Lorenz Kardinal Jaeger als Person

Lorenz Kardinal Jaeger als Person

Organisatoren
Nicole Priesching, Kommission für kirchliche Zeitgeschichte im Erzbistum Paderborn
Ort
Schwerte
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
25.08.2022 - 27.08.2022
Von
Gisela Fleckenstein, Landesarchiv Speyer

Zur fünften und abschließenden Fachtagung des Forschungsprojekts „Lorenz Kardinal Jaeger (1892-1975)“ versammelten sich ca. 30 Historiker:innen und Theolog:innen aus ganz Deutschland in der Katholischen Akademie Schwerte. Im Mittelpunkt stand die Person Lorenz Jaeger mit ihren Beziehungen zu Kirche und Welt.

Den Auftakt machte DOMINIK BURKARD (Würzburg) mit einem Blick auf die Vertrauensleute des Paderborner Oberhirten. Ausgangspunkt waren die Fragen: Wer hat Zugang zum Bischof? Wer wurde gehört? Wer durfte widersprechen? Zu diesen Personen gehörte der Moraltheologe Gustav Ermecke (1907-1987), auf dessen Expertise der Paderborner Erzbischof in seinem langen Episkopat regelmäßig zurückgriff. Gustav Ermecke war von 1941 bis 1945 erzbischöflicher Kaplan und Geheimsekretär, im Anschluss Lehrstuhlinhaber für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät in Paderborn. 1965 wechselte er an die Ruhr-Universität Bochum, was das Verhältnis zum Paderborner Erzbischof spürbar belastete. Jaeger hatte versucht, „seinen“ Professor in Paderborn zu halten. Die recht umfangreichen Briefwechsel im Nachlass Jaegers enthalten auch emotionale Reaktionen, jedoch ausschließlich von Gustav Ermecke. Die überlieferten Briefe geben Zeugnis von einem klugen Theologen Ermecke, der jedoch stark seine eigenen Interessen fokussierte – ganz im Gegensatz zu Lorenz Jaeger, der auf die Kritik Ermeckes einging, aber stets sachlich und unaufgeregt professionell blieb.

MICHAEL BREDECK (Paderborn) nahm sich der im Nachlass Jaegers überlieferten umfangreichen Korrespondenz mit den Priestern an. Für die Zeit seines Episkopats von 1941 bis 1973 sind im Nachlass des Erzbischofs 23 Aktenbände vorhanden. Hinzu kommt der Briefwechsel mit zahlreichen Priestern aus dem Ostteil des Erzbistums (Kommissariat Magdeburg). Der Referent wählte Beispiele aus, die für Jaegers Beziehung zu den Geistlichen signifikant waren und spiegelte die Ergebnisse dieser Studien mit Zeitzeugeninterviews. Auskunftsbereit waren der emeritierte Weihbischof Manfred Grothe und Prälat Theo Ahrens, die beide von Jaeger zum Priester geweiht wurden. Sie beschrieben den Erzbischof als starke Führungspersönlichkeit und bestätigten den Lektüreeindruck der Briefe, dass „seine Priester“ für Jaeger die „Werkzeuge“ für die Seelsorge waren. Im direkten Gespräch beschrieben beide den Erzbischof als distanziert. Jaeger habe sich als „Vater des Klerus“ gesehen. Er agierte immer sachlich und deeskalierend und war besonders in den Auseinandersetzungen über neue pastorale Wege darum bemüht, dass sich keine Fronten unter den Geistlichen bildeten.

