christine Szkiet (Universität Luzern), Christian Bunnenberg (Universität Bochum)

Vortrag

Thomas Cauvin (Universität Luxemburg): Public History international

Panel 3: Public History studieren: Reflexionen von Studierenden und Absolvent:innen

Céline Hug (Universität Luzern), Daniel Richter (Centre for Contemporary and Digital History (C²DH, Luxemburg), Zoe Stupp (Universität Bochum), Eva König (Universität Köln)

Panel 4: Neue Studienprogramme stellen sich vor

Bianca Hoenig (Universität Regensburg), Wolfgang Kruse (FernUniversität Hagen), Anna Valeska Strugalla (Universität Tübingen)

Podiumsdiskussion: Wie weiter in der (Digital) Public History?

Thorsten Logge (Universität Hamburg), Thekla Keuck (Universität Bremen), Frank Drauschke (Facts & Files, Berlin), Juliane Tomann (Imre Kertész Kolleg Jena)


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