Labor in Premodern Europe

Labor in Premodern Europe

Organisatoren
Tomáš Klír / Martín Musilek, Universität Prag
PLZ
110 00
Ort
Prag
Land
Czech Republic
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.05.2022 - 21.05.2022
Von
Ulla Kypta, Universität Hamburg

Der Arbeitskreis für spätmittelalterliche Wirtschaftsgeschichte bringt auf seinen Jahrestagungen Forscher:innen zusammen, die ähnliche wirtschaftshistorische Themen mit verschiedenen Methoden und anhand von unterschiedlichem Quellenmaterial untersuchen. Die neunte Jahrestagung, ausgerichtet in Prag von Tomáš Klír und Martín Musilek, beschäftigte sich mit dem Thema „Arbeit in der Vormoderne“. Nachdem die ältere Wirtschaftsgeschichte sich bis in die 1980er-Jahre insbesondere mit dem Unterschied von Fronarbeit und Lohnarbeit auseinandergesetzt und eine wichtige Entwicklungsgeschichte der europäischen Wirtschaft darin gesehen hatte, dass sich nach der Pest in Osteuropa zunehmend Fronarbeit, in Westeuropa hingegen Lohnarbeit ausbreitete, wurde es mit dem Ende der Systemkonkurrenz stiller um dieses Thema.

In den vergangenen Jahren wurden die Fäden wieder aufgegriffen, allerdings betont die jüngere Forschung gerade die Vielfalt unterschiedlicher Erscheinungsformen abhängiger Arbeit. Auch die Tagung des Arbeitskreises brachte zum ersten den Ertrag, die Diversität von Arbeitstypen jenseits der älteren Dichotomisierungen anhand verschiedener Fallbeispiele herauszuarbeiten. Dennoch kam der Lohnarbeit weiterhin eine gewisse Sonderstellung zu, denn als zweiter wichtiger Diskussionspunkt lässt sich die Frage nennen, wie man eigentlich Löhne berechnet und einschätzt. Drittens stand auch der Vergleich zwischen verschiedenen europäischen Regionen immer wieder im Raum.

Zunächst stellten die Beiträge also verschiedene Typen von Beschäftigungen vor, die sich mit den klassischen Dichotomien zwischen freier und unfreier Arbeit – sei es zwischen Lohnarbeit und Fronarbeit oder zwischen freiem Unternehmertum und Zunftzwang – nicht adäquat erfassen lassen. MATTHIAS WESSELING (Aachen) wies darauf hin, dass sich in vielen Städten des Reichs sogar Blinde, anderweitig körperlich beeinträchtigte oder „sieche“ Menschen zu Bruderschaften zusammenschlossen. Die Mitgliedschaft diente zwar unter anderem gerade dazu nachzuweisen, dass man nicht arbeiten konnte und also zu betteln berechtigt war. Seinen Lebensunterhalt mit Betteln zu verdienen, kann man in der spätmittelalterlichen Stadt aber fast als reguläre Beschäftigung bezeichnen, so vielfältig war das Bettelwesen reguliert – manche Bettler:innen zahlten sogar Steuern.

BIANCA FROHNE (Kiel) warnte davor, die Dichotomie zwischen „behindert“ und „nicht-behindert“ als zu stark anzusehen. Dazwischen stünden die Menschen, die etwa einen Unfall erlitten oder an Altersbeschwerden litten, aber dennoch versuchten, ihre bisherige Arbeit weiter auszuüben. Die Hausbücher der Zwölfbrüderstiftung zeigten auf ihren Bildern etwa Handwerker, die sich spezielles Schuhwerk anfertigten, um weiter arbeiten zu können. Matthäus Schwartz führte die Geschäfte der Fugger nach einem Schlaganfall von seinem Bett aus weiter. Eine körperliche Beeinträchtigung musste eine Person nicht zwangsläufig in Armut und Bettel treiben.

