Eine Welt der Kohle. Historische Perspektiven auf den Bergbau im Saarrevier im überregionalen Vergleich

Eine Welt der Kohle. Historische Perspektiven auf den Bergbau im Saarrevier im überregionalen Vergleich

Organisatoren
Arbeitskammer des Saarlandes, Universität des Saarlandes
Ort
Saarbrücken
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
15.09.2022 - 17.09.2022
Von
Charlotte Ullmert / Nina Schmit, Historische Anthropologie/Europäische Ethnologie, Universität des Saarlandes

Zehn Jahre nach dem Ende des Bergbaus im Saarland sollte die Tagung historische Perspektiven auf den Bergbau werfen und neue Forschungsprojekte vorstellen. In vier Sektionen mit den Schwerpunkten „Deindustrialisierung“, „Gender“, „Alltag und Biografien“ sowie „Konfliktfelder und Krisen“ wurden Schlaglichter auf Entwicklungen und künftige Perspektiven auf den Steinkohlenbergbau insbesondere im Ruhrgebiet und an der Saar geworfen und dabei Forschungsdesiderate vorgestellt. Ziel der Veranstaltung war es, etablierte und innovative Zugänge zum Thema Bergbau zu bündeln und dabei aktuelle Themen wie Strukturwandel, Industriekultur, Erinnerungsarbeit und Transformationsprozesse in die Diskussionen miteinzubeziehen sowie neue Quellen vorzustellen. Hierfür wurden Forschende mit aktuellen Projekten zum Thema Bergbau aus ganz Deutschland geladen, die sowohl breit angelegte universitäre Forschungsprojekte als auch Erfahrungen aus der ministeriellen Arbeit sowie bisher unberücksichtigtes Quellenmaterial aus Archiven präsentierten. Das Tagungsprogramm vereinte dabei unterschiedliche Sichtweisen und Zugänge, die insbesondere Potentiale der Wirtschafts-, Sozial- und Kulturgeschichte in Industrieregionen verdeutlichte und auslotete.

Den Auftakt zur Veranstaltung gab STEFAN BERGER (Bochum). In Anlehnung an die Theorie des agonistischen Erinnerns, das sich von binären Formen des Erinnerns abgrenzt, indem Diskurse von Heroisierungen der Industrialisierung und Deindustrialisierung aufgebrochen werden, wurde am Beispiel der „Urbane Künste Ruhr“ die Kunst als erfolgreiches Medium agonistischer Intervention gedeutet. Agonistisches Erinnern ist eine innovative Form des Erinnerns, wobei insbesondere eine kritische, reflektierende Erinnerungspraxis gefördert wird. Die bisherige kosmopolitischen und antagonistischen Erinnerungsmuster könnten durch diese neue, dritte Form gelockert werden und heroische Narrative der Industriegeschichte, wie sie bisher in der Ruhrregion erhalten wurde, kritisch hinterfragt werden. Die bisherige Praxis, den Strukturwandel als reine Erfolgsgeschichte zu vermitteln, könne durch Künstler:innen und soziale Bewegungen, sogenannten „Erinnerungsaktivisten“ verändert werden und eine kritische, zukunftsweisende Perspektive eingenommen werden. Durch partizipative Formate, die eine stärkere Selbstreflexion erfordern, könnten so wichtige Fragen wie „Wie wollen wir in Zukunft leben?“ bürgernah vermittelt werden und Impulse zu einer neuen Betrachtungsweise von bisher historisierten Klassendiskursen führen. In der Diskussion wurde insbesondere die Relevanz von Bürgernähe in der Kunstvermittlung hervorgestellt. Zudem verdeutlichte der Vortrag die Relevanz von Kunst und Kultur als wichtige Spiegel und Träger gesellschaftlicher Selbstreflektion.

