Der Workshop, der im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1391 „Andere Ästhetik“ veranstaltet wurde,1 rückte Ansätze und Chancen fundnumismatischer Untersuchungen und ihrer digitalen, datenbankbasierten Auswertung in den Mittelpunkt. Die Referenten aus Triest und Tübingen befassten sich mit Beispielen aus unterschiedlichen Bereichen der antiken Numismatik, insbesondere mit Fundmünzen aus Israel und Italien. In allen Vorträgen und den anschließenden Frage- und Diskussionsrunden wurde deutlich, dass die vorgestellten Methoden und Forschungsergebnisse allgemeine Relevanz für fundnumismatische Untersuchungen besitzen.
BRUNO CALLEGHER (Triest) gab in seinem Vortrag einen Überblick über die Fundmünzen aus Khirbet Qumran. Er erläuterte ihre Bedeutung für die Datierung und Deutung des Fundplatzes in Forschungsgeschichte und Gegenwart. Er berichtete u.a. von seiner Suche nach den vermeintlich verlorenen Fundmünzen der Grabungen in den 1950er-Jahren. Dabei hob er die Leistung von Augustus Spijkerman und Henri Seyrig bei früheren Auswertungen der Münzen hervor. Für die Teilnehmenden waren die Einblicke in die quantitative Auswertung der Münzfunde, die Bruno Callegher selbst vorgenommen hatte, von besonderem Interesse. Er bezog sich beispielsweise auf den errechneten jährlichen Münzverlust nach der Annual Average Coins Loss Methode. Callegher stellte heraus, dass der Befund in Khirbet Qumran dem anderer Fundplätze der Region entspricht. Umfang und Zusammensetzung des örtlichen Geldumlaufes unterscheiden sich in Qumran also weitgehend nicht von anderen Orten in der Umgebung. Teilweise werden die Quantitäten anderer Fundplätze sogar übertroffen. Davon ausgehend konnte Callegher ältere Deutungen widerlegen, die in Qumran die abgeschlossene Ökonomie einer asketisch lebenden Gruppe, die oftmals mit den Essenern identifiziert wurde, zu erkennen glaubten. Stattdessen zeige u.a. der numismatische Befund, dass der Ort vollständig in die wirtschaftlichen Dynamiken der Region eingebunden war und eher als Marktplatz mit Anbindung an das Verkehrs- und Handelsnetz, denn als essenische Siedlung zu deuten sei.2
ANDREA GARIBOLDI (Triest) präsentierte Münzfunde aus Ostia. Sein Augenmerk lag dabei auf spätantiken Bronzemünzen und deren Bedeutsamkeit für die Archäologie der Hafenstadt. Er ging auf die Bedeutung der Fundmünzen als Spiegel des zeitgenössischen Münzumlaufes und der ökonomischen Bedeutung dieser Stadt in der Spätantike ein. Er verdeutlichte dabei beispielsweise die geringe Relevanz der Münzen für die örtliche Ökonomie, die zwar in Ostia selbst nach der Schließung der Münzstätte Karthago geprägt wurden, jedoch wohl vor allem für den nordafrikanischen Münzumlauf bestimmt waren. Auch weitere Funde und Befunde wurden durch den Referenten gedeutet und eingeordnet. So interpretierte er z.B. ein Münzdepot als Hinweis auf die örtliche Geldwechseltätigkeit im Zusammenhang der in goldenen Solidi zu zahlenden Steuern an die zentrale Verwaltung. Außerdem nannte er zur Einordnung der großen Zahl u.a. in Ostia gefundener Antoninian-Prägungen für Divus Claudius Gothicus aus dem späten dritten Jahrhundert verschiedene ikonographische, dynastische, metallurgische und ökonomische Gründe, die eine anhaltende Bedeutung dieser Münzen für den Geldumlauf bis mindestens in die konstantinische Zeit nahelegen.
