„Active Promotion of the European Ideal“? – Europabezüge in deutsch-britischen Städtepartnerschaften

„Active Promotion of the European Ideal“? – Europabezüge in deutsch-britischen Städtepartnerschaften

Organisatoren
Ute Schneider / Nina Szidat, Abteilung für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Duisburg-Essen
Ort
Essen
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.02.2022 - 11.02.2022
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Von
Alexander Heit, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Städtepartnerschaften etablierten sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges als populäre Form grenzüberschreitender kommunaler Kontakte. Als Forschungsgegenstand liegen sie quer zu verschiedenen Disziplinen, etwa den Cold-War-Studies, denen sie als Beleg für die Durchlässigkeit des Eisernen Vorhanges gelten, oder der New Public Diplomacy, die den klassischen Diplomatiebegriff auf nicht-staatliche Akteure ausdehnt. Unter dem Schlagwort „kommunale Außenpolitik“ rückten sie unlängst auch in das Blickfeld der europäischen Zeitgeschichte, die sich in den vergangenen Jahren von ihrem überwiegend institutionengeschichtlichen Zugang löste und sich einem breiteren Spektrum von Akteuren und Themenfeldern annahm.

Der Workshop griff diese und weitere Perspektiven auf und verknüpfte sie mit einer Synthese und Reflexion vorläufiger Forschungsergebnisse des gleichnamigen DFG-Projekts, das derzeit an der Universität Duisburg-Essen durchgeführt wird. Die Vorträge, die sich mehrheitlich auf im Vorfeld ausgegebene Diskussionsanregungen stützten, näherten sich dem Verhältnis von Städtepartnerschaften, Außenpolitik und transnationalen Ordnungsvorstellungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln an und offerierten eine Erweiterung des bislang oft auf reine „Erfolgsgeschichten der europäischen Integration oder einer blockübergreifenden Entspannungspolitik von unten“1 hinauslaufenden Narrativs. Mehr noch als die schriftlichen Beiträge wies die Diskussion über die deutsch-britische Dimension hinaus.

In ihrer Einführung stellten UTE SCHNEIDER und NINA SZIDAT (beide Essen) das Projekt vor und betonten die Aktualität des Forschungsvorhabens. Nicht zuletzt infolge der Ernüchterung über den Brexit sei in der Europaforschung ein Paradigmenwechsel eingetreten; nach ihrer anfänglichen Euphorie über das vermeintlich geglückte Projekt wende sie sich nun stärker Konflikten, Ambivalenzen und Widerständen zu.2 Eine Untersuchung der europäischen Dimension von Städtepartnerschaften, die stets in ihrer Relation zur staatlichen Außenpolitik zu betrachten seien, stehe noch aus und sei vor diesem Hintergrund überfällig.

In ihrem Eröffnungsvortrag gab NINA SZIDAT einen konzisen Überblick über die Etablierung von Städtepartnerschaften in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 und verwies auf die Bedeutung städtischer Eigenlogiken und der Konkurrenz um ein „Drittes“ (Tobias Werron). Am Beispiel der Partnerschaften Kiel/Coventry (1967) und Bocholt/Rossendale (1952/1977) verdeutlichte Szidat, welche Rolle Europa bei der Selbstverortung der Partnerschaften zukam. Verorteten die Kieler Kommunalpolitiker ihre Stadt weniger als „Gemeinde Europas“ – wie dies etwa proeuropäische Verbände taten – als vielmehr durch ihre Vernetzung im Ostseeraum, so diente die Partnerschaft zu Rossendale dem wirtschaftlich angeschlagenen Bocholt als Bezugspunkt für die Neuerfindung des städtischen Selbstbildes. Aus der ehemaligen Textilstadt wurde die „Europastadt Bocholt“, die ihre Städtepartnerschaften ausdrücklich als „Beitrag zur Europa-Idee“ verstanden wissen wollte und sich intensiv um den Europapreis des Europarates bemühte.

MARTINA STEBER (München) fragte in ihrem Kommentar nach den Spezifika deutsch-britischer Städtepartnerschaften und regte an, den britischen Kontext noch stärker zu berücksichtigen. So seien die Städtepartnerschaften Großbritanniens nach 1945 vor dem Hintergrund des Dekolonisierungsprozesses zu lesen, der zu einer Suche nach einem neuen Platz in der Welt geführt habe. Ebenso sei zu fragen, inwiefern das im Zweiten Weltkrieg formierte Selbstverständnis der Briten mit den Partnerschaften zu deutschen Städten konfligierte – hier eröffnen sich Steber zufolge Anschlussmöglichkeiten zu aktuell geführten Debatten über britishness.

