Der zweitägige Workshop wurde vom Projektverbund „Staatlichkeit und Streitkräfte“ organisiert, der am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr sowie in zugehörigen Projekten die historische Entwicklung des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) im Kontext der westdeutschen Staatlichkeit erforscht. Ziel des Workshops war es, verschiedene methodische Ansätze und Forschungsstände zu diskutieren, um die historische Analyse des BMVg in einen breiteren historischen Kontext zu stellen. Der zeitgenössische Begriff „Pentabonn“ spielt auf das essenzielle Bündnis mit den Vereinigten Staaten an, welches für den Aufbau der deutschen Streitkräfte und das Verständnis der westdeutschen Staatlichkeit von grundlegender Bedeutung ist. Diese Bezeichnung, inspiriert vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium, dem „Pentagon“, verweist zudem auf die Standortentwicklung des BMVg. Nachdem das Ministerium jahrelang unter provisorischen Bedingungen arbeitete (analog zum Provisorium Bundesrepublik insgesamt), zog es um 1960 auf die Hardthöhe um. Der Workshop bot eine Plattform für die Diskussion verschiedener Aspekte der historischen Behördenforschung, darunter Personalfragen, Organisationsstrukturen und politische Entwicklungen im BMVg. Besonders hervorgehoben wurde die Frage der Bedeutung historischer Zäsuren wie 1945, 1949 oder 1969/72 sowie die Rolle biografischer Einflüsse auf das Handeln einflussreicher Akteure.
Der Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, SVEN LANGE (Potsdam), führte die Teilnehmer der Tagung ein, indem er auf die Bedeutung der historischen Aufarbeitung der Bundesministerien im Rahmen der Behördenforschung hinwies. Während eine Reihe von Bundesbehörden bereits in den vergangenen Jahrzehnten historische Kommissionen damit beauftragten, ihre Einrichtung zu erforschen, sei die Geschichte des BMVg bisher noch weitgehend unbekannt geblieben. Lange betonte, dass seit ca. zwei Jahrzehnten zwar auftragsfinanzierte Forschung zu diesem Thema stattfinde, jedoch die jeweilige Behörde oft selbst darüber entscheide, wer Zugang zu den Quellen erhalte und welcher Forscher letztendlich den Auftrag bekomme. Diese Praxis stelle eine Herausforderung dar und werfe Fragen hinsichtlich der Unabhängigkeit und Objektivität der Forschung auf.
In ihrer thematischen Einführung hoben CHRISTOPH NÜBEL (Potsdam) und MISCHA BOSE (Potsdam) das enorme Innovationspotential hervor, das die Forschung zum BMVg biete. Sie warfen Fragen auf, welche Rückschlüsse von den Erfahrungen und Perspektiven des Personals der Behörde auf deren Staatsverständnis gezogen werden können. Die Notwendigkeit, historische Konjunkturen genauer zu betrachten, wurde betont, um die Rolle der NS-Belastung beim Aufbau der Einrichtung und andere damit verbundene Themen wie Wirtschaft besser zu verstehen. Die Aufgabe des Workshops bestand darin, zu ergründen, wie die verschiedenen laufenden Forschungsprojekte zum BMVg miteinander verknüpft werden und einen weiterführenden Beitrag zur Behördenforschung leisten können. Dieser Ansatz würde es ermöglichen, ein ganzheitliches Verständnis für die Entwicklung der deutschen Verteidigungspolitik zu gewinnen und neue Erkenntnisse nicht zuletzt über die internationale Dimension der Zeitgeschichte der Bundesrepublik Deutschland sowie deren Staatlichkeit zu erlangen.
