Kanzlerdemokratie. Grundlagen – Konturen – Grenzen. 31. Rhöndorfer Gespräch

Kanzlerdemokratie. Grundlagen – Konturen – Grenzen. 31. Rhöndorfer Gespräch

Organisatoren
Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus
Ort
Bad Honnef
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
21.03.2024 - 22.03.2024
Von
Andreas Polzin / Christian-Matthias Dolff, Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus

Das 31. Rhöndorfer Gespräch widmete sich den Grundlagen, Konturen und Grenzen der sogenannten Kanzlerdemokratie, deren etymologisches Fundament als Kampfbegriff in der Medienlandschaft der Bonner Republik der 1950er Jahre liegt. Die Tagungsleitung wurde durch URSULA MÜNCH (München) und MICHAEL BIENERT (Berlin/Rostock) übernommen, die nicht nur die wechselseitigen Perspektiven von Historikern und Politikwissenschaftlern aufzeigten, sondern auch auf die Wissenschaftsgeschichte des Begriffs der „Kanzlerdemokratie“ eingingen. 1953 erstmals von dem Politikwissenschaftler Dolf Sternberger eingeführt, vertiefte und prägte der jüngst verstorbene Karlheinz Niclauß in den späten 1980er Jahren den Begriff in seinem gleichnamigen Werk. Die Tagungsbeiträge näherten sich diesem Themenspektrum von verschiedenen Ausgangspunkten geschichtswissenschaftlicher sowie politikwissenschaftlicher Natur und beließen den zeitlichen Rahmen nicht bei der Ära Adenauer, sondern gingen darüber hinaus bis in die Kanzlerschaft Angela Merkels.

Den Auftakt machte MICHAEL DREYER (Jena) mit einer Untersuchung der westdeutschen Nachkriegsdebatte zur Kanzlerdemokratie als Gegenmodell zum politischen System der Weimarer Republik. Nach einführenden Worten zur Geschichte des Kanzlerbegriffs, einem Exkurs in das US-Präsidentschaftssystem und den Blick auf die Kurzlebigkeit nationaler Kabinette im Europa der Zwischenkriegszeit befasste sich Dreyer in einer Quellenuntersuchung der Sitzungsprotokolle des Parlamentarischen Rates mit der Kontinuitätsfrage. Dabei gab es gerade bei der Stellung des Bundeskanzlers eine weitgehende Einigkeit aller Mitglieder, die nur selten durchbrochen wurde. Die in Art. 65 GG festgelegte Richtlinienkompetenz des Regierungschefs, ohne die eine „Kanzlerdemokratie“ überhaupt nicht möglich wäre, findet sich bereits in Art. 56 WRV. Durch die Einführung des konstruktiven Misstrauensvotums, das im Parlamentarischen Rat noch als „positives Misstrauensvotum“ bezeichnet wurde, sollten die Fragilität der Regierung, wie man sie aus Weimarer Zeit kannte, verhindert werden. Hierdurch jedoch kommt Dreyer zu dem Schluss, dass die Stellung des Bundeskanzlers nicht als Gegenmodell zum Weimarer Reichskanzler konzipiert wurde.

PAUL NOLTE (Berlin) stellte sich die Frage nach der „deutschen Besonderheit“ der Kanzlerdemokratie im parlamentarischen Regierungssystem. Mit Fokus auf die Geschichte des europäischen Kanzlermodells in der frühen Neuzeit verortete Nolte jenen Beginn im England des 17./18. Jahrhunderts und machte hier einen ersten parlamentarischen Weg des Premierministers deutlich. In Abgrenzung dazu sah er das französische Prinzip des Absolutismus, in dem ein leitender Minister unter dem Monarchen existierte. Das erste Kanzleramt im modernen Wortsinn sei zum Beginn des 19. Jahrhunderts in der Staatskanzlerschaft des Fürsten von Hardenberg festzumachen. Im Vormärz habe in Deutschland die Position eines leitenden Ministers gefehlt, während der Reichskanzler ab 1871 im Deutschen Kaiserreich zwar Einzug hielt, jedoch ohne Kabinett agiert habe. In der unmittelbaren Nachkriegszeit steche die Regierungszeit Adenauers im europäischen Vergleich heraus. Mit der gleichzeitigen Funktion der Exekutive und der Repräsentation betraut, sei das deutsche Kanzlermodell dem britischen Westminster-System sehr nahe und grenze sich hierdurch von weniger „starken“ Staatschefs ab. Seit den 1980er Jahren sei jedoch ein Trend der allmählichen Konvergenz im europäischen Rahmen zu erkennen, so dass das „Kanzlerprinzip“ der Bundesrepublik etwa in Italien unter Berlusconi bis hin zu Meloni angewandt werde. Stärkere trans- und supranationale Auftritte der Staats- und Regierungschefs unterstützten diese Kehrtwende, weshalb die deutsche Besonderheit im 21. Jahrhundert zum Normalfall geworden sei.

