Geist von Potsdam. Preußisches Militär als Tradition und Erbe

Geist von Potsdam. Preußisches Militär als Tradition und Erbe

Organisatoren
Martin Niemöller Stiftung; Nordostinstitut, Universität Lüneburg; Universität Kassel
Förderer
Bundeszentrale für politische Bildung
PLZ
14467
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
13.01.2023 - 15.01.2023
Von
Matthias Barelkowski, Berlin

Insbesondere die Frage, welche Traditionen des preußischen Militärs bewahrenswert seien und welche nicht sollte den Themenschwerpunkt der Tagung bilden, so betonten die Organisatoren in ihren einführenden Beiträgen. Anlass sei der langjährige Streit um den Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche, der als Ausgangspunkt des sogenannten „Geist von Potsdam“ eine zentrale Rolle in der Diskussion um militärische Traditionslinien und -brüche sowie das zu pflegende Erbe zufiele.

Die Tagung war in fünf Themenblöcke mit je vier Referaten gefolgt von einer Diskussionsrunde gegliedert. Den Auftakt machte der Block „Kulturen des Militärischen“. JOHN ZIMMERANN (Potsdam) betonte in seinem Referat „Militarisierung der Gesellschaft“, dass die Reichswehr in der Weimarer Republik nicht als Gegenmacht zum liberalen Mainstream gesehen werden könne, sondern durchaus in der Bevölkerung Rückhalt genoss. Innenpolitisch sei das Militär konservativ-antidemokratisch, außenpolitisch jedoch pragmatisch gewesen, was die militärische Zusammenarbeit mit politischen Antipoden wie der Sowjetunion zeige.

OLAF BRIESE (Berlin) ging in seinem Vortrag zu den „Kadettenschulen“ auf deren Beitrag zur Militarisierung der männlichen Jugend ein, wobei sich zwischen deren Begründung zu Beginn des 18. und deren Ende Mitte des 20. Jahrhunderts durchaus unterschiedliche Phasen der Akzeptanz unterscheiden ließen. Zukünftige Offiziere sollten in diesen Anstalten mit wechselnden Methoden für ihre späteren Aufgaben „zugerichtet“ werden.

THOMAS KÜHNE (Massachusetts) sprach über „Kameradschaft und militärische Kultur im 20. Jahrhundert“ und ging auf den fundamentalen Bedeutungswandel des Begriffs nach dem Zweiten Weltkrieg ein, den insbesondere die Wehrmachtsausstellung deutlich gemacht habe. Die jüngere, pazifistisch geprägte Generation habe dabei gegen die ältere der ehemaligen Wehrmachtssoldaten gestanden, die stark von männerbündischen Verhaltensweisen geprägt gewesen sei.

Dass Frauen durchaus aktiven Anteil am preußischen Militär nahmen, wies JEANETTE TOUSSAINT (Potsdam) in ihrem Referat „Luisenbund Frauen im Militärstaat“ nach. Der „Bund Königin Luise“ sei demnach in der Weimarer Republik als starke weibliche Partnerorganisation des „Stahlhelm“ aufgetreten und habe eine dienende Rolle der Frauen propagiert.

In der anschließenden Diskussion wurden vor allem die Spaltung der Gesellschaft in der Weimarer Republik, die antidemokratischen Überzeugungen großer Teile der Eliten sowie der Grad der Militarisierung der Bevölkerung verhandelt.

Es folgte der Block „Gewaltakte und Gewaltexzesse“. AGNIESZKA PUFELSKA (Lüneburg/Potsdam) verwies in ihrem Referat zum Thema „Preußische Angriffskriege / Polens Teilungen“ auf die Akzentverschiebung innerhalb des Diskurses über preußische Geschichte. Seit Mitte der 1980er-Jahre des 20. Jahrhunderts habe nicht mehr das militärische, sondern zunehmend das kulturell-ästhetische Erbe im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gestanden. Preußens Angriffskriege und deren Beitrag zu den Teilungen Polens sei dabei in Vergessenheit geraten, was heute korrigiert werden sollte.

SANDRA MASS (Bochum) betonte in ihrem Referat über „Paul von Lettow-Vorbeck und die Kolonialkriege in Deutsch Ostafrika“ die Bedeutung des biographischen Ansatzes im Hinblick auf Gewaltgemeinschaften und deren Tradierung. Netzwerke von ehemaligen gewalterfahrenen Kolonialoffizieren hätten auch nach dem Verlust der Kolonien eine große Rolle über wechselnde politische Systeme hinweg gespielt und ihre Erfahrungen eingebracht.

RAINER ORTH (Frankfurt am Main) hob in seinem Vortrag über „Freicorps“ deren starke Gewaltbereitschaft zur Erreichung ihrer antidemokratischen Ziele nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hervor. Gedeckt und finanziert worden seien die Corps, deren Mitglieder sehr unterschiedliche Motivationen hatten, von Teilen der Politik und des „legalen“ Militärs.

