(Er)Zeugnisse des Digitalen im Museum. Unsichtbares sichtbar machen

(Er)Zeugnisse des Digitalen im Museum. Unsichtbares sichtbar machen

Organisatoren
Projekt Ingenieur-Geist und Geistes-Ingenieure (IGGI); Deutsches Museum Bonn
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
02.05.2022 - 03.05.2022
Von
Christopher Halm, Wissenschaftsgeschichte / History of Science, Universität Regensburg

Die informationstechnische Durchdringung nahezu aller Gesellschaftsbereiche stellt die historische Forschung und Museen vor neue Herausforderungen. Wie können digitale Existenzen erforscht, bewahrt und vermittelt werden? Wie lassen sich Blackboxes zu Hard- und Software öffnen, das Spannungsverhältnis von Materialität und Immaterialität überwinden, digitales Fachwissen am Objekt- und Archivstück sichtbar machen? Das Sammeln, Restaurieren und Inbetriebnehmen von Digitaltechnik erfordert neue Ressourcen, Strategien und Handlungsweisen. Digitale Systeme und (künftige) Künstliche Intelligenzen sind unter Einbezug ihrer technischen und sozialen Kontexte zu erhalten und historisch zu erarbeiten, wenn ihr Wert in Gegenwart und Vergangenheit verstanden und herausgestellt werden soll.

Um über den musealen Umgang mit Digitalem zu beraten, trafen sich praxisbeteiligte Personen aus Wissenschaft, Kuration, Restauration, Gestaltung und Museumspädagogik. Dabei wurden Vorgehensweisen und Lösungsansätze hinsichtlich des Sammelns und Vermittelns von digitalen Dingen vorgestellt und problematisiert.

ULF HASHAGEN (München) warf einführend in das Tagungsthema folgende Schlüsselfragen auf: Was heißt überhaupt, Software zu sammeln, auszustellen, erlebbar und verständlich zu machen? Wie können Museen Digitalgeschichte anstatt bloß Computer und Maschinen ausstellen? Welche Rolle sollten sie und vergleichbare Einrichtungen bei der Bewertung und Inwertsetzung von digitalen Vergangenheiten einnehmen?

TORSTEN ROEDER (Wuppertal) machte auf den Quellenwert von sogenannten Diskmags aufmerksam. Diese besonders in den 1980er-Jahren beliebten multimedialen elektronischen Zeitschriften für den Heimcomputer berichteten über Hard- und Softwareentwicklungen, Hacking, Computerspiele und Demoversionen. Sie konnten auf Diskette am Kiosk erworben werden und waren als Kopien und Tauschobjekte wesentlicher Bestandteil einer technikaffinen Subkultur der Präinternetära. Ihr Erhalt stellt sich als schwierig dar: Von Museen und Bibliotheken lange wenig beachtet, wurden sie kaum gesammelt und archiviert; die Floppy Disks entmagnetisieren über die Jahre, und neuere Digitalabbilder auf Fan-Websites liegen unter rechtlich unklaren Bedingungen vor. Die museale Ausstellung von originalen und zugleich funktionierenden Diskmags ist somit limitiert. Faksimile in Form von Emulationen auf neuen Hard- und Softwareumgebungen verwehren wiederum kulturprägende Look-and-feel-Erfahrungen. Zudem müsse hinterfragt werden, ob der Zugang, aus Hardware Software zu machen, nicht als anti-museal zu bewerten ist, nimmt er doch unumwunden den Verlust von vergangenen Werten und Wissensbeständen in Kauf. Als mögliche Lösungen brachte RoederR Citizen-Science-Projekte und Methoden der Digital Humanities und Oral History ins Spiel. Mit ihnen ließen sich mittelfristig die Grundlagen zur Dokumentation der Diskmags und vergleichbarer Medien schaffen, womit vergangene Computerfreak-Szenen quellensicherer und umfassender erforscht werden könnten.

