Konflikte, Kontakte, Kontroversen. Schwaben vom Untergang des Weströmischen Reiches bis zur agilolfingischen Herrschaft

Konflikte, Kontakte, Kontroversen. Schwaben vom Untergang des Weströmischen Reiches bis zur agilolfingischen Herrschaft

Organisatoren
Historischer Verein für Schwaben; Verein für Augsburger Bistumsgeschichte
PLZ
86150
Ort
Augsburg
Land
Deutschland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
08.11.2024 - 09.11.2024
Von
Felix Guffler, Bezirksheimatpflege Schwaben

In der Spätantike gab es zahlreiche bedeutende Umwälzungen in Süddeutschland. Während die agri decumates seit dem 3. Jahrhundert von Alemannen besiedelt waren, blieb das Gebiet östlich der Iller noch zwei Jahrhunderte länger unter römischer Kontrolle. Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches wechselten die Herrschaftsverhältnisse in schneller Folge. Im 6. Jahrhundert löste sich die Illergrenze auf und Ostgoten, Alemannen, romanisierte Einheimische, Franken und „Bajuwaren“ konkurrierten um die Region, bis sich im 7. Jahrhundert langsam die Herrschaftsgebiete konsolidierten. Das Ziel der Tagung war es, die zahlreichen Prozesse und bedeutenden Ereignisse in Schwaben in dieser Zeit des Übergangs von der Antike zum Frühen Mittelalter interdisziplinär zu diskutieren.

Die Tagung wurde von Christoph Lang (Augsburg), Thomas Groll (Augsburg), Klaus Wolf (Augsburg) und Felix Guffler (Augsburg) eröffnet. Alle Referenten hoben darauf ab, dass sie sich viele neue Erkenntnisse von den Vorträgen erhofften, insbesondere, da es für diese Zeit zu Schwaben seit längerer Zeit keinen nennenswerten interdisziplinären Austausch mehr gegeben hatte. Die erste Sektion, „Schwaben und Italien in der Spätantike“, leitete Andreas Hartmann (Augsburg). MATTHIAS SIMPERL (Augsburg) stellte eine der bedeutendsten spätantiken/frühmittelalterlichen Quellen zur oberitalischen und süddeutschen Kirchenorganisation vor, nämlich den Brief der venetisch-istrischen Bischöfe an Kaiser Mauricius. Simperl zeigte den Überlieferungskontext der Quelle auf und diskutierte sie in Bezug auf die Stellung der Kirche der ehemaligen Provinz Raetien im Verhältnis zu den oberitalienischen Bistümern. Ähnliches thematisierte auch IRMTRAUD HEITMEIER (München). Sie ging auf die Verbindungen zwischen Augsburg und Aquileia ein, von denen immer angenommen wurde, dass die Stadt am Lech zum Metropolitansprengel von Aquileia gehörte. Heitmeier argumentierte, dass die Belege hierzu nicht belastbar seien und dass die bisherige Argumentationskette auf falschen Annahmen beruhe. Sie plädierte dafür, diese gängige Annahme wieder zur Disposition zu stellen.

Die zweite Sektion, „Besiedelung und Alltagskultur“, wurde von Sebastian Gairhos (Augsburg) geleitet. HUBERT FEHR (Thierhaupten) präsentierte den aktuellen Forschungsstand zur untersuchten Epoche aus archäologischer Perspektive. Dabei erörterte er neben bedeutenden Funden und Fundplätzen auch strittige Fragen in Bezug auf die Deutung und Auswertung mancher Funde. Daran anknüpfend referierte VOLKER BABUCKE (Friedberg) die Siedlungsarchäologie des Frühen Mittelalters im Lechtal. Bei diesem Überblicksvortrag wurden die Besiedelungs- und Handwerksstrukturen Schwabens vorgestellt und zusammengetragen. Wichtige Fundorte wurden gesondert mit Blick auf ihre Aussagekraft für ganz Schwaben erörtert. Ganz konkrete Beispiele für die Bedeutung von Einzelfunden stellte JOHANN FRIEDRICH TOLKSDORF (Thierhaupten) vor. Anhand von drei Objekten (Elfenbeinkamm, african red slip ware-Schale und Seidenreste) warnte der Referent davor, aus Einzelfunden Rückschlüsse über größere Zusammenhänge zu ziehen. Ein Kuriosum im Fundspektrum bedeute dabei nicht automatisch, dass es sich um ein Prestigeobjekt handle. Auch die Kenntnis über die Ursprünge seltener Funde müssten vorhanden gewesen sein, um diesen Objekten auch einen entsprechenden Prestigewert zuzuschreiben. Prestigeobjekte, die häufiger auftreten, sind die sogenannten Goldblattkreuze. Zu diesen referierte BRIGITTE HAAS-GEBHARD (München) und stellte eine neue Sicht auf die Nutzung dieser Kreuze vor. Sie plädierte dafür, diese weniger als christliches Symbol, sondern vielmehr als Schutzamulett zu interpretieren. OLIVER ERNST (Augsburg) und KLAUS VOGELGSANG (Augsburg) beschlossen die Sektion mit einem Vortrag über die früheste volkssprachliche Schriftlichkeit in der Region. Die Referenten warnten davor, aus Erkenntnisdrang zu viele und zu komplexe Bezüge und Überinterpretationen, besonders bei der Textgattung der Runen zu ziehen. Vielmehr sei es hinzunehmen, dass manche dieser Kurztexte auch heutzutage nicht verständlich gemacht werden können.

