400. Geburtstag des Äthiopisten und Universalgelehrten Hiob Ludolf (1624–1704)

Erfurt, Gotha und die Welt. Ein Kolloquium zum 400. Geburtstag des Äthiopisten und Universalgelehrten Hiob Ludolf (1624–1704)

Organisatoren
Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt
Veranstaltungsort
Schloßberg 2
PLZ
99867
Ort
Gotha
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
15.06.2024 -
Von
Marian Hefter, Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt

Eine der zahlreichen Funktionen, die das Gothaer Landschaftshaus im Laufe seiner Geschichte hatte, war die eines Wohnhauses für Hiob Ludolf. Ab etwa 1660 wohnte und arbeitete der einige Kilometer weiter östlich in Erfurt geborene Jurist in seiner Zeit als Gothaer Hofrat am dortigen Schlossberg. So war es selbstverständlich, dass das Forschungszentrum Gotha der Universität Erfurt als gegenwärtiger Nutzer des Gebäudes den 400. Geburtstag Ludolfs beging und mit einem Kolloquium bei Geburtstagskuchen an den Vater der Äthiopistik, Kaiserlichen Rat, Philologen, Diplomaten, Geschichtsforscher und Universalgelehrten erinnerte.

MARTIN MULSOW (Erfurt/Gotha) berichtete einleitend von der wohl berühmtesten Episode aus dem Leben Ludolfs: Während einer Reise nach Rom hatte dieser 1649 eine Gruppe von Äthiopiern kennengelernt, die sich dort Gregorius, Antonius und Petrus nannten. Sie waren unter portugiesischem Einfluss zum Katholizismus konvertiert und infolge antieuropäischer Aufstände auf komplizierten Wegen nach Rom geflohen. Aus welchen Gründen Gregorius dann im Jahr 1652 Ludolf in Thüringen besuchte, ist zwar unklar; die Wirkung dieses Aufenthalts, an dem auch Herzog Ernst I. von Sachsen-Gotha persönliches Interesse zeigte, war in wissenshistorischer Hinsicht jedoch enorm: Als ehemaliger Höfling, gewesener Bischofssekretär und Mitglied der Oberschicht gab Gregorius bereitwillig Auskunft über Politik, Alltagsleben und Vergangenheit seiner Heimat. Im Zuge dieser Gespräche kam sogar ein Austausch mit Theologen der Universität Jena zustande. Als Gregorius nach drei Monaten wieder abreiste, hatte er Ludolf genug Anregung für dessen jahrelange Arbeit an seiner Historia Aethiopica nebst dem dazugehörigen Supplementband hinterlassen.

Während Ludolfs Verhältnis zu den Äthiopiern zweifelsohne als freundschaftlich beschrieben werden kann, erscheinen seine Kontakte zur jüdischen Bevölkerung Europas vorrangig geschäftlich gewesen zu sein: ASAPH BEN-TOV (Dartmouth/Wolfenbüttel) stellte eine rund 90 Blatt umfassende Sammlung von in hebräischen Buchstaben verfassten Schriftstücken aus dem Nachlass Ludolfs vor, die heute in der Universitätsbibliothek Frankfurt verwahrt werden. Nicht alle diese Texte scheinen ursprünglich an Ludolf gerichtet gewesen zu sein, vielmehr finden sich darunter auch eigenhändige Abschriften, die wohl zu Sprachstudien dienten. Besonders bemerkenswert ist eine Beschwerde eines Händlers, der seinen Brief zwar in hochdeutscher Sprache, jedoch unter Befolgung jiddischer Ausspracheregeln und in hebräischer Schrift verfasste. Weniger unkonventionell sind die überlieferten Bitten an Ludolf in dessen Funktion als kursächsischer oder kaiserlicher Rat, Pässe oder Empfehlungsschreiben auszustellen. Allerdings nutzte Ludolf seine Kontakte zur jüdischen Bevölkerung auch, um Informationen für seine Studien – etwa über levantinische Heuschrecken – zu gewinnen.

Doch nicht immer waren die Kontaktversuche rund um Ludolf von Erfolg gekrönt. WOLBERT SMIDT (Mekele/Jena) stellte ein Beispiel vor, das er als typisch für die Verbindungen zwischen Westeuropa und Äthiopien in der Frühneuzeit bezeichnete: Im Nachgang von Gregorius' Aufenthalt in Gotha suchte Ende der 1650er-Jahre ein weiterer Äthiopier, dessen Name in den Akten Akalexos lautet, Kontakt zu Ludolf. Trotz anderslautender Pläne traf er nie in Gotha ein, seine Spur verliert sich in Amsterdam. Vermutlich war er dort unter Nutzung von Schiffen der portugiesischen und niederländischen Seemächte von Jerusalem aus angekommen, wo er sich als Mitglied einer äthiopischen Gesandtschaft aufgehalten hatte. Offenbar verfügte er über einen Autografen Ludolfs, der ihm möglicherweise über seinen Lehrer Peter Heiding, der bei Hugo Grotius studiert hatte, zugekommen war. Das Interesse an Äthiopien respektive Westeuropa war also wechselseitig, wobei für die Thüringischen Eliten die ambitionierte Sprachgelehrsamkeit der dortigen akademischen Landschaft zusammen mit der Hoffnung auf Unterstützung ihrer antikatholisch-theologischen Stoßrichtung ausschlaggebend gewesen sein dürften.

