XI. Dr. Fritz Exner-Kolloquium zur Südosteuropaforschung

XI. Dr. Fritz Exner-Kolloquium zur Südosteuropaforschung

Organisatoren
Jacqueline Nießer, Universität Regensburg; Südosteuropa-Gesellschaft e.V., München; Claudia Weber, Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
Ort
Frankfurt (Oder)
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
20.03.2024 - 22.03.2024
Von
Anna Scheuble, Europa-Universität Viadrina

Ende März fand an der Europa-Universität Viadrina das XI. Dr. Fritz Exner-Kolloquium zur Südosteuropaforschung mit einer offenen Themenausschreibung statt, denn so vielfältig wie Südosteuropa selbst sind auch die verschiedenen Zugänge und damit die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Beschäftigung. Aus diesem Grund war das XI. Dr. Fritz Exner-Kolloquium von inhaltlicher Offenheit und Interdisziplinarität geprägt. Das Kolloquium war als geschlossener Workshop mit externen Kommentartor:innen gestaltet und wurde von einem intensiven Austausch zwischen den Teilnehmenden, bei dem spontan zwischen deutsch und englisch gewechselt wurde, sowie von einer offenen und konstruktiven Kritik begleitet.

RUŽA FOTIADIS (Berlin) zeigte mit ihrem Eröffnungsvortrag anhand der Beschäftigung mit der Mensch-Tier, genauer gesagt der Mensch-Esel Beziehung, die die vielfältigen Möglichkeiten einer multidisziplinären Perspektive auf Südosteuropa. Ihr Zugang ermöglichte zudem eine Öffnung der (epochenübergeifenden) Forschung. Umwelt-, Technologiegeschichte, aber auch die Genderperspektive spielten eine Rolle.

Im ersten Panel beschäftige sich CHARLOTTE SZALKA (Regensburg) geographisch mit Serbien und befasste sich mit der Frage, wie Identität in der Außenpolitik genutzt wird. Der Schwerpunkt lag auf der EU und Russland, wobei sie die Unterschiedlichkeit der beiden Identitäten und deren Bedeutungen mit Hilfe des Konstruktivismus in den Vordergrund stellte. MÉLODY GUGELMANN (Fribourg) fokussierte sich in ihrem Vortrag auf Georgien und die Zivilgesellschaft als de facto Opposition. In ihrer Forschung wurden Bezüge zur Zivilgesellschaft im postjugoslawischen Raum erkennbar, die damit den Rezeptionsrahmen zum Weiterdenken für Georgien darstellten. Gugelmann warf Fragen auf, ob die EU eine Verbündete sein kann und wie die Zivilgesellschaft diese nutzen kann, um Zugang zu legislativen Entscheidungen zu erhalten. LÁSZLÓ SZERENCSÉS (Istanbul) nahm in seinem Vortrag die unterschiedlichen Beziehungen der Türkei zu Deutschland und zu Ungarn und die Mechanismen, die hinter diesen stehen, in den Blick. Hierbei ging er auf den Status der Türkei als „middle power“ sowie die Bedeutung der Diaspora und der Freiwilligkeit der Kooperation zwischen Ungarn und der Türkei ein. In ihrem Kommentar betonte KATARINA KUŠIĆ (WIEN), die Gemeinsamkeiten in den drei Projekten, wobei sie die Vielzahl der Akteur*innen und den mehrdimensionalen Blick auf die Ebenen der Politik besonders hervorhob.

Im zweiten Panel sprach KATA TÓTH (Wien) über die Gebirgsforschung am Beispiel der Süd- und Ostkarpaten im Spätmittelalter und der frühen Neuzeit – einer wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und umweltlichen Umbruchszeit. Der Fokus lag auf der lokalen Bevölkerung, wobei sie untersuchte, wie das Bewusstsein über das Vorhandensein einer Grenze zunahm und in welchen Situationen der Grenzverlauf besonders wichtig war. CLARA STEINBRENNER (Jena) diskutierte die Rolle der Mutterschaft in der bürgerlichen Frauenbewegung in Rumänien in der Zwischenkriegszeit. Hierbei unterstrich sie u.a. das Spannungsfeld zwischen einem politischen und gesellschaftlichen Mutterideal und der zunehmenden Frauenerwerbsarbeit. Geographisch und zeitlich identisch stellte MANUEL LAUTENBACHER (MAINZ) sein Projekt zur Geschichte der Sozialdemokratie in Rumänien vor, wobei er Fragen der nationalen Organisation und politisch-ideologischen Debatten in den Vordergrund rückte.

Im dritten Panel befasste sich EMA JERKOVIC (Lüneburg) mit der Bedeutung von Familienvideoaufnahmen von (Post)Migrant:innen und ging der Frage nach, ob das Familiengedächtnis zu einem kollektiven Gedächtnis werden kann. Hierbei analysierte sie, wie die Erinnerungen institutionalisiert werden und zur Ermächtigung von (Post)Migrant:innen führen können. Mit der Intersektion von digital nomads, ukrainischen Geflüchteten, Saison- und migrantischen Arbeitenden in Zadar beschäftigte sich ARIS DOUGAS (Graz). Dabei interessierten ihn insbesondere Möglichkeiten und Formen der Interaktion zwischen den unterschiedlichen migrantischen Gruppen. MEVLYDE HYVENI (Berlin) untersuchte, wie Medien durch ihre Beschreibungen und Interpretationen nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Jahr 2008 als Instrumente der Wirklichkeitskonstruktion eine vorgestellte kollektive Identität erzeugten.

