900 Jahre Stadt Freiburg – 500 Jahre Stadtrechtreformation. Ergebnisse, Kontexte und offene Fragen der Stadtrechtsgeschichte

900 Jahre Stadt Freiburg – 500 Jahre Stadtrechtreformation. Ergebnisse, Kontexte und offene Fragen der Stadtrechtsgeschichte

Organisatoren
Jürgen Dendorfer, Abteilung Landesgeschichte / Frank L. Schäfer, Institut für Rechtsgeschichte und Geschichtliche Rechtsvergleichung, Germanistische Abteilung, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Andreas Jobst, Stadtarchiv Freiburg
Ort
Freiburg und digital
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.10.2021 - 29.10.2021
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Von
Benjamin Torn, Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte I und Abteilung Landesgeschichte, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg / Breisgau

Ausgehend von zwei wichtigen Freiburger Meilensteinen – dem Marktgründungsprivileg von 1120 mit einer anschließenden Urkundenserie bis 12931 sowie der Stadtrechtsreformation des Zasius von 15202 – setzte sich die Tagung zum Ziel, auch der allgemeinen Stadtrechtsforschung neue Impulse zu geben.

Die erste Sektion war den hochmittelalterlichen Rechten gewidmet. MARITA BLATTMANN (Köln) betonte zunächst die Existenz der Gründungsurkunde von 1120, auch wenn sich kein Original erhalten hat. Indem sie auf spätere Texte sowie die von Freiburg abgeleiteten Rechte der Töchterstädte zurückgriff, erläuterte Blattmann, wie sich eine ganze Serie von Urkunden sowie fortgeschriebenen und immer wieder aktualisierten Sammlungen von Rechtssätzen für das 12. Jahrhundert rekonstruieren lässt. Durch diese weite Verbreitung sowie manche Überlieferungszufälle kann für Freiburg schon verhältnismäßig früh die Entwicklung der Stadtrechte erfasst werden.

Für das 13. Jahrhundert konnte MATTHIAS KÄLBLE (Dresden) von einer genau gegenteiligen Überlieferungssituation ausgehen. Für diesen Zeitraum sind sogar Dokumente erhalten, die keine Gültigkeit erlangt haben. Diese erlauben einen Blick auf die innere Entwicklung der Stadt und ihr zunehmendes Selbstbewusstsein in Konflikten mit den Freiburger Grafen als Stadtherren. Besonders deutlich wird dies beim Vergleich des Stadtrodels von 1218, dessen genaue Funktion unklar bleibt, der beiden Stadtrechtsentwürfe von 1275 sowie des darauf aufbauenden und gleichzeitig darüber hinausgehenden Stadtrechts von 1293, das schließlich über 200 Jahre gültig und der maßgebliche Rechtstext bleiben sollte.

STEPHAN DUSIL (Tübingen) suchte in seinem Vortrag unter anderem anhand von drei Beispielen aus Freiburg und Soest nach Kontakten zwischen Stadtrechten einerseits und gelehrtem Recht andererseits. Dabei verwies er auf die vielfältigen Möglichkeiten, wie diese zustande gekommen sein könnten – beispielsweise über ein kurzfristiges Studium der Stadtschreiber oder die Verwendung von Urkunden, die delegierte päpstliche Richter ausgestellt hatten. Dusil betonte zugleich aber auch, wie schwierig es sei, diese Kontakte im Einzelnen tatsächlich nachzuweisen. Zuweilen könne lediglich ein allgemeines „gelehrtes Hintergrundrauschen“ angenommen werden, das sich in den Rechtstexten manifestierte.

Mit dem Bardewikschen Codex lübischen Rechts von 12943 bot ALBRECHT CORDES (Frankfurt am Main) eine Vergleichsmöglichkeit zum Freiburger Stadtrecht von 1293 an. Jener Codex zeichnet sich durch seine thematische Gruppierung des Rechtsstoffes nach einer eigenen, teilweise assoziativen Logik sowie durch seine Kommentierung mit Rubriken und Register aus. Damit erweist er sich als ein Baustein eines weitere Handschriften umfassenden Reformkatalogs des Lübecker Rats, womit dieser die Rechtspflege und -deutung als seine Kernaufgaben unterstreichen ließ. Abschließend skizzierte Cordes, zu welchen Zwecken ein Vergleich mit den Freiburger Rechten beitragen kann.

MARTINA STERCKEN (Zürich) untersuchte anhand von Chroniken des 15. und 16. Jahrhunderts aus Freiburg im Breisgau, Freiburg im Üechtland und Bern den Stellenwert des städtischen Rechts in der späteren Erinnerung der Städte. Während bei den beiden Freiburgs eher die Regeln und Ansprüche selbst memoriert und geschichtlich legitimiert werden sollten, stand in Bern stärker der Reichsstadt-Status an sich im Vordergrund. Dennoch lässt sich übergreifend bilanzieren, dass den Stadtrechten innerhalb der städtischen Historiographie eine nicht unbedeutende Rolle bei der Darstellung von Ansprüchen zukam. Um dies zu untermauern, griffen die Chronisten auf eine Reihe von Darstellungsmodi zur Vergegenwärtigung wie wörtliche Zitate, szenisches Erzählen oder Abbildungen zurück.

