Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen erweist er als Götter, die andern als Menschen, - die einen läßt er Sklaven werden, die anderen Freie.1 Der Stellenwert von Krieg und Gewalt – so der vorsokratische Philosoph Heraklit – ist nicht hoch genug anzusetzen. Krieg galt in der Antike als legitime „Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.“ Konträr dazu der Stellenwert, der der antiken Militärgeschichte in der Altertumswissenschaft lange Zeit zugewiesen wurde: Weit entfernt von jener ihr von Heraklit zugetragenen Gewichtigkeit, fungierte sie vielmehr als wissenschaftliche Randerscheinung; ja geradezu als „one of the least glamorous sectors of human history.“ 2
Galt die antike Militärgeschichte somit lange Zeit als Sackgasse, so befindet sich die Disziplin seit dem Ende des 20. Jahrhunderts in einem regelrechten Aufwärtstrend. Fernab vom Bild einer Disziplin in den Händen einzelner Spezialist:innen ist die Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt geradezu in den Mittelpunkt der Altertumswissenschaft vorgerückt. Denn im Gegensatz zur älteren Auffassung, bei welcher der Fokus meist auf der Schlachten- und Militärgeschichte lag, versteht sich die „neue Militärgeschichte“ vielmehr als Vereinigung vieler verschiedener altertumswissenschaflicher Teildisziplinen.
Die „neue Militärgeschichte“ lässt sich somit längst nicht mehr auf die bloße Rekonstruktion des Schlachtengeschehens reduzieren, sondern tritt heute insbesondere als Konglomerat von sozial-, mentalitäts- und kulturgeschichtlicher Perspektiven in Erscheinung.3
Angesichts dieser Fülle an Möglichkeiten standen im Zentrum der Konferenz Vorträge ganz unterschiedlicher Themenfelder, die sowohl den Teilnehmer:innen vor Ort als auch den per Zoom Zugeschalteten einen Einblick in die aktuellen Forschungen der antiken Militärgeschichte gewähren sollten. Der europäische Teil der Konferenz in Bonn war ferner mit dem zeitgleich in Sioux Falls stattfindenden amerikanischen Teil über Zoom verbunden. Positiv hervorzuheben gilt es dabei, dass die Konferenz nicht nur gedachte, das ganze militärhistorische Spektrum mit insgesamt 47 Vorträgen abzudecken, sondern gleichzeitig auch danach strebte den Aspekt der „Multinationalität“ und eine damit verbundene „Multiperspektivität“ in den Vordergrund zu rücken, zumal nicht nur Teilnehmer:innen aus Europa, sondern auch aus Asien, Afrika und Ozeanien vertreten waren.
Den Anspruch dieser dreitägigen Konferenz machten bereits die unterschiedlichen Panels deutlich: Ziel war es eben nicht allein die griechische und römische Geschichte vergleichend auf ihre militärischen Praktiken hin zu analysieren und dabei möglichst die gesamte Bandbreite der Antike abzudecken. Vielmehr lag die Motivation darin, aktuelle Forschungsströmungen aufzugreifen und gleichzeitig die Vielfalt der zahlreichen innovativen Ansätze aufzuzeigen. So fanden sich parallel zu den „klassischen“ Kategorien (warfare, tactics, assassinations) auch solche, welche sich explizit der Aufgabe widmeten, „klassische“ Kriegsbilder zu dekonstruieren und so das Unsichtbare sichtbar zu machen: Im Zentrum standen demnach nicht nur Gewaltpraktiken, Kriegsabläufe oder Schlachtordnungen, sondern auch Fragen nach Geschlechterrollen (vor allem nach der politischen/militärischen Rolle der Frau in der Antike), nach Identität und Alterität (nach der Wahrnehmung des Fremden – und damit eng verknüpft – nach der Selbstwahrnehmung und Selbstverortung), nach Individualität (insbesondere in Bezug auf die Aufgabe des einzelnen Individuums in einem bestimmten Kollektiv) sowie die Frage nach einer Verknüpfung von Militär und Gesellschaft.
