In Verbindung mit der Jahrestagung des Arbeitskreises für Kritische Unternehmens- und Industriegeschichte (AKKU) fand am 8. und 9. November der XI. Nachwuchsworkshop der Jungen Unternehmensgeschichte (JUnG) statt. Die Nachwuchsworkshops sind thematisch frei und bieten eine Gelegenheit, um Masterarbeiten oder Dissertationsprojekte im frühen Stadium vorzustellen. Dafür sind Archivbesuche wichtig, weshalb FABIAN ENGEL (Leverkusen) einen einführenden Vortrag über die Rolle von Unternehmensarchiven und das Verhältnis von Unternehmen zu ihren Archiven hielt. Er stellte heraus, dass Unternehmensarchive primär den Unternehmen selbst dienen (Langzeitgedächtnis der Unternehmen). Die Archive haben eigene Schwerpunkte, Interessen sowie Strategien und betreiben beispielsweise „History Marketing“. Sie sind aber auch an dem neusten Forschungsstand interessiert und haben ein Interesse daran, dass die Nutzer:innen in ihren Themenbereichen in Bezug auf das Unternehmen sprechfähig werden.
CAETANO FRANZ (Göttingen) begann den Vortragsteil mit Ausführungen aus seinem Dissertationsprojekt und referierte über Perspektiven sowie Markteintrittsstrategien westdeutscher „Hidden Champions“ in der Volksrepublik China von den 1970er- bis 1990er-Jahren. Im Fokus der Studie stehen die Unternehmen Sartorius GmbH und SMS Schloemann-Siemag AG. Franz betonte die vielen Fallstricke, die bei einem Markteintritt solchen Unternehmen drohten, und unterstrich, dass neben Kapital, Risiko und Marktwissen auch (wissenschaftliche) Diplomatie sowie persönliche Beziehungen Markteintritte und Kooperationsprojekte deutlich einfacher gestalteten.
Die deutsch-kamerunische privatwirtschaftliche Zusammenarbeit in den 1980er-Jahren ist Thema von CHARLES TCHOULA (Marburg). Seiner These folgend, dass privatwirtschaftliche Bemühungen auch zu einer politischen Verbesserung der Beziehungen beider Länder beitrugen, untersucht er beispielhaft die Cameroon Shipping Lines (Camship). Kamerun galt der deutschen Industrie aufgrund seiner politischen Stabilität und wirtschaftlichen Richtungsänderung nach der Wahl Paul Biyas im Jahr 1982 als vielversprechender Markt. Seitens Kamerun waren Investitionen sowie direkter Handel sehr erwünscht – zuvor lief dieser über französische Stellen ab. Die Camship wurde in Zusammenschluss des Landes Kamerun, der Unimar Seetransport GmbH und der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgemeinschaft (DEG) gegründet. Dieses Unternehmen, so Tchoula, schuf Synergien, die für beide Parteien vorteilhaft waren.
Am Folgetag begann TIM SALZER (Gießen) mit einem Vortrag über die ökonomische Expertise im republikanischen China in den 1920er-Jahren. Er widmete sich der Frage, welchen Einfluss Ökonomen als Bürokraten – das heißt auf der Verwaltungsebene – auf die wirtschaftliche (Neu-)Ausrichtung hatten. Um dieser Frage nachzugehen, untersucht er Behörden in den drei Städten Shanghai, Guangzhou und Nanjing von 1919 bis 1937. In seiner Präsentation wurde deutlich, dass insbesondere numerischen Informationen eine neue Form ökonomischen Wissens darstellten. Das Wirken von Ökonomen war darüber hinaus eine Frage der Logistik, der Netzwerke, der Technik sowie der Legitimität – das heißt, dass das neue Wissen anwendbar und für politische Akteure fruchtbar sein musste. Mit seiner Studie möchte Salzer das republikanische China in die internationale Debatte um Ökonomen und Expertise in der Zwischenkriegszeit einbringen.
Hinter die Kulissen unternehmerischen Handels schaute HENDRIK HEETLAGE (Göttingen) mit einem Vortrag über den Ostasiatischen Verein und der Organisierung unternehmerischer Interessen in Asien sowie dem Pazifik von 1900 bis 1957. Im Vortrag wurde auf den kolonialen Hintergrund der Gründung sowie die starken personellen Kontinuitäten in dem Wirtschaftsverein hingewiesen. Für Interessenorganisationen wie Vereine sind mehrdimensionale Wirkungsweisen charakteristisch. Der Vortrag beleuchtete darüber hinaus die neue Rolle von Unternehmern, welche in diesen Kontexten wichtiger als unternehmerisches Geschick selbst werden. So stehen neben den Handlungsspielräumen bei der Durchsetzung eigener Interessen und der Netzwerkarbeit des Vereins auch eine Perspektive auf Unternehmer als „Denkkollektiv“ (S. Dörre) sowie die Wissensproduktion im Zentrum der Studie.
Auf Beispiele chinesisch-schweizerischer Wirtschaftsverflechtungen in den 1980er-Jahren ging NIKLAUS REMUND (Zürich) in seinem Vortrag ein. Als Fallbeispiele dienen der Aufzugshersteller Schindler, Mövenpick, das Chemie- und Pharmaunternehmen Ciba-Geigy (heute Novartis) sowie Nestlé. Remund fragt nach der Integration der Unternehmen in die Planwirtschaft und analysiert Kontaktaufnahmen sowie die Integration auf der Ebene der Unternehmen beziehungsweise die Gründung von Joint Ventures. Es wird deutlich, dass den Markteintritten zum einen Diskussionen um Preisgestaltung und Exportrate vorausgingen beziehungsweise diese den Prozess begleiteten. Darüber hinaus wies der Vortrag auf die politischen Rahmenbedingungen hin, die aufgrund des sogenannten Tian‘anmen-Massakers die Unternehmen vor Zukunftsfragen stellte.
BENJAMIN PFANNES (Potsdam) lenkte mit seinem Vortrag den Blick zurück nach Europa und fragte nach der Rolle von Unternehmen für die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945. Diese waren nach dem Zweiten Weltkrieg stark belastet. Die Entwicklung der Mainzer Spedition J.F. Hillebrand sieht er als Vorreiter bei den Bemühungen, die nach dem Zweiten Weltkrieg stark belasteten Beziehungen sukzessive zu verbessern. Die Spedition transportierte seit den 1920er-Jahren vorrangig Wein und machte sich so überregional einen Namen. In den 1970er-Jahren expandierte sie nach Frankreich. Das Unternehmen sieht Pfannes dabei nicht nur als Akteur, sondern auch als Mittler. Während der Expansion nach Frankreich musste das Unternehmen auf französische Herangehensweisen reagieren und diese in die Unternehmenskultur integrieren.
Die Tagung schloss LUKAS ROMER (Göttingen) mit einem Vortrag über seine im Entstehungsprozess befindliche Masterarbeit ab. Er untersucht dafür den Energiebedarf zweier Gemeinden von 1992 bis 2024 und analysiert diese Daten, um nachfolgend die Frage zu beantworten, inwiefern eine „small Transition“ (in Bezug auf die „Great Transition“ nach Raskin) bei der notwendigen Energiewende behilflich sein kann. Romer fragt nach Möglichkeiten einer energetischen Wende in lokalen Kontexten, die er sowohl als Räume für die Entwicklung von Sozialisations- und Energieprozessen als auch als eine Art neuer Form der Vergesellschaftung interpretiert. Die zukünftige Rolle des Staates bei zu erwartbaren Zukunftsängsten der Bürger:innen ist eines der großen Fragezeichen.
Der Workshop zeichnete sich durch vielfältige und spannende Vorträge aus der Wirtschafts-, Unternehmens- und Sozialgeschichte aus, welche fruchtbaren Austausch und Diskussionen unter den Teilnehmenden anregten. Die inspirierende Atmosphäre – geprägt von Offenheit und gegenseitigem Interesse – trug maßgeblich zur Qualität des Formats bei. Die rege Beteiligung und das Engagement der jungen Promovierenden beziehungsweise Studierenden unterstrichen den Erfolg der Veranstaltung und lassen auf eine vielversprechende Zukunft des Forschungsfeldes schließen.
Konferenzübersicht:
Fabian Engel (Leverkusen): Expert-Talk zum Thema „Unternehmensarchive“
Caetano Franz (Göttingen): Chance China? Perspektiven und Markteintrittstrategien von Hidden Champions in der zweiten Globalisierungsphase, 1970er–1990er-Jahre
Charles Tchoula (Marburg): Die deutsch-kamerunische privatwirtschaftliche Zusammenarbeit in den 1980er-Jahren
Tim Salzer (Gießen): The politics of economic expertise in the Republic of China, 1920s
Hendrik Heetlage (Göttingen): Vom Kolonialismus zur Globalisierung. Der Ostasiatische Verein und deutsche Wirtschaftsinteressen in Asien und dem Pazifik, 1900–1957
Niklaus Remund (Zürich): Sino-Swiss Entanglements. Schweizer Unternehmen in China seit der Reformpolitik in den 1980er-Jahren
Benjamin Pfannes (Potsdam): Vom lokalen Transporteur zum globalen Player. Die Entwicklung der Mainzer Spedition J.F. Hillebrand. Ein historischer Überblick von 1844 bis zur Gegenwart
Lukas Romer (Göttingen): Zwischen Stillstand und Aufbruch. Die geothermische Energiewende im regionalen Transformationsprozess (1992–2024)