Die Hypothese, dass im rumänischen Banat die Katholiken und Nationalsozialisten zusammenarbeiteten, um ihre Macht zu sichern, unterbreitete DAVID BORCHIN (Tübingen) in seinem Vortrag, in dem er zudem herausstellte, dass Interkulturalität und Katholizismus keine Schutzschilder vor einer extremen Nationalisierung sind. HENDRIK GEILING (Marburg) beschäftigte sich mit der italienischen und deutschen Besatzung während des zweiten Weltkriegs in Albanien. Der Fokus lag hierbei auf einem praxeologischen Analyseverständnis von Dynamiken der Macht, Herrschaft und (Un)Sicherheit. (Un)sicherheitsbezogenes Handeln wird dabei als multidimensionales, aufeinander bezogenes Interaktionsnetz verstanden.

Im letzten Panel des Kolloquiums sprach VANJA TADIĆ (Graz) gegenwartsbezogen zu Veränderungen der berüchtigten Balkan Route, die nicht zuletzt durch die EU-Integration und den Beitritt Kroatiens zum Schengenraum 2023 hervorgerufen worden sind. THORDIS KOKOT (Bayreuth) befasste sich mit griechischen Arbeitsmigrantinnen in der BRD, wobei sie diese dezidiert als politische Subjekte betrachtete und die migrantische Eigenperspektive in den Vordergrund rückte. Die dabei ausgemachten Handlungsräume sind die Arbeit und die Zivilgesellschaft. EVELYN REUTER (Graz/Essen) fokussierte sich auf die EU-Agenda der Einheit und Vielfalt aus einer Minderheitenperspektive und vom Standpunkt der religiösen Diversität. Sie sprach hierbei u.a. über den Aspekt von „EQUALITY“, der einerseits Aktion fordert, aber auch praktikabel sein muss.

In der Abschlussdiskussion wurde die Vielfältigkeit der Beiträge betont. Die Südosteuropaforschung profitiert von diesen vielversprechenden Qualifikationsprojekten, von deren inhaltlicher Breite und der methodischen Innovationskraft.

Konferenzübersicht:

Claudia Weber (Frankfurt (Oder)) / Jacqueline Nießer (Regensburg): Begrüßung und Einführung

Ruža Fotiadis (Berlin): Fährten folgen. Auf Eselpfaden durch die Geschichte Südosteuropas

Panel 1: Southeastern Europe in Today’s International Relations
Moderation: Jacquline Nießer (Regensburg)

Charlotte Szalka (Regensburg): Serbia at Geopolitical Crossroads: Between Russia and the European Union

Mélody Gugelmann (Fribourg): Civil Society de Facto Opposition in Competitive Authoritarianism: Strategies of Democratizing Forces in Georgia

László Szerencsés (Istanbul): Turkey’s Foreign Policy in Germany and Hungary: Transactionalism and Middle Power Status

Kommentare: Katarina Kušić (Wien) (via Zoom)

Vorstellung JSOG

Panel 2: Rumänien von der frühen Neuzeit bis zur Zeitgeschichte
Moderation: Claudia Weber (Frankfurt (Oder))

Kata Tóth (Wien): Ein Berg, eine Grenzmark, oder beides? Die lokale Bevölkerung und die Wahrnehmung der frühneuzeitlichen Süd- und Ostkarpaten

Clara Steinbrenner (Jena): Der Aspekt der Mutterschaft in der rumänischen Frauenbewegung in der Zwischenkriegszeit

Manuel Lautenbacher (Mainz): Die Sozialdemokratie in Rumänien 1918-1939

Kommentare: Valeska Bopp-Filimonov (Jena) (via Zoom)

Panel 3: Erinnerung, Medien und Identitäten in Südosteuropa
Moderation: Željana Tunić (Hamburg)

Ema Jerkovic (Lüneburg): Vom Familiengedächtnis bis zur kollektiven Erinnerung. Analoge Familienvideoaufnahmen (m)einer Familie

Aris Dougas Chavarria (Graz): Running in Parallel, Rarely Converging? Exploring the Intersections of Digital Nomads, Refugees, Migrant Workers, Tourists, and Students in Zadar

Mevlyde Hyseni (Berlin): Konstruktionen politischer Identität in Medieninhalten: Fallbeispiel Kosovo

Kommentare: Nicole Immig (Gießen)

Panel 4: Südosteuropa im Zeitalter der Kriege
Moderation: Jacquline Nießer (Regensburg)

David Borchin (Tübingen): Nationale Zugehörigkeit, Interkulturalität, Katholizität: Soziokulturelle Auswirkungen des Nationalsozialismus auf die deutsche Minderheit im rumänischen Banat (1933-1944)

Hendrik Geiling (Marburg): Dynamiken von Herrschaft, Macht und (Un)Sicherheit. Die italienische und deutsche Besatzung Albaniens während des Zweiten Weltkriegs, 1941-1944/45

Kommentare: Máté Rigó (München) (via Zoom)

Panel 5: Südosteuropa und die europäische Integration
Moderation: Claudia Weber (Frankfurt (Oder))

Vanja Tadić (Graz): Shifts and Changes along the Balkan Route – The impact of EU Integration at the border between Croatia and Bosnia and Herzegovina

Thordis Kokot (Bayreuth): Zwischen Diktatur und Demokratie – „Gastarbeiter*innen“ aus Griechenland als politisch Handelnde in der BRD

Evelyn Reuter (Graz/Essen): Gemeinsam in Vielfalt: Die EU-Perspektive auf die Gleichstellung von religiösen Minderheiten im postsozialistischen Südosteuropa währen der Erweiterung

Kommentare: Hannes Grandits (Berlin) (via Zoom)

Jacqueline Nießer (Regensburg) / Claudia Weber (Frankfurt (Oder)), Abschlussdiskussion und Feedback