Dass man sich mit einem solchen Anliegen kein einfaches Ziel gesetzt hatte, darauf verwies bereits die von FERNANDO ECHEVERRÍA (Madrid) gehaltene Keynote-Lecture: Problematisch – so der Historiker – sei eben nicht allein die Tatsache, dass man sich zum Verständnis antiker Kriegsgeschehen von modernen „Vorstellungen“ und dem damit zusammenhängenden und spezifizierten „Kriegsvokabular“ distanzieren muss. Vielmehr müsse man versuchen, sich von jener der Militärhistorie stets anhaftenden aktionsbehafteten Dimension zu lösen, um so Ereignisse nicht nur aus ihrer militärischen Sicht zu thematisieren, sondern diese auch soziologisch, kulturell und ideologisch einordnen zu können.
Jedoch legten viele der Vorträge überzeugend dar, dass man sich der „Besonderheit“ der eigenen Disziplin und jener damit einhergehenden Problematiken durchaus bewusst war. In diesem Sinne strebte beispielsweise MARCO ALMANSA FERNANDEZ (Santander) an, sich von dem klassischen Narrativ des Militärs als einer rein maskulinen Welt zu distanzieren und dieses Bild durch die Fokussierung auf die militärisch-politische Rolle der Frau entsprechend anzupassen, wenn nicht sogar vollkommen aufzulösen. Wenn auch die Rolle der Frau – insbesondere dann, wenn man „Militärgeschichte“ nicht als reines Schlachtengeschehen versteht, sondern den Begriff weiter fasst und als ein Wechselspiel zwischen der Institution Militär und der jeweiligen Gesellschaft betrachtet – eigentlich kaum zu überhöhen ist, so gilt es doch weiterhin zwischen einzelnen Fallbeispielen zu differenzieren. So legten etwa PEDRO CONESA NAVARRO (Madrid) und CARLOS ESPÍ FORCÉN (Murcia) am Beispiel von Fulvia überzeugend dar, dass es sich bei der ihr zugetragenen Rolle in den Kämpfen der ausgehenden römischen Republik als imperatorix um ein von Erwartungen geprägtes Phantasma handelt, das sich bei näherer Auseinandersetzung mit der Münzikonographie nur schwerlich halten lässt.
Wenngleich die fundamentale Rolle, welche Frauen in solch männerdominierten sozialen Räumen wie der Armee wahrnahmen, oft erst bei einer Verknüpfung der militärischen Sphäre mit anderen gesellschaftlichen Strukturen erkennbar wird, so konnte IOANNIS MITSIOS (Athen) in seiner Athen und Böotien behandelnden komparativen Studie deutlich machen, dass selbst auf dem Schlachtfeld die Geschlechterrollen verschwammen. Genau wie bei Männern galt auch bei Frauen – wenngleich sich dies nur auf Jungfrauen, insbesondere Königstöchter bezog – die eigene Aufopferung für das Wohlergehen der Stadt als Voraussetzung für die eigene Heroisierung. Ideale wie Mut und Courage durch den Tod auf dem Schlachtfeld ebenso wie abseits des Schlachtengeschehens waren somit eben nicht allein vom männlichen Geschlecht monopolisiert und einforderbar, sondern Frauen konnten ebenso gut jene Vorbildfunktion des Kriegshelden bzw. vielmehr der Kriegsheldin einnehmen.
Vielversprechend sind dabei gerade Ansätze, welche die Armee ausdrücklich nicht als „geschlossenen Verband“ wahrnehmen, sondern danach streben, Armee und Gesellschaft miteinander zu verknüpfen, um so das Militär als „Kollektiv“ zu dekonstruieren und das individuelle Handeln in den Vordergrund zu stellen. In diesem Sinne entmystifizierte IMOGEN HERRAD (Bonn) das Bild einer von Disziplin und Gehorsam geprägten spartanischen Armee und dekonstruierte gleichzeitig den Topos der spartanischen „Kollektivgesellschaft“. Anders als man es nämlich angesichts der antiken Deskriptionen erwarten dürfte, war der spartanische Staat durchaus von persönlichen Ambitionen und individuellen Machtgebären geprägt.