In der ersten Sektion der Tagung, die sich mit den Aufgabengebieten und Arbeitsweisen des BMVg beschäftigte, präsentierte HEINER MÖLLERS (Potsdam) einen Vortrag über die ministerielle Arbeit eines Generalinspekteurs (GI) am Beispiel von Wolfgang Altenburg. Altenburg, der selbst keine militärische Erfahrung im Kriegsdienst vorweisen konnte, zeichnete sich durch seine Expertise auf dem Gebiet der nuklearen Fragen aus. Möllers verdeutlichte, dass GIs wie Altenburg sowohl planerischen und budgetären Auflagen der Haushaltsführung unterworfen waren als auch politischen Zwängen unterlagen, wodurch das Amt letztlich als vergleichsweise schwach einzustufen sei. Dabei konnten die Protagonisten eine Vielzahl von Rollen einnehmen, darunter die des Moderators, Denkers und Planers sowie Vollstreckers. Der Werdegang von Altenburg bot einen Einblick in die vielfältigen Verflechtungen und Netzwerke, in denen er sich bewegte, und verdeutlichte die komplexen Herausforderungen, denen GIs gegenüberstanden.
CARSTEN RICHTER (Berlin) präsentierte in seinem Vortrag die Organisation und Praktiken der Psychologischen Kampfführung (PSK) im BMVg zwischen 1958 und 1970. Ihrer Auffassung nach, sei die Medienöffentlichkeit nicht in der Lage, ohne die PSK kommunistische Propaganda zu erkennen und vernünftig damit umzugehen. Richter verdeutlichte, wie die PSK die Ostermärsche beeinflusste, indem sie Teilnehmer beobachtete und identifizierte. Des Weiteren betonte er, dass sie das Fortbestehen paternalistischer Züge der Bundesrepublik der Nachkriegszeit widerspiegele. Trotz ihres kontroversen Charakters erhielt sie sogar Unterstützung von prominenten SPD-Politikern wie Helmut Schmidt und Karl Berkhan.
Im abschließenden Vortrag der ersten Sektion widmete sich CHRISTOPH NÜBEL (Potsdam) dem BMVg in seiner Funktion als Verwaltungs- und Kommandobehörde. Seine Analyse konzentrierte sich auf den Aufbau, die institutionelle Kultur und die Politikfelder des Ministeriums vor dem Hintergrund des kulturhistorischen Ansatzes der Staatlichkeit. Nübel begann seinen Vortrag mit einem Verweis auf den Aufsatz „Gedanken zur Führung der Streitkräfte“, der 1984 von General a.D. Johann Adolf Graf von Kielmansegg veröffentlicht wurde. Dieser Aufsatz beleuchtete die damaligen Probleme in der Organisation des BMVg. Ein zentraler Punkt, den Nübel hervorhob, war, dass das BMVg als Behörde nicht allein auf militärische und zivile Abteilungen reduziert werden könne. Vielmehr sei es ein komplexes Gefüge aus verschiedenen Bereichen und Einheiten, die eng miteinander verbunden seien. Um das BMVg weiter zu erforschen, schlug Nübel vor, den Ansatz der Organisationskultur zu verwenden. Dieser ermögliche es, nicht nur die formellen Strukturen des Ministeriums zu betrachten, sondern auch die informellen Praktiken, Werte und Normen, die dessen Funktionsweise beeinflussen. Durch eine solche Untersuchung könne ein tieferes Verständnis für die Arbeitsweise und die Herausforderungen der Institution gewonnen werden.
Die zweite Sektion der Tagung, die unter der Leitung von Mischa Bose stand und sich dem Thema „Personal und Mentalitäten“ widmete, begann mit einem Vortrag von GUNNAR TAKE (Stuttgart). Dieser untersuchte die Personaltransfers zwischen dem Kanzleramt und dem BMVg in der Ära Adenauer. In seiner Analyse kam Take zu dem Schluss, dass unter der Führung Adenauers vor allem Nichtmilitärs das Amt des Leiters des Spiegelreferats Verteidigung im Bundeskanzleramt innehatten. Dies deute darauf hin, dass die zivile Führung eine herausragende Rolle in der Verteidigungspolitik der damaligen Zeit spielte. Als Gegenbeispiel erwähnte Take Hans-Adolf von Blumröder, der als erster Bundeswehroffizier in unmittelbaren Kanzler-Diensten stand.