JULIANE CZIERPKA (Bochum) richtete ihren Fokus auf jene Sektoren, die im Schatten der Montanindustrie standen, wie die Textil- und die IT-Branche im Ruhrgebiet. Durch die Dominanz der Kohle- und Stahlindustrie rückten andere Arbeitermilieus in den Hintergrund und würden in der Forschung marginalisiert, wobei erst eine Betrachtung unterschiedlicher Arbeitergruppen die Diversität der Region abbilden könne. Mittels lebensgeschichtlicher Interviews könnten subjektiv wahrgenommene Handlungsspielräume der Einwohnerinnen und Einwohner im Strukturwandel erfasst und nachvollzogen werden. Insbesondere im Hinblick auf sozial-ökonomische Fragen wie die Berufstätigkeit von Frauen im Ruhrgebiet könne die Betrachtung von weiteren Industriezweigen Aufschluss geben. Mit der vorweg gestellten Frage „Was bleibt von der Kohle“ stellte DELF SLOTTA (Saarbrücken) anhand verschiedener Beispiele die Entwicklung der Industrielandschaft an der Saar vor. Neben den Altlasten und Ewigkeitsaufgaben, wie unter anderem die Problematik des Grubenwassers, lag ein besonderer Schwerpunkt auf dem Umgang mit noch erhaltenen Relikten, wie bspw. das Pumpenhaus am Itzenplitzer Weiher, Bergfestplätze und Knappschaftskrankenhäusern. In der Diskussion wurde deutlich, dass das Saarland mit seiner Industriegeschichte hinter dem Ruhrgebiet förmlich verschwinde, da hier die Bemühungen um den Erhalt der Industriekultur überwiegend von ehrenamtlichem Engagement ausgingen. Das Saarland als Bundesland sei zudem stark von politischen Stimmungen geprägt, was sich auch im Umgang mit dem industriellen Erbe niederschlage. Als weitere Problemlagen benannte Slotta die grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit Frankreich, divergierende politische und kulturelle Interessen sowie Sprachbarrieren, die eine fokussierte, kooperative Zielsetzung bzgl. des Erhalts und der Inwertsetzung erschwere.

FABIAN LEMMES (Bochum) stellte ein neues, breit angelegtes Forschungsprojekt vor, das das Ziel verfolgt, eine vergleichende, transnationale deutsch-französische Mikrosozialgeschichte der Deindustrialisierung als Erfahrungs- und Emotionsgeschichte zu schreiben und deren Auswirkungen auf soziale Bindungen, Verhältnisse von Arbeiterinnen und Arbeitern zur Politik sowie Netzwerke der Soziabilität zu untersuchen, die zuvor die Arbeitswelt strukturierten. Fruchtbar erschien der Ansatz insbesondere dadurch, dass statt makroökonomischer Analysen die Emotionsgeschichte einen neuen Zugang bieten kann, der bisher wenig berücksichtigt wurde. Gefühle wie Wut, Angst und Trauer resultieren schließlich in Praktiken und bestimmen menschliches Handeln, weshalb sie als Diskursweiser verstärkt berücksichtigt werden sollten.

JULIA WAMBACH (Berlin) knüpfte mit ihrem Vortrag an diese Frage an. Sie forscht im Rahmen desselben Forschungsprojektes zur Entwicklung von Solidarität seit den 1960er-Jahren in Deutschland und Frankreich. Als Fallbeispiele stellte sie Lens im nordfranzösischen Kohlenbecken und Gelsenkirchen im nördlichen Ruhrgebiet gegenüber, beide Kommunen sind Bewahrer der Bergbautradition und zugleich Verlierer der Krise, wofür hohe Arbeitslosenzahlen und Armut bezeichnend sind. Was hält die Bewohner der Gebiete zusammen, nachdem die Arbeit in der Industrie verschwand? Dass sich neue Formen der Solidarität bildeten, wenn auch nicht mehr über die gemeinsame Arbeit, veranschaulichte Wambach am Beispiel der Fußballclubs FC Schalke und RC Lens, die sich zumindest ab den 1980er-Jahren verstärkt mit Themen wie Arbeitslosigkeit auseinandersetzten und dadurch auch neue Orte der Solidarität und Zusammengehörigkeit bilden konnten, so Wambach. Die Untersuchung hat das Ziel, das bisherige, medial vermittelte schlechte Image der Städte zu hinterfragen. In der Diskussion kam die Frage auf, inwiefern tatsächlich von einem ehemals durch die Arbeit evozierten Zusammengehörigkeitsgefühl gesprochen werden kann oder ob auch dieses zunächst nachgewiesen werden müsse.