DOMINIK GEPPERT (Potsdam) stellte die Frage, ob Adenauer und Kohl Kanzler in einer „Medien- und Umfragedemokratie“ gewesen sind. Für die Regierungszeit Adenauers sah Geppert eine Inkubationsphase der bundesrepublikanischen Medienlandschaft bis etwa 1957. Ab diesem Zeitpunkt sei das einstige „Leitmedium des Wideraufbaus“, das Radio, durch das Fernsehen als führendes Medium „in der beginnenden postindustriellen Wohlstandsgesellschaft“ (Axel Schildt) abgelöst worden. Demnach stehe Adenauers Kanzlerdemokratie vor der vollen Ausbildung der Bonner Medienlandschaft, während sie in der Endphase der Kohl’schen Amtszeit starken Veränderungen ausgesetzt war. Das Aufkommen des Internets, der politischen Talkshows und weltanschaulicher Gegensätze bei den Printmedien habe die Berichterstattung rasant beschleunigt und modifiziert. Ihre jeweilige biographische Medienprägung zeige weitere Unterschiede zwischen den beiden Kanzlern auf. Während Adenauers Medienverständnis im Kaiserreich geprägt worden und von einem starken Gefälle zwischen Politiker und Journalist ausgegangen sei, habe der in der Bundesrepublik sozialisierte Kohl das Verhältnis eher gleichberechtigt/ausgewogen gesehen. Dabei habe sich die Berichterstattung zu Kohl im Laufe seiner politischen Karriere gewandelt. War ihm auf Landesebene noch eine positive Presse mit Homestorys gewiss, wurde die Medienlandschaft zunehmend ablehnend mit dem Wechsel Kohls auf die Bundesebene. Beide Kanzler hätten die Medienlandschaft jedoch für sich zu nutzen versucht und auch die – erst unter Adenauer aufkommenden – demoskopischen Methoden zum alltäglichen politischen Werkzeug gemacht. Dennoch können beide Regierungschefs laut Geppert nicht als reine „Medienkanzler“ charakterisiert werden. Einer der Hauptgründe hierfür sei die noch nicht völlig ausgereifte Medienlandschaft unter Adenauer und das erstarkte Selbstbewusstsein der Medien unter Kohl gewesen.

In die jüngste Vergangenheit blickte MANUELA GLAAB (Koblenz-Landau) und untersuchte Angela Merkels Kanzlerschaft im Machtdreieck zwischen Partei, Fraktion und Koalitionspartner. Die „Groko-Kanzlerin“ habe in ihrem Politikverständnis weniger auf alleinige Entscheidungen als auf einen moderierenden Politikstil gesetzt. Trotz der Machtfülle, die durch die drei Funktionen Merkels als Regierungschefin, Fraktionsvorsitzende und Parteichefin in Personalunion gesichert wurde, habe sie eine Politik der kleinen Schritte gepflegt. Anders als in der SPD oder FDP war der Parteivorsitz der CDU während der Ära Merkel von einer Stetigkeit geprägt gewesen. Dabei galt der Koalitionsvertrag stets als Mittel der Agenda-Kontrolle für die Bundeskanzlerin. Hierdurch sei der Regierung ein hohes Maß an Stabilität gegeben worden. Obwohl das Regieren zunehmend Krisenmanagement bedürfte.