NICOLE PRIESCHING (Paderborn) sprach über das Verhältnis Jaegers zur Arbeitsgemeinschaft katholischer deutscher Frauen, das sich weitgehend als Austausch auf der Ebene zwischen dem Erzbischof und Gertrud Ehrle (1897-1985) als Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft beschreiben lässt. Die Jahrestagungen der Frauen fanden von 1952 bis 1969 regelmäßig in Paderborn statt. Priesching gab Einblicke in die Art der Zusammenarbeit auf der Grundlage eines gemeinsamen Frauenbildes und skizzierte das politische Zusammenwirken Jaegers mit dem Dachverband der Frauenverbände im Sinne konfessioneller Interessen. Die Vorstellung einer wesensmäßigen Unterschiedenheit von Mann und Frau war zwischen Jaeger (als Vertreter der Bischofskonferenz) und Ehrle Konsens und prägte auch die Eingaben und Erwartungen der Frauen gegenüber dem Zweiten Vatikanischen Konzil.

Mit dem bischöflichen Alltag im Haushalt, seiner Organisation und den Arbeitsabläufen beschäftige sich HERMANN-JOSEF SCHMALOR (Paderborn). In Ermangelung anderer Quellen griff er auf die „Erinnerungen“ der Geheimsekretäre zurück, die nicht immer nüchtern und sachlich, sondern auch verklärend panegyrisch angelegt sind. Die Erfüllung seiner Pflichten als Erzbischof war für Jaeger prioritär, und alles, was darüber hinausging, war zweitrangig. Dieses Bedürfnis zur unbedingten Pflichterfüllung brachte einen besonders großen Arbeitseifer mit sich, der andere Aktivitäten, insbesondere im häuslich-geselligen Bereich, kaum zuließ. Die typischen sogenannten preußischen Tugenden, die Jaeger sicher schon in seinem vorherigen Leben eingeübt und verinnerlicht hatte, machten sich auch in seiner Stellung als Erzbischof in seinem häuslichen Umfeld durchaus bemerkbar. Insbesondere sind hier Pünktlichkeit und Sparsamkeit zu nennen.

Mit dem Alltag des Bischofs anhand seiner handschriftlichen Terminkalender beschäftigte sich GISELA FLECKENSTEIN (Speyer). Die Kalender, die bis auf eine Ausnahme von 1936 erst 1950 einsetzen und bis in das Jahr seines Todes 1975 reichen, geben einen Einblick in den Tagesablauf des Paderborner Oberhirten, der bis zu seiner Emeritierung bzw. bis zur Ernennung seines Nachfolgers ein umfangreiches Arbeitspensum absolvierte. Für viele Jahre gibt es jeweils drei Kalender, die von Jaeger, seinem Büro und seinem Geheimsekretär geführt wurden. Kein Kalender enthält allerdings alle Termine und Erinnerungen. Der Alltag Jaegers war von seinen priesterlichen und bischöflichen Verpflichtungen geprägt. Viel Zeit nahmen die jährlichen Firmreisen und Visitationen in Anspruch. Der zweitgrößte Zeitaufwand galt den Teilnahmen an bischöflichen Konferenzen und Tagungen sowie den liturgischen Verpflichtungen. Hinzu kamen viele persönliche und telefonische Besprechungstermine mit Priestern, Ordensleuten und der Bistumsverwaltung. Im Zusammenspiel der Terminkalender mit anderen Quellen wird mehr als deutlich, dass Lorenz Jaeger kaum ein Privatleben hatte. Die wenigen privaten Momente beschränken sich auf den Besuch von Familienangehörigen und auf den jährlichen Urlaub. Ansonsten war Jaeger quasi immer als Bischof im Dienst.