LARISSA WAGNER (München) widmete sich der Partnerschaft von Würzburg/Mwanza (1966) und den Handlungsspielräumen einzelner Akteure. Bei dieser ersten Städtepartnerschaft zwischen einer bayerischen Gemeinde und einer Kommune in einem sogenannten Entwicklungsland handelte es sich Wagner zufolge um eine Form der Entwicklungszusammenarbeit, die Anfang der 1960er-Jahre auf kommunalpolitischem Parkett noch kaum eine Rolle spielte; angesichts des deutsch-deutschen Systemwettstreits wurde sie seitens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit aber zunehmend forciert. Aus strukturellen und personellen Gründen kam die Partnerschaft mehrfach zum Erliegen, so etwa infolge der Auflösung der kommunalen Verwaltungsstrukturen in Tansania in den 1970er-Jahren sowie personeller Veränderungen im Amt des Oberbürgermeisters, von dessen Engagement die Aufrechterhaltung der gegenseitigen Beziehungen maßgeblich abhängig gewesen war. Gleichwohl sei die Partnerschaft insgesamt als positives Beispiel der Entwicklungszusammenarbeit zu betrachten.

In seinem Kommentar schlug MALTE THIESSEN (Münster) drei Perspektiven auf die Partnerschaft von Würzburg/Mwanza vor. Zum ersten sei nach Pfadabhängigkeiten und postkolonialen Verflechtungen zu fragen, die etwa über konfessionelle Einrichtungen vor Ort in den Blick genommen werden und Aufschluss über die Herausbildung spezifischer Formen geben könnten. Zum zweiten stellte Thießen Städtepartnerschaften in ihrer Funktion als „kommunale Kompensationsstrategie“ heraus, die eine Flexibilisierung der Hallstein-Doktrin erlaubten. Zum dritten betonte er die Wichtigkeit gesellschaftlicher Diskurse und ihren Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung von Städtepartnerschaften, die heute etwa zunehmend unter dem Eindruck von Diversifikation und Ökologie stehen.

Nicht eine einzelne Partnerschaft, sondern die Organisation kommunaler Beziehungen durch Verbände wie der Fédération Mondiale des Villes Jumelées (FMVJ) standen im Zentrum des Beitrags von CHRISTIAN RAU (München/Berlin). Wie Rau herausstellte, nutzte die DDR ihr Engagement in der FMVJ vor allem dazu, ihren Anspruch auf diplomatische Anerkennung durchzusetzen. Allerdings nahm die Bedeutung dieses Engagements mit der Schwerpunktverlagerung der FMVJ auf den Globalen Süden sukzessive ab. Die Transformationszeit wiederum bedeutete für die Städtepartnerschaften der DDR keinen harten Bruch, wie Rau am Beispiel von Dresden/Coventry (1959) ausführte. Gleichzeitig dienten neue Partnerschaften wie die von Leipzig/Birmingham (1992) explizit der Einbindung in einen gesamteuropäischen Rahmen, wobei Birmingham als Musterbeispiel für die erfolgreiche Bewältigung des Strukturwandels gelte.

In ihrem Kommentar unterstrich REINHILD KREIS (Siegen), dass der Zugang über Dachorganisationen neue Perspektiven auf Städtepartnerschaften ermögliche und quer zu etablierten Kategorien wie Staat, Block oder Zeit liege. Die Organisation in Verbänden eröffneten neue Handlungsspielräume für die lokalen Akteure, wobei sie die etablierten Spielregeln der übergeordneten Organisationseinheiten stören konnten. Ferner regte Kreis an, den Blick auf Städtepartnerschaften um eine emotionsgeschichtliche Dimension sowie eine vertiefte Untersuchung von Praktiken und Performanz zu ergänzen.

DOROTHEE WIERLING (Hamburg/Berlin) widmete sich ebenfalls der DDR und betrachtete die Partnerschaft von Hamburg/Dresden (1987) aus der Perspektive des Ministeriums für Staatssicherheit. Dieses hatte vor einer unvorsichtigen Ausweitung deutsch-deutscher Städtepartnerschaften gewarnt und unternahm große Anstrengungen, um die Begegnung von West- und Ostdeutschen einzuhegen. Letztlich scheiterte es jedoch an der fehlenden Unterstützung durch die SED-Bezirksleitung, die an der Partnerschaft festhielt und auf einen Reputationsgewinn hoffte. Weil auch die Dresdner Bevölkerung mit wachsendem Selbstbewusstsein Besuche in der Partnerstadt einforderte, sei die Städtepartnerschaft auch als Beleg des zunehmenden Auseinanderdriftens von Staat und Gesellschaft zu interpretieren.

