The straight past of a queer present? Fünfte Jahrestagung des Arbeitskreis Sexualitäten in der Geschichte

The straight past of a queer present? Fünfte Jahrestagung des Arbeitskreis Sexualitäten in der Geschichte

Organisatoren
Klaus van Eickels, Otto-Friedrich-Universität Bamberg; Christine van Eickels, Otto-Friedrich-Universität Bamberg; Sebastian Bischof, Universität Bielefeld; Julia König, Johannes Gutenberg-Universität Mainz; Dagmar Lieske, Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin
Ort
Bamberg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
19.04.2024 - 24.04.2024
Von
Anna Domdey, Göttingen

Krankheitsbedingte Absagen konnten nicht verhindern, dass die Organisator:innen ein spannendes, dicht bepacktes Programm präsentierten, dem die Anwesenden viel abgewinnen konnten. Dies zeigten die vielen Rückfragen und angeregten Diskussionsrunden im Anschluss an die jeweiligen Panel und in den Pausen.

Im Mittelpunkt der Tagung, eingeleitet durch KLAUS VAN EICKELS (Bamberg), CHRISTINE VAN EICKELS (Bamberg) und SEBASTIAN BISCHOFF (Bielefeld), stand die Frage nach der Regulierung gleichgeschlechtlichen Begehrens und homosexuellen Verhaltens. Außerdem sollte der Blick auf unterschiedliche Kulturen von der Antike bis zur Gegenwart und dabei vor allem auf die sich verschiebenden Grenzen des Erlaubten gerichtet werden. Ersteres ist durchaus gelungen und in nahezu allen Beiträgen thematisiert und fruchtbar in Bezug zueinander gesetzt worden. Der kulturvergleichende Aspekt fiel aufgrund der Absagen leider etwas kürzer aus.

Das erste Panel eröffnete Klaus von Eickels (Bamberg), der anhand mittelalterlicher Quellen die Wahrnehmung mann-männlicher Nähe untersuchte. Teile seines Fazits setzten dabei gewissermaßen den Rahmen der Tagung: dass das moderne Konzept der „sexuellen Orientierung“ unbrauchbar für das Verständnis mittelalterlicher Quellen sei und bei sexuellen Handlungen die Umstände des Einzelfalls zu betrachten seien. Eben jene quellenkritische Annäherung an den Forschungsgegenstand sowie ein notwendiges Bewusstsein über den Konstruktionscharakter westlicher, moderner Begriffe und Perspektiven durchzogen alle Panels der beiden Tagungstage.

Wie sich solch ein Konstruktionscharakter und verschiedene Deutungsmuster wandeln können, zeigte STEPHANIE RIEDER-ZAGKLA (Wien) in ihrem Beitrag. Sie untersuchte, wie gleichgeschlechtliches Begehren vor österreichischen Zivilgerichten im 18. und 19. Jahrhundert thematisiert wurde. Das Begehren stand dabei im Mittelpunkt des richterlichen Interesses, das sich analog zu medizinischen, rechtlichen und sexualwissenschaftlichen Diskursen entwickelte. So sei beispielsweise Richard von Krafft-Ebings Unterscheidung zwischen „perversem“ (also gleichgeschlechtlichem) Empfinden und geschlechtlichen Akten implizit aus den Akten herauszulesen und stelle ein Beispiel dar, wie sich die zivilgesellschaftliche Grenzziehung des Erlaubten und nicht-erlaubten verändert habe.