Auf ähnliche Weise ging es auch MARIAN HELM (Münster) an: So legte er überzeugend dar, dass die römisch-republikanische Armee eben keinen von der Gesellschaft „abgetrennten Sozialraum“ mit eigenen Regeln, Gesetzen und Bräuchen darstellte, sondern vielmehr als ein gesellschaftliches „Spiegelbild“ anzusehen sei. So wie den „Alten“ – namentlich dem pater familias – in der römischen Gesellschaft die Gewalt (potestas) über ihre Haushalte zufiel, so wurde den „alten Männern“ (triarii) nach Helm auch in der Armee eine tragende Funktion zugestanden. Wenngleich sie erwartungsgemäß auch nicht in vorderster Front mitkämpften, so war es doch ihre Aufgabe – quasi als physisch-präsente exempla –, die jungen Männer stets zur Höchstleistung anzustacheln. Nicht nur das römische Patriarchat fand so im Heer der Republik seine Reflektion, sondern auch das Mosaik aus den gemeinschaftlichen Verhältnissen der Italiker zu Rom, welches in der Aufteilung des Marschlagers nach Bürgern, socii und ihren Gemeinden seine Entsprechung fand.
Wie schon diese kurze Auswahl an Beispielen zeigt, waren sowohl klassisch-philologische und archäologische Ansätze als auch modernere soziologische Themen und Methodiken vertreten. Die Vorträge spiegelten somit die ganze Bandbreite und Vielfalt der Disziplin wider, und konnten den Mehrwert der Militärgeschichte, der sich aus seiner Synthese mit anderen Strömungen der Vergangenheitsforschung ergibt, aufzeigen. Von der Rekonstruktion vergangener Gemeinwesen wie in der aufgezeigten Reflektion der römischen Gesellschaft in ihrem Militär bis hin zur Dekonstruktion von Topoi über vermeintliche Kriegergesellschaften, in denen das Individuum in seiner Rolle als Kämpfer gänzlich aufgeht, waren Ansätze jeder Couleur vertreten. So wurde zum einen der Wert fundierter numismatischer Grundlagenforschung demonstriert, zum anderen der Nutzen detailorientierter und sorgfältiger Quellenarbeit aufgezeigt und eine erfolgreiche, produktive Konferenz nach regem Austausch abgeschlossen.
Konferenzübersicht
Warfare in the Greek World
Ignacio Jesus Alvarez Soria (Zaragoza): An Easy Victory. The Athenian Expedition in Aetolia in 426 BC
Lennart Gilhaus (Bonn): City assaults and unbounded violence – The destruction of Motye as a model for the capture of cities in the Greek World
Ole Sebastian Siems (Berlin): The last journey of the Argyraspids – A case study on the political role of Alexander’s veterans in the early wars of the Diadochoi
The Roman Civil Wars
Carlos Espí Forcén (Murcia) – Caesar’s Elephant: A Powerful Icon in Time of War
David Hack (Vienna) – A Land of Confusion? – Irregular and personal power versus state control of military forces in Archaic Etruria and Rome
Keynote Lecture
Fernando Echeverría (Madrid): Translations, analogies and metaphors. Interpreting ancient warfare in the 21st century
Women and Warfare
Marco Almansa Fernandez (Santander): Mulierum Agmen. Women and Roman Army: Making the Invisible Visible
Pedro D. Conesa Navarro (Madrid) / Carlos Espí Forcén (Murcia): The Fulvia-Victory Bust: A Female Image for the Wars of the Second Triumvirate
Amanthee Pussepitiya (Peradeniya): “Women’s Invisibility” in Military History. A case-by-case analysis of reasons for the female erasure from the historical narrative
Greeks and the Others
Tatiana Tereshchenko (Moscow): Military Theme in the Images of the Others in Greek Vase Painting of the Middle of the 6th – Early 4th Centuries BC
Daniel Emmelius (Essen): Insane undertakings? Cambyses and the crossing of deserts with armies in Herodotus
Florian Feil (Trier): Scythian lancers and their influence on fourth-century Persian, Thracian and Macedonian cavalry
Rome and the Others
Peter Freiherr von Danckelman (Oldenburg): Steppe Warfare and a Palmyrene Militia?