GIORGIO DONATO (Triest) leitete mit seinem Vortrag den zweiten Teil des Workshops ein, in dem die Chancen digitaler Mittel für die Auswertung von Münzfunden in den Mittelpunkt rückten. Er stellte mit der von ihm entwickelten Nomismata Database die erste orts- und zeitbezogene Datenbank byzantinischer Fundmünzen vor, die die einfache Auswertung von Münzfunden der Epoche für die Erforschung der Münzen des byzantinischen Reiches ermöglicht. Die Datenbank wird mithilfe von manuell ausgewerteten Fundpublikationen aufgebaut, die durch ein internationales wissenschaftliches Komitee ausgewählt werden. Sie wird kontinuierlich erweitert.3 Besonders hervorzuheben sind die Möglichkeiten zur geographischen und chronologischen Darstellung der Daten. Diese Möglichkeiten und die Bedienung der Datenbank verdeutlichte der Referent anhand von Beispielszenarien für eine Auswertung. So veranschaulichte er etwa die Fundverteilung von anonymen Folles innerhalb und außerhalb der byzantinischen Reichsgrenzen. Zur Sprache kamen auch die Chancen, die künstliche Intelligenz künftig bei der automatisierten Auswertung von Publikationen für den Aufbau vergleichbarer Datenbanken bieten könnte. Der Vortrag gab Einblicke in den Umfang und die Möglichkeiten der vorgestellten Datenbank sowie allgemein in die Funktionsweise, die Quellen und Gewinnung der Datengrundlage sowie in die Chancen und Probleme einer datenbankbasierten Aufarbeitung von Fundmünzen.4
SIMON HOLZNER (Tübingen) stellte mit seinem laufenden Projekt eine weitere Datenbank zur Auswertung von Fund- und Sammlungsmünzen vor. Seine in der Entstehung befindliche Datenbank widmet sich den im Veneto gefundenen und in den Ritrovamenti monetali di età romana nel Veneto (RMRV) publizierten Münzen, die bis zur Münzreform des Diokletian geprägt wurden. Die Präsentation vermittelte einen Eindruck von den methodischen und technischen Grundlagen des Projektes. Aber auch Probleme und verzerrende Faktoren wie die wissenschaftliche Qualität der Fundauswertungen oder Sammlungsinteressen und -präferenzen, denen Rechnung getragen werden muss, brachte Holzner zur Sprache. Seine Ausführungen untermauerte der Referent mit zahlreichen Beispielen. So interpretierte er die Entwicklung von Fundzahlen republikanischer Münzen vor dem Hintergrund historischer Ereignisse. Mittels der bisher gesammelten Daten stellte er auch die Menge sowie die geographische und zeitliche Verteilung von Grabfunden aus dem Veneto dar.
Auch STEFAN KRMNICEK (Tübingen) widmete seinen Beitrag den Chancen, die digital unterstützte quantitative Untersuchungen für die Numismatik bieten. Er richtete den Blick auf die Münzlegenden, die häufig bei quantitativen Untersuchungen und datenbankbasierten Ansätzen vernachlässigt werden. So präsentierte er die Ergebnisse einer auf die Legenden gerichteten manuellen Auswertung von Münzen, die in den Fundmünzen der römischen Zeit in Deutschland (FMRD) publiziert sind. Gegenstand der Untersuchung waren dabei Einzelfunde aus unedlem Metall, die in der Zeit von Vespasian bis Severus Alexander geprägt wurden und in verschiedenen Fundkontexten Südwestdeutschlands geborgen wurden. Stefan Krmnicek verdeutlichte, dass bei etwa 20% der untersuchten Münzen die Legenden im Dativ gehalten sind, wobei sich der größte Anteil in den Regierungsjahren von Domitian und Traian feststellen lässt. Ein Vergleich mit der panegyrischen Literatur der Kaiserzeit offenbarte darüber hinaus Ähnlichkeiten zwischen panegyrischen Schlüsselwörtern und Schlüsselwörtern der Münzlegenden. Ausgehend von einem Vergleich mit Dedikationsinschriften stellte der Referent die Frage, ob auch im Falle der dativischen Münzlegenden von einer dedikativen Funktion auszugehen ist. Dabei sollte auch die Möglichkeit einer intendierten Interaktion der Zeitgenossen mit den Inschriften in die Erwägungen einbezogen werden. So könnten die prägenden Autoritäten auf eine Aneignung der Dedikation durch die Betrachterinnen und Betrachter gezielt haben, wenn diese die Legenden laut lasen. Unabhängig von den möglichen Deutungen des Befundes wurde deutlich, dass erst die digitale Vorgehensweise es ermöglicht, derartige Phänomene offenzulegen.