Das zweite Panel, das sich mit Alteritätsfiguren der Frühen Neuzeit befasste, war das vielseitigste Panel der Tagung und wurde durch einen akribischen Beitrag von JAKOB MICHELS (Hamburg) zur Rezeptionsgeschichte der Sexualität König Friedrichs II. von Preußen eröffnet. Dabei legte Michels überzeugend dar, wie ohne belastbare Quellen zu Friedrichs tatsächlicher Sexualität seit seinen Lebzeiten bis heute über diese spekuliert wird. Dass er zeitgenössisch unter besonderer höfischer Beobachtung stand und wünschenswerte Tugenden nicht von der politisch gefärbten Wahrnehmung Friedrichs II. zu trennen sind, seien Fakten, denen in der jüngeren Rezeptionsgeschichte Friedrichs II. zu wenig Beachtung geschenkt werde. So seien potenzielle gleichgeschlechtliche Kontakte und seine Kinderlosigkeit im 19. Jahrhundert im Zuge der deutschen Nationenbildung als asketisches Ideal und Friedrich als deutscher Nationalheld stilisiert worden. Seit den 1960er-Jahren dominiere hingegen eine Dramatisierungstendenz, die in essenzialisierender Weise zu bestimmen versuche, ob Friedrich II. nun schwul gewesen sei oder nicht. Dabei würden nicht nur historische Quellen wenig gewürdigt, sondern der historischen Figur würden moderne Begriffe übergestülpt und gleichsam historische Begriffe („Sodomie“) ohne Reflektion übernommen. Entsprechend endete Michels mit einem starken Plädoyer für Quellenkritik und angemessen formulierte Fragestellungen auf Grundlage des Forschungsstandes.

Daran anschließend hielt MAIK SCHURKUS (KÖLN) einen weiteren biografischen Vortrag. Im Gegensatz zu Friedrich II. sind vom Naturkundler Georg Forster jedoch einige aussagekräftigen Selbstzeugnisse erhalten. Schurkus machte sich ebenfalls nicht auf die Suche nach der Homosexualität Forsters, sondern betrachtete die einzelnen Beziehungskonstellationen in Georg Forsters Leben und das sich in dessen Selbstdarstellungen verändernde Gesellschaftsbild während der Aufklärung. „Und da ich dich nicht haben kann, so ist Therese von dieser Seite die zweite auf der Liste“, schrieb Forster an Thomas von Sömmering über seine Eheschließung mit Therese Heyne. Diese Ehe wurde geschlossen, wie Schurkus deutlich machte, damit Forster der Gefahr der sozialen Ausgrenzung und der Angst vor Statusverlust aus dem Weg gehen konnte. Viele seiner Anmerkungen beziehen sich auf diese Angst. Die ausbleibenden gesellschaftlichen Sanktionen vergrößern noch weiter den Zwiespalt zwischen Auseinanderdriften des sozial Möglichen und des religiös-normativ Erlaubten. Gleichzeitig, so Schurkus, sei in dieser Zeit ein wachsendes Gruppenbewusstsein anhand der Kontaktpflege zu „Gleichgesinnten“ zu beobachten.

Zum Abschluss des Panels wurde es mit HANS-PETER WEINGANDS (Graz) Beitrag noch etwas vulgär. Die Stärke des Vortrags lag in seiner kulturwissenschaftlichen Betrachtung der gleichgeschlechtlichen Liebe und wie sie sich in Stereotypen im Europa des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts äußerte. Weingands Vorüberlegungen waren es, jenseits der bürgerlichen strafrechtlichen, medizinischen oder religiösen Deutung nach alternativen Erzählungen zu suchen, was ihn dazu brachte, sich mit erotischer/pornografischer Literatur zu befassen. Unter anderem an John Clelands Fanny Hill werde deutlich, dass gleichgeschlechtlich orientierte Männer wesentlich vielseitiger dargestellt werden, als bloß als moralisch verdorben. Unter anderem Marquis de Sade und Jeremy Bentham plädierten in ihren Schriften gegen eine Kriminalisierung der Homosexualität oder versuchten gängige Vorurteile zu entkräften. Weingand ergänzte das Panel um einen durchaus lustvollen Beitrag - wie es bei einer Tagung zur Sexual(itäts)geschichte nicht fehlen darf -, dessen Thesen jedoch etwas stärker hätte gemacht werden können. So verblieb der Beitrag als Work in Progress ohne klares Fazit.

