Die 71. Jahrestagung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg fand in der Stadt Rottenburg am Neckar statt, die gerade ihr 750-jähriges Jubiläum begeht. Die mittelalterliche Schatzkunst der Klöster stellte MELANIE PRANGE (Rottenburg am Neckar) anlässlich des öffentlichen Abendvortrags vor. Die Tagung war auf zwei Arbeitsgruppensitzungen verteilt.
Die erste Arbeitsgruppe befasste sich mit der Grafschaft Hohenberg und der Stadt Rottenburg als einem der Zentralorte dieses Territoriums. Das Territorium der Grafen von Hohenberg habe, wie ERWIN FRAUENKNECHT (Stuttgart) ausführte, ein ganzes Bündel von Herrschaftsrechten umfasst. Neben einem Besitzschwerpunkt um den Stammsitz Hohenberg, nach dem sich das von den Grafen von Zollern im späten 12. Jahrhundert abgezweigte Geschlecht nannte, hätten die Hohenberger über die Herrschaft Haigerloch, die Bamberger Lehen Horb, Rottenburg und Dornstetten, die durch Heiratsverbindungen mit den Pfalzgrafen von Tübingen erworbenen Herrschaften Nagold, Wildberg, Altensteig und Bulach sowie weitere Burgen, Städte und Herrschaften verfügt. Die Dynastie habe in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts mit Graf Albert II. von Hohenberg († 1298) ihren größten politischen Einfluss erreicht. Da dessen Schwester Gertrud mit Rudolf von Habsburg verheiratet war, sei Albert mit Rudolfs Aufstieg zum König zu einer wichtigen Stütze des Herrschers geworden. Er sei nach 1274 als königlicher Landvogt nachzuweisen und habe um 1280 die Stadt Rottenburg gegründet. Der 1298 in der Schlacht bei Leinstetten gefallene Graf habe sich auch als Minnesänger einen Namen gemacht. Obwohl die Gefolgschaft der Hohenberger zahlreiche Adelsfamilien am oberen Neckar umfasst habe, sei der Einfluss der Grafen im Verlauf des 14. Jahrhunderts zurückgegangen. Erbteilungen hätten zum Schwinden ihrer Macht geführt. Die schon 1275 an die Nagolder Linie gefallenen Herrschaften Nagold, Wildberg und Bulach seien entweder direkt oder über die Pfalzgrafen bei Rhein an Württemberg gefallen, Altensteig kam an die Markgrafen von Baden. Die an die Rottenburger Linie gelangten Gebiete hätten 1381 als „Grafschaft Hohenberg“ an die Habsburger verkauft werden müssen. Grablegen hätten die Hohenberger im 1237 gestifteten Kloster Kirchberg sowie im Kloster Reutin (Nagolder Linie) und im Chorherrenstift St. Moriz in Ehingen bei Rottenburg (Rottenburger Linie) gehabt. Die 1281 gestorbene Gertrud von Hohenberg, die sich als Gemahlin König Rudolfs „Königin Anna“ nannte, sei jedoch im Baseler Münster bestattet.
Auf das wechselhafte Schicksal der Grafschaft Hohenberg nach dem Verkauf an Leopold III. von Habsburg 1381 ging DIETER SPECK (Freiburg im Breisgau) ein. Hohenberg sei eine der teuersten Erwerbungen Habsburgs gewesen und mit innovativen Ansätzen finanziert worden – auch in Aussicht auf eine territoriale Grundlage für das angestrebte Herzogtum Schwaben, auf das schon Leopolds Vater Rudolf IV. in seiner Titulatur Anspruch erhoben hatte. Schon nach wenigen Jahren sei die Grafschaft unter Leopolds Sohn Friedrich IV. als Wittum für seine erste Gemahlin Elisabeth eingesetzt worden. 1410 sei Hohenberg als Pfandschaft an ein Konsortium von Reichsstädten gegeben worden – nicht zuletzt auch, um eine Usurpation durch Friedrichs Schwiegervater Ruprecht von der Pfalz zu verhindern. Paradoxerweise sei die Verpfändung der Grund dafür gewesen, dass Hohenberg den Habsburgern 1415 nicht verloren ging. Nach Jahren der Pfandschaft habe Erzherzog Albrecht VI. die Grafschaft 1454 handstreichartig wieder an sich gezogen, da er sie als Witwengut für die Heirat mit Mechthild von der Pfalz – der Witwe Graf Ludwigs I. von Württemberg – benötigte. Zudem habe auch er offensichtlich das Herzogtum Schwaben angestrebt, wofür Hohenberg ein wichtiger Baustein sein sollte. Nach Albrechts Tod 1463 habe Mechthild versucht, die Grafschaft oder wenigstens Teile davon ihrem Sohn Graf Eberhard V. von Württemberg zu verschaffen. Nach ihrem Tod 1482 sei das Witwengut Hohenberg jedoch an Herzog Sigmund den Münzreichen zurückgefallen. Dessen Ambitionen auf ein Herzogtum Schwaben seien aber – nicht zuletzt an den unterschiedlichen Interessen zweier habsburgischer Linien – ebenso gescheitert. Mit der Absetzung Sigmunds sei das visionäre Ziel eines schwäbischen Herzogtums, für das Hohenberg eine Grundlage gewesen wäre, endgültig gescheitert. Hohenberg sei daher habsburgisches Kammergut an der Peripherie geblieben.
