Kooperation, Konkurrenz, Ökonomisierung? Wissenschaften in Europa in den 1990er Jahren

Kooperation, Konkurrenz, Ökonomisierung? Wissenschaften in Europa in den 1990er Jahren

Organisatoren
Kärin Nickelsen, Ludwig-Maximilians-Universität München; Elke Seefried, RWTH Aachen; DFG-Forschungsgruppe FOR 2553
PLZ
80802
Ort
München
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
24.10.2024 - 25.10.2024
Von
Joshua Haberkern, Historisches Institut, Universität Mannheim

Es ist gewiss kein Zufall, dass es gerade in Zeiten des Aufstiegs von künstlicher Intelligenz, des Mangels an hochqualifizierten Fachkräften und der Herausforderung globaler Grand Challenges vermehrt zur geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Wissenschaft und ihren systemischen Paradigmen kommt. Der Diskurs um akademische Forschung, Lehre und Bildung dreht sich dabei zunehmend um die Frage, wie es um die Koexistenz der Akteure im Wissenschaftssystem bestellt ist: Haben zwei Jahrzehnte ökonomischer Wettbewerbsrhetorik tatsächlich ein Umfeld intensiver Konkurrenz um Finanzmittel, Personal und Prestige geschaffen? Oder zwingen fiskalische Engpässe nicht vielmehr zur institutionellen Kooperation und wissenschaftlichen Netzwerkbildung? Handelt es sich ferner um einen strukturellen „dritten Weg“, in dem eine vermeintlich fortgeschrittene Ökonomisierung des Wissenschaftsbetriebs zur spannungsreichen Gleichzeitigkeit von Kooperation und Konkurrenz führte? Die Suche nach jenen Interaktionsmustern zwischen Wettbewerb und Zusammenarbeit samt der daraus entstehenden wissenschaftlichen und wissenschaftspolitischen Signatur der 1990er-Jahre stellte die Prämisse der Abschlusskonferenz der DFG-Forschungsgruppe „Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften“ an der Ludwigs-Maximilians-Universität München.

KÄRIN NICKELSEN (München) und ELKE SEEFRIED (Aachen) eröffneten die Tagung mit der Vorstellung der DFG-Forschungsgruppe und sechs Frageperspektiven, welche die Konferenz und ihre Blickrichtung auf die 1990er-Jahre strukturierten. Die ersten beiden Fragen behandelten die nach dem Ende des Kalten Krieges und den daraus resultierenden Sparzwängen der Epoche der Kotransformation (Philipp Ther) forcierten Rhetoriken von der Ökonomisierung der Wissenschaft und der subsequenten Erprobung „neoliberaler Reformen“ sowie den daraus resultierenden Formen wissenschaftlicher Konkurrenz. Neue Methoden der anreizorientierten Forschungsförderung und der Evaluation sowie das Anheizen des Wettbewerbs durch die Quasi-Vermarktlichung des Wissenschaftsangebots dienten als Treiber eines zunehmend kompetitiven Paradigmas. Drittens orientierte sich die Tagung an der hieraus resultierenden Wechselwirkung von Konkurrenz und Kooperation und wie sich die Vorstellungen von wissenschaftlicher Zusammenarbeit vor dem Hintergrund allgegenwärtiger Wettbewerbsrhetoriken entwickelten. Die Leitfragen vier und fünf handelten von den spezifischen Akteuren des Wissenschaftsbetriebs in ihrer subsidiären, institutionellen und fachlich-disziplinären Vielfalt, wobei der Fokus bei letzterer auf den Disziplinen Lebenswissenschaften, Informatik sowie der Umwelt- und Klimaforschung gesetzt wurde. Und sechstens stellte sich die Frage, inwieweit die wissenschaftspolitischen 1990er-Jahre tatsächlich als eigene, distinkte Periode gefasst werden können: Während viele der Wandlungsprozesse des Wissenschaftsbetriebs bereits vorher begannen, ist auch die Zäsursetzung des Endpunktes dieser Transformation weiterhin Gegenstand von Diskussionen.