In der Sektion „Gender“ wurde die Frage nach Geschlechterkonzepten und -konstruktionen im Bergbau erörtert und diskutiert, wobei die Vortragenden zu ähnlichen Ergebnissen und Schlussfolgerungen gelangten. SEBASTIAN KNOLL-JUNG (Heidelberg) zeigte mit seiner Untersuchung zu Arbeitsunfällen und Unfallverhütung im Kaiserreich, dass die Risiken des Berufes das Leitbild des starken und harten Mannes festigten, was Maßnahmen der Risiko- und Gesundheitsprävention hemmte. Verklärungen von Bedrohungen, Abgestumpftheit und das Herunterspielen von Schmerz blockierten teils präventive Maßnahmen. Während Unfallverhütungsmaßnahmen wie beispielsweise Schutzausrüstungen von den Arbeitern teils als Schwäche gedeutet wurden, wurde die Familie als positiver Einflussfaktor betrachtet, indem an die Rolle des Mannes als Ernährer und somit an sein Verantwortungsbewusstsein appelliert wurde. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte CHARLOTTE ULLMERT (Saarbrücken), die die Lehrlingszeitung „Der junge Bergmann der Saargruben“ nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er-Jahre auf Männlichkeitsaspekte hin untersuchte. Auch hier zeigte sich, dass sich das Bild des „starken Mannes“ nicht grundsätzlich gewandelt hatte, propagierte das Unternehmen dieses doch förmlich. Die Abwertung von Schwäche als „unmännliche“ Eigenschaft, die Pathetisierung des Berufes, die Abgrenzung von anderen Berufsgruppen und die Verklärung des Bergarbeiters zum Helden ließ sie Vergleiche zum Soldaten und Militär schließen. Dort seien ähnliche Images vertreten, die jedoch im Falle von Unfall und Tod sinnstiftend wirken können. Die Rolle der Frau und Konstrukte von Weiblichkeit in Bergbauregionen stellt hingegen ein Forschungsdesiderat dar, wie BIRGIT METZGER (Saarbrücken) zeigte. Obwohl Frauen in Kriegszeiten sowohl im Bergbau eingesetzt wurden und auch bei Streiks und Umweltkonflikten ihr Engagement zeigten, wurden ihre Lebensbedingungen und ihre Aktivitäten bisher kaum untersucht, auch tauchen sie in der industriekulturellen Erinnerung nur am Rande auf. Dabei profitierten Frauen weniger von den wirtschaftlichen Vorteilen der Montanindustrie und litten gleichzeitig unter den negativen Auswirkungen wie Wasser- und Bodenverschmutzung. Hier liegt ein besonderes Potential in der künftigen Forschung, eine geschlechtergerechte Geschichte zu schreiben, in der Rollenbilder mit Blick auf Ursprünge, Symbiosen und Entwicklungen analysiert werden.