Dem Verhältnis zwischen den Interessen der Fürsten und denen Ludolfs widmete sich SUSANNE FRIEDRICH (München). Wie die meisten Gelehrten der Frühen Neuzeit lebte dieser zwar für die Wissenschaften, nicht aber von ihnen. So war der Fürstendienst für Ludolf als Broterwerb unumgänglich. Selbst als er sich vorgeblich von den Höfen weg nach Frankfurt zurückzog, war er dort weiter für mehrere Fürsten als Diplomat und Korrespondent tätig. Hieraus zog er allerdings in wissenschaftlicher Hinsicht direkte Vorteile: So erschlossen ihm seine Dienstverhältnisse dort, wo seine Möglichkeiten als Gelehrter endeten, neue Netzwerke. Als Kaiserlicher Rat etwa konnte er die Vereenigde Oostindische Compagnie dazu bewegen, einen Fragenkatalog für ihn zu versenden und die Antworten aus der Ferne wieder einzusammeln. Weiter nutzte Ludolf seine Verbindungen gezielt zur Förderung seiner ökonomischen Verhältnisse wie seines Nachruhms: Durch sich teils überlagernde Widmungen seiner Bücher machte er sich bei zahlreichen Republiken und fürstlichen Personen einen Namen; zum Dank wurde er reich beschenkt. Besonders herausragende Gaben bündelte er in seinem 1703 verfassten Testament in einem Fideikommiss und bestimmte seine nie fertiggestellte Autobiographie neben weiteren Dokumenten – darunter zahlreiche Korrespondenzen – zur Archivierung.

Einen direkten Einblick in den brieflichen Nachlass bot STEFAN WENINGER (Marburg): Der Kontakt zwischen Ludolf und Gregorius beschränkte sich nämlich nicht auf die persönlichen Begegnungen in den Jahren 1649 und 1652, sondern erstreckte sich in schriftlicher Form bis zum Tode Gregorius' im Jahr 1658. Die Sprache der heute in Frankfurt, Göttingen und Gotha verwahrten Schreiben ermöglicht es, das Verhältnis der beiden Gelehrten genauer zu untersuchen. Grundsätzlich korrespondierten die beiden in Gə'əz, einer zu dieser Zeit bereits seit Jahrhunderten nur noch im liturgischen Kontext genutzten Sprache – was Ludolf offenbar zu Beginn seiner Studien nicht bewusst war. Entsprechend klassisch und vor allem nahezu frei von aramäischen Einflüssen ist der Stil der Briefe, worin auch Gregorius' theologische Bildung deutlich wird. Wo das weitgehend tote Schriftidiom versagte, wichen beide Seiten allerdings auch auf das Italienische aus. Gerade als authentische und unmittelbare Zeugnisse der Verwendung von Gə'əz sind die Schreiben Gregorius', der als der Ältere Ludolf häufig als „mein Sohn“ adressierte, von herausragender philologischer Bedeutung.

Zum Abschluss des Kolloquiums stellten VERENA BÖLL (Stützerbach/Dresden) und KAI BEERMANN (Stützerbach) die Sammlung Monumenta Vitruvii vor. Seit 1995 werden im Glaser'schen Haus im thüringischen Stützerbach äthiopische Handschriften in hoher Qualität gesammelt. Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf liturgischen und theologischen Texten, die durch Ikonen und andere Gerätschaften aus der kultischen Praxis ergänzt werden. Eine Besonderheit stellen darüber hinaus die Tragetaschen dar, in denen die Manuskripte transportiert zu werden pflegten. Anhand mitgebrachter Originale konnte sich das versammelte Publikum von den ästhetischen und – je nach Sprachkompetenz – auch inhaltlichen Qualitäten der privaten Sammlungsobjekte, die der Forschung nach Voranmeldung zur Verfügung stehen, überzeugen.

Den breiten Interessen, vielfältigen Arbeiten und umfangreichen Schriften Hiob Ludolfs an einem Tag gerecht zu werden, ist freilich ein Ding der Unmöglichkeit. Mit dem Geburtstagskolloquium zu seinen Ehren am Forschungszentrum Gotha ist diese herausragende Persönlichkeit, welche die respublica litteraria über Europa hinaus zu öffnen bereit war, wieder stärker in das Bewusstsein der historischen, philologischen und äthiopistischen Forschung gebracht worden – worin sie auch an den kürzlich erschienenen Band zu Hiob Ludolf und seinem Schüler Johann Michael Wansleben1 anknüpfte. Hiob Ludolfs bewegtes Leben und sein universeller Wissenseifer laden jedoch dazu ein, sich auch abseits großer Jubiläen mit ihm zu beschäftigen.

Konferenzübersicht:

Martin Mulsow (Erfurt/Gotha): Ludolf und Abba Gorgoryos bei der Arbeit

Asaph Ben-Tov (Dartmouth/Wolfenbüttel): Hiob Ludolf und seine jüdischen Kontakte

Wolbert Smidt (Mekele/Jena): Auf der Suche nach Hiob Ludolf dem Äthiopisten: Die gescheiterte Reise des Äthiopiers Akalexos quer durch Europa

Susanne Friedrich (München): Die Selbstdarstellung des Hiob Ludolf oder die Kunst, wie Gelehrte sich so „verhalten, dass sie bey Potentaten, Fürsten und Republiquen bekand werden“

Stefan Weninger (Marburg): Studien zum späten Gə'əz. Sprache und Stil von Abba Gorgorius

Verena Böll (Stützerbach/Dresden) / Kai Beermann (Stützerbach): Wie hätten sich Hiob Ludolf und Abba Gorgoryos über diese drei Manuskripte gebeugt? Prachtstücke aus der Sammlung Monumenta Vitruvii

Anmerkung:
1 Asaph Ben-Tov u.a. (Hrsg.), Hiob Ludolf and Johann Michael Wansleben. Oriental studies, politics, and history between Gotha and Africa 1650–1700, Leiden 2024.