Im letzten Panel des Tages zeigten STEFAN MICHELER (Hamburg) und LÜDER TIETZ (Oldenburg), wie Gruppenidentitäten und -zuschreibungen von innen wie außen konstruiert werden konnten. Micheler untersuchte dies anhand von Freundeszeitschriften im Deutschland der 1920er-Jahre. Männer begehrende Männer verfolgten darin einerseits das Ziel, politisch nach außen zu wirken (und sich beispielsweise für die Abschaffung des §175 einzusetzen), aber auch gesellschaftlich nach innen und außen positive (Selbst-)Bilder aufzubauen. Um letzteres zu erreichen, wurde sich einerseits von der heterosexuellen Normalität abgegrenzt und eine eigene Natürlichkeit konstruiert, wofür auch eklektizistisch auf bestehende wissenschaftliche Theorien zurückgegriffen wurde. Andererseits wurden in der Gruppe der Anderen auch effeminierte Männer und, in der damaligen Terminologie, Transvestiten eingeordnet, die für die gesellschaftlich Diskriminierung verantwortlich gemacht wurden.

Mit Blick auf Michels Vorbemerkung, dass Transvestiten-bezogene Themen eher in den Freundinnen-Zeitschriften auftauchten und vermutlich später weniger wurden, lohnen sich weitere Forschungsunternehmen. Es wäre zu untersuchen, ob unter Frauen Ausschlussmechanismen ähnlich funktionierten oder ob und inwiefern unter Männern eine Annäherung an die hegemoniale Männlichkeit besondere Dynamiken produzierte. Damit wird ein kleines Desiderat der Tagung deutlich. Die meisten Beiträge konzentrierten sich auf gleichgeschlechtliches Begehren unter Männern. Ein Blick auf Frauen oder historische Erscheinungsformen von Nichtbinarität kam, auch durch krankheitsbedingte Absagen, zu kurz.

Im Anschluss an Micheler warf Lüder Tietz einen Blick über die Grenzen Europas hinaus. Seine Forschung beschäftigt sich mit dem Erbe der kolonialen Ethnologie und dekolonialen indigenen Praktiken, mit einem Fokus auf non-heteronormativen Geschlechtern und Sexualitäten. Für das heutige Nordamerika konstatierte er für indigene Bevölkerungen einen vielfältigen Bezug auf den Begriff „Tradition“, der neben indigenen Werten, Institutionen und Spiritualität auch die Geschichte der Kolonisierung und des Rassismus, Sexismus und der LSBTI-Feindlichkeit umfasst. Da die Quellenlage ein Problem darstellt, untersuchte er die Rezeptionsgeschichte. Dabei wurde in seinem Vortrag deutlich, dass heutige indigene LSBTI/Q-Perspektiven Kolonialklischees aufgreifen, aber auch Kritik an neokolonialer Gewalt artikulieren. Aussagen könnten entsprechend eher zu eurokolonialen Phantasmen als zu indigenen Praxen und Konzepten getroffen werden.

Die Keynote wurde von Klaus van Eickels gehalten, der für den kurzfristig erkrankten Norbert Finzsch (Berlin/Köln) einsprang. Finzsch, der zu Native Americans als Vorläufer der Queer Nation zum Programm beigetragen wollte, hätte zum erklärten Ziel der Tagung beigetragen, nicht-heterosexuelles Verhalten im Kulturvergleich zu beleuchten.