Im Vergleich zum Plädoyer des ersten Vortrags stellte STEFAN HÖLTGEN (Berlin) ein ergänzendes Bild bezüglich der musealen Bewahrung von digitalen Objekten und Wissensbeständen auf. Warum sollte nicht der Kern digitaler Existenz – Codes gedruckt auf Papier – gesammelt und ausgestellt werden? Ausgehend von unterschiedlichen paperwares (Computerzeitschriften, Handbücher, Notizhefte etc.) verwies Höltgen darauf, dass bis in die 1990er-Jahre das Abtippen und handschriftliche Annotieren von ausgedruckten Codes zum Erlernen von Programmiersprache und -fähigkeiten gängige Praxis waren. An Kommentar und Druck repräsentieren sich folgerichtig Jugendkultur, didaktische Funktionen und Epistemologie vergangenen Computerwissens. Literatur- und sprachwissenschaftliche Methoden könn(t)en ergänzt um Vorgehensweisen der Digital Humanities (z.B. automatisierte Code-Reading-Verfahren) zur wissenschaftlichen Auswertung und zum Verstehen der paperwares und Codes beitragen. Geschriebenes und Gedrucktes auf Papier bliebe erhalten und würde zukünftig Wissenszugänge zu ehemaligen Hard- und Softwaresystemen garantieren.

NIKA MALTAR (Wien) berichtete aus der Praxis des Technischen Museums Wien (TMW). Dort wird seit 2021/22 der Forschungs- und Sammlungsschwerpunkt „Born Digital Collection“ (BDC) etabliert. Die Teilsammlung verfolgt den Grundsatz, dass digitale Objekte nur verständlich ausgestellt werden können, wenn sie inhaltlich-konzeptionell in ihrer originären Hard- und Software eingebettet sind. Ausgehend von unterschiedlichen Fallstudien werden Ansätze erprobt, die sich reflexiv mit dem Problem der kuratorischen Veränderung von digitalen Objekten und deren Geschichte auseinandersetzen. Diskutiert wurden a) das gemeinsame Bewahren vom digitalen Objekt und dessen dependencies (Hardware, Stromanschlüsse etc.), b) die Erweiterung der Kollektion durch Partizipation von Besuchern und Online-User, und c) eine Koordinierung, sofern möglich auch Standardisierung von Sammlungsstrategien und Wissenskommunikationen. Am TMW werden nach Einschätzung einerseits darüber, was genau (welcher Teil) von einem digitalen Objekt bewahrt werden soll, andererseits, wie langlebig das Objekt und dessen notwendige Umgebung sind, vier miteinander verschränkte Dokumentationsmethoden angewandt: Migration, Emulation, (vollständige) Virtualisierung und Containerisierung. Unabhängig davon bemüht sich das TMW um ein international abgestimmtes Katalogsystem, das sowohl die Daten- als auch Metadatensätze der digitalen Objekte berücksichtigt.

RALPH BURMESTER, TANJA LÖSCHNER und JÖRG BRADENAHL (Bonn) stellten die Ergebnisse der Neugestaltung des Deutschen Museums Bonn vor, indem sie die Tagungsgäste durch die neue Ausstellung „Mission KI“ führten. Die Konzeption dieser Ausstellung erfolgte unter der Leitlinie „Visualisieren – Vereinfachen – Vermitteln“ und baute auf Erfahrungen mit dem hauseigenen autonomen Ausstellungsroboter RHINO auf. (Dieser ist inzwischen selbst Ausstellungsstück. Seine vormaligen Museumsführerfähigkeiten sollen zeitnah virtuell wiederbelebt werden.) In den bereits fertiggestellten Erlebnisräumen werden klassische Ausstellungs- und Vermittlungsformate mit neuen teils analogen, teils virtuellen dialogischen Kommunikationsmethoden kombiniert. Dahinter steht die Absicht, technologische wie gesellschaftliche Chancen, Risiken und Herausforderungen, die im Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz (KI) stehen, erfahrbar zu machen. Sogenannte Museotainer:innen bringen dem Publikum KI-Technologien nicht mit Texttafeln, sondern durch vielfältige Interaktionen mit den ausgestellten digitalen und analogen Objekten näher. Herzstück der Ausstellung ist ein neuronales KI-Netz, das von den Besucher:innen mit Informationen (in Form von dreidimensionalen Figuren) gefüttert werden kann. Erkennungs- und Denkprozesse des KI-Netzes werden visuell auf Bildschirmen abgebildet und können live beobachtet werden. Die Abhängigkeit der KI von der Qualität der ihr zur Verfügung gestellten Daten soll dabei auf sehr einfache wie anschauliche Weise verständlich werden.

