Freiheit und Sicherheit. Die KSZE und das Ende des Kalten Krieges (1986–1989)

Freiheit und Sicherheit. Die KSZE und das Ende des Kalten Krieges (1986–1989)

Organisatoren
Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck
Ort
Innsbruck
Land
Austria
Fand statt
Digital
Vom - Bis
17.11.2022 - 18.11.2022
Von
Nina Hechenblaikner / Roland Ernst Laimer, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck

Das Forschungsprojekt The CSCE Follow-up Meeting in Vienna (1986–1989). Struggling for Human Rights and European Security at the End of the Cold War veranstaltete am 17. und 18. November 2022 eine Konferenz, in deren Zentrum das dritte KSZE-Folgetreffen in Wien stand. Im Rahmen der Tagung wurden verschiedene Facetten des Prozesses beleuchtet, der offiziell 1973 in Helsinki begann. Die Vortragenden präsentierten hierbei die neuesten Erkenntnisse der KSZE-Forschung und stellten diese zur Diskussion. In ihren einleitenden Worten stellten ANDREA BRAIT (Innsbruck) und NINA HECHENBLAIKNER (Innsbruck) das Forschungsprojekt vor und gaben einen Überblick über die Entwicklung des KSZE-Prozesses von dessen Beginn bis zur Umwandlung in die OSZE 1995. Sie beleuchteten außerdem die Rolle der OSZE in der Ukraine seit 2014.

Zu Beginn der Tagung legten ANNA GRAF-STEINER (Graz) und HERMANN WENTKER (Berlin) den KSZE-Prozess von Helsinki bis Wien dar. Graf-Steiner analysierte auf Basis sowjetischer Quellen die Sicht der Sowjetunion auf Österreich im KSZE-Prozess. Dabei zog sie einen Bogen von den ersten Überlegungen zu einer gesamteuropäischen Sicherheitskonferenz bis hin zum Abschluss der Konferenz 1975. Der nun einsetzende KSZE-Prozess verlief aber alles andere als reibungslos, wie Wentker anhand der Entwicklungen um Korb I veranschaulichte. Trat die UdSSR auf der Belgrader Folgekonferenz noch konfrontativ auf, kam sie in Madrid dem Westen entgegen, indem sie sowohl die Weichen für die Konferenz über Sicherheits- und Vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa (KVAE) als auch für das Wiener Folgetreffen stellte. Auf dem Wiener Folgetreffen kam es zu einem Paradigmenwechsel der sowjetischen Außenpolitik, die zu Fortschritten im Bereich der Menschenrechte führte und maßgeblich zum Erfolg des Folgetreffens beitrug. MAXIMILIAN GRAF (Wien) wählte einen biografischen Zugang, um die Bedeutung einzelner Personen für den KSZE-Prozess zu unterstreichen. Dafür untersuchte er das Wirken Helmut Liedermanns, welcher der österreichischen Delegation in Helsinki, Belgrad und Madrid vorstand. Graf kam zu dem Schluss, dass Diplomat:innen wie Liedermann oder auch Franz Ceska für die österreichische KSZE-Politik wichtiger waren als die Regierungsebene. Grafs Argumentation zu Folge sollten in zukünftigen Forschungen den beteiligten Akteur:innen eine stärkere Rolle zukommen, da sie maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang der KSZE hatten.