Julian Gieseke (Bielefeld): At the emperor’s service: The armies of dependent states and peoples as a military factor in the early imperial period
Alastair Lumsden (St Andrews): What it means to be a Man: Elite Masculinity and Military Development in Cisalpine Gaul c. 400-50
Home and Away in Classical Greece
Phyllis Brighouse (Liverpool): War and Greek old comedy: A dialogue between past and present in Aristophanes’ knights
Ioannis Mitsios (Athens): Sacrificial virgins in Athens and Boeotia: A comparative study
Michael Zerjadtke (Hamburg): Disarming and rearming citizens: The social and political relevance of weapon possession in classical Greece
Assassinations: The Greek World
Fiona Phillips (Oxford): Carian Conflict! The failed assassination of Mausolus
Julius Guthrie (Exeter): The assassination of Dion
Ömer Güngörmüş (Efeler): Sealing the fate of a dynasty: Assassinations of the late Argead royals of Macedonia
Assassinations: The Roman World
Alexander Thein (Dublin): Political assassinations in the Sullan period: c. 90-70 BC
Jurriaan Gouw (Edinburgh): The role of the Praetorian Guard in the assassination of Domitian and the rise of Trajan
Silvio Roggo (Frankfurt): An unsuccessful assassin’s career in Constantinople
The Roman Imperial Army
Joanna Ball (Liverpool): Nothing to Fear but Fear Itself? Combat Disintegration and the Roman Army
Anna Busetto (Milano / Padua): (Not so) elementary, my dear Arrian! Tackling a locus desperatus in Arrian’s Tactica
Hanna Fritz (Innsbruck): Grain supply in Roman frontier zones: a comparison of the Vindolanda tablets and the Bu Njem Ostraca
Korneel van Lommel (Antwerp / Leuven): How to seize power? Political violence during the Year of the Five Emperors
Greek Tactics
Natasha Bershadsky (Bonn): The death of Patroklos and the beginning of the phalanx
Raimon Graells I Fabregat (Alicante) / Alessandro Pace (Fribourg): Weapons and Hoplites. A Critical Discourse from Vases, Texts and Realia
Isabell Tscheinig (Graz): Social aspects of the lightly armed troops in the classical period
Georgios Tsiakalos (Athens / Crete): Inglorious Warriors: The Aetolian elite fighters and their controversial tactics
The Punic Wars
Bryant Ahrenberg (Auckland): Ship-binding in Antiquity: The Practice, Purpose, and Possibilities
Fabrizio Biglino (Turin): Rethinking the causes of the Third Punic War
Gabriele Brusa (Pavia): Marcellus at Nola and the employment of the ‘long spears of the naval soldiers’: trying to make sense of Plutarch, Marcellus, 12.2
Warfare and Culture in the Roman Republic
Marian Helm (Münster): Creating ‘natural fighters’: Age and social expectations in the Roman republican army
Sally Mubarak (St Andrews): The Plot Thickens: Repatriation and Burial of War-dead in the Mid-Republican Period
Theresia Raum (Hamburg): A matter of time – The logics of military violence in the Roman republic
Classical Sparta
Martine Diepenbroek (Johannesburg): The Spartan scytale: A simple stick or a useful cryptographic device?
Imogen Herrad (Bonn): Plataiai 479: ‘The others obeyed, but not Amompharetos’ (Hdt. 9.53.2) A case study of Spartan disobedience
Han Pedazzini (Turin): Alone in command. The legality problem of Spartan military prostasia after the King’s Peace
Late Antiquity I
Lukasz Rózycki (Poznan): Roman night combat in VI century – theory and practice
Christopher Ian Lillington-Martin (Barcelona): Narratives of the Battle of Dara, 530
Douglas Whalin (Vienna): Roman strategy in the second Roman-Arab war (AD 654-659)
Late Antiquity II
Winfried Kumpitsch (Graz): The cultic role of the officers in the Christian Roman army
Christian Michel (Essen): Better men? Court eunuchs as generals in the Eastern Roman Empire
Julius Schwarz (Bonn): "Reading" the late Roman army
Anmerkungen:
1 Heraklit. Fragmente. Griechisch-deutsch, herausgegeben von Bruno Snell, Zürich / München 2007.
2 Bourke Joanna, New Military History, In: Hughes Matthew und Philpott J. William (Hrsg.), Palgrave Advances in Modern Military History, London 2006, S. 275.
3 Vgl. Citino M. Robert, Military Histories Old and New: A Reintroduction, In: The American Historical Review 112 (4), 2007, S. 1070-1090.