Das erste Panel zu den neuen Paradigmen der Hochschulpolitik der 1990er-Jahre eröffnete ALEXANDER MAYER (München) mit einem Vortrag zum Gründungsboom privater Hochschulen in jener Zeit. Während die von Stiftungen, Großunternehmen und Privatpersonen gegründeten Hochschulen politisch forciert wurden, weil man sich von ihnen eine Stimulierung des universitären Wettbewerbs, die gezielte Schaffung akademischer Leuchttürme sowie eine Entlastung des staatlichen Hochschulsystems erhoffte, blieb ihre tatsächliche Wirkung als „Stachel im Fleisch“ der etablierten Universitäten gering. Die Beharrungskräfte rechtlich-administrativer Beschränkungen, der normative Homogenisierungsdruck der neuen Akkreditierungsverfahren sowie manifeste Wettbewerbsnachteile (Abhängigkeit von Studiengebühren, fehlender Beamtenstatus) zwangen die privaten Hochschulen zur Nischensuche und ließen sie eher auf dem Level von Fachhochschulen als auf universitärer Ebene expandieren.

Anschließend referierte PHILIPP GASSERT (Mannheim) über die baden-württembergische Hochschulpolitik der 1990er-Jahre, wo nach der investitionsintensiven Ära Späth ebenfalls eine zunehmende Spar- und Krisenrhetorik kultiviert wurde. Obgleich sich dies nicht notwendigerweise in den Bildungsstatistiken widerspiegelte – so blieben etwa die finanzielle Ausstattung der Hochschulen sowie die Betreuungsrelationen nahezu konstant – so führte sie dennoch durch die Stärkung der Hochschulautonomie sowie der komplementären Förderung durch projekt- und programmgebundene Mittel (z.B. Wissenschaftsstadt Ulm) zum Versuch der „Entfesselung der Hochschule“. Eigenständig agierende Hochschulen mit schwerpunktbildenden Profilen konkurrierten fortan um projektorientierte Forschungs- und Drittmittel, die einen Teil der pauschalen Grundfinanzierung ersetzen sollten. Dagegen wurde der Wettbewerb um Lehrmittel mit Abschaffung der Studiengebühren 2005 weitgehend eingestellt. Paradoxerweise führte diese neue Konkurrenz jedoch nicht zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Universitäten, sondern verlagerte den Wettbewerb in die Hochschulen und löste dort interdisziplinäre Verteilungskämpfe und eine Hierarchisierung zwischen lehrendem und forschendem Personal aus.

MARTIN SCHMITT (Paderborn) führte in das zweite Panel zum Leitbegriff der Wissensgesellschaft ein, indem er aufzeigte, wie die informationswissenschaftlichen Fakultäten der Bundesrepublik sowie der DDR nach 1989 vergleichsweise schnell zueinanderfanden und sich schließlich bereits am 18. Mai 1990 im Fakultätentag der Informatik vereinten. Während die Informatik in Zeiten der Systemkonkurrenz in beiden Ländern enorm gefördert wurde, halfen die durch Reversed Engineering und Industriespionage erlangten IBM-Nachbauten den ostdeutschen Informatikern, Anschluss an ihre westlichen Pendants zu finden. Denn obgleich die politischen Systeme inkompatibel waren, sprach man beim Programmieren „ja dieselbe Sprache.“ Keineswegs garantierte dies jedoch dem Einzelnen einen Job im neuen Land. Nichtsdestotrotz greift das Narrativ des Niedergangs der Ost-Informatik zu kurz, und der Grundstein für die erfolgreiche Zusammenarbeit wurde vielerorts bereits vor der Wende gelegt.

DÉSIRÉE SCHAUZ (Karlsruhe) untersuchte die wissenschafts- und forschungspolitischen Diskurse um die Begriffe Informationsgesellschaft und Wissensgesellschaft anhand ausgewählter Quellenkorpora. Dabei arbeitete sie heraus, dass die Terminologien nach ihrem vermehrten Auftreten in den 1980er- und 1990er-Jahren zunächst negativ konnotiert wurden, bevor sie eher verspätet Einzug in den Wissenschaftsdiskurs erhielten. Hier war es vor allem der damalige Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers („Zukunftsministerium“), der den Begriff Wissensgesellschaft als Rubrum für seine förderpolitische Schwerpunktsetzung auf die Informationstechnik als Schlüsseltechnologie, den Ausbau der digitalen Infrastruktur für Forschung und Hochschullehre sowie Informationen als Rohstoff für Innovation und wissenschaftlich-industriellen Wissenstransfer labelte. Damit blieb der informations- und kommunikationswissenschaftliche Primat mit dem industrieutilitaristischen Leitbild des Techniktransfers in die Wirtschaft erhalten.