CHRISTA BERTELSMEIER-KIERST (Marburg an der Lahn) nahm die literarischen Interessen der Erzherzogin Mechthild, Gemahlin Erzherzog Albrechts VI. von Österreich, anhand der zeitgenössischen Zeugnisse und der heute noch nachweisbaren Bücher ihrer einst umfangreichen Bibliothek in den Blick. Nach dem 1462 verfassten „Ehrenbrief“ des Jakob Püterich von Reichertshausen habe Mechthild eine hervorragende Bibliothek (94 Bücher) besessen, von denen er etliche selbst nicht gekannt habe, darunter fünf Lanzelotromane, die Möhrin von Hermann von Sachsenheim, die Griseldis von Heinrich Steinhöwel, die Melusine von Thüring von Ringoltingen oder die als „Stadtschreibers Büchlein“ bezeichneten Translatzen des Niklas von Wyle. Dies sei moderne, zeitgenössische Literatur gewesen, sodass man Mechthild innovative Impulse – sei es durch die frühe Rezeption burgundisch-niederländischer Stoffe oder durch den Besitz erster Übersetzungen aus dem italienischen Humanismus – nicht absprechen könne. Briefe und Widmungen wiesen auf enge Kontakte Mechthilds zu Literaten, Übersetzern und Literaturexperten hin. Ihr Hof sei kein den italienischen Renaissancehöfen vergleichbarer Musenhof, aber nicht unbedeutend für die süddeutsche Literaturentwicklung nach der Mitte des 15. Jahrhunderts gewesen. An ihrem Hof hätten neben der klassisch höfischen Literatur vor allem neue Richtungen wie der am burgundischen Hof besonders geschätzte Prosaroman oder die Renaissance-Novellistik erste Verbreitung gefunden. An dem von Mechthild gestifteten Ehninger Altar, an dem ebenfalls burgundisch-niederländischer Kultureinfluss sichtbar werde, könne man eine herausragende Kunstförderung greifen.
In den lebhaften Diskussionen wurde betont, dass Gertrud von Hohenberg von den Habsburgern ein höherer Stellenwert als von den Hohenbergern eingeräumt worden sei. Ob zum Ruin des 1486 ausgestorbenen Grafenhauses die Königsnähe beigetragen habe oder Erbteilungen und Aussteuern verantwortlich waren, sollte einmal im Vergleich zu benachbarten Grafenhäusern untersucht werden. Das Scheitern der mit dem Kauf von Hohenberg verbundenen habsburgischen Ambitionen sei möglicherweise auf die kinderlos gebliebenen Ehen Herzog Sigmunds zurückzuführen. Erzherzogin Mechthild sei nach dem Tod Eleonores, der Gemahlin Kaiser Friedrichs III., im Jahre 1467 die erste Frau im Reich gewesen. Ihr Hof in der herzoglichen Residenz Rottenburg sei im internationalen Vergleich zwar klein, im deutschen Südwesten jedoch mit den Höfen Kurfürst Philipps von der Pfalz oder Maximilians vergleichbar gewesen. Die der Gräfin Elisabeth von Nassau-Saarbrücken zugeschriebene „Herpin“-Übersetzung sei wohl nur in deren Umkreis entstanden, eine Überarbeitung habe Elisabeths Verwandte Margarethe von Savoyen, die Schwägerin Mechthilds, am Stuttgarter Hof veranlasst. Hier wie in den Bezügen zu den Bibliotheken Wirichs von Daun-Oberstein und Kunos von Manderscheid-Blankenheim seien politisch-literarische Netzwerke greifbar.