Wenn über Arbeit in der Stadt diskutiert wird, dreht sich die Debatte häufig um die Rolle der Zünfte, wie die Debatte zwischen Sheilagh Ogilvie und Stephan R. Epstein in den frühen 2000er-Jahren einmal mehr zeigte: Schränkten die Regeln der Zünfte, etwa zum Beitritt, zur Ausbildung oder zu den Produktionsmengen, die wirtschaftliche Tätigkeit der vormodernen Handwerker ein, oder gaben sie gerade einen Anreiz für Innovationen? Die Beiträge der Tagung zeigten, dass es „die Zunft der Vormoderne“ nicht gab. MARTIN MUSÍLEK (Prag) berichtete, dass im spätmittelalterlichen Prag 106 verschiedene Berufe gezählt werden können, deren Organisation nicht über einen Kamm geschoren werden könne. Auch wenn manche Zünfte keine Handwerker aus der Fremde akzeptierten, wurden Impulse von außen durchaus aufgenommen und bewirkten eine dynamische Entwicklung des spätmittelalterlichen Prag. MARIE JÄCKER (Kiel) wies darauf hin, dass innerhalb eines Handwerks genau unterschieden werden muss, auf welcher Erfahrungsstufe sich ein Handwerker befand. Innerhalb der Arbeiterschaft, die im späten Mittelalter die Exeter Cathedral umbaute, konnten gelernte Handwerker ein deutlich höheres Sozialprestige erwerben als ungelernte.

COLIN ARNAUD (Münster) zeigte am Beispiel der Textilherstellung im Toulouse des 13. Jahrhunderts, wie sich die Regulierungen der Gilden über die Zeit veränderten und flexibler wurden. Außerdem entstanden auch in nicht-zünftischen Bereichen gewisse Regularien. Wo Gilden waren, musste also nicht unbedingt strenge Regeln herrschen, umgekehrt bedeutete das Fehlen von Gilden nicht, dass die Tätigkeiten nicht reguliert wurden. SHEILAGH OGILVIE (Oxford) betonte in ihrer Keynote zudem den Unterschied zwischen Theorie und Praxis: An die Regeln der Zünfte hielten sich die Menschen in der Praxis keineswegs durchgängig. Sie versuchten, strikte Regularien zu umgehen, arbeiteten schwarz oder organisierten Streiks und Widerstand. Zünfte prägten die handwerkliche Arbeit in der vormodernen Stadt also in gewichtigem Maße, aber es bleibe stets für den Einzelfall zu prüfen, welche Regeln genau erlassen wurden, wie sie in der Praxis umgangen wurden und wie die Arbeit alternativ organisiert werden konnte. Erst dann lasse sich auch eine Aussage treffen, welchen Einfluss die zünftische Organisation auf die wirtschaftliche Tätigkeit der Handwerker hatte.

Ogilvies Keynote ging aber nicht nur auf die Zunftdebatte ein, sondern debattierte das Thema Zwang versus freiheitliches Handeln auch im Hinblick auf die Leibeigenschaft. Damit ist die zweite Dichotomie angesprochen, die die Diskussion um vormoderne Arbeit lange prägte, nämlich die zwischen Fron- und Lohnarbeit. Auch hier zeigten die Beiträge, dass diese Dichotomie nicht ausreicht, um die Vielfalt von Arbeitsformen zu erfassen. Ogilvie stellte heraus, dass auch im Zwangssystem der Fronarbeit die Bauern eine gewisse Agency behielten. Sie konnten gegen Grundherrn und Gemeinschaft Widerstand leisten, aber das kostete. Zwei Vorträge zeigten, dass nicht nur die Art der Abhängigkeit, sondern auch das Geschlecht einen wichtigen Einfluss auf die konkreten Arbeitsbedingungen hatte. JAQUELINE TUREK (Aachen) konnte für die Nürnberger Hausangestellten von Anton Tucher feststellen, dass Männer im Durchschnitt mehr verdienten und kürzer angestellt waren, da sich ihnen vielfältigere Anschlussbeschäftigungen eröffneten. EVA CERSOVSKY (Köln) analysierte Arbeitspartnerschaften in Spitälern in Straßburg. Frauen wie Männern wurden diverse Beschäftigungsmöglichkeiten eingeräumt, wobei sich insbesondere mit der Reformation die Geschlechtergrenzen verschärften.