Das zweite Panel eröffnete MICHAEL GEHLER (Hildesheim) mit einer Analyse der Inhalte des Schlussdokuments des Wiener Folgetreffens. Gehler untersuchte dazu den Text nach Schlüsselbegriffen und verglich die Häufigkeit von deren Nennung mit den Schlussdokumenten der vorausgegangenen KSZE-Treffen. Somit konnte er klare Trends aufzeigen. Gehler kam zu dem Schluss, dass sich in den Schwerpunktsetzungen der Dokumente von Helsinki und Wien ein thematischer Kreis schloss. Anschließend sprachen ANDREA BRAIT (Innsbruck) und ROLAND ERNST LAIMER (Innsbruck) über Aspekte, die in der Erforschung der KSZE häufig übersehen werden. Brait widmete ihren Vortrag den Verhandlungen zu kulturellen Kooperationen und der österreichischen Verhandlungsstrategie, die sich insbesondere auf Vorschläge konzentriere, von denen sich das österreichische Außenministerium Effekte für andere Politikbereiche erwartete. Sie konnte zeigen, wie es gelang, in diesem Bereich schneller als in anderen eine Einigkeit zwischen den Teilnahmestaaten zu erzielen. Laimer stellte die österreichische Perspektive auf Korb II in den Mittelpunkt seines Vortrags. Er zeigte auf, welch hohen Stellenwert der Bereich Umwelt beim Wiener Folgetreffen für das Gastgeberland hatte. Einige der Forderungen, wie etwa die Bekämpfung der Umwelt- und Gewässerverschmutzung sowie nach Umwelterziehung, wurden in das Schlussdokument übernommen.

Panel drei widmete sich den präsenteren Inhalten der KSZE-Forschung. Zunächst sprach NINA HECHENBLAIKNER (Innsbruck) über die humanitäre Dimension des dritten KSZE-Folgetreffens. In ihrem Vortrag verglich sie die Berichterstattung einer bundesdeutschen und einer österreichischen Tageszeitung. Dabei stellte Hechenblaikner fest, dass in der thematischen Schwerpunktsetzung kaum Unterschiede auszumachen sind. Auffallend sei die Präsenz von Menschenrechtsaktivismus in den Medien. JONAS KAISER (Hildesheim) befasste sich mit den Bereichen Abrüstung, Militär und Sicherheit in Wien. Zu den wesentlichen Verhandlungsergebnissen gehörten vor allem das Mandat für weiterführende, konventionelle Abrüstungsverhandlungen und das KSE-Mandat. Außerdem trug die Auflösung der Interdependenz von Korb I und Korb III dazu bei, dass es in beiden Bereichen zu konstruktiven Erfolgen kam. THOMAS FISCHER (Wien) zeigte am Beispiel Glaube in der 2. Welt (G2W) wie eine Nichtregierungsorganisation den KSZE-Prozess nutze, um ihre Ideen zu verbreiten. Der Gründer, Eugen Voss, wurde im Laufe des Prozesses sogar zum Mitglied der schweizerischen Delegation. Damit gab es in diesem Fall eine direkte Verbindung der NGO zur Regierung. Zusätzliche Schritte (wie etwa der Helsinki-Effekt oder der Bumerang-Effekt) wurden für die Einflussnahme nicht benötigt.

Der zweite Konferenztag widmete sich verschiedenen Konstellationen bei den Wiener Verhandlungen. Das vierte Panel behandelte Fragen nach Interessen, Zielen und Schwerpunkten westlicher und neutraler Teilnehmerstaaten. JUSSI HANHIMÄKI (Genf) griff die Frage auf, welche Rolle das Wiener Folgetreffen in der Außen- und Innenpolitik der USA spielte. Er kam zu dem Schluss, dass sich die Position der USA zur KSZE wesentlich verändert hatte. Bis zum dritten Folgetreffen hatte die Konferenz für die US-Politik eine untergeordnete Bedeutung. Ab 1986 wurde sie als Instrument gesehen, um den westlichen Zugang zu Menschenrechten zu bestärken und zu verbreiten. Laut Hanhimäki trug der amerikanische Fokus auf dieses Thema aber nicht zum Ende des Kalten Krieges bei. Der Vortrag von MATTHIAS PETER (Berlin) beleuchtete die EG-Staaten, die im Rahmen der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) geschlossen auf der Wiener Folgekonferenz auftraten. Ihren Hauptfokus legten sie auf die wirtschaftliche Zusammenarbeit in Korb II sowie auf Fragen der Menschenrechte. In Übereinstimmung mit Hanhimäki stellte Peter fest, dass die USA die KSZE als Forum betrachteten, die Menschenrechtspolitik der Sowjetunion zu überprüfen. Mit welchen Herausforderungen sich die N+N Staaten in der internen Zusammenarbeit auf dem Wiener KSZE-Folgetreffen konfrontiert sahen, thematisierte KAI HABEL (Genf). Die Mitgliedsstaaten des „dritte Blocks“ waren sich in vielen Bereichen uneinig – besonders in Fragen der Abrüstung. Die N+N-Staaten standen vor dem Dilemma, entweder ihre militärische Unabhängigkeit zu riskieren oder sich selbst diplomatisch zu isolieren und fanden keine geschlossene Antwort darauf.