Die dritte Sektion, „Sprache und Namen“, wurde von Klaus Wolf geleitet. ALBRECHT GREULE (Regensburg) erörtete in seinem Vortrag zur Toponymie Schwabens, wie für die modernen Ortsnamen Schwabens in der Antike und im Frühen Mittelalter die Grundlagen gelegt wurden. Anhand zahlreicher Beispiele stellte er fest, dass die Ortsbezeichnungen heute ein Relikt verschiedener historischer Epochen sind und sich daran auch die unterschiedlichen Zeitschichten erkennen ließen. WOLFGANG HAUBRICHS (Saarbrücken) spannte schließlich ein Panorama der Personennamen in Süddeutschland und Norditalien auf. Anhand der onomastischen Eigenheiten mancher Regionen ließen sich Rückschlüsse auf Verbindungen zwischen diesen Regionen ziehen.

Der zweite Tagungstag begann mit einem Grußwort Seiner Exzellenz, Bischof Bertram Maier (Augsburg) sowie der Verleihung des Bistumsgeschichtlichen Förderpreises. Die vierte Sektion, „Frühe Entwicklungen im regionalen Christentum“, unter der Leitung von Thomas Groll schloss direkt daran an. DENIS MOHR (Köln) stellte seine eben ausgezeichnete Dissertation über einen der bedeutendsten Funde der Spätantike in Augsburg, die Ausgrabungen bei St. Gallus, vor. Hier sei die erste frühchristliche Kirche in Augsburg zu verorten, der Beleg für ein gelebtes Christentum in der Provinzhauptstadt. Den Domvorplatz von Augsburg als digitale Rekonstruktion präsentierte CHRISTIAN KAYSER (München). Der Referent ging dabei auch auf die bauliche und urbane Entwicklung dieses Areals ein. THOMAS KRÜGER (Augsburg) diskutierte die innere und theologische Struktur des süddeutschen Christentums. Er betonte, dass in dieser Gegend in politisch-strukturgeschichtlicher Hinsicht vom Ende des 5. bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts die Voraussetzungen für Katholizität im Sinne der römischen Kurie fehlten. Stattdessen sei ein „akatholisches“ Christentum anzunehmen; aus diesem Begriff werde deutlich, dass es in der Region strukturelle Unterschiede zur Dogmatik, Liturgie und Organisation der Kurie gab. CHRISTIAN LATER (München) stellte schließlich seine Forschungen zu den Begräbnissitten in Schwaben vor. Er erörterte, dass die Wahl der Bestattungsplätze nicht unbedingt Rückschlüsse auf Glauben oder Religiosität zuließen, sondern zuvorderst von praktischen und repräsentativen Überlegungen geprägt waren.

Die fünfte Sektion, „Überregionale Strukturen“, stand unter der Leitung von Felix Guffler. JÖRG DRAUSCHKE (Mainz) skizzierte den Transport und Güteraustausch im frühen Mittelalter und zeigte auf, in welchem Maße die antiken Transportwege weitergenutzt wurden. Hierbei ließen sich mehrere Aussagen zu unterschiedlichen Fundgruppen treffen, manche Waren wurden auf charakteristischen Routen gehandelt, auf denen andere Güter nicht transportiert wurden. STEFAN ESDERS (Berlin) diskutierte die frühmittelalterliche materielle Ausstattung der Herzogtümer. Er bezog sich auf die Frage, wie sich die rechtliche Stellung von Fiskalgütern vom Übergang der Antike zum frühen Mittelalter entwickelte. Dabei betonte er die starke Stellung des Königs, der den Herzögen diese Fiskalgüter übertrug. ROLAND STEINACHER (Innsbruck) stellte abschließend die Entwicklung der alpinen Gebiete von Chur und dem späteren Tirol in ihrer Beziehung zum baierischen und alemannischen Dukat vor. Besonders anhand der Venosten und Breonen lassen sich Kontinuitäten aus der Antike bis in das frühe Mittelalter ziehen.

Das Gesamtergebnis der sehr gut besuchten Tagung war demnach, dass es in der Spätantike und im frühen Mittelalter in Schwaben viele politische Umbrüche und Veränderungen gegeben hatte. Gleichwohl lassen sich zahlreiche Kontinuitäten belegen, die erst ab dem 7. Jahrhundert abbrechen. Insofern bestätigte die Tagung bisherige Forschungsannahmen. Bei anderen Beiträgen wurde hingegen deutlich, dass gewisse Vorstellungen und Interpretationen, die in der Forschung kursieren so nicht haltbar sind bzw. eine Revision oder Ergänzung benötigen. Insgesamt bot die Tagung allen Interessierten ein breites Panorama und viele neue Zugänge zu einer Zeit, die in den letzten Jahren wieder vermehrt Aufmerksamkeit gefunden hat.

Konferenzübersicht:

Christoph Lang (Augsburg) / Thomas Groll (Augsburg) / Klaus Wolf (Augsburg) / Felix Guffler (Augsburg): Begrüßung und Einführung

Matthias Simperl (Augsburg): Der Brief der venetisch-istrischen Bischöfe an Kaiser Mauricius: Bemerkungen zu Überlieferung, historischem Kontext und Quellenwert

Irmtraud Heitmeier (München): Augsburg und Aquileia in der Spätantike. Eine quellenkritische Revision

Hubert Fehr (Thierhaupten): Völkerwanderungszeit und Frühes Mittelalter in Bayerisch-Schwaben: Aktueller Forschungsstand aus archäologischer Perspektive

Volker Babucke (Friedberg): Siedlungsarchäologie des frühen Mittelalters im Lechtal

Johann Friedrich Tolksdorf (Thierhaupten): Neuentdeckte mediterrane Importe in frühmittelalterlichen Gräbern Schwabens – Hinweise zu Repräsentationsbedürfnis, Selbstverständnis und überregionaler Vernetzung frühmittelalterlicher Eliten zwischen Ries und Allgäu

Brigitte Haas-Gebhard (München): Mit Kreuz und Amulett – Zur Aussagekraft archäologischer Funde

Oliver Ernst (Augsburg) / Klaus Vogelgsang (Augsburg): Frühe volkssprachliche Schriftlichkeit in der Region

Albrecht Greule (Regensburg): Die Toponymie Schwabens zwischen römischer und agilolfingischer Herrschaft

Wolfgang Haubrichs (Saarbrücken): Zwischen Iuvavum (Salzburg), Chur und Piacenza: Romanische Personennamen des frühen Mittelalters im Norden (Raetien, Noricum) und Süden der Alpen

Bertram Meier (Augsburg): Grußwort und Verleihung des Bistumsgeschichtlichen Förderpreises

Denis Mohr (Köln): Die spätrömische Basilika unter St. Gallus

Christian Kayser (München): Präsentation der Animation zur ehemaligen Johanneskirche in den Bauperioden (erster Kirchenbau wohl 8./9. Jahrhundert)

Thomas Krüger (Augsburg): Akatholisches Christentum in Schwaben und Bayern nach dem Ende der Römerzeit

Christian Later (München): Bevor die Kirche ins Dorf kam - Zum Verhältnis von Kirchenbau, Grab und Siedlung in Altbayern und Schwaben im 7. und 8. Jahrhundert

Jörg Drauschke (Mainz): Wege und Waren – Aspekte von Transport und Güteraustausch im frühen Mittelalter in Süddeutschland

Stefan Esders (Berlin): Tributzahler und Fiskalgüter. Überlegungen zur materiellen Ausstattung des frühmittelalterlichen Herzogtums

Roland Steinacher (Innsbruck): Entwicklungen der alpinen Gebiete Chur und das spätere Tirol in Beziehung zum alemannischen und bairischen Dukat

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