RÜDIGER BERGIEN (Berlin) analysierte den Nutzen und Gebrauch des Bundesnachrichtendienstes für das Bundeskanzleramt. Anhand personeller Beziehungen zwischen Bundeskanzler und BND-Präsident ging Bergien der Frage nach, ob die Behörde aus Sicht der Regierungschefs eher als Ressource der Macht oder Objekt des Misstrauens galt. Die von Adenauer angeordnete unbedingte Nähe zum Kanzleramt hätte mit der frühen Nutzung der Organisation Gehlen als politisches Machtmittel zu tun. Doch auch die folgenden Kanzler hielten an dieser gewachsenen Struktur fest. Willy Brandt beließ den konservativen Gerhard Wessel als Präsident und empfing ihn zu wöchentlichen Besprechungen im Bundeskanzleramt. Für eine räumliche Nähe zum Kanzleramt habe Helmut Schmidt, der einen Umzug des BND von Pullach in den Köln-Bonner-Raum anstrebte, plädiert, scheiterte jedoch an einem Veto des Bundesrechnungshofs. Für Schmidt sei der Nachrichtendienst von ausgeprägtem Interesse gewesen, unter Kohl habe er hingegen an Einfluss verloren. Grund hierfür sei unter anderem der erste Chef des Bundeskanzleramts, Waldemar Schreckenberger, gewesen, der nicht als „graue Eminenz“ agierte und den Kontakt zum BND vernachlässigte. Hinzu kamen Wechsel in der Präsidentschaft des Dienstes. Auf den gut vernetzten Klaus Kinkel folgten Eberhard Blum, Heribert Hellenbroich und Hans-Georg Wieck in drei Jahren. Wieck, der auf ein exklusives Vortragsrecht beim Bundeskanzler pochte, wurde immer wieder vertröstet, so dass es teils zu Pressekampagnen gegeneinander kam. Unter Gerhard Schröder habe sich das Verhältnis spätestens nach den Anschlägen des 11. September 2001 erneut verbessert. Der BND wurde, so fasste Bergien zusammen, von allen Adenauer-Nachfolgern der „Bonner Republik“ mehr oder minder genutzt, jedoch nie grundsätzlich in Frage gestellt. Dadurch könne der Bundesnachrichtendienst als „Kanzlerdienst“ gelten, wiederum geprägt durch die „Kanzlerdemokratie“.

Am zweiten Tagungstag verwies STEFAN CREUZBERGER (Rostock) einleitend auf die Sozialpolitik der 1950er-Jahre und übergab das Wort an HANS GÜNTER HOCKERTS (München), der seit seinem ersten diesbezüglichen Vortrag auf dem Rhöndorfer Gespräch von 1977 nach 30 Tagungen wieder einen Vortrag zum Thema Sozialpolitik in der Ära Adenauer übernommen hatte. Zur Beantwortung der Frage, ob die Sozialpolitik ein Erfolgsrezept für die Kanzlerdemokratie gelten könne, untersuchte Hans Günter Hockerts die Bedeutung von Lastenausgleich und Rentenreform für die Kanzlerschaft Adenauers. Beide Gesetze, so der Referent vorweg, seien erfolgreich gewesen, hätten zur Stabilisierung der Gesellschaft und zur sozialen Integration beigetragen. Sie hätten darüber hinaus Anteil an den Wahlerfolgen der Kanzlerpartei gehabt. Beim Lastenausgleich, konzipiert als Sondersteuer, die keinen Eingriff in die Vermögenssubstanz bedeutet habe, entschied Konrad Adenauer über die Durchführung der Entschädigung als Folge eines Zugeständnisses an den Vorsitzenden des Bundes vertriebener Deutscher, Linus Kather. Dessen unmittelbarer Zugang zum Kanzleramt habe eine Abstimmung mit Adenauer ermöglicht und dem Bundeskanzler Kathers Zustimmung zu den Westverträgen eingebracht. Obwohl in der CDU nur mit 8 Prozent vertreten, hätten die Vertriebenen öffentlichkeitswirksame Protestkundgebungen veranstaltet und mit Kather über einen harten Interessenvertreter verfügt. Integrativ wirkte auch die erfolgreiche Rentenreform, die die gesetzliche Alterssicherung auf eine neue Grundlage gestellt habe. Geleitet von der Idee, die Alterssicherung müsse die Funktionen von Lohnersatz und Lebenssicherung erfüllen, habe Bundeskanzler Konrad Adenauer im Zuge der Gesetzesausarbeitung auf der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers beharrt, und nur dadurch sei die Rentenreform gegen Widerstände durchsetzbar gewesen. Seine Motive hätten dabei in der Bekämpfung der Altersarmut ebenso gelegen wie in der Gewinnung der nächsten Bundestagswahlen. Zusammenfassend betonte Hockerts jedoch, dass sich auf lange Sicht politischer Erfolg nicht mit Sozialpolitik herbeiführen lasse. Er unterstrich dies abschließend mit einem Ausblick auf die Sozialpolitik der 1970er-Jahre, in deren Verlauf sie zunehmend konfliktreicher, wie auch ihre Verwendung für den Wahlkampf schwieriger geworden sei.

MEIK WOYKE (Hamburg) interessierten Spielräume und Grenzen der Politik der Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Dazu betrachtete er die Rolle des jeweiligen Außenministers, die Rolle der eigenen Partei sowie die Rolle des Koalitionspartners, der FDP. Helmut Schmidt habe außenpolitisch eigene Akzente setzen können, dabei aber mit dem französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d’Estaing einen „kongenialen Partner“ benötigt. Dass beide Politiker im Hamburger Privathaus Schmidts Beschlüsse über das Europäische Währungssystem fassten, der Kanzler seine Bundesminister allerdings nicht über Details der Besprechung mit dem Franzosen informierte, wertete Woyke als ein Indiz für Kanzlerdemokratie. Während der Vortrag von Dominik Geppert besonders Kohls Machtbegründung in der Parteibasis hervorgehoben hatte, richtete Woyke die Aufmerksamkeit stärker auf die Bedeutung der FDP und des Außenministers Hans-Dietrich Genscher. In der Regierung Kohl sei es vermehrt zu Konflikten mit dem liberalen Koalitionspartner in Fragen der Außenpolitik gekommen. Außenminister Genscher habe seine Partei als Machtbasis benutzt, was zu einer Personalisierung der Außenpolitik in Verbindung mit Medienpolitik geführt habe. Woyke warnte insgesamt vor der Gefahr einer zu schematischen Anwendung des Konzepts der Kanzlerdemokratie und regte an, auch Willy Brandt hinsichtlich der Anwendbarkeit des Begriffes zu berücksichtigen. Die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers wollte Woyke nicht als alleinigen Autoritätsmesser gelten lassen, weil ihr Gebrauch doch ebenso auf eine Schwächung der Kanzlerschaft hindeuten könne.

Unter dem Motto „Wenn die Starken schwächer werden“ legte MICHAEL MERTES (Wachtberg) seine Schwerpunkte auf die Erosion der Kanzlermacht und die Abdankung von Kanzlern. Generell könne man feststellen, dass Macht mit ihren Inhabern altere. Mertes warnte, wenn man sich zu sehr auf den Kanzler konzentriere, übersehe man leicht die Bedeutung seiner Partei. Mertes regte eine Untersuchung der Frage an, in welchem Maße eine Partei als Juniorpartner in einer Legislaturperiode an Macht gewinne bzw. verliere. Eine Bedrohung der Kanzlermacht könne vom Koalitionspartner ebenso ausgehen wie von einem potenziellen Nachfolger aus den eigenen Reihen. Eine Feststellung einzelner Faktoren des Abnehmens von Kanzlermacht seien immer nur aus der Rückschau ermittelbar. Demoskopische Methoden böten keine geeignete Hilfe, da Umfragewerte stets steigen und wieder fallen könnten. Werde sich ein Kanzler oder eine Kanzlerin des eigenen Machtverfalls bewusst, stelle sich die Frage nach einer geeigneten Nachfolge. Wie Mertes betonte, sei noch nie einem Bundeskanzler ein Wunschkandidat ins Amt gefolgt. Nachfolger müsse man aufbauen, stets begleitet von der Gefahr, dass sie zum Konkurrenten heranwachsen könnten. Zum Abschluss ging Michael Mertes näher auf Möglichkeiten einer Begrenzung der Amtszeit von Bundeskanzlern ein. Diese könne durch eine Änderung des Grundgesetzes, Selbstverpflichtungen der Amtsinhaber oder Parteitagsbeschlüsse herbeigeführt werden.

Mit dem letzten Vortrag erreichte die Tagung aktuelle Fragen der Gegenwart. KARL-RUDOLF KORTE (Duisburg-Essen) befasste sich allgemein mit politischer Führung in einer parlamentarischen Demokratie und ihrem Verhältnis zur Öffentlichkeit. Er strukturierte seine Analyse thesenhaft anhand von fünf „Märkten“, wobei der Begriff des Marktes als Diskurs- und zugleich als Erprobungsraum für politische Macht gelten sollte. Zuerst der „Entscheidungsmarkt“: Die Aufgaben in einer Kanzlerdemokratie bestünden heute darin, das Unwahrscheinliche zu managen. Regieren sei experimentell geworden und gleiche zunehmend einem Auspropieren in einer Zeit voller Gewissheitsschwund. Damit wachse die Anforderung an die Regierenden, überraschungsfest zu werden und Kohärenz in der Kommunikation herzustellen. Eine Wandlung des „Medien- und Führungsmarktes“ sei in der Bevölkerung mit einem Vertrauensschwund gegenüber Politiker und Medien einhergegangen. Aufkommender Populismus und Desinformationen drängten die Demokratie in einen Zustand scheinbarer Unlösbarkeit politischer Probleme. Dagegen sei Widerstand durch „basic talks“ nötig, die Kommunikation von Kanzleramt mit der Öffentlichkeit bedürfe somit einer Veränderung. Dann richtete Korte seinen Blick auf den „Wählermarkt“. Immer noch über 50 Prozent der Wähler entschieden sich für eine Partei der Mitte, folglich könne man nicht von einer Polarisierung auf dem „Wählermarkt“ sprechen. Statt zu einer Schwächung der Demokratie sei es stattdessen zu einem Demokratieschwächungsdiskurs gekommen. Der große Einfluss der Öffentlichkeit führe zu „betreutem Regieren“. In Bezug auf den „Erwartungsmarkt“ ist für Korte die Suche nach Mehrheiten entscheidend. Kanzlerdemokratie sei zeitgebunden, Politiker müssten jedoch Auskunft über die Zukunft geben. Dies führe notwendig zu der Frage, wie und wodurch Mehrheiten zukünftig gebildet werden könnten. Die Bedeutung von Zukunftserwartungen nehme zu, und damit wachse die Aufgabe der Regierung, Zuversicht zum Ziel ihrer Kommunikation zu machen. Schließlich könne man Veränderungen auf dem „Parteien- und Koalitionsmarkt“ feststellen. Unterschiedliche Möglichkeiten von Koalitionen würden denkbar. Es stelle sich zwar die Frage für zukünftige Bundeskanzler, wie und wann man erfolgreich aufhöre, Hauptaufgabe sei allerdings, die eigene Politik verständlich zu erklären und damit zu überzeugen.

In der Schlussdiskussion wurde der Begriff der Kanzlerdemokratie zusammenfassend auf seine Anwendbarkeit geprüft. Insgesamt wurde in den Vorträgen eine Dekonstruktion von Kanzlerdemokratie festgestellt, doch sage der Begriff durchaus etwas über die Qualität des Regierens aus. Einigkeit herrschte sowohl vom Blickwinkel der Geschichts- wie auch der Politikwissenschaft darüber, dass der Begriff eher ein Hilfskonstrukt sei, das sich einer festen, schematischen Verwendung entziehe. Er müsse daher stets mit einer Erklärung verbunden, zugleich das Prozesshafte der Kanzlerdemokratie nicht außer Acht gelassen werden.

Konferenzübersicht:

Jürgen Rüttgers (Frechen): Begrüßung

Ursula Münch (München) / Michael Bienert (Berlin/Rostock): Einführung

Panel 1: Konturen einer Kanzlerdemokratie
Moderation: Alexander Gallus (Chemnitz)

Michael Dreyer (Jena): Zeitgenössische (Nachkriegs-)debatten: Die Kanzlerdemokratie als Gegenmodell zur Weimarer Republik.

Paul Nolte (Berlin): Kanzlerdemokratie: Deutsche Besonderheit oder Normalfall im parlamentarischen Regierungssystem?

Panel 2: Die Quellen der Macht
Moderation: Hans Jörg Hennecke (Rostock)

Dominik Geppert (Potsdam): Kanzlerschaft in der Medien- und Umfragedemokratie: Die Beispiele Adenauer und Kohl.

Manuela Glaab (Koblenz-Landau): Angela Merkels Kanzlerinnenschaft zwischen Partei, Fraktion und Koalitionspartner.

Rüdiger Bergien (Berlin): Ressource der Macht oder Objekt des Misstrauens? Die Rolle des Bundesnachrichtendienstes für die westdeutschen Bundeskanzler.

Panel 3: Zentrale Politikfelder: Außen- und Sicherheitspolitik
Moderation: Birgit Aschmann (Berlin)

Hans-Günter Hockerts (München): Sozialpolitik als Erfolgsrezept? Die Bedeutung des Lastenausgleichs und der Rentenreform für die Kanzlerschaft Adenauers.

Meik Woyke (Hamburg): Flucht in die Außenpolitik? Krisenbewältigung? Strategische Vorausschau? Impulse zu Helmut Schmidt und Helmut Kohl.

Panel 4: Grenzen der Kanzlerdemokratie
Moderation: Volker Kronenberg (Bonn)

Michael Mertes (Wachtberg): Wenn die Starken schwächer werden.

Karl-Rudolf Korte (Duisburg-Essen): Wie viel Führung braucht und erträgt ein parlamentarisches Regierungssystem? Die öffentliche Nachfrage nach Führungskraft im Wandel der Zeit.

Schlussdiskussion und Synthese