Im Mittelpunkt des fünften Panels stand die Verbindung zwischen östlichen Geheimdiensten und der KSZE. Zunächst sprach SIMON GRAHAM (Sydney) über die Beziehung zwischen Spionage und nationalen und internationalen Netzwerken. Mit Blick auf die Geheimdienste der DDR und der Sowjetunion arbeitete Graham Veränderungen in diesem System im Laufe des Wiener Folgetreffens heraus. Er kam zu dem Schluss, dass die Führungsebene der DDR das Wiener Folgetreffen trotz der zu machenden Zugeständnisse als Erfolg wertete. DOUGLAS SELVAGE (Berlin) ging auf das Verhältnis zwischen der DDR – insbesondere der Stasi – und dem KSZE-Prozess ein. Die Mitte der 1980er-Jahre in der DDR gegründeten Menschenrechtsorganisationen, die in der Meinung der Stasi zur Destabilisierung des Staates beitrugen, begannen sich mit denen aus dem Westen zu vernetzen. Darüber hinaus trug die Schlussakte von Helsinki und stärker noch das Abschlussdokument von Madrid zu einer Zunahme der Emigration aus der DDR in den Westen bei.

Das letzte Panel der Veranstaltung wurde von WILLI SCHRENK (Berlin) eröffnet. Er befasste sich mit den Beziehungen der beiden deutschen Staaten bei den Verhandlungen in Wien. Schwerpunkt des Vortrags war die Frage des Mindestumtausches. Schrenk arbeitete heraus, wie es der Bundesrepublik gelungen war, dieses Thema als nicht rein deutsches Problem zu etablieren und die Unterstützung westlich orientierter Neutraler zu gewinnen. Die DDR hingegen war im Verlauf des Wiener Folgetreffens immer häufiger mit dem mangelnden Rückhalt innerhalb des Warschauer Paktes konfrontiert. Dadurch und durch Verhandlungsgeschick gelang es der bundesdeutschen Delegation, die Abschaffung des Mindestumtausches in das Schlussdokument aufnehmen zu lassen. Zum Abschluss sprach WANDA JARZĄBEK (Warschau) über den Einfluss, welchen der KSZE-Prozess auf den Wandel in Polen in den Jahren 1986 bis 1989 hatte. Jarząbek betonte, dass die polnische Delegation in Wien bei weitem nicht so liberal war, wie häufig in der Forschung dargestellt. Erst als ein Wandel in den sowjetischen Positionen erkennbar wurde, veränderte auch Polen seine Strategie. Mit Blick auf den Einfluss von Zivilgesellschaften stellte Jarząbek fest, dass es ohne deren Einsatz nicht möglich gewesen wäre, die KSZE-Bestimmungen gegen die kommunistischen Regierungen einzusetzen.