Panel drei legte das Augenmerk auf die Umwelt- und Klimawissenschaft und wurde von MATTHIAS HEYMANN (Aarhus) mit einem Vortrag zur Klimaforschung des Weltklimarats (IPCC) in Deutschland eingeleitet. Heymann zeigte auf, wie technische Verbesserungen zunehmend präzise Klimamodellierungen und -prognosen möglich machten. Mit Aufkommen des gesellschaftlichen Bewusstseins um den Treibhauseffekt und dessen Auswirkungen auf die „Klimakatastrophe“ Mitte der 1980er-Jahre hatte die Klimaforschung rasant an Bedeutung gewonnen und geriet zunehmend in einen Strudel der instrumentellen Politisierung der Forschung sowie vice versa einer „Klimatisierung“ der Politik. Kam dem Forscher so die diskursive Kontrolle über das „Klimaregime“ zunehmend abhanden, schickten sich Leugner des Klimawandels an, ihrerseits durch massive persönliche Anfeindungen der Wissenschaftler Einfluss auf den Diskurs zu nehmen.

Anschließend untersuchte SÖNKE HEBING (Aachen) die wissenschaftliche Bearbeitung von Umwelt- und Klimafragen Jahre anhand der vier Unternehmen Munich Re und BMW aus deutscher Perspektive sowie Peugeot/PSA und Société Générale mit Fokus auf Frankreich. Während sich alle vier Firmen direkt mit ökologischen Fragestellungen konfrontiert sahen und zunehmend als öffentliche Akteure mit eigener Expertise auftraten, unterschieden sich ihre Reaktionen auf die nationalen Umweltpolitiken je nach Land, Branche und ökonomischen Ansätzen. So bedienten sich die deutschen Unternehmen überwiegend quantitativer Methoden, um öffentlich-medial als seriöser Wissenslieferant auftreten zu können, während in Frankreich qualitative Analysen eine größere Rolle spielten. Dabei verblieben die Autobauer BMW und PSA überwiegend protektionistisch und lehnten staatliche Interventionen ab, wohingegen Munich Re als Rückversicherungsdienstleister (u.a. von Klimaschäden) manifestes Interesse an politischen Maßnahmen zur Verminderung von Georisiken hegte.

Panel vier fokussierte sich auf den Aufstieg der Lebenswissenschaften und wurde von JOHANNES SCHUCKERT (München) mit einem Vortrag über das 1989 gestartete Human Genome Mapping Project (HGMP) eröffnet. Schuckert zeigte auf, wie die britische Forschungsinitiative nicht nur den ohnehin rasanten technischen Fortschritt beschleunigte, sondern auch die Arbeitsweisen und Organisationsformen von Wissenschaft reformierte: Während „Big Science“ des thatcheristischen Großbritannien oftmals als kompetitives Nullsummenspiel verstanden wurde – Forschungsgelder des Einen fehlten zwangsläufig einem Anderen – vertrat in Sydney Brenner einer der größten Befürworter des HGMP einen ostentativen „Small Science“ Ansatz und verknüpfte die Umsetzung des Projekts direkt an die Einwerbung frischer Forschungsmittel. Während dieser dezentrale Ansatz im Laufe des Projekts zunehmend an Bedeutung verlor, divergierten auch die neoliberale Rhetorik sowie die Implementierung des New Public Management fortlaufend von ihren eigentlichen Zielen und blieben ohne epistemische Effekte.

Im Anschluss rekapitulierte AXEL JANSEN (Washington) die deutsche Debatte um die wissenschaftliche Verwendung humaner embryonaler Stammzellen zwischen 1998 und 2002. Während sich (neo-)liberale Organisationsformen von Wissenschaft und die mögliche Ökonomisierung dieser in jener Zeit in aller Munde befanden, dominierte in der deutschen Stammzelldebatte eine Moralisierung des Wissens. Im Lichte vorangegangener Debatten um die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit stieß die Stammzellforschung auf starke Ablehnung einer breiten Koalition, die diverse Protagonisten von der Katholischen Kirche, dem deutschen Ethikrat, der CDU/CSU sowie Teilen der Grünen und der SPD in ihrer Forderung nach einem klaren Bekenntnis zur grundgesetzlich verankerten Menschenwürde vereinte.

In seiner Keynote-Lecture sprach JON AGAR (London) über die britische Forschungs- und Wissenschaftspolitik der 1980er- und 1990er-Jahre. Habe die Ära Thatcher noch in neoliberaler Manier mit einer Kürzung öffentlicher Forschungsfinanzierung und dem Anheizen wissenschaftlicher Konkurrenz begonnen, so sei ihr Nachfolger John Major von dieser Maxime abgewichen und habe sich mit vorausschauender Forschungspolitik und „institutionalisierter Futurologie“ zur Wohlstandsmehrung zu profilieren versucht. Während die Rhetorik hierbei auf Wettbewerb getrimmt blieb, begann die Ära Tony Blair zunächst mit medial inszenierten Diskursen des Wandels, obgleich die Forschungspolitik unter Blairs Ägide in Anbetracht finanzieller Sachzwänge sukzessive parteiprogrammatische Unterschiede nivellierte. Dabei verwies Blair ebenso wie Major auf die Vorteile proaktiver Wissenschaftsförderung im Sinne der Wohlstandssicherung und plädierte für ein verbessertes öffentliches Verständnis wissenschaftlicher Funktionsweisen. Paradigmatisch für Blairs Wissenschaftsauslegung war die Notwendigkeit nationaler Wettbewerbstüchtigkeit, um auch weiter international kooperieren zu können.