Im Abendvortrag kontextualisierte GERHARD FOUQUET (Kiel) das Freiburger Recht mit einer allgemeineren, europäischen Entwicklung und rund 150 Jahren Stadtgeschichte anhand von Beispielen, die von Oberitalien bis nach London reichten. Trotz regional sehr differenziert zu betrachtender Entwicklungen lassen sich mehrere Phasen unterscheiden. Zunächst standen Ende des 11. Jahrhunderts persönliche Freiheitsrechte und Gruppeninteressen im Vordergrund, ehe ab etwa 1120 eine Phase wechselhafter An- und Aberkennungen kommunaler Rechte durch Fürsten begann, wobei sich diese um eigene Institutionen der Stadtverwaltung und damit eine Sicherung des eigenen aristokratischen Einflusses bemühten. Im 13. Jahrhundert führten neue Verfassungsrechte dazu, dass weitere soziale Gruppen an der politischen Gemeinde teilhaben konnten und der „gemeine Nutzen“ zentral für das Selbstbewusstsein städtischer Bürgergemeinden wurde. Insgesamt, so betonte Fouquet, lässt sich die Entwicklung jedoch nur sehr bedingt als ein linearer Prozess beschreiben. Viele Versuche scheiterten, viele Stadtbewohner:innen blieben außen vor, und viele Städte verblieben in der Macht adliger Herren.

Die Vorträge der zweiten Sektion kreisten um die Stadtrechtsreform des Ulrich Zasius, dessen Rechte 1520 diejenigen von 1293 ablösten. Mit biographischen Skizzen zu Johannes Armbruster und Ambrosius Kempf sowie deren Verbindungen zu Zasius und zur Familie Frei(bius) konnte HANS SCHADEK (Freiburg) das personelle Umfeld erhellen, das in die Reformarbeit involviert war. Während Armbruster den größten Teil der Entwurfstexte schrieb und bei weiteren Stellen als Korrektor nachweisbar ist, lag Kempfs Beteiligung wohl eher auf der Ebene des Gesprächs. Die Verflechtungen reichen über deren Tätigkeit in Rechtsfragen hinaus und betreffen auch das Familiäre, wie gegenseitige Eheverbindungen illustrieren.

ANDREAS DEUTSCH (Heidelberg) verglich das Freiburger Stadtrecht von 1520 mit anderen Stadtrechtsreformationen der Zeit. Einerseits gilt Freiburg aufgrund seines klaren Aufbaus und seiner logischen Untergliederung als ein Musterbeispiel und weist mit einem Titelblatt, dessen Holzschnitt auf mehreren Ebenen die Legitimation des Rechts unterstreichen sollte, typische Elemente auf. Andererseits fällt Freiburg auch aus dem Rahmen, indem es beispielsweise die Rechte ausdrücklich als „neu“ und nicht als Reform bezeichnete. Insbesondere der eigenständige und komplexe Charakter des Freiburger Rechts verhinderte eine breite Rezeption des Rechts insgesamt. Einzelne Bestimmungen hingegen wurden nicht zuletzt über die Schüler Zasius‘ auch anderswo übernommen und trugen zu dessen Ruhm als Jurist und Erneuerer des Rechts bei. Diese Übernahmen sowie die besondere Qualität sorgten für die Bedeutung des Freiburger Rechts von 1520 in der Rechtswissenschaft.

Abschließend gab ANDRÉ KRISCHER (Münster) einen Ausblick auf die Stadtrechte des frühneuzeitlichen Englands. Aufgrund des dortigen Fokus auf das Parlament als Ort königlicher Freiheitsrechte wurden und werden die Stadtrechte in ihrer Bedeutung eher geringgeschätzt. Ihre Bedeutung unterstrich Krischer allerdings anhand von drei Zeitschichten. Mit der Auflösung von Klöstern und dem damit verbundenen Wegfall geistlicher Stadtherrschaft entstanden die meisten städtischen Inkorporationen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Ein Jahrhundert später spielten Stadtrechte in der öffentlichen Polemik eine größere Rolle und wurden je nach Sichtweise als Bollwerk gegen königliche Tyrannei positiv oder als Freibrief für republikanischen Aufruhr negativ überhöht. Im frühen britischen Empire des 17. Jahrhunderts stellten Korporationen ein wichtiges Instrument zur Organisation und Wissensvermittlung in den Kolonien dar. Für die Dynamiken dieser Korporationen stellte Krischer noch Forschungsbedarf fest.