Die dritte Sektion eröffnete JOANA BAUMGÄRTEL (Saarbrücken), die das Prämienhaussystem der saarländischen Bergarbeiter seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, die von der Régie des Mines de la Sarre eingeführte Baudarlehensabteilung sowie das Prinzip der Bauinteressensgemeinschaft vorstellte. Alle Maßnahmen verfolgten das Ziel, Arbeitnehmer an den Arbeitgeber zu binden und wurden gegebenenfalls auch als Druckmittel eingesetzt. Mit dem Rückgang der deutschen Montanindustrie und der Verringerung der Zahl der Arbeiter lief auch das Modell der Bauinteressensgemeinschaften aus, was die prozesshafte Ablösung von der Montanindustrie in der Saarregion zeige. THOMAS FLÄSCHNER (Saarbrücken) widmete sich in seiner Untersuchung zu Arbeitswegen einem bisher kaum berücksichtigten Untersuchungsgegenstand. Die aufschlussreiche Beschreibung der Bestreitung des Arbeits- und Anfahrtsweges der saarländischen Bergarbeiter zeigte einen elementaren Bestandteil des Arbeitsalltags, war der Weg oftmals schwer zu bestreiten. Bezeichnungen der Arbeiter als „Hartfüßler“ und „Ranzenmänner“ fanden so Einzug in die Alltagssprache. Konflikte zwischen Arbeitern und dem Eisenbahnpersonal sind in archivalischen Quellen gut dokumentiert und füllen so die Leerstelle im Alltag, den wortwörtlichen Übergang zwischen Heim- und Arbeitsstätte. Die Entwicklung einer saarländischen Industriestadt im 19. und 20. Jahrhundert am Beispiel St. Ingbert zeigte HEIDEMARIE ERTLE (Saarbrücken), wobei sie auf die Besonderheiten zwischen den preußischen und bayrischen Saarstädten aufmerksam machte. Gehörte St. Ingbert zum Bayrischen Königreich, führte die politischen und geografischen Faktoren dazu, dass neben der Entwicklung zur Industriestadt auch ein urbanes Zentrum entstand, das dazu beitrug, ökonomische Krisen im späteren 20. Jahrhundert gut zu bewältigen. Zu den Besonderheiten zählte auch der Einsatz von 22 Frauen als Grubenbetreiberinnen, was nochmal auf die Relevanz der Aufarbeitung von Geschlechterrollen im Bergbau verwies. Der Frage, wie sich bergmännische Arbeit und Alltag im langen Strukturwandel ab Ende der 1950er-Jahre gestaltete, ging STEFAN MOITRA (Bochum) nach. Dabei rückten drei Faktoren in den Fokus: der Umgang mit technischem Wandel, mentale Veränderungen insbesondere im Hinblick auf hierarchische Strukturen sowie die Zechenschließungen in Verbindung mit Verlegungen der Belegschaft in aktive Bergwerke. Aus umfangreichem Interviewmaterial konnten Veränderungen nachgezeichnet werden, so zum Beispiel das Einführen neuer Betriebsführungsmodelle oder auch die anfänglichen Schwierigkeiten der Bergarbeiter mit dem Umgang technischer Neuerungen und Maschinen. Zudem kristallisierte sich in den Interviews das Leiden unter dem Verlust von Heimat bei Verlegungen in andere aktive Nachbarzechen heraus, genauso wie der schwere Umgang der Bergmänner mit Entlassungen in den vorzeitigen Ruhestand.

