Papstreisen im Mittelalter. Organisation, Zeremoniell, Rezeption

Papstreisen im Mittelalter. Organisation, Zeremoniell, Rezeption

Organizer(s)
Christopher Kast, Bayerische Akademie der Wissenschaften; Claudia Märtl, Ludwig-Maximilians-Universität München / Bayerische Akademie der Wissenschaften
Venue
Römisches Institut der Görres-Gesellschaft am Campo Santo Teutonico, Vatikanstadt
Funded by
Fritz-Thyssen-Stiftung
Location
Rom
Country
Italy
Took place
In Attendance
From - Until
27.10.2022 - 29.10.2022
By
Cornelia Bäurle, Ludwig-Maximilians-Universität München

Erstaunlicherweise wurde Papstreisen während des Mittelalters bislang nur eine selektive Aufmerksamkeit seitens der Forschung zuteil, während das mittelalterliche Reisekönigtum für das gesamte Mittelalter mittlerweile eingehend untersucht worden ist. Wie Christopher Kast in seiner Einleitung betonte, darf dies aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mobilität des päpstlichen Hofs während des gesamten Mittelalters ein breit dokumentiertes Phänomen darstellt. Aus diesem Grund nahm die von der Fritz-Thyssen-Stiftung geförderte Tagung gegenüber der chronologisch engeren Fokussierung der bisherigen Forschung Papstreisen erstmals in einem weit gespannten Überblick vom 11. bis zum 15. Jahrhundert in den Blick und fokussierte drei Themenfelder: Organisation, Zeremoniell und Rezeption.

JOCHEN JOHRENDT (Wuppertal) eröffnete die Tagung mit grundlegenden Überlegungen zur Mobilität der sogenannten Reformpäpste. Er betonte, dass das ambulante Kirchenregiment während des 11. Jahrhunderts nicht die Ausnahme, sondern die Regel darstellte und das sogenannte Reformpapsttum von ortsunabhängigem Handeln geprägt war. Die Verankerung des Papsttums außerhalb Roms und die Vorstellungen von Fremden und Nichtrömern beförderten wesentlich die Ausformung des Papsttums, da durch die stetigen Ortswechsel der kuriale Verwaltungsapparat ohne den Rückgriff auf die gewohnten römischen Ressourcen am Laufen gehalten werden musste.

FRANCESCO MASSETTI (Wuppertal) nahm in seinem Vortrag Leo IX. in den Blick, der nur 9 Monate seines Pontifikats in der Urbs und 62 Monate auf Reisen verbrachte. Massetti kam zu der Einschätzung, dass Leo IX. das Kirchenregiment aktiv ausübte und die bisherige Deutung seiner Reisetätigkeit als imitatio imperii zu kurz greift. Leos IX. Amtsverständnis und sein Eifer zur moralischen Reinigung der Gesamtkirche führten durch die Einberufung von außerrömischen Synoden und die Feier von über 60 Weiheakten zu einer deutlichen Erweiterung des päpstlichen Aktionsradius und gestalteten die Beziehungen zu peripheren Regionen neu.

Die Ausführungen von GEORG STRACK (Marburg) zur Frankreichreise Urbans II. beschlossen die Reihe der Vorträge zum 11. Jahrhundert. Strack wies anhand der historiographischen Überlieferung nach, dass die Reise Urbans II. von der Forschung bislang fälschlicherweise mit der Werbung für den Kreuzzug in Verbindung gebracht wurde. Anlass der Reise war vielmehr die Suche nach Verbündeten in der Auseinandersetzung mit Clemens III. und der Versuch, seine Machtposition in Rom zu stärken. Die Überformung der Reise durch den Kreuzzug führte auch dazu, so Strack, dass den lokalen Synoden und Weihehandlungen bislang kaum Aufmerksamkeit geschenkt wurde.

PASCAL MONTAUBIN (Amiens) sprach chronologisch und topografisch seinen Vorrednern folgend über reisende Päpste in Frankreich während des 12. Jahrhunderts. Insgesamt acht Päpste waren zwischen 1049–1165 in Frankreich, wobei er betonte, dass ihre Reisen dorthin zur Durchsetzung politischer und ekklesiatischer Ziele dienten und auf denen im besonderen aristokratische Familien als Unterstützer angeworben werden sollten.

Das süditalienische Itinerar des Papsttums im 12. Jahrhundert untersuchte MARKUS KRUMM (München) anhand der italienischen Chronistik, wobei der Liber Pontificalis in der Fassung des Petrus Guillermus, das Chronicon Beneventanum von Falco von Benevent und die Historia Mediolanensis von Landulf von St. Paul im Zentrum seiner Ausführungen standen. Anhand dieser ermittelte Krumm Reisegründe und Handlungen, die der Papst unterwegs durchführte, darunter Messfeiern, Kirchenweihen, Gerichtssitzungen oder Prozessionen.