So sprach van Eickels stattdessen über den Nutzen der biographischen Methode in der Kulturgeschichte der Sexualitäten. Ausgiebig rekonstruierte er die sich kreuzenden Lebenswege dreier Männer im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Dabei spielen gleichgeschlechtliche Beziehungen zwar immer wieder eine Rolle. Ob das abenteuerliche Leben des Apotheker Josef Schedel (1856-1942) und des Hochstaplers Vollbehr jedoch als Beispiele für „queeres Leben“ bezeichnet werden könne, wurde in der anschließenden Diskussion angezweifelt, wobei es vor allem um die Belastbarkeit der Quellen ging. Es ließe sich zudem diskutieren, inwiefern die weite Definition von „Queer“ van Eickels Queerness den subversiven Stachel zieht und sich in Gegensatz zu den Ideen José Esteban Muñoz1 bringt, der Queerness als utopisches Projekt, das immer nur temporär besteht, bis es in die Dominanzgesellschaft eingehegt wird, konzeptualisiert.

Den zweiten Tagungstag eröffnete TOBIAS URECH (Basel) mit einem paradigmatischen Beitrag zum Umgang mit Sexualität in der Geschichte. Mit Rückgriff auf Caroline Arnis (2018)2 rekursive Geschichtsschreibung plädierte er für einen weniger anmaßenden hin zu einer ontologischen Forschungszugang (weil die Forschenden annehmen, dass sie wüssten, wie die historischen Akteur:innen ihre Welt interpretierten): Das würde bedeuten nicht zu fragen, wie und auf welche Weise Homosexualität angeeignet wurde, sondern zu fragen, wie überhaupt gehandelt wird. Was also war eigentlich die untersuchte Beziehung, das untersuchte Gefühl? Im Anschluss müsse dann die rekursive Bewegung angestoßen, die Konzepte der historischen Akteur:innen rekursiv auf die eigenen Konzepte angewandt werden. Dies könne auch zur Hinterfragung gegenwärtiger Annahmen nützlich sein.

Im Anschluss an Urech stellte HANS GOERDTEN (Frankfurt am Main/Tübingen) sein Dissertationsprojekt vor. Darin untersucht er Diskurse schwuler und bisexueller Männer um sexuelle Gewalt und Missbrauch. Goerdten konstatierte eine Gleichzeitigkeit von Sensibilisierungsprozessen, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hätten, sowie Gegendiskursen, die diese Gewalt leugnen würden. Zu den Senisibilisierungsprozessen zählte er eine zunehmende Thematisierung des Problems, ein höheres Selbstbewusstsein unter jüngeren schwulen Männern, eine rückblickend andere Einordnung von Erlebnissen und eine Entgegensetzung zu den „freizügigen“ 80er-Jahren: HIV war zuvor das dominierende Thema und Schwulenemanzipation ermögliche es nun auch über die „Schattenseiten“ zu sprechen. Im Gegendiskurs werde Sexualität als aggressiv und gewaltvoll naturalisiert. Es fände ein positiver Anschluss an die „befreiten“ 80er-Jahre statt und Versuche, Gewalt und Missbrauch zu thematisieren, würden ausgebremst werden.

Zuletzt thematisierte Goerdten die Schwierigkeit des Feldzugangs, insbesondere Interviewpartner zu finden, die sich selbst als Betroffene von sexualisierter Gewalt wahrnehmen. In der anschließenden Diskussionsrunde wurde versucht, hierfür Lösungen zu finden. Teilweise fielen Kommentare aus dem Plenum etwas unsensibel gegenüber Betroffenen sexueller Gewalt aus. Es ist zu wünschen, dass Goerdten es schafft im Forschungsdesign die Sensibilität im Umgang mit potenziellen Interviewpartnern für diese schwierige und wichtige Forschungsarbeit zu reflektieren.