RALF SPICKER (München) reflektierte über die langjährige Museumspraxis im Umgang mit digitalen Erzeugnissen aus industrieller Produktion und machte Vorschläge für künftige Vorgehensweisen. Ausgangspunkt seiner Darstellung waren CNC-gesteuerte Maschinen, die seit den 1960/70er-Jahren speziell entwickelte Programmiersprachen und Software enthalten. Ihr Einfluss auf die Fabrik als soziales System wurde von der historischen Forschung und dem Museum zahlreich thematisiert. In Anbetracht der dabei gemachten Erfahrungen sei für das museale Sammeln, Archivieren, Bewahren und Ausstellen künftiger digitaler wie analoger Artefakte zu bedenken, dass deren historischer Wert sich weniger an ihrer Gegenständlichkeit und Funktionsfähigkeit, mehr hingegen an ihrem Einfluss auf Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erstreckt. Soft- und Hardware seien nicht unbedingt gemeinschaftlich zu bewahren, betreiben und auszustellen, sie müssen innerhalb der Museumslandschaft in eine neue technologische und archivarische Peripherie überführt werden, die langfristig kontextuelle Vermittlungen zulässt. Andernfalls bleiben oder werden analoges wie digitales Objekt (erneut) zu diskreten, unanschaulichen, ergo unverständlichen Blackboxes. Vor diesem Hintergrund beabsichtigt die neue Ausstellung „Werkstoffe Energie Produktion“ am Deutschen Museum München, dass ihre ausgestellten Maschinen sich dann bewegen und produzieren, wenn zugleich ihre digitalen Existenzen mit den Besucher:innen in Interaktion stehen.

TIM SCHAFFARCZIK (Tübingen) fragte in seinem Vortrag zur Blockchain und zu Non Fungible Token (NFT), inwiefern (einzigartige) digitale Objekte mit analogen Sammlungsstücken des Museums vergleichbar sind. Worin besteht ihr ästhetischer, emotionaler, historischer Wert? Welche Vorteile lassen sich aus Blockchain- und NFT-Technologien für die Praxis von Museen ziehen? Schaffarczik stellte die These auf, dass Blockchain wie NFT als „AuthentizitätsTechniken“ dienen können. Digitale Dinge seien wenig auratisch; von ihnen gehe in nur geringem Maße Authentizität aus, da sie ständig kopiert, umgewandelt und in neue Systemumgebungen transferiert werden. Ihre Originalität lässt sich daher in den seltensten Fällen bestätigen und beglaubigen, wodurch ihnen ein wesentliches Kriterium zur Aufnahme in Museumssammlungen fehle. Die Überführung des digitalen Objekts in die Blockchain und in ein NFT kreiere hingegen Einzigartigkeit, signiert, beglaubigt und garantiert Herkunft, gegebenenfalls sogar Originalität. Bezüge zu historischen Ereignissen oder Entwicklungen ließen sich verbriefen. Das Digitale erhalte wie das Analoge einen emotionalen und damit auch historischen Wert. Darüber hinaus stehen Blockchain und NFT für Technologien, die Einfluss auf das weltweite mediale und gesellschaftliche Leben nehmen. Sie sind in Konsequenz Repräsentanten unserer Zeit, spiegeln einen gewissen Zeitgeist wider und qualifizieren sich als digitales Erzeugnis somit für den Einzug ins Museum.

