Gedenk- und Vermittlungsperspektiven einer zukünftigen internationalen Gedenk- und Dokumentationsstätte „Stalag 326“

Gedenk- und Vermittlungsperspektiven einer zukünftigen internationalen Gedenk- und Dokumentationsstätte „Stalag 326“

Organisatoren
Universität Bielefeld; Gedenkstätte Stalag 326 (VI K)
PLZ
33758
Ort
Stukenbrock
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
24.06.2022 - 25.06.2022
Von
Martin Kolek, Neuland; Christoph Herkströter, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie, Universität Bielefeld

Anlässlich des geplanten Ausbaus der Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne durch den Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) veranstaltete Christina Morina (Bielefeld) gemeinsam mit Jürgen Feldhoff (Bielefeld) und Malte Thießen (Münster) einen Workshop, dessen Titel bereits verdeutlicht, dass bezüglich eines „Gedenkens“ der bis zu 65.000 Toten des Lagers mittlerweile Einigkeit besteht, hinsichtlich der Art der Vermittlung, sowie der inhaltlichen und strukturellen Form einer Dokumentationsstätte aber auch erhebliche, wichtige Perspektivnuancen vorhanden sind, die öffentlich und miteinander diskutiert werden müssen.

Einführend hoben CHRISTINA MORINA und DIETER KINKELBUR (Bielefeld) die Ziele des Workshops hervor: Neuere Ansätze der historischen Forschung der Geschichte der sowjetischen Kriegsgefangenen an diesem Ort kennenzulernen, die Rolle der Gedenkstätte für die Demokratie und Denkkultur aufzuzeigen sowie die Konzeption der (neuen) Gedenkstätte mit den Akteur:innen zu diskutieren, die sich bereits seit mehreren Jahrzehnten mit der Geschichte des Kriegsgefangenenlagers und seiner Musealisierung auseinandersetzen, also bspw. Blumen für Stukenbrock e.V., dem Förderverein Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne e.V., Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. und andere. Jene Akteur:innen sollten ihre Perspektiven auf den Ausbau der Gedenkstätte sowie ihre Expertise unter dem Vorsatz des konstruktiven Umgangs mit Widersprüchen in den Workshop einbringen und Anregungen zum Ausbau geben.

NORBERT FREI (Jena) nahm in seiner Keynote diese Herausforderung an, indem er die Aufmerksamkeit auf die im Kriegsgefangenenlager Stalag 326 gefangenen Menschen, bis zu 310.000 Menschen als Durchgangslager, vor allem aber auf die Massentötung durch Sterbenlassen verwies. Diese Opfergruppe sei in der wissenschaftlichen und schon gar nicht in der politischen Öffentlichkeit nach 1945 im Nachkriegsdeutschland wertschätzend bedacht worden. Eine Zuwendung zum Thema sei vielerorts viel zu „vorsichtig“ erfolgt, wurde nicht erkannt. Es bestand ein „terminologisches Unbehagen“, sowjetische Kriegsgefangene zu thematisieren, gleichzeitig sei ein Opferkult „Ja – die Russen haben gelitten, wir aber auch“ als Erinnerungsroutine geschaffen worden, welche erst durch die Publikation „Keine Kameraden“ von Christian Streit, der auf dem Workshop anwesend war, sowie durch den Film „Holocaust“ (1979) aufgeweitet wurde. Freis Kernaussage wurde spürbar deutlich, nämlich dass den konkreten gefangenen und nachhaltig geschädigten Menschen zu wenig Gehör verschafft wurde und wissenschaftliche wie zivile Aufmerksamkeit nötig sei.