Das fünfte und letzte Panel eröffnete KEVIN-NIKLAS BREU (Bremen), der sich mit dem Erbe der radikalen Schwulenbewegung der 1970er und 1980er-Jahre beschäftigte. Im Vergleich zwischen den USA und der BRD konnte er eine leicht versetzt eintretende Gruppenbildung in Deutschland feststellen. Die AIDS-Krise funktionierte jeweils als Katalysator schwuler linker Politik, die zu einer Institutionalisierung, Diversifizierung und Transnationalisierung der Schwulenbewegung und des Community-building unter der Prämisse von Gesundheitsfürsorge mit staatlichen Mitteln führte. Gleichzeitig seien wesentliche Prinzipien der Bewegung erhalten geblieben, die sich aus dem Wunsch nach freudomarxistischen Gesellschaftstransformationen, Staatskritik und kulturellem Widerstand ergaben. In seinem Fazit konstatierte Breu die Konstitution einer linken Gouvernementalität durch die sozialen und kulturellen Minderheiten Mitsprache im öffentlichen politischen Diskurs ermöglicht wurde.

In RENAUD LAGABRIELLES (Wien) Beitrag ging es ebenfalls um das Thema AIDS, allerdings aus der Perspektive des heutigen Frankreichs. Im Film Théo & Hugo (2016) haben zwei schwule Männer anonymen Sex miteinander und verbringen im Anschluss mehrere Wochen miteinander, bis sie wissen, ob sich Théo aus Versehen bei Hugo mit HIV angesteckt hat. Die Eingangsszene des Films, in der vor allem Begehren gezeigt wird, stelle klassische romantische Vorstellungen in Frage, so Lagabrielle. Später werde deutlich, dass eine romantische Beziehung trotz HIV-Infektion möglich sei. Damit passiere eine Verqueerung des heterozentristischen Liebes-Diskurses. Es sei gewissermaßen ein post-AIDS Film, der zeige, dass ein schwuler Umgang miteinander auch respektabel sein könne, ohne an heterosexuellen Normen gemessen zu werden.

Einen thematischen Bruch stellte der letzte Vortrag der Tagung dar, der deswegen jedoch nicht weniger positiv aufgenommen wurde. EWELINA WOZNIAK-WRZENSINSKA (Gießen) gab einen Einblick in ihre Forschung zum Gender-Diskurs in den polnischen Medien. Sie arbeitete drei Hauptmythen heraus: 1) LGBTQ+ Rechte als westliche Importware, 2) LGBTQ+ Personen als Gefahr für die Traditionelle Familie, bzw. die Utopie der christlichen Kultur und 3) Polnisch Identität und Homophobie sind untrennbar verbunden mit der Ideologie des Hompatriotismus. Gemeint ist mit letzterem, dass Homophobie nicht individuell ist, sondern sie zu einem integralen Bestandteil der polnischen Kultur gemacht werde. Die genannten Mythen würden weitere Mythen bestärken und so letztlich LGBT-Feindlichkeit legitimieren. Als Beispiel nannte Wozniak-Wrzesinska die Utopie der christlichen Kultur: LGBT Personen lebten per se außerhalb der christlichen Utopie und damit außerhalb des ideologischen Glaubenssystems. Sie könnten in dieser Vorstellung also nie Teil der polnischen Kultur sein.

In der Abschlussdiskussion wurde festgehalten, dass wir uns als Forschende dem Konstruktionscharakter westlicher Perspektiven gewahr sein müssen: Dekonstruktions- und Übersetzungsleistungen müssen gemacht werden, von der Idee vermeintlich Vertrautem in der Vergangenheit müssen wir uns verabschieden. Damit einher geht auch das Ringen um die Begrifflichkeiten, wie es Tobias Urech programmatisch und Jakob Michelsen exemplarisch dargestellt haben. Als eine Schwierigkeit wurde die Verflechtung der Akademie mit politischen Debatten ausgemacht, wodurch die auf der Tagung geforderte historische Komplexität oft verkürzt werde; nicht nur im Feld des Politischen, sondern auch im wissenschaftlichen Alltag. Geschichte als Werkzeug zu begreifen, auch als eine Notwendigkeit um gleichgeschlechtliches Begehren im Wandel analysieren zu können, hat die Tagung hervorragend gezeigt und daran anschließende Fragen eröffnet, die an den interdisziplinären Charakter des zweiten Konferenztages anknüpfen. Geschichtsdidaktik, Aktivismus und Interdisziplinarität werden weiter im Gespräch bleiben - nicht zuletzt, weil sich mehrere Beteiligte immer wieder die Frage stellten, ob Gendern auf der Tagung erlaubt sein würde. Im Sinne der Freiheit der Wissenschaft hatte die bayrische Staatskanzlei den Asterisk auf dem Veranstaltungsplakat jedoch erlaubt.

