Das Bayerische Konkordat und die Kirchenverträge von 1924

Religionsverfassungsrecht in Monarchie und Freistaat. Das Bayerische Konkordat und die Kirchenverträge von 1924. 17. Jahrestagung der Gesellschaft für Bayerische Rechtsgeschichte

Organisatoren
Gesellschaft für Bayerische Rechtsgeschichte (Leopold-Wenger-Instituts für Rechtsgeschichte, Abt. B Deutsche und Bayerische Rechtsgeschichte)
Ausrichter
Leopold-Wenger-Instituts für Rechtsgeschichte, Abt. B Deutsche und Bayerische Rechtsgeschichte
PLZ
80539
Ort
München
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.07.2024 - 13.07.2024
Von
Marc Bullach, Ludwig-Maximilians-Universität München

Im Jahr 2024 ist bei der Gesellschaft für Bayerische Rechtsgeschichte das Jubiläum nicht nur Anlass der Tagung, sondern auch Meldung in eigener Sache. Dass sich der Abschluss des Bayerischen Konkordats im März zum hundertsten Mal jährte, war willkommener Anlass für die Gesellschaft für Bayerische Rechtsgeschichte, sich auf ihrer 17. Jahrestagung dem Religionsverfassungsrecht in Monarchie und Freistaat zu widmen. Die Tagung, die in guter Tradition jedes Jahr an einem anderen Ort in Bayern stattfindet, kehrte zum 20. Geburtstag der Gesellschaft für Bayerische Rechtsgeschichte an seine Heimstatt, das Leopold-Wenger-Institut für Rechtsgeschichte an der juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, zurück.

KLAUS UNTERBURGER (München) unternahm einen Parforceritt durch das lange 19. Jahrhundert. Ausgehend von der Frage, ob es sich um unterdrückte Kirchenfreiheit handle, entwickelte er die religionsrechtliche Stellung der Katholischen Kirche im Königreich Bayern zwischen dem Konkordat von 1817 und dem Religionsedikt von 1818, das Bestandteil der zweiten Bayerischen Verfassung von 1818 war. Zwischen beiden Rechtstexten besteht ein Spannungsfeld: Während das Konkordat die Bewältigung der Säkularisationsfolgen regelte und dahingehend kirchenfreundliche Zugeständnisse enthielt, stellte das Religionsedikt ein Jahr später eine politische Kurskorrektur dar, welche die Katholische Kirche der staatlichen Kontrolle unterwerfen sollte. Als Hauptkonfliktfelder im Staat-Kirchen-Verhältnis im 19. Jahrhundert illustrierte Unterburger das Eherecht, den schulischen Religionsunterricht und die Theologenausbildung.

Dass dieses im 19. Jahrhundert etablierte Verhältnis von Katholischer Kirche und Staat nach dem 1. Weltkrieg grundsätzlich infrage gestellt wurde, arbeitete STEFAN KORIOTH (München) anhand der staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Reichsverfassung (WRV) heraus. Die Frontlinie der Auseinandersetzung verlief in der verfassungsgebenden Nationalversammlung entlang der Frage über die religiöse Neutralität des Staates. Während die Zentrumspartei und konservative Kräfte am rechtlichen Sonderstatus der Kirchen festhielten, setzte sich vor allem die SPD für eine laizistische Privatisierung der Religionsgemeinschaften ein. Ergebnis der kontroversen Verhandlungen in der Nationalversammlung war ein tragfähiger Kompromiss (Art. 136–139, 141 WRV), der noch heute unter dem Grundgesetz gültiges Verfassungsrecht ist (Art. 140 GG). Wesentliche Inhalte des staatskirchenrechtlichen Kompromisses waren erstens die grundsätzliche Freiheit von einer Staatskirche, zweitens die gleichzeitige Beibehaltung des Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaften, die entgegen liberaler Forderungen nicht auf privatrechtliche Organisationsformen verwiesen wurden, und drittens die Stärkung ihres Selbstbestimmungsrechts.