Das erste Panel schloss thematisch an diesen Gedanken an und widmete sich den Schicksalen sowjetischer Kriegsgefangener in der Ära der westdeutschen Vergangenheitspolitik. Deutlich wurde dabei vor allem, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen lange Zeit keinen Platz im westdeutschen Erinnerungsdiskurs hatten und ihre Schicksale erst spät aufgearbeitet wurden. Wie die Vorträge von ESTHER MEIER (Moskau) und JENS NAGEL (Zeithain) von der Gedenkstätte Ehrenhain Zaithain aufzuzeigen vermochten, beruht dies einerseits auf dem von Norbert Frei zuvor dargelegten Opferdiskurs und der fehlenden Zuwendung; andererseits stellt aus wissenschaftlicher Sicht die mangelnde Quellenlage eine Herausforderung dar, die sich durch die aktuelle weltpolitische Lage und die Entflechtung mit russischen Institutionen und Kolleg:innen weiter verschärft. Während seit den 1990er-Jahren zunehmend russisches Quellenmaterial zur Verfügung gestellt wurde – wie bspw. die Kriegsgefangenenakten der Wehrmacht, die im Zentralarchiv in Moskau lagern –, ist dessen Konsultation seit dem Beginn des russischen Kriegs gegen die Ukraine nicht oder kaum mehr möglich. Dies hat zur Folge, dass sich nun zum Teil auf von Angehörigen der Kriegsgefangenen in Online-Plattformen hochgeladene Quellen konzentriert werden muss, um die Biographien der Opfer aufzuarbeiten. CHRISTIAN STREIT (Heidelberg) bilanzierte seine Perspektiven auf die Entwicklungen im Umgang mit den sowjetischen Kriegsgefangenen seit der Veröffentlichung seines Buches „Keine Kameraden“ im Jahr 1978. Aufgrund des Sterbens der primär Betroffenen ist ein persönlicher Zugang mittlerweile verschlossen, eine externe biographische Nachverfolgung durch die Öffnung der Archive – wie sie Meier und Nagel vorgestellt haben – zunehmend möglich. So können Berichte von nicht mehr lebenden Zeitzeugen nachweislich belegt werden. Christian Streit plädierte auch vor dem Hintergrund einer „deutschen patriotischen Kriegsgefangenenschaftsmythologie“ zu keinerlei Zurückhaltung gegenüber einer offenen Darstellung. So sei das Verhungern deutscher Kriegsgefangener innerhalb einer verhungernden Umgebung in der Sowjetunion deutlich abzugrenzen von dem aktiven Verhungernlassen sowjetischer Kriegsgefangener in einem vergleichsweise „satten Deutschland“.

Dass die Gedenkstätte Stalag 326 auf eine längere Vergangenheit blickt, die von dem Einsatz ehrenamtlicher Akteure und Vereine geprägt war, wurde auch im zweiten Panel unter dem Titel „Aufarbeitung und gedenkpolitisches Engagement seit den 1960er Jahren“ diskutiert. Eingangs betonte CAROLINE AUTHALER (Bielefeld) in ihrem reflektierenden und überblickartigen Impuls zu den Rahmenbedingungen der Erinnerung, dass – neben der durch die Landschaftsverbände institutionalisierten Erinnerungskultur – auch Personengruppen (bspw. Gastarbeiter:innen sowie ihre Nachfahren) ihre eigenen Erinnerungen haben und diese nicht vergessen werden dürfen. Sie verwies dabei auf die neuere erinnerungspolitische Forschung, die herausarbeiten konnte, wie über Jahrzehnte Menschengruppen in Vergessenheit gerieten und zum Teil blieben – und plädierte dafür, dass wir uns alle dies vergegenwärtigen und in der Planung neuer Erinnerungs- und Gedenkprojekte berücksichtigen. Diesen Gedanken führten BERND WAGNER (Bielefeld) und JÜRGEN BÜSCHENFELD (Bielefeld) bezogen auf die Situation in Ostwestfalen fort, die auf die fehlende absichtsvolle Erinnerung an die Opfergruppen in den ersten Jahren und Jahrzehnten nach Kriegsende verwiesen. In Brockhagen (in der Nähe des Tagungsortes) seien beispielsweise über 3.000 sowjetische Kriegsgefangene bei der Erstellung eines Ersatzflughafens eingesetzt und nach 1945 aus dem öffentlichen Bild verdrängt worden. Wie Büschenfeld und Wagner erklärten, seien Erinnerungsorte Orte der Erinnerung an konkrete Menschen. Ob und wer diese erinnert, ist bedeutsam für die erinnerungskulturelle Akzeptanz. Dass lokale Initiativen und politische Umbrüche eine erinnerungspolitische Wende einleiten können, zeigte KIRSTEN JOHN-STUCKE (Wewelsburg) am Beispiel des „Paderborner Mahnmalstreits“ von 1977 auf, der letztendlich dazu führte, dass die Opfergruppen in der 1982 gegründeten „Wewelsburger Gedenkstätte“ näher betrachtet wurden. Abschließend legte CARSTEN SEICHTER vom Arbeitskreis „Blumen für Stukenbrock“ in einer Mischung aus historischer Retrospektive und biografischen Erlebnissen dar, dass die Initiative, die bereits seit 1967 besteht und eng mit der Geschichte des Erinnerungs- und Gedenkortes verbunden ist, für ihr Engagement nicht ausschließlich positive Behandlung erfuhr: Da im Arbeitskreis auch Mitglieder der DKP aktiv beteiligt gewesen seien, seien eine radikale Primärgesinnung und staatsfeindliche Motivation unterstellt worden, weshalb die Initiative bis in die heutige Zeit – trotz ihrer zentralen Rolle – randständig behandelt werde. Das zweite Panel verdeutlichte, wie Gedenkräume und -haltungen partizipierend von unterschiedlichen Interessengruppen gestaltet wurden. Dies betrifft die direkt betroffenen Menschen, wie auch die distanziert politisch kalkulierenden Interessen und deren Einfluss- und Machtstrukturen bis hin zur gezielten Verhinderung von Gedenken und Mahnformen. Die Methoden des „bewussten, gezielten Vergessens und Verschweigens“ waren so divers und zahlreich wie die beteiligten Akteursgruppen.