Im Laufe des Workshops wurden unterschiedliche Methoden und digitale Ansätze zur Untersuchung von Münzfunden präsentiert. Die Bedeutung von Fundmünzen für Datierungs- und Nutzungsfragen archäologischer Fundplätze wurde ebenso deutlich wie unterschiedliche digitale und datenbankbasierte Ansätze, die die Auswertung mit Blick auf verschiedene Fragen erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen. Um dies zu verdeutlichen, wählten die Referenten Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen der Numismatik und Archäologie. Diese Vielfalt führte ebenso die allgemeine Bedeutung von Fundmünzen für die Archäologie und Numismatik vor Augen wie die Bedeutung ihrer methodisch reflektierten Untersuchung und der digital unterstützten Auswertung. Der Workshop leistete damit einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der Möglichkeiten, Chancen und Probleme, die mit der analogen und digitalen Arbeit an Fundmünzen verbunden sind. Er gab den Teilnehmenden Einblicke in ein Methodenrepertoire, das für die Forschung zur Verfügung steht und durch die Referenten in ihren Projekten erprobt wurde.
Konferenzübersicht:
Stefan Krmnicek (Tübingen) / Michael Tilly (Tübingen) / Jakob Trugenberger (Tübingen): Welcome and introduction
Bruno Callegher (Trieste): Archaeology, coins and the economy at Khirbet Qumran
Andrea Gariboldi (Trieste): Coin finds from the maritime suburbs in Ostia
Giorgio Donato (Trieste): Nomismata Byzantine coin finds database
Simon Holzner (Tübingen): Ancient coins in modern focus: a database approach to RMRV coins
Stefan Krmnicek (Tübingen): Digital approaches to quantitative studies of coin legends
Stefan Krmnicek (Tübingen) / Michael Tilly (Tübingen) / Jakob Trugenberger (Tübingen): Schlussworte
Anmerkungen:
1 Für Details zum Sonderforschungsbereich vgl. die Website des SFB 1391 Andere Ästhetik: https://uni-tuebingen.de/forschung/forschungsschwerpunkte/sonderforschungsbereiche/sfb-andere-aesthetik/ (13.5.2024).
2 An dieser Stelle sei auch auf die ausführliche Publikation der Forschungsergebnisse Calleghers verwiesen: Bruno Callegher, following the coins from the excavations at Khirbet Qumran (1951–1956) and Aïn Feshkha (1956–1958) (Khirbet Qumran and Aïn Feshkha 5/NTOA.SA 10), Göttingen 2024 (insb. S. 29–58.105–129).
3 Für weitere Details vgl. Bruno Callegher / Giorgio Donato, Nomismata: the first geo- and chrono-referenced database of Byzantine coin finds (498–1453 CE), in: Bulletin du cercle d’études numismatiques 61/1 (Jan.-Apr. 2024), S. 20–31.
4 Die Datenbank ist frei zugänglich unter Giorgio Donato, Nomismata Database, Triest 2023: https://nodegoat.net/viewer.p/83/3852/types/all/geo/ (13.5.2024).