MORGANE STRICOT (Karlsruhe) gab ebenfalls Einblick in die museale Praxis der Software-Erhaltung. Das Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) Karlsruhe verfügt über 800 digitale Kunstwerke, die es sowohl in ihrer künstlerischen Gestaltung als auch in den Daten-, Soft- und Hardware-Zusammenstellungen als einzigartig betrachtet. Infolgedessen werden die Kunstwerke bevorzugt in ihrer vollständigen Ursprungs-Hard- und Softwareumgebung gesammelt, bewahrt und in Betrieb präsentiert. Da außerdem das Wissen, das ein Kunstwerk umgibt, erhalten werden soll, bemüht sich das ZKM um den Kontakt zu den Künstler:innen und betreibt aktiv technologisch-historische Forschung (Softwarestudien, Medientheorie und -archäologie), deren Resultate kontextbezogen in die Ausstellungen einfließen. Der Ansatz stößt jedoch auf technische und strukturelle Hürden: Träger- und Lesegeräte erliegen dem Zerfall, technologische Diskontinuitäten verhindern die direkte Übertragung oder Inbetriebnahme auf neueren Geräten, Künstler:innen sind nicht (mehr) erreichbar, Finanzierungen laufen aus. Die dem ZKM vorliegenden digitalen und analogen Geräte werden daher intensiv gepflegt; außerdem werden Ersatzteile erworben, vollständige Kopien von Hard- und Software erstellt und die Migration auf vergleichbare oder neue Geräte durchgeführt. (Re-)Digitalisierungen in Form von Images, die in neuen Umgebungen emuliert und simuliert werden, können andernfalls künftig abhandenkommenden Kunstwerken neues Leben geben. Für das gesamte Vorgehen sind die generationenübergreifende kontinuierliche Weitergabe von implizitem Wissen und eine enge Kooperation der Abteilungen Restauration, Informatik, Elektrotechnik, Kunstgeschichte etc. notwendig. Die Arbeitsgruppe „Objekte des digitalen Zeitalters“ tauscht sich darüber hinaus über Best-Practice-Erfahrungen mit anderen Einrichtungen aus und entwickelt gemeinschaftlich Strategien beim Sammeln und Bewahren von Soft- und Hardware-Objekten.

In der Abschlussdiskussion wurde das Fazit gezogen, dass eine Abkehr vom bisherigen Goldstandard beim Sammeln, Bewahren und Ausstellen von Soft- und Hardware – damit gemeint sind der Erhalt ihrer Funktionalität und ihre unveränderte Inbetriebnahme – berechtigt bis angeraten ist. Die museale Praxis müsse sich nicht am einstigen (End-)Produkt orientieren, sondern im Interesse gesellschaftlicher Relevanz, Zuschauerattraktivität und Aufwand-Nutzen-Abwägungen selbst entscheiden, wie und welches digitale Erzeugnis zu verwahren ist. Die historisch kontextuelle Einbettung und Ausstellung von Codes und Algorithmen auf Papier und in (multi-)medialen Trägern sowie die (Re-)Migration von digitalen Anwendungen in neuen Soft- und Hardwareumgebungen stellen attraktive Alternativen dar. Künftige Tagungen sollten an Fallbeispielen erläutern, wie auf museumsübergreifenden Plattformen und Datenbanken das Sammeln, Bewahren und Inbetriebnehmen von (alter) Software und anderem Digitalen dokumentiert und verständlich kommuniziert werden kann.

Ein besonderer Dank geht für die Finanzierung und für die inhaltliche Rahmensetzung der Tagung an den Leibniz-Forschungsverbund „Wert der Vergangenheit“. Dem Thema der Tagung verschrieben, wird es eine digitale Dokumentation von allen Vorträgen, Interviews mit den Vortragenden und zusätzlichem Material zum nachträglichen Anschauen geben.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Andrea Niehaus (Deutsches Museum Bonn)

Einführung: Ulf Hashagen (Deutsches Museum München)

Torsten Roeder (Bergische Universität Wuppertal): „Diskmags“. Zwischen Emulation und (Re-)Digitalisierung frühen digitalen Kulturerbes

Stefan Höltgen (Humboldt-Universität zu Berlin): Paperware. Informatische und linguistische Verfahren der Knowledge Preservation von Codes und Sourcecodes

Nika Maltar (Technisches Museum Wien): Zum Aufbau einer Digitalen Sammlung am Technischen Museum Wien

Ralph Burmester / Tanja Löschner / Jörg Bradenahl (Deutsches Museum Bonn): Visualisieren – Vereinfachen – Vermitteln. KI als herausforderndes Ausstellungsthema im Deutschen Museum Bonn

Ralf Spicker (Deutsches Museum München): NC … CNC … CAD … CAM … KI … Industrie 4.0 … Internet der Dinge … Wie können wir den Industrie-Rap bewahren, ausstellen und vermitteln?

Tim Schaffarczik (Universität Tübingen): Digitale Museumsdinge. Von der Blockchain ins Museum

Morgane Stricot (Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe): Praxis der Software-Erhaltung in einer Kunstsammlung

Redaktion
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