Im für den ersten Workshoptag abschließenden 3. Panel widmeten sich JENS HECKER (Münster) und PRISKA DAPHI (Bielefeld) dem Zusammenhang von Gedenkkultur, politischer Kultur und Demokratie und plädierten hierbei für die notwendige Beteiligung der Betroffenen an der Gedenkstättenarbeit – dies sei essenziell für eine transgenerationale friedvolle Würdigung. Wie Hecker aufzeigte, war eine aktive Beteiligung der befreiten Gefangenen sowie ein Gedenken durch die Rückführung nach Kriegsende nicht möglich. In der Sowjetunion und den späteren Nachfolgestaaten wurden die Erinnerungen an die deutsche Gefangenschaft beschwiegen, da sie nicht mit Wertschätzung, sondern mit Stillschweigen oder Verachtung verbunden wurden. Erst nach 1970 – auf Einladung des Arbeitskreises „Blumen für Stukenbrock“ – kamen Überlende an den realen Ort zurück und konnten sich aktiv einbringen. Priska Daphi erklärte ebenso, dass dem jahrzehntelangen Verschwiegenheitsgebot ein „Erinnerungsaktivismus“ folgen sollte und der Diskurs über die zivilgesellschaftlichen Erinnerungen und individuellen Interpretationen nachgeholt und für die Gestaltung einer solchen Gedenkstätte berücksichtigt werden müsse. Dabei betonte sie auch, wie wichtig es ist, dass die Betroffenen und ihre Angehörigen in die Gestaltung miteinbezogen werden müssen, wobei nicht nur die Chancen, sondern auch Herausforderungen mitbedacht werden müssen – trotz aller Vorteile, die eine partizipative Gedenkkultur besitzt. Das dritte Panel schloss ein Vortrag von ANDRÉ KUPER (Düsseldorf), Landtagspräsident von Nordrhein-Westfalen ab, welcher – in Anlehnung an die Äußerung des Bundespräsidenten Joachim Gauck aus dem Jahr 2015, dass der Umgang mit sowjetischen Kriegsgefangenen in einem „Erinnerungsschatten“ liege – dafür plädierte, mit dem Ausbau der Gedenkstätte Stalag 326 erstens Licht in diesen Schatten zu bringen, zweitens das „Lager ohne Grenzen“ zu thematisieren und drittens das Gedenkstättenareal nun sichtbar werden zu lassen. Kuper hob des Weiteren – anschließend an die vorangehenden Impulse – die Notwendigkeit einer „reflexiven Gedenkstättenpädagogik“ hervor, welche für die 2027 neueröffnete Gedenkstätte konstitutiv sein müsse.