Die vierte Sektion über Konflikte und Krisen eröffnete FRANK HIRSCH (Saarbrücken). Er erörterte die Völkerbundzeit an der Saar und die Konflikte zwischen den saarländischen Bergarbeitern und der Regierungskommission. Dadurch, dass die Arbeiter sich durch die französische Besatzung unterdrückt sahen, wuchsen eine Reihe von Streitereien, Streiks und Auseinandersetzungen, die durch den Ruhrkampf noch befeuert wurden. Wobei hier deutlich wurde, dass die Bergarbeiter sich für ihre eigenen Interessen stark einsetzten und sich teils auch darin behaupten konnten. Dennoch zeigte das harte Vorgehen der französischen Grubenverwaltung und Massenentlassungen in der wirtschaftlichen Krise Ende der 1920er-Jahre seine Konsequenz in der Saarabstimmung 1935, bei der über 90 Prozent für eine Rückkehr ins Deutsche Reich stimmten und damit Hitler den ersten außenpolitischen Erfolg einbrachte. An dieser Stelle interessierte der Vergleich mit der erneuten französischen Besatzungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere ob und welche Konfliktpotentiale sich auftaten. Zahlreiche Auseinandersetzungen konnte auch AMERIGO CARUSO (Bonn) für die Bergarbeiterstreiks im Kaiserreich aufzeigen. Diese verliefen eben nicht friedlich und kontrolliert wie bisher angenommen, sondern äußerten sich trotz der Disziplin der Arbeiterbewegung in einer Art „kleinen Gewalt“, wie Caruso diese bezeichnete. Darunter zählen Belästigungen von „Arbeitswilligen“ und Streikbrechern, Drohbriefe und das Tragen von „Rechtschutzrevolvern“, die ein neues Bild der Streikbewegung zeichneten, wurde diese auch als akute Bedrohung für die Sicherheit im Kaiserreich wahrgenommen. HANS-CHRISTOPH SEIDEL (Bochum) arbeitete charakteristische Ausprägungen der Zwangsarbeiter- und Ausländerbeschäftigung im Steinkohlenbergbau während des Zweiten Weltkriegs heraus. Zentral hierbei schien der hohe Anteil der sowjetischen Kriegsgefangenen ab 1941/42, die mit Abstand die größte nationale Gruppe in allen Steinkohlenrevieren darstellte. Gewalterfahrungen und Mangelernährung, insbesondere die sogenannte „Leistungsernährung“, bei der besonders leistungsstarke Zwangsarbeiter als Belohnung die Nahrungsration der schwachen Zwangsarbeiter erhielten, demonstrierten das grausame Zwangsarbeiterregime der Reichsvereinigung Kohle. Obwohl der Steinkohlenbergbau nicht Initiator der Brutalitäten war, so war er doch maßgeblich an Ausbeutung und Folter beteiligt.

NINA SCHMIT (Saarbrücken) fragte in ihrem Vortrag nach der In-Wert-Setzung ehemaliger Bergbaustandorte am Beispiel des ehemaligen saarländischen Bergwerks Reden und verdeutlichte die gegensätzlichen Interessen bei der zukünftigen Entwicklung der industriellen Relikte. Der als „Erlebnisort Reden“ beworbene Ort würde zwar durch sein vielfältiges Angebot an Natur, Naherholung und Eventtourismus als Erfolg betrachtet, doch zeigen die Probleme bei der Durchsetzung von Ideen und Plänen auch die Konfliktpotentiale auf: Fragen der Sicherheit, Artenschutz und der Erhalt als Kulturdenkmal stehen einer touristischen Nutzung gegenüber und eröffneten ein Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeit und Industriekultur, wie es für sämtliche Bergbaustandorte gelten könne.

MICHAEL FARRENKOPF (Bochum) resümierte im abschließenden Kommentar, dass der Bergbau als Bestimmer globaler Prozesse gelte, allein dadurch bedingt, dass Fragen nach dem Umgang mit fossilen Rohstoffen seit jeher ein entscheidender Faktor für Gesellschaft, Technologie und Umwelt darstellen. Damit eröffne sich ein Spannungsfeld zwischen Lokalität, Distribution, Konsum und den ökologischen Folgen des Bergbaus, das auch in der künftigen Forschung als zu berücksichtigen sei. Erinnerungsnarrative seien ebenfalls von entscheidender Bedeutung, verhelfen sie der Geschichtsschreibung des Bergbaus zu Authentizität und wirkten auf historisierende Perspektiven korrigierend. Allgemein stelle sich die Frage in der künftigen Forschung nach der Konstruktion von Raum und Materialität, Umwelt und Wissen, Gesellschaft und Kultur sowie Verflechtung und Rückkopplung, wobei Bergbaugeschichte globaler werden müsse – insbesondere unter Berücksichtigung der vielen beteiligten Akteure und Gruppen, die miteinander verknüpft sind und auch in wechselseitigen Austauschbeziehungen zueinanderstehen.