Insgesamt erwies sich die Tagung als gelungene Verknüpfung von allgemeiner Geschichte und Rechtsgeschichte sowie von lokalem Beispiel, regionaler Vernetzung und überregionaler Einordnung. Egal ob bei den von Freiburg ausgehenden Beiträgen (Blattmann, Kälble, Schadek, Deutsch), bei den weiterführenden Beispielen (Cordes, Stercken) oder bei der Skizzierung allgemeinerer Entwicklungen (Dusil, Fouquet) – stets war der Vergleich präsent, sodass sowohl das Allgemeine als auch das Spezifische durch den kontrastierenden Blick geschärft werden konnte. Insbesondere in zwei Bereichen, die in den Vorträgen mehrfach thematisiert wurden, dürften Impulse der Tagung auch in Zukunft fortgeführt werden. Erstens konnte immer wieder verdeutlicht werden, von welcher Bedeutung der Entstehungskontext der einzelnen Rechte ist. Deren Bestimmungen lassen sich sowohl in den konkreten politischen Hintergrund vor Ort als auch in größere ideengeschichtliche Zusammenhänge einordnen. Gerade hinsichtlich des konkreten Ideentransfers und der daran beteiligten Personen scheinen noch weitere Forschungsmöglichkeiten auf. Zweitens ist die ständige Aktualisierung der Stadtrechte auch jenseits der großen Eckdaten und Meilensteine im Blick zu behalten. Selbst wenn deren Textgrundlage über Jahrhunderte unverändert blieb, so erweisen sie sich doch als lebendige Dokumente städtischen Lebens und städtischer Selbstvergewisserung und konnten immer wieder mit einer neuen Bedeutung versehen werden. Von breit angelegten Vergleichen und Verknüpfungen, wie auf dieser Tagung geschehen, wird die Stadtrechtsforschung auch in Zukunft profitieren.

Konferenzübersicht:

Grußworte und Einführung

I. Mittelalter - 12./13. Jahrhundert

Marita Blattmann (Köln): Handfeste Botschaften von nicht greifbaren Dokumenten. Die Freiburger Rechtsaufzeichnungen zwischen 1120 und 1218

Mathias Kälble (Dresden): Die Freiburger Stadtrechte des 13. Jahrhunderts. Entstehung – Überlieferung – Kontext

Stephan Dusil (Tübingen): Stadtrechte und gelehrtes Recht im hohen Mittelalter

Albrecht Cordes (Frankfurt am Main): Vergleichende Stadtrechtsgeschichte – am Beispiel des Bardewikschen Codex des lübischen Rechts von 1294

Martina Stercken (Zürich): Legitimation vergegenwärtigen. Das Stadtrecht in der Geschichtsschreibung

Öffentlicher Abendvortrag

Marita Blattmann (Köln) / Jürgen Dendorfer (Freiburg): Einführung und Übergabe der Neuerscheinung „Die Freiburger Stadtrechte des hohen Mittelalters (1120–1293). Edition, Übersetzung, Einordnung“

Gerhard Fouquet (Kiel): Die mittelalterliche Stadtgemeinde im „take off“. Freiburger Recht und europäische Stadtrechtstexte im 12. und 13. Jahrhundert

II. Stadtrechtsreformation des Ulrich Zasius

Hans Schadek (Freiburg): Ulrich Zasius und seine engsten Weggefährten hin zum Freiburger Stadtrecht, Johannes Armbruster, Stadtschreiber, und Ambrosius Kempf von Angreth, Privatier

Andreas Deutsch (Heidelberg): Das Freiburger Stadtrecht von 1520 – Zur Bedeutung der Stadtrechtsreformation für Freiburg und die deutsche Rechtsgeschichte

Andre Krischer (Münster): Nur ein Thema am Rande? Das englische Stadtrecht in der Frühen Neuzeit

Schlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Die Freiburger Stadtrechte des Hohen Mittelalters (1120–1293). Edition, Übersetzung, Einordnung, hrsg. v. Marita Blattmann, Jürgen Dendorfer, Mathias Kälble und Heinz Krieg unter Mitarbeit von Benjamin Torn und Meret Wüthrich (Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau 43), Freiburg 2020.
2 Eine Edition des ersten Entwurfs entsteht unter der Leitung von Frank L. Schäfer in Freiburg und soll 2022 als Band 44 der Veröffentlichungen aus dem Archiv der Stadt Freiburg im Breisgau erscheinen.
3 Der Bardewiksche Codex des Lübischen Rechts von 1294, 2 Bde., hrsg. v. Albrecht Cordes, Natalija Ganina und Jan Lokers, Oppenheim 2021. Ein dritter Band mit rechtshistorischem Kommentar soll im Mai 2022 erscheinen.


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