Mit dem Liborifest, dem wohl wichtigsten Fest der Paderborner Kirche, beschäftigte sich WILHELM GRABE (Paderborn). In der Nachkriegszeit wurde der heilige Liborius als Schöpfer des christlichen Abendlandes präsentiert. Jaeger nutzte das Fest als Mittel der Kontaktpflege und Selbstdarstellung. Anknüpfend an die sich in den 1930er-Jahren intensivierenden Kontakte nach Le Mans, trieb Jaeger nach Kriegsende als Takt- und Impulsgeber die Annäherung zwischen den beiden Bistümern voran. Das weltliche Liborifest wurde nach dem Kriegsende konzeptionell erweitert: Neben Markt und Kirmes trat ergänzend ein Kulturprogramm. Eine wichtige Zielgruppe war die Landbevölkerung, für die ab 1951 ein „Tag des Landvolks“ eingerichtet wurde, ein Veranstaltungsformat, das Jaeger als Bühne zu nutzen wusste. In den 1960er-Jahren begann das weltliche Liborifest sich vom kirchlichen zu emanzipieren. Neue Veranstaltungsformate lockten Hunderttausende in die Paderstadt. Durch die großen Publikumserfolge wurde die bis dahin unangefochtene Vorrangstellung des kirchlichen Libori massiv in Frage gestellt und stürzte die Paderborner Kirche in eine Identitätskrise. Als Antwort wurde das ursprünglich auf das Triduum beschränkte Kirchenfest auf Initiative Jaegers auf die ganze Festwoche ausgedehnt.

Den Freitagnachmittag beschloss ein Gespräch, das NICOLE PRIESCHING (Paderborn) mit dem Zeitzeugen P. Elmar Salmann OSB (Gerleve) führte. Salmann war am 8. Dezember 1972 im Paderborner Dom von Lorenz Jaeger zum Priester geweiht worden. Als er Anfang 1973 in die Benediktinerabtei Gerleve eintreten wollte, musste er zuvor mit seinem Erzbischof ringen, denn dieser wollte keinen Priester verlieren. Das Gespräch drehte sich aber nicht nur um Erinnerungen, sondern reflektierte auch darüber, wie die Geschichtsschreibung des Jaeger-Projektes die Erinnerung verändert hat. Der Zeitzeuge historisierte sich selbst, indem er seine Erinnerung mit heutigem Wissen und Bewertungen in Dialog brachte. Gefragt wurde nach den Themenfeldern „Umgang mit der NS-Zeit“ und „Demokratisierung in der Kirche“ damals und heute sowie nach „Jaeger als Person“.

MARKUS LENIGER (Schwerte) näherte sich der Person Jaegers mit filmischen Quellen. In zwei Beiträgen untersuchte er ausgewählte Auftritte Lorenz Kardinal Jaegers in Sendungen des WDR. Anhand von vier Interviews ging er der Frage nach, wie Jaeger das ihm angebotene Forum nutzte, welche Themen behandelt wurden und welchen Erkenntniswert die filmischen Quellen im Hinblick auf das Tagungsthema „Jaeger als Person“ boten. Allen vier Interviews – sie fanden aus Anlass runder Geburtstage, seines 30jährigen Dienstjubiläums und seiner Verabschiedung statt – ist eine wohlwollende Gesprächssituation gemeinsam. Jedoch gewinnen kritische Fragen, z.B. zur Rolle Jaegers im Nationalsozialismus, zur Positionierung der Kirche im Bundestagswahlkampf 1972 und zur Demokratisierung der Kirche, zunehmend Raum. Jaeger konnte seine Positionen ausführlich darlegen. Er präsentierte sich dabei als pragmatisch-konservativer, aber demokratischen Entwicklungen nicht grundsätzlich ablehnender Bischof. Auf der Bildebene wird diese demokratiefreundliche Selbstdarstellung durch den Verzicht auf bischöflichen Ornat mit Pektorale und der Wahl einfacher Priesterkleidung in den Interviews der Jahre 1971 und 1972 unterstützt. Er blieb jederzeit kontrolliert in seiner Rolle als optimistischer, auf das rechte Maß von Veränderung und Bewahrung bedachter Oberhirte.