Im letzten Vortrag des Tages analysierte PETER LIEB (Berlin) die Prägungen der frühen Heeresgeneralität der Bundeswehr während des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs. Er untersuchte die Folgen und den Umgang mit diesen Erfahrungen in der Zeit nach 1945 sowie deren Auswirkungen auf die Arbeitsweise und Mentalität der Generäle. Lieb bediente sich des Ansatzes der Gruppenbiographie, mit dem er 39 Heeresgeneräle untersuchte, die von 1955 bis 1970 den Dienstgrad General oder Generalleutnant erreichten und beinahe alle zeitweise im BMVg dienten. Diese Untersuchung ermögliche es, die individuellen Erfahrungen der Generäle während des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs zu beleuchten und ihre Auswirkungen auf deren spätere Tätigkeit im BMVg zu analysieren. Durch die Einbeziehung einer breiten Gruppe von Generälen lieferte Lieb einen umfassenden Einblick in die Zusammenhänge zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Arbeitsweise der frühen Heeresgeneralität der Bundeswehr.
Im ersten Vortrag der dritten Sektion „Das BMVg und seine Minister“ von MISCHA BOSE (Potsdam) stand Helmut Schmidt während seiner Amtszeit als Bundesminister der Verteidigung von 1969 bis 1972 im Fokus. Seine Ausführungen verdeutlichten, dass der Minister als Akteur in einem komplexen Spannungsfeld agiere, das aus verschiedenen Variablen wie Partei, Bundestag, Bundeswehr, Ministerium und internationalen Akteuren bestehe. Es wurde betont, dass die politische Leitung des Ministeriums, trotz der nach 1969 vorgelegten Reformen, nur teilweise wirkliche Neuerungen einbringe. Eher zeigen sich die großen inhaltlichen Leitlinien bereits weit vorher und waren oft äußeren Umständen geschuldet. Die Bezeichnung „Reformminister“ für Schmidt wurde kritisch hinterfragt, wie auch in der anschließenden Diskussion deutlich wurde. Es wurde herausgestellt, dass Reformen komplexe Prozesse seien, die weder einen klaren Anfang noch ein klares Ende hätten. Vielmehr handele es sich um fortwährende Entwicklungen, die von verschiedenen Faktoren beeinflusst würden.
LISA MARIE FREITAG (Potsdam) präsentierte eine Untersuchung des BMVg während der Amtszeit von Manfred Wörner von 1982 bis 1988. Wörner stelle stets den Menschen und den Soldaten in den Vordergrund, und dafür engagiere er sich persönlich. Er vertraue stark auf die Expertise seines Ministeriums, was sich in seinem vergleichsweise geringen aktiven Eingreifen manifestiere. Es wurde herausgearbeitet, dass das Amt des Verteidigungsministers verschiedene Dimensionen umfasse, darunter innen-, außen-, militär- und medienpolitische sowie persönliche Aspekte. Wörners Amtsführung zeichne sich durch ein ausgewogenes Zusammenspiel dieser Dimensionen aus.
In der abschließenden Sektion „Internationale Perspektiven“ wurde die Geschichte des BMVg im Kontext internationaler Beziehungen analysiert. KLAUS STORKMANN (Potsdam) verglich das BMVg und das Ministerium für Nationale Verteidigung (MfNV) der DDR hinsichtlich ihres Auftrags und ihrer Aufbauorganisation. Es wurde deutlich, dass die beiden Ministerien insgesamt nur wenige Ähnlichkeiten oder gemeinsame Merkmale aufwiesen. Diese Feststellung warf ein Licht auf die unterschiedlichen politischen und institutionellen Kontexte, in denen die beiden Ministerien operierten, sowie auf die jeweiligen historischen Entwicklungen und Prioritäten.