Konferenzübersicht:

Klaus van Eickels (Bamberg), Christine van Eickels (Bamberg), Sebastian Bischoff (Bielefeld): Einführung

Panel 1: Nicht-heterosexuelles Begehren und Verhalten: Longue durée

Klaus van Eickels (Bamberg): Mann-männliche Nähe und homosexuelle Handlungen in mittelalterlichen Quellen

Stephanie Rieder-Zagkla (Wien): „..und ich vermuthe, daß mein Mann auch mit diesem Knechte Unzucht getrieben habe.“ Gleichgeschlechtliches Begehren im Fokus von Ehegerichtsakten zwischen 1783 und 1938

Panel 2: Alteritätsfiguren der Frühen Neuzeit

Jakob Michelsen (Hamburg): Zur Rezeption der Sexualität König Friedrichs II. von Preußen

Maik Schurkus (Köln): Georg Forster – Selbst- und Fremdzeugnisse zwischenmännlichen Begehrens des Weltreisenden

Hans-Peter Weingand (Graz): Männer mit Eigenschaften. Sodomiter, Warme, Knabenschänder: Stereotypen in Europa 1750-1830

Panel 3: Nicht-heterosexuelles Begehren und Verhalten im 19. Jahrhundert

Stefan Micheler (Hamburg): Die Durchsetzung der Homo-/Hetero-Dichotomie unter Männer begehrenden Männern in Deutschland in den 1920er Jahren

Lüder Tietz (Oldenburg): Anmerkungen zu heutigen indigenen LSBT*I/Q Perspektiven auf nonheteronormative Geschlechter und Sexualitäten im kolonialen Nordamerika

Keynote:

Klaus van Eickels (Bamberg): Vom Nutzen der biographischen Methoden in der Kulturgeschichte der Sexualitäten. Oder: Drei Abenteurer auf sich kreuzenden Wegen im späten 19. und frühen 20 Jahrhundert (Josef Schedel, Felix von Gutschmid und Otto Vollbehr)

Panel 4: Nicht-heterosexuelles Begehren und Verhalten im 20. Jahrhundert I

Tobias Urech (Basel): “Does history hate lovers?” Innige Frauenfreundschaften in der Schweiz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Hans Goerdten (Frankfurt am Main/Tübingen): Wandel und Gleichzeitigkeit: Diskurse schwuler und bisexueller Männer über sexuelle Gewalt und Missbrauch

Panel 5: Nicht-heterosexuelles Begehren und Verhalten im 20. und 21. Jahrhundert II

Kevin-Niklas Breu (Bremen): Die longue durée der sexuellen Befreiung. Transformation der Selbstverortungen und Praktiken schwuler Männer dies- und jenseits des Atlantiks in den 1970er und 1980er Jahren

Renaud Lagabrielle (Wien): Vom Sex-Club in eine gemeinsame Zukunft? Homosexuelles Begehren, Lust und Engagement im zeitgenössischen französischen Kino

Ewelina Wozniak-Wrzesinska (Gießen): Der Gender-Diskurs in den polnischen Medien (2015-2023)

Anmerkungen:
1 Munoz, José Esteban: Cruising Utopia. The then and There of Queer Futurity, New York 2019 [1. Aufl. 2009]
2 Arni, Caroline: Nach der Kultur. Anthropologische Potentiale für eine rekursive Geschichtsschreibung, in: Historische Anthropologie 26 (2), 01.08.2018, S. 200–223. Online: https://doi.org/10.7788/ha-2018-260206