Ordnen und Kontrollieren. 500 Jahre Stadt- und Policeyordnung Salzburg

Ordnen und Kontrollieren. 500 Jahre Stadt- und Policeyordnung Salzburg

Organisatoren
Sabine Veits-Falk, Stadtarchiv Salzburg; Marlene Ernst, Stadtarchiv Salzburg; Michael Brauer, Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg; Elisabeth Gruber, Institut für Realienkunde des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Krems an der Donau
PLZ
5020
Ort
Salzburg
Land
Austria
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
23.10.2024 - 24.10.2024
Von
Lukas Fallwickl, Stadtarchiv Salzburg

Am 18. Juli 1524, in der kurzen Zeit zwischen zwei Auseinandersetzungen mit einer aufständischen Stadtbürgerschaft, erließ Fürsterzbischof Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg eine Stadt- und Policeyordnung für Salzburg. Trotz der bewegten Entstehungszeit – inmitten von Reformation und Rebellion – blieb dieses erste neuzeitliche Gesetzeswerk eines Salzburger Erzbischofs im Wesentlichen beinahe 280 Jahre in Kraft, bis zum Ende des geistlichen Fürstentums 1803. Neben der Stadtverfassung und -verwaltung regelte die Ordnung zahlreiche Aspekte des täglichen Zusammenlebens und griff in bis dato unbekanntem Ausmaß in bürgerliche Lebensbereiche ein. Die Zielsetzung der aus Anlass des Jahrestags im Stadtarchiv Salzburg veranstalteten Tagung war, die Quelle selbst ins Zentrum zu stellen, sie im lokalen wie auch überregionalen Kontext zu verorten sowie sie aus verschiedensten Perspektiven und mit neuen Zugängen zu analysieren.

KARL HÄRTER (Frankfurt am Main) hob in seinem Eröffnungsvortrag sowohl die zeittypischen Charakteristika als auch die Besonderheiten der Salzburger Stadt- und Policeyordnung hervor und kontextualisierte diese in einem breit angelegten Vergleich zur Ordnungsgesetzgebung im Heiligen Römischen Reich des Zeitraums um 1470–1570. Der Salzburger Gesetzestext, der inhaltliche Anleihen aus anderen deutschen Städten erkennen lässt, sei ein Paradebeispiel des Anstiegs von Stadtordnungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts, insbesondere in geistlichen Territorien – parallel dazu lässt sich etwa beim Erzbischof von Mainz in den 1520er-Jahren derselbe Durchsetzungsanspruch als Landesherr wie bei Matthäus Lang beobachten. Als Besonderheiten nannte Härter unter anderem die hohe Dichte an kommunalen Regelungen (rund 40 Prozent), die sich neben der Verwaltung vor allem auf Märkte, Dienstleistungen und Gewerbe konzentrieren, und das in Salzburg bestehende allgemeine Weinschankrecht für alle Stadtbürger. Ungewöhnlich sei zudem das Fehlen von Bestimmungen zur Sittlichkeit und Sexualität sowie von Kleiderordnungen – Bereiche, auf die andere Policeyordnungen im Reich viel stärker abzielen würden. Insgesamt ordnete Härter die Quelle als „im Trend der Zeit“ ein – sie veranschauliche den Übergang vom kommunalen Statutarrecht zur frühneuzeitlichen obrigkeitlichen Gesetzgebung und die zunehmende Verschränkung von „guter Policey“ mit Strafjustiz und sozialer Kontrolle.

PETER F. KRAMML (Salzburg) zeigte auf, dass der Ursprung der erlassenen Ordnung in vorausgegangenen Auseinandersetzungen zwischen der Salzburger Bürgergemeinde und dem Landes- bzw. Stadtherrn lag, die mit von Kaiser Friedrich III. der Stadt Salzburg verliehenen Autonomierechten – darunter besonders die freie Wahl des Bürgermeisters und Stadtrats – ihren Anfang nahmen. Diese Privilegien wollte bereits Matthäus Langs Vorgänger Leonhard von Keutschach nicht anerkennen und zwang 1511 den Stadtrat mit Gewalt zu einer Verzichtserklärung. Unter Lang führten die Spannungen der Reformation und die Einführung einer zusätzlichen Steuer zur erneuten Eskalation, die im Juli 1523 mit der Unterwerfung der Stadt und einem Diktatfrieden endete, der, wie Kramml betonte, nicht nur die verbliebenen Privilegien und Selbstbestimmungsrechte der Stadtbürger aufhob, sondern auch bereits wesentliche Punkte der ein Jahr später erlassenen Stadt- und Polizeiordnung festlegte und diese indirekt ankündigte. Unter anderem aufgrund dieser Geschehnisse sei die Bürgerschaft kurz darauf im Bauernkrieg 1525 erneut zum Aufstand bereit gewesen, der jedoch, ebenso wie jener 1526, scheiterte. Letztendlich habe sich die städtische Elite in das neue System eines Obrigkeits- und Polizeistaats integriert und sei künftig als Mittler zwischen dem Fürsterzbischof und der Bürgergemeinde aufgetreten.

