Die Billunger zwischen Westfalen und der Ostsee. Dynastisches Agieren im mittelalterlichen Reich und seinen Randzonen

Die Billunger zwischen Westfalen und der Ostsee. Dynastisches Agieren im mittelalterlichen Reich und seinen Randzonen

Organisatoren
Florian Hartmann, Lehr- und Forschungsgebiet Wissensdiskurse des Mittelalters, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen University
Ort
Ratzeburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.09.2021 - 11.09.2021
Url der Konferenzwebsite
Von
Caroline Galla, Lehr- und Forschungsgebiet Wissensdiskurse des Mittelalters, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen University

Die Billunger kennzeichnen, wie FLORIAN HARTMANN (Aachen) in seiner Einführung darlegte, eine einmalige herzogliche Herrschaftskontinuität im Reich, die über fünf Generationen in Sachsen Bestand haben sollte. Indes sind die Billunger im Gegensatz zu anderen Dynastien, etwa den Welfen oder den Askaniern, weitgehend unbekannt. Und auch der Grenzraum des Reiches, in dem die Billunger als Markgrafen agierten, erscheint nur unzureichend von der Forschung beleuchtet. Bis auf einige Dissertationen aus den 1950er-Jahren sind keine Überblicksdarstellungen zu den Billungern und ihrem Herrschaftsraum vorhanden und auch ein Sammelband zu den Billungern bleibt ein Desiderat der Forschung. Dem etwas entgegenzutreten, nahm sich die dreitägige Tagung vor.

Schwerpunktmäßig sollten hierbei die Billunger in ihrem Agieren in weltlichen und geistlichen Netzwerken und deren Aktivitäten in einem Grenz- und Kontaktraum, der nicht allein als Ort der Konfliktaustragung fungierte, sondern als Gebiet wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs Bestand hatte, Betrachtung finden.

Die erste Sektion der Tagung suchte die Billunger als Familienverband und ihr Herzogtum in Sachsen zu fassen. Die Anfänge des Herzogtums Sachsen durch Hermann Billung veranschaulichte MATTHIAS BECHER (Bonn). Entgegen der Meinung der älteren Forschung, das Herzogtum Sachsen sei allmählich aus den von Otto dem Großen an Hermann Billung in den Jahren 953, 961 und 966 übertragenen procurationes entstanden, argumentiert Becher, dass Hermann Billung vielmehr bereits seit 953 mit dem Titel und den Aufgaben eines Herzogs betraut wurde. Der Aufstieg Hermanns habe sich hierbei in drei Schritten vollzogen: die Ernennung Hermanns zum princeps militiae durch Otto den Großen 936, der Aufstieg zum Herzog im Jahr 953, und die in einer Spätphase Ottos des Großen fassbare Stellung Hermanns als königsgleicher Herzog in Sachsen.

Den Spuren des billungischen Verwandtenverbandes ging GERHARD LUBICH (Bochum) anhand zweier grundlegender Bindungsmechanismen von Verwandtenkreisen nach: die Abstammungsverwandtschaft sowie die in der Heiratspolitik fassbare aktive Herstellung von Verwandtschaften. Der Forschungsmeinung, die Verwandtschaft hierbei als bedeutendstes Werkzeug zur Charakterisierung der Billunger zu verstehen, sei mit Vorsicht zu begegnen. Die Vorstellung eines geschlossenen Stemmas der Billunger rühre aus einem Konstrukt der Nachzeit, in der deren Amtskontinuität mit genealogischen Erklärungsmustern vereint wurde, wie das Stemma aus dem Ordinarius von St. Blasius in Braunschweig (NLA Wolfenbüttel, VII B Hs Nr. 129, fol. 47v) veranschauliche. Indes lasse sich bei Betrachtung der zeitgenössischen Quellen des 10. und 11. Jahrhunderts eine Reduzierung eines weiten Verwandtschaftskreises der Billunger auf eine Familie des sächsischen Hochadels, die über fünf Generationen fassbar werde, feststellen.