Dem Bayerischen Konkordat von 1924 widmete sich FLORIAN HEINRITZI (Freising). Der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Freistaat Bayern beruhte auf einer gegenläufigen Motivationslage der Signatare, die Heinritzi in den Blick nahm. Die Katholische Kirche beabsichtigte angesichts Revolution und Sturz der Monarchie ihre Stellung abzusichern. Der junge Freistaat Bayern hingegen nutzte den Vertragsschluss zur Selbstbehauptung eigener staatlicher Souveränität gegenüber dem neu formierten Bundesstaat. Die Bayerische Staatsregierung hatte im Sinn, der durch die Weimarer Reichsverfassung verstärkten Zentralisierung, welche die Außenpolitik zur ausschließlichen Kompetenz des Reiches erhob, mit Abschluss des Konkordats entgegenzutreten. In den Verhandlungen zwischen der Bayerischen Staatsregierung und dem apostolischen Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., waren vor allem das Nominationsrecht der Bischöfe sowie die seit der Säkularisation auf Grundlage des Reichsdeputationshauptschlusses (1803) entrichteten Staatsleistungen streitig.

Einen Kritiker des Bayerischen Konkordats stellte MARTIN OTTO (Hagen) vor, nämlich den Münchner Staats- und Staatskirchenrechtler Karl Rothenbücher (1880–1932). Rothenbücher, von dem es wohl keine bekannte zeitgenössische Abbildung gebe, zählte im Spektrum der Weimarer Staatsrechtslehre zu den Positivisten und Demokraten. In seiner Abhandlung über das Bayerische Konkordat von 1924 äußerte er sich kritisch über die Absichten der Bayerischen Staatsregierung und den Vertragsschluss. Hauptkritikpunkt war, dass das Konkordat eine verfassungswidrige Nähe von Staat und Kirche schaffe, indem staatliche Rechte an die Katholische Kirche preisgegeben würden. Sie werde dadurch im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften einseitig privilegiert.

Die Kritik einseitiger staatlicher Bevorzugung der Katholischen Kirche gegenüber den protestantischen Landeskirchen griff HEINRICH DE WALL (Erlangen) auf. Er beleuchtete die Auswirkungen des Bayerischen Konkordats von 1924 auf die ein Jahr später mit den protestantischen Landeskirchen im rechtsrheinischen Bayern und der Pfalz abgeschlossenen Kirchenverträge. Es handelte sich dabei um die ersten umfassenden Kirchenverträge mit protestantischen Kirchen in Deutschland. Die Verträge waren zur Neuregelung des Verhältnisses von protestantischen Kirchen und Staat erforderlich geworden, nachdem mit dem Ende der Monarchie nach dem Ersten Weltkrieg das landesherrliche Kirchenregiment und damit die staatliche Kirchenhoheit über die protestantischen Kirchen entfallen war. De Wall legte dar, dass zwischen dem Konkordat mit der Katholischen Kirche und den Kirchenverträgen mit den protestantischen Kirchen ein enger zeitlicher, politischer und inhaltlicher Zusammenhang besteht. Trotz der Kritik der protestantischen Kirchen am Konkordat, das der Katholischen Kirche eine Sonderrolle zuweise, nahmen sie ihrerseits selbst Vertragsverhandlungen mit dem Freistaat Bayern auf, um eine vertragsrechtliche Gleichbehandlung mit der Katholischen Kirche zu erreichen.

Eine Innenperspektive auf die bayerischen Beweggründe, die zu Abschluss und Regelungsgehalt des Konkordats von 1924 geführt haben, eröffnete NIKOLA BECKER (München). Sie stellte anhand der maschinenschriftlichen Protokolle des Ministerrats und der ausführlicheren Stenogramme der Ministerratssitzungen die politischen Positionen der einzelnen (fast ausschließlich katholischen) Kabinettsmitglieder der Staatsregierung unter Ministerpräsident Eugen von Knilling dar. Grundtonus der Beratungen war die Wahrung föderaler Rechte und bayerischer Eigenstaatlichkeit – stets mit Blick darauf, inwiefern die Umsetzung mit den parlamentarischen Mehrheitsverhältnissen im Landtag politisch durchsetzbar war. Die wesentlichen Streitpunkte im Ministerrat waren erstens die Frage der Lehrstuhlbesetzungen an den katholisch-theologischen Fakultäten, zweitens die Ausbildung der Religionslehrer und drittens die Besetzung der Bischofsstühle, welche die Katholische Kirche für sich allein in Anspruch nahm.

