HT 2006: Das Bild des Moslems im westlichen und östlichen Europa in der Frühen Neuzeit

HT 2006: Das Bild des Moslems im westlichen und östlichen Europa in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Gabriele Haug-Moritz (Graz); Ludolf Pelizaeus (Mainz); Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD)
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.09.2006 - 22.09.2006
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Von
Verena Kasper, Karl-Franzens-Universität Graz, Institut für Geschichte

Im Nachklang der umstrittenen Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt XVI. fand die Sektion „Das Bild des Moslem im westlichen und östlichen Europa in der Frühen Neuzeit“ auf dem 46. Historikertag in Konstanz neben starkem Medieninteresse begrüßenswerterweise auch eine außerordentlich breite Zuhörerschaft interessierter Nicht-Fachleute. Ansatz und Ziel der Sektion war es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener europäischer, medial inszenierter Bilder des „Moslems in der Frühen Neuzeit herauszuarbeiten. Dabei wurden als exemplarische europäische Räume das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (Almut Höfert, Kairo/Basel), Ungarn (András Forgó, Budapest), sowie Spanien und Portugal (Ludolf Pelizaeus, Mainz) thematisiert. Den Brückenschlag über die Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart unternahm Peter Rauscher (Wien), der den Erinnerungsort „Zweite Wiener Türkenbelagerung“ (1683) im Österreich des 19. und 20. Jahrhunderts vorstellte. Eingeführt, geleitet und kommentiert wurde die Sektion von Gabriele Haug-Moritz (Graz) und Ludolf Pelizaeus (Mainz).

Mit der weitgehenden zeitlichen Fokussierung auf das 16. und 17. Jahrhundert wurde ein Zeitraum des verdichteten militärischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufeinandertreffens zwischen Europa und dem Osmanischen Reich herausgegriffen. Wie Gabriele Haug-Moritz in ihrer Einführung darlegte, war die veränderte Wahrnehmung der islamischen Welt um 1500 neben der Konfliktverdichtung insbesondere den neuen medialen Möglichkeiten geschuldet, die es erst ermöglichten, die „dislozierten Türkendiskurse Europas zu verknüpfen“. Auch Almut Höfert wies darauf hin, dass bezeichnenderweise der erste Druck der Gutenberg Presse ein Türken-Druck war und dass das Bild des Moslem sowie die zeitgenössischen Konflikte zwischen Europäern und Osmanen im frühneuzeitlichen deutschsprachigen Nachrichtensystem einen Stellenwert einnahmen, der den großen frühneuzeitlichen Medienereignissen - Reformation, Dreißigjährigem Krieg und Französischer Revolution – vergleichbar ist. Hiervon zeugen etwa die von Göllner verzeichneten rund 2500 europäischen Türken-Drucke bis 1600.1