Einen Überblick über die Wahrnehmung der billungischen Herzöge und ihrer chronikalisch belegten Verwandten in den verschiedenen zeitgenössischen historiographischen Darstellungen bot HANS-WERNER GOETZ (Hamburg). Hierbei werde ein ambivalentes Bild der Billunger deutlich: In den nahezu ausschließlich aus der Feder sächsischer Autoren verfassten Belegen rücken nicht deren Geschlecht, sondern oftmals im Kontext einzelner Ereignisse allein die Herzöge und einzelne Träger unter ihren nächsten Verwandten in das Interesse der zeitgenössischen Historiographen. Dabei sei die Wertung der einzelnen Vertreter höchst unterschiedlich ausgefallen. Erst der Annalista Saxo habe die verstreuten Belege zusammengefasst und durch eigene Ergänzungen zu den Verwandtschaftsverhältnissen eine Genealogie der Billunger verfasst.

Mit einer Neubewertung ihrer 2009 erschienenen Arbeit zu den billungischen Klöstern leitete NATHALIE KRUPPA (Göttingen) die zweite Sektion ein, die auf das Agieren der Billunger in den geistlichen Sphären blickte. Dabei rückten sowohl Urkunden als auch Memorialquellen in den Blickpunkt ihrer Betrachtungen, um den Einfluss der Billunger auf die mit ihnen in Verbindung gebrachten Klöster und Stifte zu erläutern. Insgesamt lasse sich festhalten, dass es sich hierbei um eine geringere Anzahl an Klöstern handele als 2009 angenommen. Während verschiedene Verbindungen der Billunger zu geistlichen Kommunitäten in Sachsen fassbar werden, seien diese Kontakte, mit Ausnahme des St. Michaelis Klosters in Lüneburg, kurzzeitig gewesen. Weiter zeige sich, dass die von der Forschung konstruierten Billungerklöster vornehmlich mit der ebenfalls konstruierten wichmännischen Linie sowie den vermeintlichen Vorfahren der Billunger zu finden seien.

Inwiefern die billungischen Herzöge und ihre Familie Kontakte zu Mitgliedern des ostfränkisch-deutschen Episkopats pflegten, beleuchtete TOBIAS JANSEN (Bonn) anhand einer exemplarischen Untersuchung der Nekrologien des Klosters St. Michaelis in Lüneburg, des Stiftes Borghorst (Münster, Landesarchiv NRW. Abteilung Westfalen, Msc. VII, Nr. 1322, f. 19r-56r) und des Stiftes Möllenbeck. Demnach habe sich das geistliche Netzwerk der engen Verwandtschaft der Billunger allein in Ausnahmefällen über deren geistlichen Schwerpunkt in Verden ausgedehnt. Indes lasse sich in den billungischen Nekrologien ein breites Netzwerk an zum Teil mehrfach in diesen Quellen erwähnten Bischöfen und Erzbischöfen erkennen. Dies vermittele den Eindruck eines personellen Handlungsspielraums der reichspolitisch bedeutsamen Akteure bezogen auf die obersten Mitglieder des Episkopats im Reich, der auf interpersonellen Beziehungen beruhe.

Die dritte Sektion suchte das Wirken der Billunger in der weltlichen Sphäre aufzuzeigen und wurde von ROBERT GRAMSCH-STEHFEST (Jena) eröffnet. Er präsentierte eine netzwerktheoretische Sozialstrukturanalyse der im Annalista Saxo dargestellten sächsischen Adelsnetzwerke des 11. und 12. Jahrhunderts. An den Clusterbildungen und Zentralitätswerten der insgesamt 21 führenden Adelsfamilien in einem Soziogramm zeige sich, dass das Adelshaus der Northeimer sowie die Grafen von Stade eine hervorgehobene Position innehatten. Die unscheinbare Stellung der Billunger innerhalb der sächsischen Adelsfamilien müsse hierbei als Konsequenz ihrer überregionalen Heiratspolitik und ihrer ständischen Exklusivität gedeutet werden.

Dem Phänomen der billungischen Herzogsherrschaft im Vergleich zu den süddeutschen Herzogtümern Bayern und Schwaben im 11. Jahrhundert widmete sich JÜRGEN DENDORFER (Freiburg im Breisgau). Demnach habe sich die Sonderstellung des Herzogtums in Sachsen durch die auf Erblichkeit beruhende Kontinuität der Herzogsherrschaft und der damit verbundenen Akkumulation von Besitz und Herrschaftsrechten der Billunger geäußert, die den süddeutschen Herzögen nicht mehr möglich war. Ebenso werde anhand verschiedener Auseinandersetzungen mit dem Königtum deutlich, dass sich die Billunger als Vertreter der Sachsen verstanden und sich somit von dem Amtsverständnis als Unterstellte des Königs abhoben.