Insgesamt verdeutlichte die Tagung die Fülle an Themen und Perspektiven, die teils trotz der enormen Bedeutung des Steinkohlenbergbaus für Deutschland noch etliche Forschungslücken aufweisen. Unberücksichtigte Quellenbestände und Zeitzeugeninterviews gilt es nun aufzugreifen und auszuwerten und somit die Bergbaugeschichte voranzutreiben. Neuere Perspektiven, insbesondere was neue Formen der Erinnerungskultur, Gender- und Emotionsgeschichte sowie die Berücksichtigung weiterer Industriezweige als Teil einer gesamthistorischen Industriegeschichte betrifft, können sich auch für das Saarland als fruchtbar erweisen.

Konferenzübersicht:

Öffentlicher Abendvortrag

Stefan Berger (Bochum): Urbane Künste Ruhr im Strukturwandel: Erinnerung an Industrialisierung und Deindustrialisierung

Sektion 1: Deindustrialisierung
Moderation: Stefan Berger (Bochum)

Juliane Czierpka (Bochum): Strukturwandel im Schatten von Kohle und Stahl. Das Ruhrgebiet

Delf Slotta (Saarbrücken): Zum kulturellen Erbe des Saarbergbaus – Gebäude, technische Anlagen, Landschaftsbauten und Bergbaulandschaften

Fabian Lemmes (Bochum): Für eine Erfahrungs- und Emotionsgeschichte der Deindustrialisierung

Julia Wambach (Berlin): Das Ende der Solidarität? Deindustrialisierung in Deutschland und Frankreich seit den 1960er-Jahren

Sektion 2: Gender
Moderation: Jonas Nesselhauf (Saarbrücken)

Sebastian Knoll-Jung (Heidelberg): Der Bergmann an der Saar zwischen Peer Group, Familie und sozialem Umfeld – Aspekte von Männlichkeit im Kontext von Arbeitsunfällen und deren Folgenbewältigung

Charlotte Ullmert (Saarbrücken): “Ein Bergmann will ich werden...” Konzepte von Männlichkeit im saarländischen Steinkohlenbergbau

Birgit Metzger (Saarbrücken): Konstruktionen von Weiblichkeit – Fallbeispiele aus der Saarregion

Sektion 3: Alltag und Biografien
Moderation: Barbara Krug-Richter (Saarbrücken)

Joana Baumgärtel (Saarbrücken): Bauen in Gemeinschaft – Zur Eigenheimkultur im saarländischen Bergbau nach dem Zweiten Weltkrieg

Thomas Fläschner (Saarbrücken): “Seitdem die Bahn fährt, ist ja das Schaffengehn auf die Grub een Plaisir” – Die Nutzung der Eisenbahn durch die Bergarbeiter des Saarreviers

Heidemarie Ertle (Saarbrücken): Gebaut auf schwarzem Gold – Die Stadt St. Ingbert und der Bergbau

Stefan Moitra (Bochum): “Ich habe Untertage nicht mehr wiedererkannt.” – Bergmännische Arbeit und Alltag im langen Strukturwandel

Sektion 4: Konfliktfelder und Krisen
Moderation: Gabriele Clemens (Saarbrücken)

Frank Hirsch (Saarbrücken): Bergbau im Saargebiet – Zwangslagen und Dauerkrise

Amerigo Caruso (Bonn): Bedrohung an Ruhr und Saar – Bergarbeiterstreiks und die Sicherheitsarchitektur des Deutschen Kaiserreichs

Hans-Christoph Seidel (Bochum): Ausländerbeschäftigung und Zwangsarbeit im deutschen Steinkohlenbergbau während des Zweiten Weltkriegs

Nina Schmit (Saarbrücken): Konfliktpotenzial im Umgang mit dem Erbe des saarländischen Steinkohlenbergbaus

Fazit und Abschlusskommentar
Michael Farrenkopf (Bochum)