Almut Höfert strich in ihrem Vortrag das Motiv der „Türkengefahr“ als vorherrschendes Wahrnehmungsmuster des Moslems im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation heraus. In ihm sind die verschiedenartigen Narrative über den Moslem, der im Reich seit der Zeit um 1500 weitgehend mit dem Türken synonym gesetzt wurde, gebündelt. Höfert vermochte sich bei ihren Ausführungen auf die Ergebnisse der in ihrer Dissertation ausgewerteten frühneuzeitlichen Reiseberichte zu stützen.2 Der Topos der „Türkengefahr“ stelle eine Dichotomie Türken versus Christen her, die einem monolithischen muslimisch-türkischen Gegner eine ebensolche christliche Gemeinschaft entgegen setze. Dies beinhalte einerseits eine klar religiös definierte Gruppenzugehörigkeit und Identitätskonstruktion wie andererseits auch das entsprechende Alteritäts- und Exklusionskonzept. Dem Bild der Türken/des Moslem sei das Bild einer unitas christiana gegenüber gestellt worden, d. h. einer über alle Grenzen hinweg vereinigten Christenheit, die als „christliche Streitkräfte“ geschlossen zum Kampf bereit sein müssten, um Europa als den letzten „Hort der Christenheit“ zu verteidigen. Diese Deutung impliziert zugleich die Vorstellung eines semantisch neu belebten Europabegriffs, der nunmehr weniger geografische denn religiöse Kategorie geworden sei, eben ein „christliches Europa“. Entsprechend der Dichotomie erfolge die Umdeutung des türkisch-muslimischen Gegners zum Antichristen und Erbfeind, der eschatologisch in die Heilsgeschichte eingeordnet wurde. In den zeitgenössischen Diskursen erscheint der Türke als Zeichen für die angebrochene Endzeit, als Strafe Gottes, schreckliche Greueltaten vollbringend, als Geißel, einhergehend mit Prophezeiungen und dem Aufruf zur Buße. Laut Höfert handelt es sich um „eines der wichtigsten Antagonismusnarrative der Frühen Neuzeit“. Wie sie anhand ihrer Auswertung von frühneuzeitlichen Reiseberichte aus dem Osmanischen Reich zudem zeigen konnte, wurden unter dieser Prämisse selbst positive Beschreibungen, wie z.B. saubere Straßen, rituelle Waschungen etc., von den Autoren selbst zuweilen ins Negative umgedeutet. Die Reiseberichte als exemplarische mediale Form dienten ihrer Meinung nach vor allem dazu, den christlichen Herrschern das Werkzeug des Wissens für ihren Kampf gegen die „Türkengefahr“ an die Hand zu geben, konnten aber das Antagonismusnarrativ angesichts des vielfältigen ethnografischen Materials nicht immer konsequent durchhalten.

Das Bild eines solcherart „geeinten christlichen Europas“ sei jedoch keineswegs ein Phänomen des 16. und 17. Jahrhunderts geblieben. Vielmehr habe es sich in der Aufklärung weiter differenziert und verfestigt zu einem im „Fortschritt voranschreitenden, aufgeklärten Europa“, welchem zunehmend eine fremdartige, despotische, rückständige und statische Vorstellung vom Islam gegenüber gestellt worden sei. Fortgeschrieben bis in die Gegenwart, sei auch das heutige europäische Bild der „islamischen Welt“ hauptsächlich von Begriffen wie Irrationalität, Gewalttätigkeit, Unterdrückung der Frau und fehlender Säkularisierung geprägt. Europäische Identitäts- wie Alteritätskonzepte seien daher noch immer stark in der Dichotomie Islam versus Europa verhaftet, was sich nicht zuletzt auch im Wissenschaftssystem zeige, das die Islamwissenschaften und die islamische Geschichte nicht in die allgemeine Geschichtswissenschaft integriere. Höfert betonte daher abschließend die Notwendigkeit, Identitäts- und Alteritätskonstruktionen vergleichend in den Blick zu nehmen und die eurozentrische Perspektive zu überwinden, um altüberkommene Wahrnehmungsstereotype hinter sich zu lassen. Zudem plädierte sie dafür, auch jene Phänomene, welche nicht von der Dichotomie europäischer versus islamischer Welt Geschichte erfasst werden, in einer transkulturellen Perspektive zu erforschen.

András Forgó zeichnete in seinem Beitrag die Entwicklung des „Türkenbildes“ in den Ländern der ungarischen Krone, die mit einer Intensität wie kein anderes der vorgestellten europäischen Länder mit den Osmanen in Berührung kamen. Zwar tradiere die ungarische Historiografie die Rede von den „150 Jahren Türkenzeit“ - zwischen Mohács (1526) und Ofen (1686) - vergesse darüber jedoch, dass bereits 100 Jahre vor der legendären Schlacht von Mohács die Osmanen an den ungarischen Grenzen erschienen und auch noch für Jahrzehnte nach dem Fall Ofens präsent blieben. Interessant erscheint, daß schon im Spätmittelalter die Wahrnehmung der Osmanen religiös gefärbt war, wenn sie auch in einen stark christlichen Bezugsrahmen eingebettet blieb, so daß die „Türken“ hauptsächlich als Häretiker oder Schismatiker wahrgenommen wurden.