In seinem Schlusskommentar nahm FRANK SCHORKOPF (Göttingen) eine juristische Einschätzung von Städtepartnerschaften vor. Eine kommunale Außenpolitik sei nur durch das Konstrukt der „örtlichen Angelegenheit“ möglich, mit der die alleinige Zuständigkeit des Staates in Fragen der Außenpolitik unterlaufen werde. Allerdings sei angesichts von global wie lokal relevanten Themen wie Menschenrechten oder Friedenspolitik kaum zu unterscheiden, in welchen Fällen es sich (auch) um eine „örtliche Angelegenheit“ handele. Zugleich seien Städtepartnerschaften kaum reglementiert; allenfalls sei von einer nicht bindenden Normativität im Sinne von soft law zu sprechen. Schorkopf wies auch auf neuere juristische Perspektiven auf Städtepartnerschaften hin, die als „warme Seite“ einer „kalten“, da vornehmlich institutionellen, europäischen Integration fungieren.

Die überaus engagierte Abschlussdiskussion bündelte die vorausgegangenen Kommentare und Diskussionen, die in diesem Bericht nur zusammenfassend dargestellt werden sollen. Einen zentralen Stellenwert nahm die Debatte über den oftmals normativ aufgeladenen Begriff „Partnerschaft“ ein, der als Quellenbegriff zu historisieren sei. Englische Entsprechungen wie town-twinning oder adoption konkurrieren ebenfalls mit dem Begriff partnership – der wiederum eine eigene Etymologie aufweist –, was auch zeitgenössisch reflektiert wurde. Wie Steber hervorhob, dürfe der einheitliche Begriff nicht dazu verleiten, die teils gravierenden Unterschiede zwischen den betrachteten Städten zu verwischen. Als aufschlussreiche Analysekategorie erwies sich ferner die Generation, da der gesellschaftliche Wandel auch die Ausgestaltung der Städtepartnerschaften maßgeblich beeinflusste: Bedeuteten Städtepartnerschaften in den 1960er- und 1970er-Jahren gerade für weniger privilegierte Gruppen noch einen Zugewinn an Mobilität, so tritt dieser Aspekt heute in den Hintergrund. Initiatoren der ersten Städtepartnerschaften stießen folglich auf gänzlich andere Rahmenbedingungen als gegenwärtige Kommunalpolitiker, womit die Entwicklung konkreter Formen und Praktiken von Städtepartnerschaften stärker zu berücksichtigen ist. Kritisch reflektiert wurde nicht zuletzt die Frage, inwiefern „das Europäische“ im Zentrum der vorgestellten Städtepartnerschaften stand, dürften doch die Konstruktion eines neuen Selbstverständnisses (etwa Bocholt) oder diplomatische Anerkennung (etwa Dresden) mindestens gleichwertige Motive für die Etablierung translokaler und transnationaler Beziehungen gewesen sein. Gleichwohl wurde deutlich, dass der Zugang über Städtepartnerschaften eine bereichernde Perspektive auf das „Projekt Europa“ eröffnet – diese ist gerade mit Blick auf gesellschaftliche wie politische Entwicklungen und aktuelle Diskurse, etwa über De- und Renationalisierung3, zu begrüßen.

Konferenzübersicht:

Ute Schneider / Nina Szidat (Duisburg-Essen): Begrüßung und Einführung

Nina Szidat (Duisburg-Essen): Zwischen Ost-West-Konflikt, Europa und kommunaler Außenpolitik. Internationale Verortung in deutsch-britischen Städtepartnerschaften, 1947–1992

Kommentar: Martina Steber (München)

Larissa Wagner (München): Kommunale Nord-Süd-Verbindungen und Entwicklungspolitik seit den 1960er-Jahren am Beispiel der Städtepartnerschaft Würzburg-Mwanza

Kommentar: Malte Thießen (Münster)

Christian Rau (München/Berlin): Europa als Feindbild und Bezugsraum: Die DDR und die internationale Städtepartnerschaftsbewegung

Kommentar: Reinhild Kreis (Siegen)

Dorothee Wierling (Hamburg/Berlin): Freundschaft mit dem Klassenfeind? Die Rolle des MfS bei der Städtepartnerschaft Hamburg-Dresden (1987–1989)

Frank Schorkopf (Göttingen): Abschlusskommentar aus juristischer Perspektive

Anmerkungen:
1 Malte Thießen, Uneinige Zwillinge. Britisches „Town Twinning“ während des Kalten Kriegs, in: Corine Defrance / Tanja Herrmann / Pia Nordblom (Hrsg.), Städtepartnerschaften in Europa im 20. Jahrhundert, Göttingen 2020, S. 161–181, hier S. 162.
2 Siehe etwa die Beiträge in Mittelweg 36, Heft 1 (2022) unter dem Titel „Havarie Europa“.
3 Siehe Tagungsbericht: HT 2021: Denationalisierung als Gegenstand und Perspektive der Zeitgeschichte, 5.10.2021 – 8.10.2021 hybrid (München), in: H-Soz-Kult, 20.11.2021, <www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-9155>.


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