Lohn- wie Fronarbeit konnten unterschiedlich ausgestaltet werden. PIOTR GUZOWSKI (Białystok) zeigte anhand einer Fallstudie zu Gniezno im 14. bis 17. Jahrhundert, wie die Fronarbeit in kleinen Schritten und je nach Gut in unterschiedlichem Ausmaß eingeführt wurde. Nach und nach wurden die Pachtzahlungen in Arbeitsdienste umgewandelt. Noch Ende des 16. Jahrhunderts wurden allerdings 30 Prozent der Pachten bar entrichtet. Außerdem machten „Arbeitspachten“ einen großen Anteil an den gutsherrlichen Einnahmen aus: Die Bauern zahlten statt ihrer Arbeitsdienste Bargeld, das sie sich auf dem Markt besorgt hatten. FLORIAN PROBST (Münster) wies darauf hin, dass Arbeitsverträge verschieden angelegt werden konnten. Insbesondere zwischen langfristigen Verträgen über mehrere Jahre und Tagelöhnern bestand ein großer Unterschied. Wie lange Verträge liefen, unterschied sich nach der Arbeit, die zu leisten war: Im Getreideanbau wurden Arbeitskräfte saisonal unterschiedlich stark nachgefragt, deshalb wurden die Menschen eher kurzfristig angestellt, wohingegen Viehzucht konstante Arbeitskraft benötigte.

Die Dichotomie zwischen Lohn- und Fronarbeit besitzt in der Forschung auch deshalb solche Prominenz, weil erstere als effizienter und ihre Verbreitung in Nordwesteuropa deshalb als einer der Gründe für die schnellere wirtschaftliche Entwicklung dieser Region gilt. MONIKA KOZLOWSKA-SZYC, PIOTR GUZOWSKI und RADOSLAW PONIAT (Białystok) analysierten, ob diese These bestätigt werden kann. Dafür untersuchten sie die Ertragsrate der königlichen Domänen in Mähren im 16. Jahrhundert: Wie viel Getreide ergab ein Samen? Die Ertragsrate hing dabei eindeutig nicht davon ab, wie viele Tage Fronarbeit die Bauern verrichten mussten. Welche Faktoren den Ausschlag gaben, ließ sich bisher noch nicht klären, die Größe des Landes oder die Anzahl der Bauern etwa erwiesen sich ebenfalls als nicht signifikant.

Lohnarbeit beschäftigt die Forschung auch deshalb so nachhaltig, weil Löhne schwer zu berechnen sind. Insbesondere Reallöhne lassen sich schwer kalkulieren, weil die – aus den Quellen mindestens teilweise erfassbaren – Nominallöhne dafür mit dem Preisniveau ins Verhältnis gesetzt werden müssen, wofür wiederum ein Warenkorb aufgestellt werden muss. All diese Schritte sind mit methodischen Hürden behaftet, die bisher nicht befriedigend gelöst wurden, wie JORDAN CLARIDGE (London) und SPIKE GIBBS (Mannheim) erläuterten. Sie gingen insbesondere auf das Problem ein, dass Löhne häufig in Bargeld und in Getreide gezahlt wurden, beides also zusammengerechnet werden muss. Quellen aus englischen Manors hingegen erlauben eine detaillierte Berechnung, denn hier wurde genau angegeben, wie viel Bargeld und wie viel Getreide im Wert von wie viel Geld jede Person bekam. Erste Berechnungen für vier Manors zeigten, dass die Löhne niedriger lagen als nach bisherigen Schätzungen angenommen. ROMAN ZAORAL (Prag) gab Einblicke in die Berechnung von Reallöhnen für Mähren, wo für die Jahre 1400-1700 ca. 50.000 Preiskarten erhalten blieben, die Preise aus verschiedenen Rechnungsbüchern zusammentragen. Insgesamt stiegen die Nominallöhne, da aber auch das Preisniveau zunahm, reichte nur für Meister der Nominallohnzuwachs aus, um auch die Kaufkraft zu erhöhen. Bei der Lohnberechnung müssten neben den Geldzahlungen allerdings auch verschiedene zusätzliche Leistungen berücksichtigt werden.