CHRISTIAN MOSER (Salzburg) und MARLENE ERNST (Salzburg) näherten sich aus kodikologischer und restauratorischer Perspektive an die an verschiedenen Standorten erhaltenen Exemplare der Stadt- und Policeyordnung an. Die Vortragenden gaben detaillierte Einblicke in die aufwendige Restaurierung der vier zeitgenössischen Handschriften im Stadtarchiv Salzburg, deren Gestaltung von repräsentativ bis rein funktional reicht, und verglichen diese sowohl untereinander als auch mit fünf weiteren Exemplaren in Salzburg, München und Berlin. Ein erstmaliger Abgleich aller Papierwasserzeichen ergab starke Zweifel daran, dass die bisher als „Haupthandschrift“ gehandelte, in der Universitätsbibliothek Salzburg verwahrte Ausführung tatsächlich aus der städtischen Kanzlei stammt. Vielmehr dürfte es sich bei der prachtvoll gestalteten und gesiegelten Handschrift BU 3 im Stadtarchiv um das vom Fürsterzbischof an die Stadt übergebene Hauptexemplar handeln, während das – nach dem Prinzip der Gegenurkunde – von der Stadtkanzlei angefertigte und übergebene Exemplar jenes im Archiv der Erzdiözese Salzburg (Hn 825/2) sein muss. Die genaue Datierung einiger Handschriften bedürfe hingegen noch weiterer Forschung.

ELISABETH GRUBER (Krems) und MICHAEL BRAUER (Salzburg) analysierten unter einem kulturhistorischen Zugang unter anderem symbolische, materielle und räumliche Aspekte der Quelle. Eingangs argumentierte Brauer, Fürsterzbischof Lang habe trotz seines absolutistischen Anspruches letztlich keine absolute Gewalt ausgeübt, und betonte die Erwähnung formeller Beratung des Erzbischofs durch die Bürger sowie die Übernahme zahlreicher alter Rechtsgebräuche im neuen Gesetzeswerk. Im Weiteren befasste er sich mit den in der Ordnung enthaltenen Bürger- und Amtseiden als symbolische Komponenten des Politischen und Ausdrücke eines Wechselverhältnisses. Gruber zeigte auf, wie die Stadt- und Policeyordnung die Stadt auf materieller Ebene erfasste, indem sie auch Gegenstände und Räume ordnete. Als Beispiele dienten etwa die Schlüssel der Stadttore, deren Verwahrung einer engen Kontrolle unterworfen war, die obrigkeitliche Vierteleinteilung der Stadt durch die Feuerordnung sowie die Ordnung von bürgerlicher Seite durch Klangobjekte wie der Sturmglocke und der Bierglocke, welche eine Art nächtliche Ausgangssperre einläutete. Im Anschluss entspann sich eine lebhafte Diskussion über Brauers Auslegung der unter Langs Herrschaft noch vorhandenen bürgerlichen Partizipation.

MARLENE ERNST (Salzburg) ging der Frage nach, welche Aufschlüsse über Alltag und Lebensrealität der Stadtbewohner:innen die Bestimmungen der Stadt- und Policeyordnung geben können. Dabei konzentrierte sie sich auf öffentliche Ordnung, Sicherheit, Hygiene und Armenversorgung und veranschaulichte anhand zahlreicher detaillierter Regelungen, wie umfassend das Gesetzeswerk in das Leben der Bürger:innen und Inwohner:innen der Stadt eingriff. Insbesondere die Brandschutzregeln – gerade in Zeiten sozialer Unruhen und kriegerischer Handlungen von essenzieller Bedeutung – geben eine Vielzahl genauer Auflagen wieder und teilten die Stadt in klare Zuständigkeitsbereiche ein, die unter sogenannten Viertelmeistern organisiert waren. Vorgesehen waren nicht nur Strafen bei Verstößen, sondern auch Belohnungen etwa für besonders rasche Hilfeleistungen. Andere Einblicke in bestehende Problematiken gaben unter anderem die Hygienevorschriften – beispielsweise zur Unrat- und Fäkalienentsorgung, zum Abwaschwasserwechseln in den Wirtshäusern oder zur Entsorgung toter Tiere – sowie die Regulierung der Nahrungsmittelversorgung für arme Stadtbewohner:innen.