Der nächste Workshoptag fand in den historischen Räumlichkeiten der Gedenkstätte Stalag 326 statt. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Leiter der Gedenkstätte Stalag 326 OLIVER NICKEL (Senne) diskutierten BURKHARD POSTE (Senne) vom Förderverein der Gedenkstätte Stalag 326, JANNA KEBERLEIN (Düsseldorf) und JÖRG MORRÉ (Berlin-Karlshorst) im vierten Panel über Erfahrungen und Anforderungen eines Gedenk- und Lernortes Stalag 326. So hob Burkhard Poste das Engagement von ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen und Unterstützer:innen hervor, die sich durch die Vernachlässigung des Themas im politischen und öffentlichen Kontext und damit teils eingehenden prekären finanziellen Möglichkeiten nicht haben einschüchtern lassen. Mehr als 30.000 ehrenamtliche Arbeitsstunden und über 10.000 eingepflegte Datensätze seien nur ein Teil der Herausforderung, Öffentlichkeits- und Angehörigenarbeit, Dokumentationen und Publikationen zu erarbeiten. Das Arbeitsprofil der Dokumentationsstätte hat sich mit dem Anspruch, partizipative Erinnerungsformen zu gewährleisten, mit vielen Institutionen in der Region vernetzt, um Jugendliche, Betroffene, Nachkommen der Häftlinge, die überlebt haben, aktiv in die Arbeitskultur der Dokumentationsstätte zu integrieren. Janna Keberlein stellte ein Projekt vor, welches auf dem Staatsgebiet der Ukraine Erinnerungsarbeit in Bezug auf das Gesellschaftsverbrechen 1941-1944 leistet. Die Stadt Winnyzja, 260 km südlich von Kiew, war 1941-1944 ein Ort militärischer Präsenz des Oberkommandos der Wehrmacht; von den knapp 200.000 Einwohnern waren fast ein Viertel sowjetische Kriegsgefangene, die in Lagern eingesperrt waren. Seit 1996 besteht eine kooperative Zusammenarbeit der Universität Düsseldorf mit den ukrainischen Gedenkstätten. In Winnyzja wurden Mahn – und Gedenkorte entwickelt, welche auf die etwa 1.000 im Zusammenhang der Psychiatriemorde umgebrachten Menschen hinweisen, wie auch auf den Umgang mit ehemaligen sowjetischen Kriegsgefangenen. Jörg Morré wandte sich demgegenüber der Frage zu, wie Staaten erinnern können und lud ein, die Erfahrungen und Fehler in der Gestaltung von Gedenkstätten offen zu reflektieren. Vor allem sei eine „Ortsbestimmung“ interessant, „Welche Geschichte erzähle ich?“ Die „Aura des Ortes“ mit seinen Erwartungen und daraus erwachsenen Zuschreibungen und elementaren Fragen sei zudem bedeutsam. Morré verwies auf den aktuell bedeutsamen „Zeitpunkt der Stellschrauben“ hinsichtlich der Gestaltung der Gedenkstätte 326. Daher sei auch die räumliche Nutzung des Ortes entscheidend: Wenngleich der Neubau der Gedenkstätte ein Ort der historisch-politischen Bildung sein wird, so ist der Friedhof ein Ort des Gedenkens an die Toten. Des Weiteren legte Morré dar, dass sich aktuell die Neukonzeption der Gedenkstätte an politischen Interessen orientiert – was auch normal sei –, jedoch sprach er sich für eine Trennung von sekundärinteressierten politischen Einflussnahmen von Seiten der Verbände und Kommunen und der Gedenkstättenkonzeption aus, damit der Kern der neuen Gedenkstätte entfaltet werden kann.

Im Abschlusspanel diskutierten dann JÜRGEN FELDHOFF, MALTE THIEßEN (LWL, Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster), RAPHAEL UTZ (Berlin) mit CHRISTINA MORINA über Perspektiven und Herausforderungen der zukünftigen internationalen Gedenk- und Dokumentationsstätte „Stalag 326“. Jürgen Feldhoff eröffnete das Panel mit einem Plädoyer, dass für die Einrichtung der neuen Gedenkstätte noch viel „Grundlagenarbeit“ vonnöten sei. So müsste einerseits die Geschichte des historischen Ortes, sondern auch die Kriegsgefangenpolitik und die Situation sowie der Alltag der Opfer in den Lagern erforscht sein, bevor man diese ausstellen kann. Andererseits müsse hinterfragt werden, was man darstellen kann, was nicht und wem man in der Gedenkstätte eine Stimme verleihen möchte. Dies schließe auch ein, dass man nicht nur die Geschichte der Kriegsgefangenen, sondern auch die Geschichte des Beschweigens sowie der Initiativen und schlussendlich der Gedenkstätte selbst aufarbeiten und zukünftig ausstellen müsse. Des Weiteren sprach er sich dafür aus, dass in der Gedenkstätte Personen und Biographien im Vordergrund stehen müssen, da es sich um einen Ort des Verbrechens an Personen handelt. Malte Thiessen skizzierte Möglichkeiten, wie man die sowjetischen Kriegsgefangenen aus dem Erinnerungsschatten treten lassen könnte. So schlug er einerseits vor, den „Vernichtungskrieg“ und die Kriegsgefangenschaft und komplementär dazu die „Volksgemeinschaft“ und die Kontexte von alltagspraktischer Benutzung der Opfer für die eigenen Bedürfnisse herauszuarbeiten und darzustellen. Außerdem sollte man das Lager mit seiner Organisation, den Arbeitszusammenhängen sowie den Netzwerken und Handlungsspielräumen von ortsnaher Bevölkerung und Wirtschaft als Praxis verstehen. Prägnant hob er zudem hervor, dass „Osteuropa eine Arena von Erinnerungen“ sei und man Parallelerinnerungen auch in der Gedenkstätte aufgreifen sollte. Raphael Utz hob die Herausforderung für eine geplante Gedenkstätte von nationalem Format hervor, dass Krieg immer transnational sei, daher könne Krieg und daraus entstehende Kriegsgefangenschaft nicht national gefüllt werden. Um die in der Öffentlichkeit nicht kommunizierten Inhalte sichtbar werden zu lassen, sei Wissen über das Erleben nötig, nicht nur subjektives Erinnern, sodass historischem Wissen eine Kernfunktion zukomme. Folglich gebe es auch keine „deutsche“ Erinnerung – keine gemeinsame, „europäische“ Erinnerung. Es gehe vor Allem darum, sich den Erfahrungen der anderen zu stellen. Diese können und werden divers sein und die zukünftige Gedenkstätte muss dem Austausch über solche unterschiedlichen Erfahrungen auch den Raum bieten und gleichzeitig das Gedenken der Opfer an diesem Ort für Alle ermöglichen.