Von einer soldatischen Haltung, eng verbunden mit einer kämpferischen priesterlichen als miles Christi, hat Lorenz Jaeger selbst gesprochen. Sie wurzelte in seinen Erfahrungen und Prägungen. BARBARA STAMBOLIS (Münster) arbeitete heraus, dass Schneid, Härte, Treue, Gehorsam, Wehrhaftigkeit und Opferbereitschaft Jaegers zeit- und generationsspezifischen Vorstellungen und deren speziellen lebensweltlich-katholischen Ausprägungen entsprachen. Entsprechende Werthaltungen standen in einer langen Tradition und erwiesen sich bis in die 1950er-Jahre (und teilweise darüber hinaus) als durchaus konsensfähig. Doch mit kritischen Reflexionen über die NS-Zeit und den Zweiten Weltkrieg sowie Orientierungen an zivilen Vorbildern ging auch ein allmählicher grundlegender Einstellungswandel einher. Diese grundlegenden gesellschaftlichen und generationellen Veränderungsprozesse blieben Jaeger unverständlich und fremd.

In einem zweiten Beitrag analysierte Barbara Stambolis Jaeger auf Fotografien. Der Lippstädter Fotograf Walter Nies hat Lorenz Jaeger um 1950 vor allem wiederholt abgelichtet, allerdings sind diese Fotos kaum bekannt. Die Aufnahmen zeigen einen auf unterschiedlichen Bühnen gleichermaßen sicher agierenden und zugleich bei aller Routine des bischöflichen Alltags authentisch wirkenden Lorenz Jaeger, zumeist von vielen Menschen umgeben: bei Einweihungen, kirchlichen Feiern im Jahreslauf und nicht zuletzt Wallfahrten. Etliche Aufnahmen vermitteln den Eindruck, dass die Gläubigen auf ihn warteten und sich freuten, wenn er kam und ihren Erwartungen entsprach. Die Fotos zeigen indes aus heutiger Sicht betrachtet auch, dass die vertrauensvoll selbstverständliche Ehrerbietung der Gläubigen gegenüber dem Bischof eine Grundlage bischöflicher Glaubwürdigkeit und Machtfülle war. Diese Begegnungen unterlagen Veränderungen und gehören auf den Fotos in sichtbarer Weise der Vergangenheit an.

Erzbischof Lorenz Jaeger war mehr als drei Jahrzehnte eine der prägendsten Gestalten des deutschen Katholizismus, und er war sich seiner Rolle durchaus bewusst. Der Kardinal war, so ein Ergebnis der Tagung, wenig privat. Als Person verschmolz er mit seiner Rolle als Bischof. Dies Rolle verortete ihn in einer „alten Welt“, die sich noch über die Standeszugehörigkeit definierte. Dieser Stand hat von Jaeger als Person bestimmte Tugenden verlangt, zu denen auch der Gehorsam zählte. In seiner Person spielten priesterliche und soldatische Identität zusammenm. Doch dahinter blitzte immer der Mensch Lorenz Jaeger auf, wie die Referentinnen und Referenten feststellen konnten.

Konferenzübersicht:

Dominik Burkard (Wüzburg): Lorenz Jaegers Vertrauensleute

Michael Bredeck (Paderborn): Kardinal Jaeger und die Priester seines Erzbistums. Ausgewählte Aspekte einer Beziehungsgeschichte

Nicole Priesching (Paderborn): Lorenz Jaeger und die Arbeitsgemeinschaft katholischer deutscher Frauen

Hermann-Josef Schmalor (Paderborn): Arbeiten mit Lorenz Jaeger – Haushalt, Abläufe, Sekretäre, Schwestern, Fahrer

Gisela Fleckenstein (Speyer): Alltag eines Bischofs. Ein Blick in die Terminkalender Lorenz Jaegers

Wilhelm Grabe (Paderborn): Jaeger und Libori

P. Elmar Salmann OSB (Gerleve): Biographische Erinnerung und Geschichtsschreibung. Wie sie einander überschreiben und verfremden

Markus Leniger (Schwerte): Lorenz Jaeger im Fernsehen. Ausschnitte aus Sendungen des WDR (1967-1973)

Markus Leniger: Lorenz Jaeger in filmischen Quellen

Barbara Stambolis (Münster): Lorenz Jaeger. Miles Christi und Kreuzfahrer. Priesterliche und soldatische Identität

Barbara Stambolis: Lorenz Jaeger, fotografiert von Walter Nies

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