Die zweite Arbeitsgruppe beleuchtete das Thema „Nach dem Ende des Alten Reichs. Die Integration Vorderösterreichs in die neuen Staaten im Vergleich mit Salzburg“. In ihrer Einführung führte SABINE HOLTZ (Stuttgart) aus, dass das Ende der vorderösterreichischen Zeit seit 1806 und das Agieren der Funktionsträger gut untersucht seien. Es fehle allerdings die Perspektive der Menschen, wie diese den Übergang wahrnahmen.
SENTA HERKLE (Stuttgart) untersuchte in ihrem Vortrag die Folgen der territorialen Veränderungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts im deutschen Südwesten, wo ab dem Pressburger Frieden im Dezember 1805 die bis dahin vorderösterreichischen Gebiete Baden, Württemberg und Bayern zugeschlagen wurden. Die neuen Monarchen setzten dort sogleich Huldigungen der Untertanen durch, die teils nur widerwillig geleistet wurden. Bis zu einem gewissen Maß brachte man Verständnis für die Anhänglichkeit zur Habsburgermonarchie auf, betrieb aber zugleich Integrationspolitik, um eine Bindung an die neuen Herrscherhäuser herbeizuführen. Nach Ausbruch des 5. Koalitionskriegs im Jahr 1809 und den Aufständen in Tirol sowie Vorarlberg schien eine Rückkehr unter habsburgische Herrschaft möglich zu werden, wobei Teile von Landbevölkerung, Bürgertum, Studentenschaft und Niederadel den neuen Herren Widerstand leisteten – letztendlich vergeblich. Doch auch nach dem Wiener Kongress, bei dem Österreich endgültig auf die Gebiete im Südwesten verzichtete und sein Territorium lieber mit dem ehemaligen Erzstift Salzburg arrondierte, lassen sich im alten Vorderösterreich noch immer Anzeichen für die Anhänglichkeit der ehemals habsburgischen Untertanen finden.
In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, wie die Bevölkerung teilweise der Habsburgerherrschaft nachtrauerte, obwohl es bis kurz zuvor mitunter heftige Konflikte mit der Regierung gegeben hatte. Zugleich gab es pragmatische Hinwendungen zu den neuen Monarchen. Da die politische Neuordnung Südwestdeutschlands kein einmaliges Ereignis im Jahr 1806 war, sondern ein teils mehrstufiger Prozess seit 1803, stellte sich die Frage, ob ab 1803 bereits Erfahrungen im Herrschaftswechsel gemacht worden waren, die dann ab 1806 zum Tragen kamen. Erst mit der Zeit – sichtbar ab circa 1809 – brachten die Regierungen zunehmend Verständnis für die Bevölkerung auf und justierten ihr Handeln danach. Teile der Bevölkerung – insbesondere aus der Gelehrtenschicht – begriffen die neuen Herrschaften mitunter als modernere Staaten und damit als Chancen. Dies war etwas ausgeprägter in Baden der Fall (zum Beispiel Carl von Rotteck), wobei diese Hoffnungen später weitgehend enttäuscht wurden und der Desillusionierung wichen.
Im zweiten Vortrag behandelte AMELIE BIEG (Würzburg) die konfessionellen Aspekte des Herrschaftsübergangs. Nachdem zahlreiche katholische Territorien durch Säkularisation und Mediatisierung an das protestantische Württemberg gelangt waren, versuchte die Regierung in Stuttgart unter anderem mithilfe des Konzeptes des Staatskirchentums und der katholischen Aufklärung die neuen Untertanen in den Gesamtstaat des Königreichs zu integrieren. Dabei standen die katholischen Kirchenoberen in der Tradition der „katholischen Aufklärung“ und strebten eine schlichte, andächtige Glaubenspraxis an – befreit von schwärmerischen, barocken Elementen. Hierdurch gerieten sie jedoch in Gegensatz zur Bevölkerung und deren Glaubenspraxis, in der Wallfahrten, Heiligenverehrung, Bittprozessionen und Feiertage feste Bestandteile waren. Hinzu kam, dass die mit der Umsetzung der Reformen betrauten Personen oftmals das nötige Fingerspitzengefühl vermissen ließen und Widerstand hervorriefen. Dass die Reformen von einem protestantisch dominierten Staat betrieben wurden, trug sicher zur Ablehnung bei, wenngleich unter habsburgischer Regierung zuvor der Widerstand gegen ähnliche Reformen im Frömmigkeitswesen zum Teil noch deutlich heftiger gewesen war.