Dieses Bild, so Forgó, habe sich über eine Gleichsetzung mit dem Feindbild der Tartaren erst mit und nach König Sigismund (1387-1437) allmählich in die Vorstellung einer „Schild- und Schutzmauerrolle“ Ungarns gewandelt, das als „Bollwerk des Christentums“ fungiere. Hier ist demnach eine klare Analogie zu dem von Höfert bereits aufgezeigten eschatologisch-antagonistischen „Türkengefahr“-Motiv zu erkennen. Wie im 16. Jahrhundert im Reich gingen auch hier vermehrte militärische Niederlagen mit einer gesteigerten Apokalyptik einher, der Osmane wurde zum Antichristen, die Ungarn zum auserwählten Volk. Auch die Topoi der „göttlichen Strafe“, der „Osmanen als Werkzeug des erziehenden Gottes“, des Märtyrertums und des schicksalsbestimmten und -bestimmenden Ausgangs der Kämpfe, der unitas christiana charakterisieren das in Ungarn vorherrschende Bild des Moslems. Sie trugen, erklärte Forgó, in abgewandelt-passiver Form sogar durch die „Friedensperiode“ der osmanischen Besatzungszeit und verhinderten so eine Osmanisierung der ungarischen Bevölkerung.

Eine Wandlung habe diese Haltung erst mit dem Trauma des Friedens von Eisenburg (1664) erfahren als sich Ungarn von den Habsburgern „verraten und ausgeliefert“ gesehen habe und das wenig fromme habsburgische Expansionsbestreben offenkundig geworden sei. Mit der Überlegung eines Sonderfriedensentwurf Ungarns mit der Hohen Pforte 1666, der die Anerkennung des Vasallenstatus zum Osmanischen Reich bedeutet hätte, und ähnlichen pro-osmanischen militärischen Aktionen, schien sich gar ein Seitenwechsel und damit eventuell auch Bilderwechsel anzukündigen, der freilich im Zuge der kaiserlichen Niederschlagung der „Magnatenverschwörung“ und den folgenden militärischen Konflikten nur ein kurzes Intermezzo blieb. Geändert habe sich jedoch, dass nun nicht mehr das ungarische Volk, sondern der Wiener Hof und Kaiser Leopold (1658-1705) das Bild des Erlösers personifizierten. Präsent sei die „Türkenwelt“ gleichwohl noch lange im ungarischen Gedächtnis geblieben - äußerlich beispielsweise vor allem in der Mode der ungarischen Tracht -, das Bild des Türken habe sich jedoch vom unbesiegbaren, bedrohlichen zum kuriosen, exotischen Nachbarn gewandelt, auch wenn das Motiv der Gottesstrafe noch einige Zeit nachgewirkt habe.

Im Vordergrund der Ausführungen von Ludolf Pelizaeus standen zwei zentrale Gesichtspunkte: nämlich erstens der Konstruktionscharakter des spanisch-portugiesischen Islambildes und zweitens die spezifisch iberische Dimension desselben. Als Hauptunterschied zu den Vergleichsgebieten Heiliges Römisches Reich und Ungarn ist die bis zur Seeschlacht von Lepanto (1571) ausbleibende direkte kriegerische Konfrontation mit dem Osmanischen Reich zu sehen. Die Auseinandersetzung fand, so Pelizaeus, vielmehr zunächst mit dem Nasridenreich Granada dann mit den in Spanien und Portugal ansässigen Muslimen und schließlich mit Nordafrika statt. So zeige sich in Spanien vor dem späten 15. Jahrhundert eine Ambivalenz im Verhältnis von Muslimen und Christen, hatte man doch durch das angrenzende nasridische Königreich Granada über Jahrhunderte hinweg alltäglichen geschäftlichen und kulturellen Kontakt. Gleichwohl sah man in den Muslimen „los moros enemigos de nuestra santa fe“ - Glaubensfeinde. Zu einem antagonistischen, theologisch-eschatologisch umgedeuteten Feindbild sei es jedoch erst nach der Einnahme Granadas, vor allem mit dem Regierungsantritt Karls I./V. (1516), gekommen, also in einer Zeit der Endzeiterwartung (millenarismo), der Xenophobie und der sozialen Krise. Diese Umdeutung der Muslime zu Dienern des Satans oder Götzendienern, die nicht mehr zu dulden waren, betraf jedoch nicht nur die muslimische, sondern auch die jüdische sowie in einigen Aspekten auch die indigene Bevölkerung Amerikas, in späterer Zeit auch die Lutheraner. Die Konstruktion des Moslems wies demnach ein den anderen „Anderen“ durchaus vergleichbare Struktur auf.