JUTTA BAUMGARTNER (Salzburg) untersuchte anhand des Handschriftenexemplars des Archivs der Erzdiözese Salzburg, welches als einziges – ausschließlich die Märkte betreffende – Glossen enthält, das besonders umfassend und kleinteilig regulierte Marktgeschehen in der Stadt zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Zur Veranschaulichung der genauen geografischen Zuordnung der Vielzahl an nach Produkten getrennten Märkten (etwa für Milch, Fisch, Gemüse, Brot, Salz, Getreide, Holz, Hafnerwaren etc.) präsentierte sie eine entsprechende Visualisierung auf einer zeitgenössischen Stadtansicht. Als zentrale Zielsetzung der Marktordnung strich Baumgartner jene Maßnahmen hervor, die der Versorgungssicherheit und Preisstabilität dienten. In den ersten Stunden der Marktzeit durften etwa nur Waren zum „Pfennwert“ verkauft werden, das heißt günstige und preisgeregelte Alltagswaren, die streng auf den Eigenbedarf begrenzt waren. Erst danach waren Einkäufe für den Großhandel und Weiterverkauf gestattet. Wer diese Regelung durch „Fürkauf“ umging, indem etwa mit ankommenden Verkäufern schon vor den Stadttoren gehandelt wurde, dem drohte als Strafe die Beschlagnahme der Waren und deren Verteilung unter den Armen.

GERHARD AMMERER (Salzburg) stellte die Stadt- und Policeyordnung in den Kontext anderer, weitreichender Veränderungen des Justizwesens im Erzstift Salzburg. Fürsterzbischof Lang hatte mehrere graduierte Juristen an seinen Hof geholt, unter deren Einfluss das römische Recht bzw. positives Recht zunehmend das mittelalterliche Gewohnheitsrecht verdrängten. An Stelle der ständischen Gerichtsbarkeit schwang sich der Landesherr zum obersten Richter und Gesetzgeber auf, der erlassene Normen jederzeit modifizieren konnte, und löste die Verknüpfung mündlicher Verhandlungen mit Urteilsverkündung und -vollstreckung zugunsten schriftlicher Verfahren durch einen wachsenden Behördenapprat auf. In diesem Zusammenhang argumentierte Ammerer, dass die rechtssetzende Symbolik des ausgehenden Mittelalters wohl stärkere Wirkung hatte als die frühneuzeitliche „Policey“. Abschließend widmete er sich dem „Normenkonglomerat“ der Policeyordnung am Beispiel der Besonderheit des Rechts zur Weinausschank sowie der damit verbundenen behördlichen Kontrolle. Insgesamt sei die Ordnung zwar als bedeutender Schritt innerhalb der frühneuzeitlichen Staatsbildung des Landes Salzburg zu sehen, allerdings habe sie auch die politische Selbst- bzw. Mitbestimmung des Stadtbürgertums ausgelöscht und in viele Bereiche eingegriffen, die zuvor noch keinem obrigkeitlichen Zugriff ausgesetzt waren.

Im Ganzen gelang es den Vortragenden einerseits, Besonderheiten und bislang unbeachtete Aspekte der Salzburger Stadt- und Polizeiordnung vertiefend herauszuarbeiten, sowie andererseits durch unterschiedliche Kontextualisierungen neue Erkenntnisse zu präsentieren. Nicht zuletzt zeigten sie auch Bereiche auf, die weiterer Forschungen bedürfen – Gelegenheit dafür besteht in der schriftlichen Ausarbeitung der Ergebnisse, die 2025 in einem Tagungsband veröffentlicht werden.

Konferenzübersicht:

Öffentlicher Abendvortrag

Grußworte: Bernhard Auinger, Bürgermeister der Stadt Salzburg; Sabine Veits-Falk, Leiterin des Stadtarchivs Salzburg

Karl Härter (Frankfurt am Main): Gute Policey in Stadt und Reich. Die Salzburger Stadt- und Policeyordnung von 1524 im Kontext der zeitgenössischen Ordnungsgesetzgebung

Tagung

Grußworte: Sabine Veits-Falk; Sebastian Haumann, stv. Leiter des Fachbereichs Geschichte der Universität Salzburg

Moderation: Johannes Hofinger und Alfred Stefan Weiß

Peter F. Kramml (Salzburg): Stadt Salzburg 1523/25. Selbstbestimmte Bürgergemeinde versus autoritären geistlichen Stadtherrn

Marlene Ernst / Christian Moser (Salzburg): Eine Ordnung, viele Exemplare. Eine Handschriften-Autopsie

Elisabeth Gruber (Krems) / Michael Brauer (Salzburg): Überlegungen zu einer Kulturgeschichte der Stadt- und Policeyordnung von 1524

Marlene Ernst (Salzburg): Von Amtseiden bis zu Zöllen. Regeln für ein gutes Zusammenleben

Jutta Baumgartner (Salzburg): Stadt und Markt in der Residenzstadt. Zum Marktgeschehen um 1524

Gerhard Ammerer (Salzburg): Obrigkeitlicher Regelungsanspruch, städtische Infrastruktur und gemeiner Nutzen. Die Salzburger Stadt- und Policeyordnung von 1524 als Instrument des frühneuzeitlichen Staatswesens

Schlussworte: Sabine Veits-Falk

Redaktion
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