Welche Akteure suchten mit welchen Argumenten in der Folgezeit der Billunger Ansprüche auf das Herzogtum Sachsen gültig zu machen? Dieser Frage widmete sich FLORIAN HARTMANN (Aachen) in seinem Vortrag zur Nachfolge der Billunger unter den Welfen und Askaniern. Nach der Erhebung Lothars von Süpplingenburg zum König 1125 und der anschließenden Hochzeit zwischen dessen Tochter und Heinrich dem Stolzen 1126/27 habe die virulente Frage der Nachfolge der Herzogsherrschaft – insbesondere im Herrschaftsraum der Askanier – zu Unruhen geführt. Bezeichnend sei hierfür ein zuerst im Jahr 1869 von Otto von Heinemann im Codex Diplomaticus Anhaltinus bearbeitetes und auf das Jahr 1047 datiertes Schreiben eines gewissen Presbyter G. an einen gewissen E., in dem Albrecht der Bär als Garant des Friedens in Sachsen angesprochen wird. Die Neubewertung der Zeitfassung innerhalb des Briefes erlaube eine Neudatierung auf die späten 1120er-Jahre. Damit werde deutlich, dass die Askanier durch ihre billungische Tradition und ihre Vernetzungen innerhalb Sachsens sowohl in der eigenen als auch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen Ansprüche auf das Herzogtum geltend machen konnten und dass Albrecht der Bär Ende der 1120er-Jahre diese Ansprüche durchzusetzen suchte.

In seinem öffentlichen Abendvortrag behandelte GERD ALTHOFF (Münster) Leitlinien politischen Agierens der Billunger anhand zweier für die mittelalterliche Politik prägender Begriffe: das adelige Widerstandsrecht der coniuratio und der rebellio. Das adelige Selbstverständnis der Billunger sowie ihre Vernetzung innerhalb Sachsens habe sich in ihrer wiederholten Nutzbarmachung der coniuratio zur Stärkung ihrer Stellung geäußert. In den ersten drei Generationen billungischer Herzöge sei diese Form der Gruppenbildung zu einer Schwureinigung vor allem den Auseinandersetzungen mit dem Königtum entsprungen. Erst in der letzten Phase der billungischen Herrschaft sei im Konflikt mit Heinrich IV. die coniuratio zunehmend neuen Verhandlungsformen zwischen der sächsischen Elite und dem Herrscher gewichen, in denen die Billunger in den Hintergrund politischen Agierens gerückt seien.

Mit einer Neubewertung des durch Adam von Bremen entworfenen Bildes von Herzog Ordulf eröffnete CAROLIN TRIEBLER (Aachen) die letzte Sektion, die das Agieren der Billunger in den Kontaktzonen an den Grenzen des Reiches in den Blick nahm. Dabei wurden neben nordischen Quellen wie der Heimskringla auch diplomatische Quellen ebenso wie ein Brief des Bischofs Gunther von Bamberg an Anno von Köln aus dem Jahr 1063 herangezogen. Entgegen einer bei Adam durch wiederholte Niederlagen gegen die Elbslawen skizzierten Herzogsherrschaft Ordulfs, trete dieser dort als kriegserfahrener Herzog im Bündnis mit dem König von Dänemark und Norwegen, als Verteidiger des sächsischen Reichsgebietes und als Diplomat von reichspolitischer und internationaler Relevanz in Erscheinung.

RAINER-MARIA WEISS (Hamburg) gewährte in seinem Vortrag einen Einblick in die archäologischen Erkenntnisse der Ausgrabungen um die Neue Burg in Hamburg, die in einem lapidaren Eintrag bei Adam von Bremen Erwähnung fand. Nach Aufgabe der Hammaburg sei diese vermutlich zeitgleich zum Heidenwall an der Alster unter Bernhard II. errichtet worden. Anhand einer dendrochronologischen Analyse des Holzes ließe sich deren Bauzeit in die Jahre zwischen 1021 und 1023 datieren. Es werde durch die Größe der Burganlage deutlich, dass die Neue Burg quasi als zweite Hauptresidenz der Billunger diente und dass Hamburg als Zentralraum der Nordelbe fungierte.