MATTHIAS DISTELKAMP (Berlin) referierte über das spanische Verteidigungsministerium während der Demokratisierung nach der Franco-Diktatur und zeigte den langen Weg von der Herrschaft einer Person hin zur Etablierung demokratischer Strukturen in Spanien auf. Unter seiner Führung habe das Militär als Institution keinen entscheidenden Einfluss auf die Politik gehabt. Nach Francos Tod im Jahr 1975 müsse eine spanische Verteidigungsbehörde erst aufgebaut werden. Diese orientiere sich in gewissen Bereichen am BMVg. So sei beispielsweise das Militär vollständig der Exekutive unterstellt worden. In seiner Untersuchung kristallisierte sich heraus, dass der spanische Verteidigungsminister sich an seinem deutschen Pendant orientiere, was die Leitung des Militärs beträfe. Allerdings wurde das Prinzip der Inneren Führung nicht übernommen.
Während der Schlussdiskussion äußerten ANNETTE WEINKE (Jena), FRIEDRICH KIEßLING (Bonn) sowie der leitende Wissenschaftler des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, ALARIC SEARLE (Potsdam), ihre Besorgnis über den Mangel an wechselseitiger Bezugnahme in bisherigen Projekten zur Erforschung von Ministerien und Ämtern. Des Weiteren kamen diverse Fragen bezüglich des Beitrags von Behörden zur Demokratiegeschichte der Bundesrepublik sowie hinsichtlich einer möglichen Sonderstellung des Verteidigungsressorts in der Behördenforschung auf. Es müsse das Ziel sein, einen Übergang von einer deutsch-deutschen Kontrastgeschichte hin zu einer deutsch-deutschen Verflechtungsgeschichte zu vollziehen. Für zukünftige Forschungen biete die Untersuchung des BMVg einen neuen Blick auf den Wandel der Staatlichkeit in der Bundesrepublik, auf Neubewertungen von Zäsuren, auf die internationale Positionierung Deutschlands sowie auf die Funktionsweise demokratischer Regierungsführung.
Konferenzübersicht:
Eröffnung
Sven Lange (Potsdam): Begrüßung durch den Kommandeur ZMSBw
Mischa Bose (Potsdam) / Christoph Nübel (Potsdam): Einführung in den Workshop
Sektion 1: Aufgabengebiete und Arbeitsweisen
Leitung: Stefanie Palm (Berlin)
Heiner Möllers (Potsdam): Ministerielle Arbeit des Generalinspekteurs. Das Beispiel Wolfgang Altenburg
Carsten Richter (Berlin): Der geheime Staat. Organisation und Praktiken der Psychologischen Kampfführung im BMVg
Christoph Nübel (Potsdam): „Civilian Control“. Machtkämpfe zwischen zivilen und militärischen Abteilungen im BMVg
Sektion 2: Personal und Mentalitäten
Leitung: Mischa Bose (Potsdam)
Gunnar Take (Stuttgart): Personaltransfers zwischen Kanzleramt und BMVg in der Ära Adenauer
Peter Lieb (Berlin): Generale im BMVg. Erfahrungen zwischen Diktatur und Demokratie
Sektion 3: Das BMVg und seine Minister
Leitung: Lutz Kreller (Berlin)
Mischa Bose (Potsdam): Neubeginn oder Kontinuität? Helmut Schmidt als Reformminister
Lisa Marie Freitag (Potsdam): Das BMVg in der Zeit Wörners
Sektion 4: Internationale Perspektiven
Leitung: Jutta Braun (Potsdam)
Klaus Storkmann (Potsdam): Die deutschen Verteidigungsministerien im Vergleich
Matthias Distelkamp (Berlin): Von der personalisierten zur institutionalisierten Befehlsgewalt – Das spanische Verteidigungsministerium während der Demokratisierung nach der Franco-Diktatur
Abschlussdiskussion: Die Geschichte des BMVg in der neueren Behördenforschung
Leitung: Martin Hofbauer (Potsdam)
Friedrich Kießling (Bonn) / Alaric Searle (Potsdam) / Annette Weinke (Jena): Kommentare