JOCHEN BÖHLER (Wien) verwies in seinem Vortrag über die „Verbrechen der Wehrmacht in Polen“ einmal mehr auf die falsche Abgrenzung zwischen Wehrmachts- und SS-Verbrechen hin. Vielmehr stünden diese in einem engen Zusammenhang und müssten als Teil des deutschen Vernichtungskrieges im Osten gesehen werden, dessen juristische Aufarbeitung weitgehend misslungen sei.

In der anschließenden Diskussion herrschte Einigkeit darüber, dass Gewaltexzesse an den unterschiedlichen Kriegsschauplätzen durchaus erforscht und verglichen werden sollten, ohne jedoch direkte Kausalketten zu bilden. Wichtiger seien koloniale Denkstrukturen.

Im Block „(Un)Geist von Potsdam“ eröffnete BARBARA STOLLBERG-RILINGER (Berlin) ihren Vortrag über den „Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I.“ mit dem Hinweis, dass es tatsächlich viele „Geister von Potsdam“ gebe, der Plural also angemessener wäre. Die Referentin machte sich ebenfalls für einen biografischen Ansatz stark und verwies auf die für seine Kinder fatalen Obsessionen des Soldatenkönigs, die später dennoch von seinem Sohn und Nachfolger Friedrich II. systematisch ausgeblendet wurden – zu Gunsten von Ruhm und Ehre des Königshauses. Die preußische Historiographie habe diese Verfälschungen intensiv weiterbetrieben.

MATTHIAS GRÜNZIG (Potsdam) verwies in seinem Vortrag über „Militärische Netzwerke in Potsdam während der Weimarer Republik“ auf die besondere Sozialstruktur der Stadt Potsdam, die in der Weimarer Republik eine Hochburg rechtsradikaler Organisationen gewesen sei. Das damalige Potsdam könne politisch als geistiger Nährboden der NSDAP gelten.

MARCUS FUNCK (Berlin) ging im Anschluss auf „Das Potsdamer Infanterie-Regiment 9 zwischen sozialer Exklusivität und militärischer Professionalität“ ein. Die Einheit sei stark vom Adel geprägt gewesen, lange Traditionslinien und (später) prominente Mitglieder hätten zu erheblicher Mythenbildung beigetragen. Diese gelte es, historisch-kritisch zu hinterfragen.

PHILIPP OSWALT (Kassel) kam mit seinem Referat „Die Potsdamer Garnisonkirche als Symbolbau des Geistes von Potsdam“ direkt auf das Tagungsthema zu sprechen und stellte heraus, dass in der Kirche vor allem Herrschafts- und Militärsymbole, aber kaum christliche Symbole zu finden gewesen seien. Sie könne daher als Symbol für die enge Verbindung von Staatseliten und Militär, aber auch von Thron und Altar in Preußen gelten.

In der anschließenden Diskussion ging es folgerichtig um die Frage, welche Traditionen zu stärken seien und was „Semper Talis“ heute bedeuten könnte.

Der vorletzte Block war „Innergesellschaftlichen Militärkonflikten“ gewidmet. RÜDIGER HACHTMANN (Potsdam) ging in seinem Referat „Niederschlagung der Revolutionen von 1848 und 1918/19“ auf die gegen die eigene Bevölkerung gerichteten Aktivitäten des preußisch-deutschen Militärs ein. Der Vortrag orientierte sich an folgenden Fragen: Was erklärt die Entgrenzung der Gewalt auf Seiten des Militärs, die für beide Revolutionen charakteristisch gewesen ist? Warum versäumte es die Revolutionsbewegung 1848 wie 1918, das preußisch-deutsche Militär zu demokratisieren?

FRIEDHELM GREIS (Berlin) und STEFANIE OSWALT (Berlin) präsentierten in ihrem Vortrag „Militärkritik in der Weimarer Zeit am Beispiel der Weltbühne“ diese Zeitschrift als Forum der intellektuellen, bürgerlichen Linken in der Weimarer Republik. Sie habe in der Bekämpfung des Militarismus und der Wiederaufrüstung nach dem Ersten Weltkrieg eines ihrer Hauptanliegen gesehen. Ein Artikel über den heimlichen Aufbau einer (verbotenen) Luftwaffe führte im Jahr 1931 zum Weltbühne-Prozess. Die Gefahr durch den Nationalsozialismus sei seitens der Zeitschrift jedoch unterschätzt worden.

MICHAEL SIKORA (Münster) stellte in seinem Referat über „Deserteure“ die Frage, was Armeen eigentlich zusammenhalte. Die Gründe für Desertionen seien über die Jahrhunderte verschieden gewesen, was auch mit sich wandelnden Rolle der Armeen in Zusammenhang stehe. Die Verteidigung der Nation als Aufgabe für die Armee habe auch die Sicht auf Deserteure verändert.