LARA BÜCHEL (Potsdam) eröffnete mit ihrem Vortrag zur personellen Erneuerung der geisteswissenschaftlichen Fakultäten in den neuen Bundesländern das fünfte Panel zu Ko-Transformationen in Ost und West. Büchel wies auf die ungleichen Reformdynamiken hin: So habe der Mittelbau an ostdeutschen Hochschulen im Wettbewerb mit dem westdeutschen Wissenschaftsnachwuchs aufgrund vermeintlicher fachlicher Mängel sowie „politisch-ideologischer Durchdringung“ oftmals keine Chance gehabt, wobei Universitäten in Sachsen deutlich stärker von einer Zweckrationalisierung betroffen waren als jene in Brandenburg. Hingegen hätten es westdeutsche Hochschulen verpasst, ihrerseits Reformen zur Beendigung wahrgenommener „Missstände“ umzusetzen, etwa im Bereich der Verwettbewerblichung der Geisteswissenschaften sowie die Abschwächung hierarchischer Personalstrukturen. Büchel argumentierte, das bundesrepublikanische System sei in Bezug auf den Mittelbau schlicht den ostdeutschen Hochschulen übergestülpt worden – eine These, die auf der Konferenz kontrovers diskutiert wurde.

Hieran schloss sich DARINA VOLF (München) mit einer Analyse des Niedergangs und Wiederaufstiegs der tschechischen Raumfahrtforschung exemplarisch für die Transformation der ostmitteleuropäischen Wissenschaft nach 1989 an. Volf zeigte auf, wie das zuvor konkurrenzfähige tschechoslowakische Raumfahrtprogramm aufgrund der Spezifika der Weltraumforschung (langfristige Planung und komplexe Koordination), den fiskalischen Beschränkungen kleinerer Nationen sowie dem Erbe der sozialistischen Forschungskoordination (die Politisierung und Geheimhaltung führte zur Isolation innerhalb der Scientific Community) international den Anschluss verlor und sich weder im nationalen, noch internationalen Wettbewerb um Forschungsmittel, politische Unterstützung oder öffentliche Gunst behaupten konnte. Hierzu verwendete Volf das Konzept der „Quadruple Transition“, welches die Analyse der postsozialistischen Transformationen entlang der vier Dimensionen Politik, Wirtschaft, Staat und Nation-Building ermöglicht.

In das sechste Panel zur Europäisierung der Wissenschaft leitete DAVID IRION (München) ein. Er argumentierte, der Wissenschaftsdiskurs in (West-)Europa sei seit vierzig Jahren vom mantraartig vorgetragenen „European Paradox“ bestimmt worden, welches besagt, dass Europa im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten trotz hervorragender wissenschaftlicher Basis nicht im gleichen Maße Innovationen in wirtschaftlichen Erfolg ummünzen könne. Dabei schloss der forschungspolitische Diskurs an verschiedene Handlungsdispositive an: Während er in den 1970er-Jahren zum rascheren Techniktransfer in die Industrie zur Ankurbelung der Wirtschaft als Gegenmittel zur grassierenden Stagflation verwendet wurde, galt er in den 1990er-Jahren als europäische Antwort auf den sich zuspitzenden globalen Konkurrenzdruck und schloss neben der technischen Innovation auch eine verstärkte Ausbildung hochqualifizierter Fachkräfte ein. Dank dieser Wandelbarkeit durchlief die Denkfigur des „European Paradox“ diverse narrative Konjunkturen und diente als Katalysator eines diskursiven, handlungsanleitenden Bedeutungsgewinns von Konkurrenz und Kooperation.