GÜNTHER BOCK (Großhansdorf) untersuchte das Agieren der Billunger im nordelbischen Raum. Das sächsische Nordelbien habe den Billungern als sächsisches Hinterland sowohl Rückhalt als auch einen Rückzugsort geboten. Dabei seien kulturelle Kontakträume bereits ab 1043 nördlich der Elbe erkennbar: der mit Ratzeburg vergleichbare Kontaktraum an der Sadelbande im Vorfeld der Ertheneburg, der Kontaktraum an der oberen Bille im Zuge der Aktivitäten des Billungers Thietmar II. und der Kontaktraum an der westlichen Trave, der über 1127 hinaus unter der Herrschaft von Nachkommen des Abodritenkönigs Heinrich geblieben sei. Weiter könne über den Grafen Heinrich I. von Hamburg eine herrschaftliche Kontinuität zwischen dem billungischen Herzogshaus im 11. Jahrhundert und den Edelherren von Barmstede im 12. und 13. Jahrhundert in jenen Gebieten rekonstruiert werden.

Der Stellung der Billunger in der nordelbischen Geschichte und in der schleswig-holsteinischen Geschichtsforschung widmete sich OLIVER AUGE (Kiel). An verschiedenen Beispielen der jüngeren landesgeschichtlichen Forschung bezüglich der Verwandtschaftsbeziehungen der Billunger und deren Nachfahren, der Genese des Overbodenamts und dem Verhältnis zu den slawischen Nachbarn verdeutlichte er, dass auch in der jüngeren Forschung zu den Billungern im nordelbischen Raum ein reges Diskussionspotential bestehe und geführt werde.

Die verschiedenen und vielfältigen Beiträge in Bezug auf die Billunger, ihre Herzogsherrschaft und ihre Vernetzungen innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen bestätigten, wie erhellend und gewinnbringend ein kollektiver Zugriff für ein neues Verständnis der Stellung der Billunger immer noch ist. Dabei wurde deutlich, wie ambivalent die Billunger nicht allein innerhalb der zeitgenössischen Geschichtsschreibung, sondern bis heute in der Forschung sind. Eine kritische Neubetrachtung und Ausweitung des Quellenmaterials ermöglicht hierbei, das Bild der Billunger neuzubewerten.

Konferenzübersicht:

Florian Hartmann (Aachen): Begrüßung und Einführung

Sektion I: Dynastie und Herzogtum

Matthias Becher (Bonn): Hermann Billung und die Anfänge des sächsischen Herzogtums

Gerhard Lubich (Bochum): Die Billunger als Verwandte

Hans-Werner Goetz (Hamburg): Die Billunger in der zeitgenössischen Historiographie

Sektion II: Agieren in geistlichen Sphären

Nathalie Kruppa (Göttingen): Die Klöster der Billunger

Tobias P. Jansen (Bonn): Blut ist dicker als Weihwasser. Billunger im ostfränkisch-deutschen Episkopat und geistliche Netzwerke in der billungischen Memorialliteratur

Sektion III: Agieren in weltlichen Sphären

Robert Gramsch-Stehfest (Jena): Das Netzwerk des sächsischen Hochadels im 11. und 12. Jahrhundert

Jürgen Dendorfer (Freiburg i. Br.): Die Billunger im spätsalischen Reich. Ein vergleichender Blick aus der Reichsperspektive

Florian Hartmann (Aachen): Billunger, Welfen, Askanier: Kontinuitäten und Neuanfänge im 12. Jahrhundert

Gerd Althoff (Münster): Verschwörung und Rebellion als politische Strategie der Billunger

Sektion IV: Agieren in Kontaktzonen am Rande des Reiches

Carolin Triebler (Aachen): Herzog Ordulf von Sachsen – Ein Billunger im Schatten seiner Vorgänger?

Rainer-Maria Weiss (Hamburg): Das archäologische Erbe der Billunger: Die Ausgrabungen an der Neuen Burg in Hamburg

Günther Bock (Großhansdorf): Burgen, Kontakträume, Herrschaften, Erbgänge – Überlegungen zu den Aktivitäten der Billunger nördlich der Elbe

Oliver Auge (Kiel): Die Billunger in der nordelbischen Geschichte und schleswig-holsteinischen Geschichtsforschung


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts