Denkt man an den deutschen Kunstschutz im Ersten Weltkrieg, kommt einem unweigerlich der Bonner Kunsthistoriker Paul Clemen in den Sinn. Gemeinsam mit einer Gruppe von anderen Kunsthistorikern war er an den verschiedenen Kriegsfronten im Einsatz, um Kunstwerke zu schützen, zu studieren und gegebenenfalls vor Zerstörung zu bewahren. Das diese Aktionen durchaus auch einen propagandistischen Zweck verfolgten ist in der heutigen Forschung umfangreich thematisiert und diskutiert worden. Vor allem Christina Kott hat dies in verschiedenen Schriften herausgearbeitet.1 Im Gegensatz zu ihren Schriften, die vor allem das Geschehen an der Westfront thematisieren, widmete sich diese Tagung vornehmlich der Ostfront, den dortigen Akteuren und den verschiedenen Wegen des Kunstschutzes und der Propagandamittel in diesem Kriegsgebiet. Aber auch die Nachwehen des Krieges beziehungsweise die Nachnutzung der im Krieg entstandenen Dokumente und Fotografien bis in die heutige Zeit wurden angesprochen.
In seiner Keynote verschaffte PAUL ZALEWSKI (Frankfurt Oder) den Anwesenden einen Überblick über Kunstschutzbestrebungen vor dem Ersten Weltkrieg. Er fokussierte sich dabei vor allem auf das 19. Jahrhundert und untersuchte das Thema anhand von drei Perspektiven: internationaler Fachdiskurs, diplomatische Vorgänge, öffentliche Diskurs in den Medien. Abschließend betonte er, dass Kunstschutz (in bewaffneten Konflikten) bis heute nur bedingt funktioniert. Er plädierte für das Einschlagen neuer Wege, welche die neuen Medien stärker mit einbinden.
SOLÈNE AMICE (Paris) ging in ihrem Vortrag auf die logistischen, technischen, materiellen, menschlichen sowie militärischen Herausforderungen des Kunstschutzes in Frankreich ein. Dieser entwickelte sich erst im Verlauf des Ersten Weltkriegs nennenswert weiter und muss daher immer in diesem Kontext betrachtet und bewertet werden. Sie betont dabei, den französischen Kunstschutz nicht als Solitär wahrzunehmen, da er durch den Wettstreit und die Rivalität in diesem Bereich zu dieser Zeit geprägt wurde und sich durch Austausch und Kooperationen mit anderen Ländern (weiter-)entwickelte.
CEREN ABI MC GREEVY-STAFFORD (Washington) hob hingegen den propagandistischen und besatzungspolitischen Wert von Kunstschutz hervor und erläuterte diesen Aspekt anhand des komplexen Kunstschutzgefüges im Osmanischen Reich. Neben den unterschiedlichen involvierten Akteuren, stellte Mc Greevy-Stafford auch die unterschiedlichen Motivationen vor, die sowohl auf osmanischer wie auch auf westlicher Seite zum Interesse am Kunstschutz beitrugen und teilweise in Konkurrenz standen.
Mit einem gänzlich anderen Aspekt des Kulturgutschutzes in der selbigen Region beschäftigte sich der Vortrag von SEBASTIAN WILLERT (Leipzig). Er stellte die wichtigsten Akteure des DTDK (Deutsch-Türkisches-Denkmalschutz-Kommando) vor Ort und deren Errungenschaften für den regionalen Kunstschutz vor und arbeitete heraus, dass Kunstschutzmaßnahmen während des Krieges neben politischen Ereignissen vor allem von den Beziehungsgeflechten unterschiedlicher Akteursgruppen geprägt war. Im absoluten Kontrast zur vorherigen Zusammenarbeit, erfolgte die wissenschaftliche Nachnutzung der Dokumente und Fotografien lediglich auf deutscher Seite.
In ihrem Beitrag verglich BEATE STÖRTKUHL (Oldenburg) die unterschiedlichen Organisationen und deren Handlungsmöglichkeiten im deutschen Generalgouvernement Warschau und im österreichisch-ungarischen Militärgouvernement Lublin. Ausgehend von Paul Clemens Publikationen von 1915/1919, zeichnete Störtkuhl die unterschiedlichen Entwicklungen und deren Einflussfaktoren nach und betonte dabei die Besonderheit der Mitarbeit und Mitverantwortung der Personen vor Ort.
MARTINA VISENTIN (Udine) und MICHAEL WEDEKIND (Bremen) beurteilten in ihrem Vortrag, gehalten von Visentin, die Tätigkeit der deutschen und österreichischen Kunstschutzgruppen auf italienischem Gebiet. Im Fokus standen hier nicht einzelne Personen, sondern die Arbeitsweise und Zielsetzung der Kunsthistoriker vor Ort. Visetin zeichnete nach, dass sich die Arbeitsweisen der dortigen Kunsthistoriker kaum von den Arbeitsschritten vor dem Kriegszustand unterschieden. Stattdessen standen die umfangreiche Erfassung der Objekte in Form von Beschreibung und Erhaltungszustand sowie die schriftliche Ausarbeitung möglicher Schutzmaßnahmen im Mittelpunkt der Tätigkeit. Hier dient, so fasste Visentin zusammen, der Kunstschutz eher dem Studium beziehungsweise der Weiterqualifikation der Kunstoffiziere oder der Propaganda.
Der Vortrag von ROBERT BORN (Oldenburg) führte uns in das von Deutschland und Österreich-Ungarn besetzte Gebiet der heutigen Ukraine. Er stellte nicht nur erste Forschungsergebnisse zum Schutz von Kulturgütern in diesem Gebiet während des Ersten Weltkriegs vor, sondern ordnete das kunsthistorische Interesse an ukrainischen Kulturgütern in den Forschungskontext der damaligen Zeit ein.
TOMÁŠ KOWALSKI (Bratislava) berichtete von der Arbeit von Kronel Divald (1872-1931) während des Kriegs. Im Fokus stand dabei jedoch nicht nur das ‚Was‘ sondern vor allem auch das ‚Wie‘. So zeichnete Kowalski nicht nur die verschiedenen Reisen von Kronel Divald nach, sondern berichtete auch von ortsbedingten Herausforderungen. Diese konnten die regionale Arbeit erschweren und/oder sogar seine Position innerhalb des Netzwerkes diskreditieren.
BARBARA KRISTINA MUROVEC (Florenz) vertiefte in ihrem Vortrag den Kunstschutz im heutigen Slowenien. Sie arbeitete dabei heraus, dass vor allem der Kunsthistoriker Max Dvořák (1874–1921), dessen Schüler France Stele (1886-1972) und Anton Gnirs (1873–1933) von großer Bedeutung waren. Zudem stellte sie klar, dass, obwohl das slowenische Forschungsinteresse am Kunstschutz im Ersten Weltkrieg sehr hoch ist, noch viele Objektverlagerungen nicht erforscht sind und einer Aufarbeitung bedürfen.
ESZTER BALÁZS (Budapest) ging in Ihrem Vortrag der Frage nach, wie sich die inner- und außerstaatliche Denkmal- und Kunstverwaltung durch die ungarische Regierung und deren Fachleute von 1914 bis 1918 gestaltete. Sie legte in ihrem Vortrag dar, dass bei der Beurteilung des Kunstschutzes in Ungarn die Perspektive der Akteure (Besetzer/Besetzte) aber auch lokale, nationale und internationale Aspekte berücksichtigt werden müssen, da diese extreme Auswirkungen auf einzelne Handlungen hatten.
MARZENA WOŹNY (Lemberg) thematisierte in ihrem Vortrag die theoretischen und praktischen Schutz- beziehungsweise Konservierungsmaßnahmen für archäologische Kulturgüter in Westgalizien, wobei sie die sechs Errungenschaften dieser Zeit herausarbeitete. Als Schwerpunkte setzte sie die Einrichtung spezialisierter Museen, die Schaffung eines archäologischen Instituts, Einführung gesetzlicher Regelungen, das Verbot von Amateurgrabungen, offizielle Listen mit archäologischen Stätten und die Überführung von Artefakten in staatliches Eigentum
Unter der Moderation von CHRISTIAN FUHRMEISTER (München) gaben STEFANIIA DEMCHUCK (Kiew), STEPHANIE HEROLD (Berlin) und EWA MANIKOWSKA (Warschau) am zweiten Abend Einblicke in verschiedene Thematiken des Kunstschutzes im Ersten Weltkrieg. Interessant war hierbei vor allem die Frage nach den noch bestehenden Forschungslücken. Sie verwiesen hierbei auf viele noch zu erforschende Bereiche, deren Primärquellen noch nicht aufgearbeitet und erschlossen sind. Beispielsweise einzelne Objektbiografien, welche im gesamten östlichen Besatzungsgebiet noch untererforscht sind. Gleichzeitig sprachen sie die Unterrepräsentation von Fragestellungen aus den Forschungsbereichen der Militärgeschichte oder der Gender Studies an sowie die fehlende Aufarbeitung des Blickwinkels von ethnischen Minderheiten auf den Kunst- und Kulturgutschutz.
KRISTINA JÕEKALDA (Tallinn) unterstrich in ihrem Vortrag den propagandistischen Nutzen der Livland-Estland-Ausstellung, welche 1918 in Berlin, Hamburg und Lübeck gezeigt wurde. Sie legte in Ihrem Vortrag dar, wie eine Ausstellung gezielt genutzt wurde, um ein nationales Gefühl zu kreieren und den Wunsch nach einem Zusammenschluss mit Deutschland zu stärken. Jõekalda stellte die Wichtigkeit einer Rekonstruktion der Ausstellung vor dem Hintergrund, dass es kaum erhaltene Informationen zu den Kunstwerken gibt, heraus. Die damalige Bedeutungslosigkeit der Objekte wird zusätzlich betont, wenn man sich vor Augen führt, dass Informationen über das politische Begleitprogramm (Namensliste und Sitzpläne) erhalten geblieben sind.
GÁSPÁR SALAMON (Budapest / Berlin) untersuchte das Vorgehen beim Wiederaufbau von kriegszerstörten Siedlungen in Oberungarn. Dabei verdeutlichte er, dass es beim Wiederaufbau nicht um die genaue Rekonstruktion der zerstören Dörfer ging, sondern ein standardisierter Plan verfolgt wurde. In seinem Vortrag arbeitete er vor allem die propagandistische Nutzung und die Modernisierung der Region als oberste Ziele heraus.
Auf den Kunstschutz in Rumänien unter deutscher Administration fokussierte sich der Vortrag von COSMIN MINEA (Bukarest / Brno). Dabei ging er vor allem auf die Arbeit der neu gebildeten Comisiunea Monumentelor Istorice (Kommission für historische Denkmäler) und dessen Mittglied Alexandru Tzigara-Samurcaș (1872-1952) ein. Die Kommission und die Besatzermächte, arbeiten in Rumänien eng zusammen, was zur Förderung der Erforschung rumänischer Kunst führte und Kriegsbeutezüge zum Teil verhindern konnte. Gleichzeitig betonte er, dass als schützenswertes rumänisches kulturelles Erbe, trotz Religionsvielfalt, vorrangig Kirchen und Klöster angesehen wurden. Die Forschungsergebnisse, gelten somit nicht für Synagogen und Moscheen, obwohl diese in großer Zahl vorhanden waren.
Ewa Manikowska (Warschau) lieferte in ihrem Vortrag einen ganz anderen Schwerpunkt. Sie thematisierte den Kunstschutz in Bezug auf bibliothekarisches Erbe und arbeite hier vor allem die Unterschiede in der Zusammenarbeit der verschiedenen Nationen im Vergleich zu anderen Bereichen des kulturellen Erbes heraus. Auch thematisierte sie die Herausforderungen durch Verlust (Brand) oder Katastrophen-Tourismus (Souvenir), welchen sich Bibliothekar:innen gegenübersahen.
HILJA DROSTE (Bonn) und GERNOT MAYER (Wien) widmeten sich zwei Themenbereichen, welche sich anhand der fotografischen Sammlung in Bonn untersuchen lassen. So stellte Mayer die verschiedenen Spuren der Kunstschutz-Kampanien während des Ersten Weltkriegs vor, welche sich durch Fotografien in der Sammlung nachweisen lassen. Droste hingegen thematisierte in ihrem Vortragsteil die Schwierigkeiten der heutigen Nachnutzung dieses Materials im Rahmen von universitären Lehrveranstaltungen.