Den Abschluss der Tagung markierte der Vortrag von CAROLA SACHSE (Berlin) über die Integration der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) in die Forschungsförderung der Europäischen Gemeinschaft. Zunächst proeuropäisch eingestellt, schwenkte die MPG Anfang der 1990er-Jahre nach der Implementation eines „Top-Down-Approach“ in die Europäischen Rahmenprogramme um und agierte gemeinsam mit der „heiligen Allianz“ deutscher Wissenschaftsorganisationen sowie europäischen Partnern („EUROHORCs“) gegen die Verteilungskonzepte Brüssels. Die MPG befürchtete die Umleitung der ohnehin knappen nationalen Forschungsmittel in die europäischen Forschungstöpfe sowie einen Autonomieverlust bei der Wahl eigener Forschungsschwerpunkte durch europäische Vorgaben sowie den Vergabeprozeduren der EU-Kommission.

Die Abschlussdiskussion unterstrich noch einmal das vitale Interesse an einer historischen Aufarbeitung der Wissenschaftspolitik der 1990er-Jahre, verdeutlichte jedoch auch die Komplexität des Systems. So wurde hervorgehoben, dass man sich nicht allein auf die Rhetorik des wissenschaftspolitischen Diskurses verlassen dürfe, sondern auch staatliche Kennzahlen wie Finanzplanungen wichtige Indikatoren für wissenschaftspolitische Wandlungsprozesse seien. Gerade diese seien ein maßgeblicher Treiber des neuen Ökonomisierungs- und Konkurrenzdenken gewesen. Ferner müsse die Mehrdimensionalität des Wissenschaftssystems berücksichtigt werden, die sich nicht nur in föderalen, nationalen oder europäischen Kontexten erschöpfe, sondern ebenso transatlantische und globale Kooperationen wie Konkurrenzen umfasse. Schließlich sei es gerade diese globale Vernetzung, bei gleichzeitigen nationalen Finanzzwängen gewesen, welche die Akteure des Wissenschaftsbetriebs zu ökonomischem Effizienzdenken und kooperativem Synergiestreben zur Herstellung internationaler Wettbewerbsfähigkeit zwang und damit die 1990er-Jahre von den vorhergehenden Dekaden unterscheide.

Konferenzübersicht

Kärin Nickelsen (München) / Elke Seefried (Aachen): Einführung

Panel 1: Neue Paradigmen
Moderation: Elke Seefried

Alexander Mayer (München): „Ein Stachel im Fleisch“? Private Hochschulgründungen in Deutschland, 1980-2010

Philipp Gassert (Mannheim): „Die Unbeweglichen beweglich machen“? Wissenschaftspolitik und der Übergang zur Hochschulautonomie in Baden-Württemberg 1999/2000

Panel 2: Wissensgesellschaft
Moderation: Margit Szöllösi-Janze (München)

Martin Schmitt (Paderborn): „Wir sprachen ja dieselbe Sprache“ – Über die Wiedervereinigung der Informatik in Deutschland zwischen Kooperation und Wettbewerb

Désirée Schauz (Karlsruhe): Wissenschaft und Forschung im Zeichen der Wissensgesellschaft

Panel 3: Umwelt und Klima
Moderation: Helmuth Trischler (München)

Matthias Heymann (Aarhus): Klimaforschung in der Ära der IPCC: Politisierung und Kooperation in den 1990er Jahren

Sönke Hebing (Aachen): Klimawandel als ökonomisches Risiko? Unternehmerische Zukunftsforschung zwischen Innovation und Greenwashing

Panel 4: Lebenswissenschaften
Moderation: Christoffer Leber (München)

Johannes Schuckert (München): „The Atmosphere of Some Kind of Quantum Change”. Kontinuität und Wandel im Human Genome Mapping Project

Axel Jansen (Washington): Moralisierung und Ökonomisierung: Die deutsche Stammzelldebatte revisited

Keynote

Jon Agar (London): Competition, Cooperation or a Third Way? UK Science Policy in the 1990s

Panel 5: Ko-Transformationen
Moderation: Martin Schulze-Wessel (München)

Lara Büchel (Potsdam): Die „personelle Erneuerung“ an den geisteswissenschaftlichen Fakultäten in Ostdeutschland und ihre Folgen für das gesamtdeutsche Wissenschaftssystem

Darina Volf (München): Wende oder Ende?: Krise der Weltraumforschung in Ostmitteleuropa in den 1990er Jahren

Panel 6: Europäisierung der Wissenschaft?
Moderation: Kiran Klaus Patel (München)

David Irion (München): Unvollendetheit als Programm: Das persistente Narrativ eines alternativlosen, aber stets noch nicht erreichten Erfolgs europäischer Forschungspolitik

Carola Sachse (Berlin): „Erosion“ des deutschen Wissenschaftssystems? Die Max-Planck-Gesellschaft und die europäische Forschungsförderung

Abschlussdiskussion

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