Das breite thematische Spektrum, welches durch die Vorträge abgedeckt wurde, zeigt die Vielseitigkeit des KSZE-Prozesses auf. Er bietet zum einen zahlreiche thematische Forschungsfelder, wie Abrüstung und Menschenrechte, aber auch weniger beachtete Bereiche wie Kultur und Umwelt. Zum anderen lassen sich anhand des KSZE-Prozesses auch die Interessen einzelner Teilnehmerstaaten oder Akteursgruppen aufzeigen. Obwohl das Ende des Kalten Krieges zum Zeitpunkt des Wiener Folgetreffens noch nicht absehbar war, hatte sich die weltpolitische Lage im Januar 1989 bereits so sehr verändert, dass auf eine Entspannung der Ost-West-Konfrontation zu hoffen war. Die weitreichenden Kompromisse des Schlussdokuments des dritten KSZE-Treffens bestärkte diese Erwartung. Sowohl für Delegationsmitglieder als auch für externe Beobachter:innen war eine veränderte Atmosphäre, eine Aufbruchsstimmung bemerkbar. Der Abschluss des Wiener Folgetreffens kann daher als einer der Höhepunkte des KSZE-Prozesses nach der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki 1975 bezeichnet werden.

Konferenzübersicht:

Begrüßung

Panel 1 – Von der KSZE zum KSZE-Prozess
Moderation: Willi Schrenk

Anna Steiner (Graz): Österreich und Moskau auf dem Weg nach Helsinki

Hermann Wentker (Berlin): Von Helsinki nach Wien: Der KSZE-Prozess im „Zweiten Kalten Krieg“

Maximilian Graf (Wien): Austria’s „Mister CSCE“ Helmut Liedermann. A biographical approach to the Proces

Panel 2 – Die vergessene Agenda und das Ende des Folgetreffens
Moderation: Jonas Kaiser

Michael Gehler (Hildesheim): Das Schlussdokument des Wiener KSZE Folgetreffens vom 15. Januar 1989. Analyse und Interpretation

Andrea Brait (Innsbruck): Steter Tropfen höhlt den Stein? Verhandlungen zu kulturellen Kooperationen am Wiener Folgetreffen

Roland Laimer (Innsbruck): Das „Stiefkind“ der Wiener KSZE-Konferenz? Korb II aus der Perspektive der Ballhausplatzdiplomatie

Panel 3 – Zentrale Materien des Folgetreffens: Die humanitäre und die sicherheitspolitische Dimension
Moderation: Michael Gehler

Nina Hechenblaikner (Innsbruck): Schlagzeile oder Randnotiz? Die humanitäre Dimension der Wiener KSZE-Folgekonferenz in österreichischen und bundesdeutschen Tageszeitungen

Jonas Kaiser (Hildesheim): Sicherheitsfragen. Die Rolle des Wiener Folgetreffens auf dem Weg von der KVAE zum KSE-Vertrag

Thomas Fischer (Wien): „G2W – Faith in the Second World”. Using the Helsinki Network to overcome the East-West-Divide

Panel 4 – Konstellationen in Wien I: Der Westen und die N+N
Moderation: Hermann Wentker

Jussi Hanhimäki (Genf): Shifting Agendas? United States and the Vienna CSCE

Matthias Peter (Berlin):Die Europäische Politische Zusammenarbeit auf dem Wiener Folgetreffen 1986 bis 1989

Kai Habel (Genf): Divergent Neutral Strategies: The N+N and the Issue of Disarmament

Panel 5 – Konstellationen in Wien II: Die beiden deutschen Staaten und der Einfluss östlicher Geheimdienste
Moderation: Kai Habel

Simon Graham (Sydney): Intelligence Perspectives on Freedom and Security. The Stasi, East Germany and the CSCE Conference in Vienna

Douglas Selvage (Berlin): The Threat of Transnational Relations. The Stasi, the KGB, and the CSCE Follow-Up Meeting in Vienna, 1986–1989

Panel 6 – Konstellationen in Wien III: Die Sowjetunion und die mitteleuropäischen Staaten
Moderation: Kai Habel

Willi Schrenk (Berlin): Ein deutsch-deutscher Konflikt im multilateralen Rahmen. Die Debatte zum Mindestumtausch auf dem Wiener Folgetreffen

Wanda Jarząbek (Warschau): The Vienna Follow-up Conference and Changes in Poland 1986–1989. Reflections on the influence of the CSCE process on overcoming the division of Europe