Den zweiten Tagungstag eröffnete JÖRG VOIGT (Hannover) mit einer Untersuchung der Auswirkung der Mobilität des päpstlichen Hofs auf die Tätigkeit der kurialen Behörden, wobei die Kanzlei im Pontifikat Sixtus’ IV. im Zentrum seiner Ausführungen stand. Anhand der Reise Sixtus’ IV. nach Bracciano im September 1481 ging er der Frage nach, ob die Register und weitere für das Tagesgeschäft notwendige Dokumente auf der Reise mitgeführt wurden. Er wies anhand der Supplikenregister nach, dass Sixtus IV. lediglich von einem kleinen Teil der Kurie begleitet wurde und die Behörden stattdessen im September 1481 in Rom verblieben.

Nach den Auswirkungen der päpstlichen Mobilität in Umbrien im 13. Jahrhundert fragte STEFANIA ZUCCHINI (Perugia), wobei sie zunächst strategische politische Erwägungen – temporäre Sicherung des Einflusses in Umbrien – als wesentliche Motivation der Reisen nach Mittelitalien festhielt. Am Beispiel der Reisen Innozenz’ III. und Innozenz’ IV. verdeutlichte sie die im Zuge der Vorbereitungen vorgenommen Verschönerungsmaßnahmen an Straßen und öffentlichen Orten.

Das 14. Jahrhundert und den Aufenthalt des päpstlichen Hofs in Avignon nahm PATRICK ZUTSHI (Cambridge) in den Blick. Er schilderte, dass die Kurie den Papst auf seinen Reisen durch Süd- und Mittelfrankreich großenteils begleitete, wobei er besonders das Zeremoniell und die architektonische sowie künstlerische Gestaltung im Papstpalast von Avignon beleuchtete und darauf hinwies, dass diese nach Beendigung des Abendländischen Schismas und der Rückkehr nach Rom die Architektur des Apostolischen Palasts am Vatikan prägten.

RALF LÜTZELSCHWAB (Berlin) widmete sich in seinem Vortrag ebenso dem avignonesischen Papsttum, wobei er sich auf Urban V. und Gregor XI. konzentrierte. Er führte einerseits aus, dass sich die Sommerresidenzen des Papstes und Kardinalresidenzen im Dreieck zwischen Avignon, Orange und Carpentras etablierten, für deren Ausstattung und Versorgung mit Lebensmitteln hoher Aufwand betrieben wurde. Andererseits thematisierte Lützelschwab die Rückkehr Gregors XI. nach Rom und zeigte, dass trotz der hohen Kosten zahlreiche Importgüter aus Frankreich nach Rom gebracht wurden.

TOBIAS DANIELS (München) umriss in seinem Vortrag Darstellungen von Päpsten zu Schiff. Er zeigte anhand unterschiedlicher ikonographischer Beispiele, dass das Schiff als zentrales Symbol päpstlicher Macht fungierte und der Papst in Nachfolge Petri als Kapitän des Kirchenschiffs zu verstehen sei.

Die Reihe der Vorträge zum 15. Jahrhundert eröffnete ANAHITA GHANAVATI (München), die das Narrativ der Flucht Johannes’ XXIII. vom Konstanzer Konzil in Frage stellte. Anhand bislang unbeachteten kurialen Geschäftsschriftguts wies sie nach, dass Johannes XXIII. und der kuriale Behördenapparat nach dem Verlassen des Konzils weiterhin ausgesprochen produktiv waren und deshalb nicht davon auszugehen sei, dass dieser überstürzt aus Konstanz floh.

Zeremonielle Aspekte der päpstlichen Reisetätigkeit thematisierte URSULA GIEßMANN (Köln) anhand des Einzugs Felix’ V. in Basel. Die Prozession durch Basel folgte dem Beispiel der Fronleichnamsprozession und adaptierte das römische Zeremoniell, wie Gießmann aufzeigte. Felix V. eignete sich den Stadtraum nach römischem Vorbild an und betrieb mit seinem Gefolge eine Imitation Roms in der Konzilsstadt, die jedoch von savoyischen Elementen überformt wurde.

MARIA KRUMM (München) untersuchte im Spiegel des Diariums von Paris de Grassis zeremonielle Aspekte auf der Reise Julius’ II. von Rom nach Bologna und zurück (1506–1507). Sie zeigte auf, dass besonders pragmatische Überlegungen und situative Anpassungen für die Ausgestaltung des Reisezeremoniells ausschlaggebend waren.