RENATE PENßEL (Erlangen) weitete den Blick auf die jüdischen Religionsverhältnisse in Bayern. Im Königreich Bayern war das Edikt über die Verhältnisse der jüdischen Glaubensgenossen von 1813 maßgebliche Rechtsgrundlage der Judenemanzipation. Es gewährte jüdischen Gemeinden Gewissensfreiheit und das Recht, Synagogen zu unterhalten sowie unter weiteren Einschränkungen neue Gemeinden als Privatkirchengesellschaften zu gründen. Das Maß an Befugnissen, über das die christlichen Kirchen verfügten, hatten die jüdischen Gemeinden im Königreich Bayern nicht inne. Eine Zäsur in der rechtlichen Entwicklung der jüdischen Gemeinden führte die Weimarer Reichsverfassung mit ihren staatskirchenrechtlichen Regelungen herbei. Den jüdischen Gemeinden wurden größere Freiheit der Selbstorganisation und die Gleichstellung mit den christlichen Kirchen – insbesondere das aus dem Körperschaftsstatus fließende Besteuerungsrecht – zuteil.

ULRICH REUBER (Gauting-Unterbrunn) befasste sich mit den Herausforderungen des bayerischen Staatskirchenrechts im Umgang mit der Altkatholischen Kirche. Zum Bruch mit der Katholischen Kirche kam es, als auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit diskutiert und letztlich als verbindlicher Glaubenssatz angenommen wurde. Der Widerstand der deutschen Bischöfe, der Beamtenschaft und des liberalen Bildungsbürgertums blieb erfolglos. Das im Konkordat von 1817 abgeschaffte und im Religionsedikt von 1818 wiedereingeführte placetum regium, das Recht des bayerischen Königs, innerkirchliche Verordnungen vor deren Publikation zu genehmigen, umfasste auch die Beschlüsse des Konzils. Der bayerische Staat verweigerte das königliche Plazet mit der Folge, dass die Konzilsbeschlüsse und vor allem das Unfehlbarkeitsdogma im Königreich Bayern keine Geltung erlangten. Daraufhin Exkommunizierte galten im Rahmen einer Fiktion weiterhin als katholisch im Sinne des bayerischen Staatskirchenrechts.

Die Tagung lud anlässlich des Jubiläums dazu ein, sich mit Stellung und Befugnissen der Kirchen im Staat auseinanderzusetzen. Die rechtliche Stellung der Katholischen Kirche in Bayern und das Bayerische Konkordat von 1924 mitsamt seiner Vorgeschichte, seinem Inhalt und seines reichsrechtlichen Rahmens wurden diskutiert, ebenso die protestantischen Landeskirchen, jüdischen Religionsverhältnisse und die Altkatholische Kirche betrachtet. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen, die religiöse Vielfalt für das Recht im Allgemeinen und das Staatskirchenrecht im Besonderen mit sich bringt, lässt sich die rechtsgeschichtliche Entwicklung als Erfahrungsschatz bewältigter Konflikte heranziehen. Und vielleicht regt die Auseinandersetzung mit den Umwälzungen vor 100 Jahren womöglich dazu an, das Verhältnis von Staat und Kirchen erneut auf den Prüfstand einer Neujustierung zu stellen?

Konferenzübersicht:

Sektion I
Moderation: Hannes Ludyga (Saarbrücken)

Klaus Unterburger (München): Unterdrückte Kirchenfreiheit? Staat und katholische Kirche in Bayern zwischen den Konkordaten von 1817 und 1924

Stefan Korioth (München): Die Neuordnung des Religionsrechts durch die Weimarer Verfassung – Rahmen und Ausgangspunkt des Bayerischen Konkordats von 1924

Sektion II
Moderation: Felix Grollmann (München)

Florian Heinritzi (Freising): Das bayerische Konkordat von 1924/25. Neuregelung des Staat-Kirche-Verhältnisses und Bayerns verlorene Souveränität

Martin Otto (Hagen): Gemäßigter Etatismus – Der Münchner Staatsrechtler Karl Rothenbücher (1880–1932) und das Kirchenrecht

Sektion III
Moderation: Yves Kingata (Regensburg)

Heinrich de Wall (Erlangen): „Eine gleichheitliche Regelung … zu den großen christlichen Bekenntnissen“ – Bayerisches Konkordat und Kirchenverträge von 1924

Nikola Becker (München): „Die konsequente Ausgestaltung des christlichen Gedankens ... ist auch für die Erziehung zur Staatsautorität von größter Bedeutung“. Der bayerische Ministerrat unter Eugen von Knilling und das Konkordat von 1924

Sektion IV
Moderation: Georg Suppé (München)

Renate Penßel (Erlangen): Die Weimarer Reichsverfassung – eine Zäsur für die jüdischen Religionsverhältnisse in Bayern?

Ulrich Reuber (Gauting-Unterbrunn): Die Eingliederung der Altkatholischen Kirche in das System des Bayerischen Staatskirchenrechts (1870–1891)