In der anschließenden Diskussion ging es dann vor allem auch um den Umgang mit Deserteuren bis in die heutige Zeit.

Der letzte Themenblock nahm unter dem Titel „Traditionsstolz oder lange Schatten?“ den Umgang mit der preußischen Militärgeschichte in den Blick. DETLEF BALD (München) wies zunächst in seinem Referat „Kontinuitäten nach 1945“ auf die Konflikte im Offizierskorps der neu geschaffenen Bundeswehr um Prinzipien wie die „Innere Führung“, Abschaffung der Militärjustiz und die Abgrenzung zur Wehrmacht hin.

LINDA VON KEYSERLING-REHBEIN (Passau) machte in ihren Vortrag „Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 und die Ambivalenz seiner Erinnerungskultur“ deutlich, dass gerade dieser Umsturzversuch stark instrumentalisiert worden sei, um die jeweils eigenen politischen Interessen zu stützen. Deswegen sei ein genauer Blick auf die Motive der Verschwörer nötig, zumal diese keineswegs nur Militärs gewesen seien und sehr unterschiedliche politische Werdegänge und Pläne gehabt hätten.

JAKOB SASS (Potsdam) wies in seinem Referat unter dem Titel „Staatsfeinde in Uniform“ auf die lange Reihe von rechtsradikalen Skandalen in der Bundeswehr hin und stellte die Frage, welche Skandale zu einem Umdenken geführt hätten und welche nicht.

SVEN LANGE (Potsdam), Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte der Bundeswehr, ging abschließend auf die „Traditionspflege in der Bundeswehr heute“ ein und stellte insbesondere den seit 2018 geltenden Traditionserlass vor. Wehrmacht, aber auch die NVA seien keine Anknüpfungspunkte, wohl aber die „Befreiungskriege“ und der militärische Widerstand gegen Diktaturen. Die Potsdamer Garnisonkirche sei für die Bundeswehr nur als Anknüpfungspunkt für die Tradition der Militärseelsorge wichtig.

In der Abschlussdiskussion nach einem langen Tagungstag wurde das Prozesshafte der Veränderungen hinsichtlich der Traditionspflege hervorgehoben. „Lange Schatten“ seien schon durch personelle Kontinuitäten kaum zu vermeiden gewesen. Historisch-soziale Forschung müsse einer politischen Instrumentalisierung von unhinterfragten Traditionen entgegenwirken.

Den Abschluss bildete am Sonntag, den 15. Januar ein militärhistorischer Stadtspaziergang mit CARTSEN LINKE (Potsdam), der am Denkmal für die Deserteure startete.

Konferenzübersicht:

Michael Karg (Wiesbaden) / Agnieszka Pufelska (Lüneburg/Potsdam) / Philipp Oswalt (Kassel): Begrüßung

John Zimmermann (Potsdam): Militarisierung der Gesellschaft

Olaf Briese (Berlin): Kadettenschule

Thomas Kühne (Massachusetts): Kameradschaft und militärische Kultur im 20. Jahrhundert

Jeanette Toussaint (Postdam): Luisenbund. Frauen im Militärstaat

Agnieszka Pufelska (Lüneburg/Potsdam): Preußische Angriffskriege/Teilungen Polens

Sandra Maß (Bochum): Kolonialkriege in Deutsch Ostafrika / Lettow-Vorbeck

Rainer Orth (Frankfurt am Main): Freicorps

Jochen Böhler (Wien): Verbrechen der Wehrmacht in Polen

Barbara Stollberg-Rilinger (Berlin): Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I

Matthias Grünzig (Potsdam): Militaristische Netzwerke in Potsdam während der Weimarer Republik

Marcus Funck (Berlin): Das Potsdamer Infanterieregiment 9 zwischen sozialer Exklusivität und militärischer Professionalität

Philipp Oswalt (Kassel): Die Potsdamer Garnisonkirche als Symbolbau des Geistes von Potsdam

Rüdiger Hachtmann (Potsdam): Niederschlagung der Revolutionen von 1848 und 1918/19

Christiane Krüger (Bonn): Die Geburt der Nation aus dem Krieg

Friedhelm Greis (Berlin) / Stefanie Oswalt (Berlin): Militärkritik in der Weimarer Zeit, Beispiel Weltbühne

Michael Sikora (Münster): Deserteure

Detlef Bald (München): Kontinuitäten nach 1945

Linda von Keyserlingk-Rehbein (Passau): Der Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 und die Ambivalenz seiner Erinnerungskultur

Jakob Sass (Potsdam): Staatsfeinde in Uniform

Sven Lange (Potsdam): Traditionspflege in der Bundeswehr heute

Renata Schmidtkunz (Wien/Berlin): Moderationen

Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts