Kurbäder gelten spätestens seit dem 18. und 19. Jahrhundert als wichtige gesellschaftliche Treffpunkte, deren Bade- und Trinkeinrichtungen bis in die heutige Zeit die Erinnerungskultur einschlägiger Städte und Orte prägen. Eine dieser Städte ist Baden bei Wien, die mit ihren Schwefelquellen seit 2021 als einzige österreichische Stadt Teil des UNESCO Welterbes „Great Spa Towns of Europe“ ist und damit einen idealen Ort für das 42. Symposion des Niederösterreichischen Instituts für Landeskunde bot. In Kooperation mit dem Stadtarchiv Baden und dem Institut für Österreichische Geschichtsforschung wurde ein vielschichtiges, interdisziplinäres Forschungsthema aufgegriffen, das sich dem Thema durch soziokulturelle, ökonomische und medizinhistorische Fragestellungen näherte.
Die erste Sektion führte grundlegend in das Thema „Kurorte“ ein. Mit dem Versuch einer Periodisierung skizzierte MARTIN SCHEUTZ (Wien) zu Beginn der Tagung die Entwicklung von Kurorten (Bade- / Trinkkurorte) im österreichischen Raum als Orte der Vergesellschaftung. Dem Glanz des 18. und 19. Jahrhunderts stand oft der „biedere“ Krankenkassa-Kurbetrieb der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegenüber. Frühneuzeitlich erweisen sich die Bäder als überständische Orte, wie das Beispiel des Badegerichtes und seines Strafregimes verdeutlicht. Grundsätzlich müssten Forschungen zu Kurorten stärker komparatistisch angelegt sein.
Komparatistisch mit der Vorstellung einiger exemplarisch ausgewählter Kurbäder begann die zweite Sektion. JAROMÍR BARTOŠ (Marienbad/Mariánské Lázně) beleuchtete die Bäder Teplitz, Karlsbad, Franzensbad und Marienbad – auch als „Westböhmisches Bäderdreieck“ bezeichnet. Anhand der prominenten Beispiele Ludwig van Beethovens und Wolfgang Goethes als namhafte Gäste in diesen vier Orten hob er insbesondere die Bedeutung von Kurbädern als internationale Netzwerkressource für wichtige Persönlichkeiten aus Adel, Bürgertum und Gelehrtenwelt hervor.
Nicht nur der schöne Schein der Kurorte, sondern auch die Armut im Kurbad beleuchtete ULRIKE FRITSCH (Baden) in ihrem Vortrag, der die Geschichte zweier ehemaliger „Armen“-Bäder – des Johannesbads und Ferdinandsbads – beleuchtete. Gerade die Armut, aber auch die jüdischen Kurgäste sind bislang von der Forschung wenig beachtet geblieben. Andererseits unterstrich Fritsch anhand einer Überblicksdarstellung die Bedeutung der vielen überlieferten und bisher kaum bearbeiteten Quellen im hiesigen Stadtarchiv (Kurlisten, Baupläne, Reiseführer), welche für die zukünftige Erforschung des Kurwesens unabdingbar sind.
Den letzten Vortrag dieser Sektion und damit des ersten Tages hielt ELKE HAMMER-LUZA (Graz), die sich mit dem Verhältnis der ärmeren Bevölkerungsschicht zu Kurbädern anhand des Beispiels des kleinen Tobelbads in der Steiermark auseinandersetzte. Die Integration der Armut in die überständische Kurgesellschaft und die wirtschaftliche Rentabilität von Armenbädern erwiesen sich als Probleme in diesem steirischen Bad nahe von Graz. Im Fokus ihres Beitrages standen Fragen nach der Integrierung solcher Gruppen in den Kurbetrieb oder der Rentabilität der Armenbäder in langfristiger wirtschaftlicher Sicht.
Zum Abschluss des Tages wurde ein Rahmenprogramm angeboten, bei dem die Teilnehmer:innen zwischen einer Stadt- oder einer Museumsführung durch das Beethovenhaus und durch die aktuelle Sonderausstellung Aufbaden–Abbaden. Kurkultur in Baden „frisch befüllt!“ im Kaiserhaus – dem Sitz der kaiserlichen Familie unter Franz II. / I. – wählen konnten.
Der zweite Tag des Symposions stand ganz im Zeichen des eigentlichen Kurbetriebs aus wirtschafts-, medizin- und kulturhistorischer Perspektive. Auch die Einflechtung von Methoden der Digital Humanities kam nicht zu kurz. Letzteres demonstrierte ANDREA PÜHRINGER (Grünberg) mit dem ersten Beitrag des Tages über die digitalisierten Kur- und Fremdenlisten aus dem Kurort Bad Homburg, die im Rahmen eines Projektes in Kooperation des Stadtarchivs Bad Homburg und des Hessischen Landesamts für geschichtliche Landeskunde in Marburg in Form einer Datenbank erfasst wurden. Mit ihrer quantitativen und qualitativen Untersuchung der Kur- und Fremdenlisten bot die Referentin einen methodischen Ansatz, der für die zukünftige Forschung zum Alltag von Kurbetrieben einen maßgeblichen Beitrag leisten soll.
Daran anknüpfend stellte BURAK DEMIRCI (Wien) sein eigenes Modell zur effizienteren Erfassung von Daten aus den „Badener Kurlisten“ der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor, das er mittels der Tools „Transkribus“ und ChatGPT konzipiert hatte. Mit der Präsentation seines Modells betonte er aufgrund der Vielzahl von Angaben (Familien, Wohnort, Herkunft etc.) – ähnlich wie Pühringer – das Potential von Kurlisten. Demirci plädierte für eine einheitliche Methodik aus dem Feld der Digital Humanities, die es in Zukunft ermöglichen soll, europäische Kurstädte und -orte in größerem Ausmaß einfacher miteinander vergleichen zu können.
Auch Badeordnungen und Rechnungen können Auskunft über den Kuralltag in der Frühen Neuzeit geben, wie es NIKOLAUS WAGNER (St. Pölten) anhand des Entwurfes einer Badeordnung für das Herzogbad unter Graf Joseph Leopold von Lamberg (1679/80–1716) aus dem Jahr 1680 demonstrierte. Das Quellenstück basiert intertextuell auf älteren Badeordnungen, von denen einzelne Passagen in den Entwurf übernommen und anschließend von Wagner mittels einer komparativen Methodik analysiert wurden. So konnte er vielfältige Aspekte der Organisation und Beschaffenheit eines frühneuzeitlichen Bades als adeligen Besitz herausarbeiten.
Im Anschluss an die exemplarischen Untersuchungen bestimmter Quellengruppen von Kurbädern aus alltags-, wirtschafts- und sozialgeschichtlicher Perspektive widmete sich DANIELA ANGETTER-PFEIFFER (Wien) acht wenig bekannten, aber für die Geschichte der österreichischen Kuranstalten und Heilverfahren prägenden Persönlichkeiten. Die Vortragende konnte anhand der Aufzählung bedeutender Praktiken und Ansichten über die Wirkung von Kurbädern zeigen, dass neben einflussreichen Personen im medizinisch-therapeutischen Bereich – wie Wilhelm Winternitz – noch weitere in der Forschung kaum beachtete Vertreter existierten, die für das medizinische Wirken von Kurbädern entscheidende Impulse lieferten.
Der letzte Vortrag vor der Mittagspause von ULRIKE SCHOLDA (Baden) befasste sich mit den Gründen der Einführung einer Kurtaxe für Gäste in Baden im 19. Jahrhundert und deren Auswirkung auf die Stadt (Stadtplanung, Assanierung der Stadt etc.). Mithilfe von unterschiedlichem Quellenmaterial wie zeitgenössischen Zeitungsartikeln oder Gebührenordnungen stellte die Referentin fest, dass die Einnahmen einen wesentlichen Beitrag zur Stadtentwicklung Badens leisteten, was zu einer Steigerung der Lebensqualität sowohl für die Kurgäste als auch für die Einwohner:innen führte.
Einblicke in die historische Bäderarchitektur vom 18. Jahrhundert bis in die 1920er-Jahre gewährte der Vortrag von SABINE PLAKOLM-FORSTHUBER (Wien). Im Rahmen ihres Beitrags skizzierte sie anhand von mehreren Beispielen – vor allem der beiden Kurorte Baden und Bad Vöslau – die Entwicklung der Frei- und Hallenbäder des 19. und 20. Jahrhunderts aus den ursprünglich medizinisch-therapeutischen Badeanstalten durch das aufkommende Freizeitbedürfnis aller Gesellschaften. Plakolm-Forsthuber verwies dabei aus architekturgeschichtlicher Perspektive auf die unterschiedlichen Funktionen der zwei Bäderarten, betonte aber auch die Gemeinsamkeiten aufgrund der baulichen Struktur.
MARION LINHARDT (Bayreuth) hob mit ihrem Beitrag zur Theaterpraxis in Kurbädern einen wichtigen kulturellen Aspekt des Kurwesens hervor. Im Rahmen ihrer vorgestellten komparativen Analyse von mehreren Kurorten konnte sie zwei zentrale Gesichtspunkte bezüglich des Verhältnisses zwischen Kurort und Theater feststellen: Einerseits war das Theaterspielen in therapeutischer Hinsicht ein „Medium des Vergnügens“, andererseits betonte die Vortragende, dass das Theater – je nach soziokulturellen Gegebenheiten des Kurortes – auch identitätsstiftend für die jeweilige Stadt sein konnte.
Wo zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch Bademanuale von Ärzten als Orientierungshilfe mit Ratgeberfunktion dominierten, entwickelten sich aus dieser Textsorte im Laufe des Jahrhunderts Reiseführer, die ihren Schwerpunkt entweder auf Medizin oder auf Freizeit, „Kultur“ und Unterhaltung legten. Auch in den lokalen Führern der Kurstädte Baden und Ischl machte sich diese Veränderung bemerkbar, wie HARALD TERSCH (Wien) im Zuge seines Vortrags demonstrierte. Er konnte in diesem Zusammenhang zeigen, dass der Grad an medizinischen und kommerziellen Informationen in solchen Reiseführern stark von den Publikationsmöglichkeiten und der Rezeption durch die Residenzstadt Wien als Metropole der Monarchie abhängig war.
Mit der Frage, welche Möglichkeit das Phänomen Kur in Filmen bietet, befasste sich HANJA DÄMON (Wien). Anhand von einzelnen Filmbeispielen aus unterschiedlichen Genres konnte sie veranschaulichen, dass Filme sowohl negativ als auch positiv konnotierte gesellschaftliche Ansichten über Kuraufenthalte widerspiegeln und daher umfassender in der historischen Filmforschung beachtet werden sollten, die ihrer Einschätzung nach bislang nur der Hotellerie und den Psychiatrien vorbehalten waren.
Das Abendprogramm eröffnete HANS HORNYIK (Baden) mit einem Impulsreferat anlässlich der Ernennung Badens 2021 zu einer der „Great Spa Towns of Europe“. Die Stadt schlage nach Hornyik aufgrund der Vielzahl an Quellen zum Kurwesen ein neues Kapitel in ihrer Geschichte auf, das von der zukünftigen Geschichtsforschung durch Einbau interdisziplinärer Felder in seiner Vollständigkeit aufgedeckt werden soll. Den daran anknüpfenden Abschluss des zweiten Tages bildete der Abendvortrag von VOLKMAR EIDLOTH (Bad Steben), der über seinen speziell für die Tagung durchgeführten Versuch, den im Laufe des 19. Jahrhunderts stark anwachsenden Heilbäderbestand in Mitteleuropa in seiner Gesamtheit zu erfassen, berichtete. Bei seiner Auswertung konnte Eidloth insgesamt 500 Kurorte feststellen, von denen er jedoch nur exemplarisch einige nach ihrer Erscheinungsform, ihrem Alter und der räumlichen Verteilung sowie nach dem Aspekt der Konkurrenz und Synergie erläuterte. Abschließend plädierte der Vortragende mit Verweis auf das Impulsreferat von Hornyik, Kurorte nicht als Einzelphänomen zu betrachten, sondern sich mittels eines komparatistischen Ansatzes auf den Gesamtbestand zu fokussieren, denn Welterbe sei „exklusiv, nicht inklusiv zu denken“.
Der letzte Tag des Symposions widmete sich den unterschiedlichen Gruppen von Kurgästen. Eröffnet wurde mit dem Beitrag von WILLIBALD ROSNER (Wien), der einen Einblick in den Kurgebrauch der k.(u.)k. Armee von den Anfängen des militärischen Kurwesens im Vormärz bis hin zur Praxis des staatlichen Kurbetriebes in eigenen Badeanstalten ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lieferte. Gerade das Militär (Gemeine beziehungsweise Offiziere) in den Kurorten und deren starke Repräsentation in den Kurstädten haben in der Forschung bislang wenig Rezeption gefunden.
Mit der (provokanten) Frage, ob Juden baden dürften, begann ELISABETH ROSNER (St. Pölten) ihren Vortrag. In ihrer Auseinandersetzung mit der Nutzung von Kurbädern in Baden durch Jüdinnen und Juden im 18. Jahrhundert konnte sie zeigen, dass Letztere trotz immer wiederkehrender Verbote letztendlich Wege fanden, sich Zutritt zu verschiedensten Bädern zu verschaffen. Dies ist im weiteren Sinne laut der Referentin als „Fortschritt“ zu deuten, da die jüdische Geschichte kontinuierlich von Ausgrenzung und Antisemitismus geprägt war.
Der letzte Beitrag des Symposions widmete sich städteplanerischen Aspekten der Stadt Baden während des Nationalsozialismus. DOMINIK ZGIERSKI (Baden) erläuterte im Rahmen seines Vortrags sieben Beispiele, die sich aus wirtschaftlicher, soziokultureller und ökonomischer Perspektive auf die geplante Veränderung der Stadt als „Deutschlands größtes Schwefelbad“ bezogen, aber aufgrund der Folgen des Krieges nie bis kaum umgesetzt wurden.
In der Schlussrunde bezeichnete MARTIN SCHEUTZ (Wien) zusammenfassend das Kurwesen als einen vielschichtigen Forschungsgegenstand, dem durch das diesjährige Symposion ein geeigneter Raum zu weiteren Untersuchungen geboten wurde. Die Forschung habe nun die Aufgabe, die während der Tagung aufgegriffenen Lücken zu füllen, um schließlich ein „Gesamtbild eines Phänomens“ zu erhalten. Diesen abschließenden Worten ist nur beizupflichten, da im Rahmen der Tagung tatsächlich einem neuen Forschungsfeld ein Platz in der Geschichtswissenschaft eingeräumt wurde, das interdisziplinär ist und aufgrund der Vielzahl an noch unerforschten Quellen sowie des Potentials der gezeigten komparativen transregionalen Methodik in Zukunft fruchtbare Erkenntnisse mit sich bringen wird.
Konferenzübersicht:
Sektion I: Das Phänomen Kurort
Martin Scheutz (Wien): Badeorte als Orte der Vergesellschaftung, der technischen Innovation und einer idyllischen Badepraxis
Sektion II: Bäder im Vergleich
Jaromír Bartoš (Marienbad/Mariánské Lázně): Das Westböhmische Bäderdreieck – ein Treffpunkt an der Grenze der Kulturen
Ulrike Fritsch (Baden): Vom Armenbad zum Theater am Steg. Ein Badener Schwefelbad im Wandel der Zeit
Elke Hammer-Luza (Graz): „Mit armen Kurgästen überfüllt“. Das steirische Tobelbad im 18. und 19. Jahrhundert
Rahmenprogramm: Stadtführung oder Kaiserhaus / Beethovenhaus
Sektion III: Kurbetrieb und Verwaltungspraxis
Andrea Pühringer (Grünberg): Die Bad Homburger Kur- und Fremdenlisten – sozial-, wirtschafts- und kulturgeschichtliche Ansätze, Möglichkeiten und Aspekte einer digitalisierten Quelle
Burak Demirci (Wien): Digital Humanities und die Kurlistenforschung am Beispiel von Baden
Nikolaus Wagner (St. Pölten): Das Herzogbad unter Graf Leopold Joseph von Lamberg (1679-1716)
Daniela Angetter-Pfeiffer (Wien): Jod, Schwefel, Solde oder Molke – was inspirierte Österreichs Kurärzte?
Ulrike Scholda (Baden): Einblicke in die Anfänge der Curtaxe und Curcommission Baden
Sektion IV: Kur als kultureller Raum
Sabine Plakolm-Forsthuber (Wien): Vom Kurbad zum Freizeitbad. Die historische Bäderarchitektur entlang der Thermenlinie
Marion Linhardt (Bayreuth): „aber morgen – da gastier’ ich in Griesshübl-Sauersdorf als Othello!“ Theater spielen und Theater besuchen in österreichischen Kurorten im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Harald Tersch (Wien): Der Arzt als Reiseführer: die Kurresidenzen Baden und Ischl in Handbüchern des 19. Jahrhunderts
Hanja Dämon (Wien): Wellness auf der Leinwand: Darstellungen von Kuraufenthalten in Spielfilmen
Abendvortrag
Impuls und Moderation: Hans Hornyik (Baden): Great Spa Towns of Europe, Baden bei Wien – Bericht aus der Praxis
Volkmar Eidloth (Bad Steben): Die mitteleuropäische Bäderlandschaft im langen 19. Jahrhundert – historisch-geographische Beobachtungen
Sektion V: Reisende, Bereiste und ihre Verflechtungen
Willibald Rosner (Wien): Militär und „Kurgebrauch“ im 19. Jahrhundert. Betrachtungen zum Kurbetrieb in der k.(u.)k. Armee
Elisabeth Rosner (St. Pölten): „wenn sie sich geziemend aufführen“ – Jüdische Kurgäste in Baden im 18. Jahrhundert
Dominik Zgierski (Baden): „Baden bei Wien. Deutschlands größtes Schwefelbad“