LENA LIZNIERSKI (Mannheim) hingegen schilderte einen Fall, in dem Löhne ausschließlich in Geld gezahlt wurden, nämlich im Spital in Speyer im 16. Jahrhundert. Sie zeigte, dass die Löhne für Bedienstete, die im Haus tätig waren, stärker anstiegen als für die Tagelöhner. Die gleiche Institution behandelte ihre Lohnarbeiter:innen also durchaus unterschiedlich. ROLF STROM-OLSEN diskutierte die Frage, ob Lohnarbeit eher in Form eines Marktes oder in Form einer Hierarchie organisiert wurde, und zwar am Beispiel des burgundischen Hofs. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts wurden immer mehr Positionen am Hof in Teilzeitstellen umgewandelt. Die Zahl der Beschäftigten nahm massiv zu, um mehr Menschen an den Hof zu binden. Einerseits stieg die Spezifizität der Aufgaben, was die Organisationsform Hierarchie sinnvoller werden ließ, andererseits blieb nicht viel Zeit, um die Menschen einzuarbeiten, weshalb genaue Job-Spezifikationen wie für einen freien Markt erstellt wurden. Die Organisation der Lohnarbeit am burgundischen Hof könne also als hybrider Markt klassifiziert werden.

Insgesamt ermöglichten die Beiträge einen Vergleich der Ergebnisse, die anhand von Quellen aus verschiedenen Regionen Europas gewonnen worden waren. In der Zusammenschau zeigte sich, dass einerseits in den Details sogar benachbarte Gutshöfe unterschiedlich verfahren und Handwerker am selben Ort verschieden behandelt werden konnten, sich die großen Entwicklungen aus der Vogelperspektive aber doch erstaunlich ähnelten. Das „Goldene Zeitalter der Arbeit“ mit seinen Lohnsteigerungen fand in Mähren wie in England statt, und auch die Preisrevolution des 16. Jahrhunderts erfasste West- wie Zentraleuropa. Ein innovationsfreundliches Klima – trotz oder wegen zahlreicher zünftischer Regelungen – herrschte nicht nur in Prag, sondern auch in Regensburg, Nürnberg oder Toulouse. Lohn- und Fronarbeit lassen sich nicht eindeutig in West- bzw. Zentraleuropa verorten, sondern standen in verschiedenen Wechselbeziehungen zueinander und manifestierten sich außerdem in vielfältigen Formen.

Eine „little divergence“ lässt sich demnach in die Befunde, die auf der Tagung präsentiert wurden, schwerlich hineininterpretieren. Die Zeit der großen Narrative und der kategorialen Unterscheidungen scheint wie auf so vielen Feldern auch für die Geschichte der Arbeit aktuell vorbei zu sein. Stattdessen wiesen die Vorträge den Weg, anhand der Quellen die Vielfalt an Möglichkeiten zu erfassen, wie Arbeitsverhältnisse ausgestaltet werden konnten, und die Agency der jeweils beteiligten Personen konkreter zu erfassen.

Konferenzübersicht:

Martin Musílek (Prag): An Exhausted Society? Changes in the Spatial and Professional Organization of Prague in the Middle Ages

Marie Jäcker (Kiel): The workforce of Exeter Cathedral in the Late Middle Ages – A Socioeconomic Approach

Colin Arnaud (Münster): Employment relations in the textile guilds of Toulouse in the 13th century

Sheilagh Ogilvie (Oxford): Freedom and Coercion in Pre-Modern Work

Jordan Claridge (London), Spike Gibbs (Mannheim): (Real) Wages in Late Medieval England

Florian Probst (Münster): Institutions of rural labour markets in pre-modern Germany

Roman Zaoral (Prag): Real wages of labourers and craftsmen in late medieval Moravia: The case of Znojmo and Brno in 1409–1540

Rolf Strøm-Olsen (Madrid): Approaching the Agency Cost Problem in Pre-modernity: labour contracting at the 15th-century Burgundian court

Eva-Maria Cersovsky (Köln): Working Couples, Health Care and Poor Relief in Later Medieval Strasbourg

Lena Liznierski (Mannheim): How socially responsibly were the charitable institutions of the early modern period as employers?

Matthias Wesseling (Aachen): Between Labour and Begging: Associations of Marginalized Social Groups in Late Medieval Germany

Bianca Frohne (Kiel): Putting “Work” into Disability History: A Few Suggestions

Piotr Guzowski (Białystok): Corvée - source of work or source of money in the manorial system in Poland in the 15-17th centuries

Monika Kozłowska-Szyc, Piotr Guzowski, Radoslaw Poniat (Białystok): Efficiency of the serfdom system

Jacqueline Turek (Aachen): Gender, Mobility, and Work: Male and Female Servants in Late Medieval Southern German Cities

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