Die Tagung ging mit einer interessierten Atmosphäre zu Ende, in der deutlich wurde, wie zukünftige Fragen einer Gedenkstättenkultur offen und zugewandt angegangen werden können, ohne sie final schließen zu wollen. Die Reflexion darüber eröffnet zunehmend die Frage, welche Rahmenbedingungen Denken, Handeln und Behandeln einer als „vergangen“ erklärten Situation zum Tragen kommen. Da die Veranstalter:innen das Interesse an einer konstruktiven Widersprüchlichkeit in den Zugängen zum Thema nicht scheuten, konnte der Workshop Perspektiven anbieten, die bisher wenig sichtbar und eher nebensächlich bis marginal betrachtet wurden. Die nächste Tagung verspricht eine hilfreiche Weiterführung eines begonnenen Diskurses gegenseitiger Achtung und Beachtung zur Aufklärung weiterer Erinnerungs- und Forschungslücken und den dazugehörigen mehrschichtigen und mehrdimensionalen Schattengebieten. Die zukünftige Gedenkstätte als materialisierter Ausdruck eines solchen Bedürfnisses nach Diskurs und Achtsamkeit wird dies möglich machen müssen. Die Beteiligten der Tagung jedenfalls scheinen für eine solche Kultur der Öffnung zu elementaren Fragen bereit.

Konferenzübersicht:

Eröffnung

Keynote
Norbert Frei (Jena): Das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener in der Ära der westdeutschen Vergangenheitspolitik. Versuch einer Verortung

Beiträge aus der aktuellen historischen Forschung
mit Esther Meier (Moskau), Clara Camille Held (Bielefeld), Jens Nagel (Zeithain), Christian Streit (Heidelberg), Falk Pingel (Bielefeld)

Aufarbeitung und gedenkpolitisches Engagement seit den 1960er Jahren
mit Caroline Authaler (Bielefeld), Jürgen Büschenfeld (Bielefeld), Bernd Wagner (Bielefeld), Kirsten John-Stucke (Wewelsburg), Carsten Seichter, Frank Grüner (Bielefeld)

Zum Zusammenhang von Gedenkkultur, politischer Kultur und Demokratie
mit Habbo Knoch (Köln), Jens Hecker (Münster), Priska Daphi (Bielefeld), Dieter Kinkelbur (Bielefeld); Grußwort: André Kuper (Düsseldorf)

Erfahrungen und Anforderungen eines Gedenk- und Lernortes Stalag 326
mit Burkhard Poste (Senne), Jörg Morré (Berlin-Karlshorst), Janna Keberlein (Düsseldorf), Hauke Kutscher (Münster), Christoph Herkströter (Bielefeld)

Abschlussdiskussion: Perspektiven und Herausforderungen
mit Jürgen Feldhoff (Bielefeld), Malte Thießen (Münster), Raphael Utz (Berlin), Christina Morina (Bielefeld)

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