Ziel der Tagung war es Akteur:innengruppen und Vernetzungstrukturen im Kontext des Kulturgütertransferes während des Ersten Weltkrieges sichtbar zu machen. Den Schwerpunkt auf die Ostfront legend, konnten entscheidende Unterschiede zum Kulturgutschutz an der Westfront herausgearbeitet werden. Zugleich öffnete die Tagung den Raum für zukünftige Fragestellungen und Kernprobleme des Forschungsbereiches. Insbesondere in den unterschiedlichen Objektkategorien bedarf es neben einer kulturgeschichtlich-soziologischen Untersuchung und Einordnung einer zukünftigen Vertiefung.
Konferenzübersicht:
Robert Born (Oldenburg) / Ewa Manikowska (Warsaw) / Beate Störtkuhl (Oldenburg): Introductory remarks
Paul Zalewski (Frankfurt Oder): Ante Bellum. Preliminary remarks on heritage and disorder (Key note)
Panel I: Comparisons I
Solène Amice (Paris): Protecting French cultural heritage in a European war. A case study
Ceren Abi Mc Greevy-Stafford (Washington): Protection of Cultural Heritage in the Ottoman Empire and the First World War
Sebastian Willert (Leipzig): Monument protection in conflict. Stakeholders, strategies and structures of the German-Ottoman wartime monument protection between 1912 and 1923
Panel II: Comparisons II
Beate Störtkuhl (Oldenburg): Structures of “Kunstschutz” in the German General Governorate of Warsaw and in the Austro-Hungarian Military Governorate of Lublin – a comparison
Martina Visentin (Udine) / Michael Wedekind (Bremen): Art historians in wartime operations in Northern Italy: The German and Austrian Art Protection Groups in occupied Friuli 1917–1918
Robert Born (Oldenburg): German and Austrian “Kunstschutz” initiatives and archaeological activities in occupied Ukraine
Panel III: The Austro-Hungarian Empire I
Tomáš Kowalski (Bratislava): The breakthrough in the Carpathians: The impact of the First World War on the territory of present-day Slovakia
Barbara Kristina Murovec (Florenz): Protecting lives by protecting bells. The treatment of the cultural heritage during the First World War in Istria, Carniola and Carinthia
Eszter Balázs (Budapest): Did the Hungarians adapt “Kunstschutz” during the First World War in the Dual Monarchy?
Panel IV: The Austro-Hungarian Empire II
Marzena Woźny (Krakau): Protection of the archaeological heritage in Western Galicia during the First World War. Practice and theory of conservation
Olha Zarechnyuk (Lemberg): Networks of heritage preservation: The case of Lviv during the First World War
Panel Discussion
Moderator: Christian Fuhrmeister (München)
Stefaniia Demchuk (Kiew) / Stephanie Herold (Berlin) / Ewa Manikowska (Warsaw): The protection of cultural property during armed conflict between national patrimony and transnational cultural heritage: Reflections on the historical and contemporary impact of concepts developed during the First World War
Panel V: Propaganda
Klāvs Zariņš (Riga): Visualising conquest: German occupation, colonial fantasies, and the Kurland Ausstellung in 1917–1918 (entfallen)
Kristina Jõekalda (Tallinn): The afterlives of a 1918 propaganda exhibition: The Livland-Estland-Ausstellung
Panel VI: War and its aftermath
Gáspár Salamon (Budapest / Berlin): Preservation or modernization? The reconstruction of war-damaged settlements in Upper Hungary during the Great War
Cosmin Minea (Bukarest / Brno): The creation of national artistic heritage by saving artworks: The activity of Alexandru TzigaraSamurcaș (1872–1952) during and after the First World War in Romania
Ewa Manikowska (Warschau): Inscribing “Kunstschutz” in the history of library heritage preservation
Hilja Droste (Bonn) / Gernot Mayer (Wien): Trophies – evidence – educational material: The handling of photographs from times of war
Concluding Discussion
Anmerkungen:
1 vgl. zum Beispiel Christina Kott, Der deutsche »Kunstschutz« und die Museen im besetzten Belgien und Frankreich, in: Petra Winter/Jörn Grabowski (Hrsg.), Zum Kriegsdienst einberufen. Die Königlichen Museen zu Berlin und der Erste Weltkrieg, Köln u.a. 2014, S. 51-70.