In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass die eigentliche Konfliktlinie innerhalb katholischer Kreise verlief und nicht zwischen Katholiken und Protestanten. Es war vielmehr eine Auseinandersetzung zwischen katholischer Aufklärung und Volksfrömmigkeit. Da die Probleme bereits unter habsburgischer Herrschaft auftraten, wurde ein fehlender Lerneffekt bei den Kirchenoberen seit josephinischer Zeit konstatiert.
Als Vergleich zu den vorderösterreichischen Gebieten diente das bis 1803 selbstständige Erzstift Salzburg, das von ELLINOR FORSTER (Innsbruck) vorgestellt wurde. Durch die Säkularisation 1803 blieb Salzburg zwar noch für weitere drei Jahre ein eigenes Land, wurde allerdings zu einem weltlichen Fürstentum mit dem Habsburger Ferdinand III. als neuem Herrscher, der so für den Verlust der Toskana entschädigt wurde. Das sollte nicht der einzige Herrschaftswechsel bleiben: 1806 wurde Salzburg in die Habsburgermonarchie integriert, um nach dem Krieg von 1809 zunächst mittels Besetzung durch französische Truppen von Frankreich verwaltet zu werden und 1810 zum Königreich Bayern zu kommen. Die Verhandlungen zwischen Bayern und Österreich hinsichtlich Salzburgs dauerten über das Ende des Wiener Kongresses hinaus an, bis es 1816 endgültig ein Teil Österreichs wurde. Alle Herrschaftswechsel brachten Änderungen mit sich – doch wurden sie von der Bevölkerung in unterschiedlicher Weise angenommen. Das lässt sich neben Tagebucheinträgen beispielsweise auch an der eigenen Verortung in Tageszeitungen zeigen. Offensichtlich trat mit den Jahren und gehäuften Herrschaftswechseln auch eine Gewöhnung ein. Der Übergang zu Bayern und schließlich wieder zu Österreich scheint einen geringeren Einschnitt als die Veränderung 1806 dargestellt zu haben.
Nachfragen zu dem Beitrag galten verschiedenen Einzelaspekten. Auf lange Sicht waren die Eingliederungen neu erworbener Gebiete mit ihrer Bevölkerung und einer anderen Konfession in die Staaten Baden, Württemberg und Österreich erfolgreich. Die Vorträge machten jedoch deutlich, dass jeweils ähnliche Schwierigkeiten überwunden werden mussten.
Konferenzübersicht:
Öffentlicher Abendvortrag
Melanie Prange (Rottenburg am Neckar): „Schimmernde Tempel“. Klösterliche Schatzkunst des Mittelalters im Südwesten
Arbeitsgruppe 1: Rottenburg und die Grafschaft Hohenberg im Mittelalter
Leitung: Sigrid Hirbodian (Tübingen) / Peter Rückert (Stuttgart)
Erwin Frauenknecht (Stuttgart): Die Grafen von Hohenberg und ihre Herrschaft
Dieter Speck (Freiburg im Breisgau): Die Grafschaft Hohenberg in der habsburgischen Politik
Christa Bertelsmeier-Kierst (Marburg an der Lahn): Mechthild von der Pfalz und die Literatur an ihrem Rottenburger Hof
Arbeitsgruppe 2: Nach dem Ende des Alten Reichs. Die Integration Vorderösterreichs in die neuen Staaten im Vergleich mit Salzburg
Leitung: Sabine Holtz (Stuttgart)
Senta Herkle (Stuttgart): „sie hingen im Herzen Habsburg an“. Die ehemalige vorderösterreichische Bevölkerung auf dem Weg in die neue Herrschaft 1800–1820
Amelie Bieg (Würzburg): „so viele Muttergottes-Bilder, daß man nicht weiß, welches die ächte ist“. Der Kampf um und gegen die Reformen der katholischen Aufklärung im württembergisch gewordenen Vorderösterreich nach 1805
Ellinor Forster (Innsbruck): Ein Perspektivenwechsel um 180 Grad? Salzburg neu verorten – 1806, 1810 und 1816