MARCO CIOCCHETTI (Rom) nahm die während der Tagung mehrfach aufgeworfene Frage nach dem päpstlichen Gefolge auf, wobei er sich auf das Kardinalat im 13. Jahrhundert konzentrierte. Er betonte, dass die Organisation der Kurie um die zentrale Person des Papstes sowie die Residenzbildung außerhalb Roms und die dort stattfindenden Papstwahlen die Kardinäle zur Reise zwangen, die darüber hinaus mit ihrer eigenen Entourage unterwegs waren.

CLAUDIA MÄRTL (München) nahm in ihrem Vortrag eine Betrachtung von Inschriften und Kunstwerken (Statuen, Bilder) zu Papstreisen im 15. Jahrhundert vor. Anhand der Fresken Spinello Aretinos im Palazzo Pubblico und im Dom von Siena für Gregor XII. (1407), der von Jacopino da Tradate geschaffenen Memorialstatue in Mailand und des Marzocco von Donatello in Florenz für Martin V., sowie der Dreikönigsdarstellung von Benozzo Gozzoli in der Medici-Kapelle in Florenz für Pius II. zeigte sie beispielhaft die unterschiedlichen diskursiven Strategien der gastgebenden Städte auf.

Die Reihe der Vorträge beschloss AGOSTINO PARAVICINI BAGLIANI (Lausanne), der in seinem öffentlichen Abendvortrag einen chronologischen und räumlichen Überblick über die Papstreisen des 11. bis 14. Jahrhunderts bot. Er betonte die sich während dieser Zeitspanne veränderten Bedingungen in Rom, die sich durch den Rückzug der Päpste, die Bildung mehrerer Papstresidenzen oder gar den kompletten Umzug nach Avignon und schließlich aufgrund des Abendländischen Schismas ergaben, und verwies auf die Probleme – Feier hoher kirchlicher Feste in Rom –, die sich durch die Abwesenheit ergaben und gelöst werden mussten.

Die Exkursion am dritten Tagungstag führte die Teilnehmer:innen der Tagung nach Orvieto und Viterbo, die sich neben Anagni, Perugia und Rieti im 12. und 13. Jahrhundert als Papstresidenzen etabliert hatten. In Orvieto wurden die Rocca Albornoziana, das Domarchiv und das Domareal besichtigt. In Viterbo sahen die Teilnehmer:innen die Kathedrale, den Papstpalast sowie weitere Kirchen, wie etwa S. Francesco, wo sich die Grablegen Clemens’ IV. und Hadrians V. befinden.

Konferenzübersicht:

Jochen Johrendt (Wuppertal): Papstreisen in unsteten Zeiten. Die Epoche der Reformpäpste

Francesco Massetti (Wuppertal): Die unermüdliche Reisetätigkeit Leos IX. - Ein relevanter Beitrag zur papstgeschichtlichen Wende im 11. Jahrhundert

Georg Strack (Marburg): Die Frankreichreise Urbans II. und die Werbung für den Ersten Kreuzzug (1095/96)

Pascal Montaubin (Amiens): Travelling popes in France in the 12th Century

Markus Krumm (München): Die Reisen der Päpste im Spiegel der italienischen Chronistik des 12. Jahrhunderts

Jörg Voigt (Hannover): Das Papstbüro der Päpste, oder: Wie arbeitet die Kanzlei reisender Päpste?

Stefania Zucchini (Perugia): Ospitare la curia romana: gli effetti della mobilità pontificia nelle città dell’Italia mediana nel Duecento

Patrick Zutshi (Cambridge): Stability and mobility: the Avignon popes from John XXII to Innocent VI (1316–1362)

Ralf Lützelschwab (Berlin): Die letzte Reise? Urban V. und Gregor XI. und der lange Weg zurück nach Rom

Tobias Daniels (München): Der Papst zu Schiff

Anahita Ghanavati (München): Johannes XXIII. auf der Flucht? Vom Aufbruch nach Konstanz bis zur plötzlichen Abreise vom Konzil (1414/15)

Ursula Gießmann (Köln): Der Einzug Felix’ V. in Basel 1440 – Schichten des Adventuszeremoniells zur Zeit des Basler Konzils

Maria Krumm (München): Die Reisen Papst Julius’ II. im Diarium des Paris de Grassi

Marco Ciocchetti (Rom): I viaggi dei cardinali insieme alla corte papale nel Duecento

Claudia Märtl (München): Memoria und Rezeption der Papstreisen des 15. Jahrhunderts in Inschriften und Bildwerken

Agostino Paravicini Bagliani (Lausanne): La mobilità dei papi e della corte papale nel Basso Medioevo. Aspetti rituali, instituzionali e culturali

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