Nach Vertreibung oder Zwangstaufe aller Muslime zwischen 1499 und 1526 in Spanien habe sich der Fokus zunächst auf die Eroberung Nordafrikas als Fortsetzung der „Reconquista“ verlagert, ab 1580 dann in wachsendem Maße auf die Probleme mit den spanischen Niederlanden. Trotzdem blieb das Problemfeld der Moriscos, der zwangskonvertierten Muslime, gleich demjenigen der Conversos, der zwangskonvertierten sephardischen Juden, auf der iberischen Halbinsel erhalten. In Portugal war zu diesem Zeitpunkt die Reconquista bereits abgeschlossen und die muslimischen „mouros“ lebten als Teil der portugiesischen Gesellschaft, gerieten aber im Verlauf des 16. Jahrhunderts ebenfalls zunehmend ins Visier der Inquisition. Insbesondere die Expansionen auf dem afrikanischen Kontinent habe nun viele Muslime in den portugiesischen Herrschaftsbereich gebracht, deren Religionsausübung in den Überseegebieten toleriert wurde.

Entsprechend diesen Entwicklungen und in Anbetracht der Inquisitions-Zensur gebe es nur wenige, dem restlichen Europa vergleichbare Turcica. Kleinschriften wie Flugschriften, Flugblätter etc. wurden nur selten gedruckt und fanden noch seltener ihren Weg von Mitteleuropa in den iberischen Raum. Medial habe sich die Beschäftigung mit der islamischen Welt vielmehr in Form von Büchern, also Reiseberichten, kontroverstheologischen Schriften und militärgeschichtlichen Darstellungen, niedergeschlagen, die insofern den von Höfert vorgestellten Reiseberichten gleichen, als hier ebenso die Themengebiete Militär, Sitten, Gebräuche, Religion im Vordergrund stehen und sich auch durchaus positiv gewertete Beobachtungen, beispielsweise zur Baukunst, finden. Als Autoren scheinen hier vor allem vormalige Gefangene wie beispielsweise Miguel Cervantes oder Luis Marmol de Carvajal auf. Ihre Bücher standen gleichwohl nur einem lesefähigen Publikum offen und waren demnach von begrenzter gesellschaftlicher Reichweite. So sei das Osmanische Reich breiter erst am Ende des 17. Jahrhunderts perzipiert worden, als die kaiserliche Linie des Hauses Österreich militärische Erfolge erzielte, die medial „mitgefeiert“ und als Siege des Glaubens kommuniziert wurden. Das heißt aber auch, dass für den iberischen Raum die Vorstellung eines durch die osmanische Bedrohung geeinten christlichen Europas ebenfalls erst verspätet an Bedeutung zu gewinnen begann. Zuvor stand das iberische Reich mit Spanien, Amerika, Portugal und seinen afrikanischen, arabischen und indischen Besitzungen als zusammenwachsende geographische und religiöse Einheit im Vordergrund. Das Bild des Moslems im iberischen Raum war also im Vergleich zum Reich und Ungarn anders gelagert: Es entfaltete seine integrierende Wirkung primär in Hinblick auf die iberische Halbinsel und beförderte nur nachgeordnet die Integration der iberischen Königreiche ins „christliche Europa“

Fragt man nun nach der vergleichenden europäischen Perspektive, so wurde als erste Bilanz trotz aller Unterschiede deutlich, dass in den vier Beispielländern Wahrnehmungsmuster vorherrschend waren, die die Osmanen/Muslime als Andersgläubige, Ungläubige, Glaubensfeinde in einen religiösen Bezugsrahmen einordneten, nicht jedoch in einer durchweg feindschaftlichen Art und Weise. Verschieden motiviert - durch militärische Konfrontation (Ungarn, Reich) oder aufgrund innenpolitischer Krisen und Transformationsprozesse (Spanien, Portugal) - scheint jedoch mit hoher zeitlicher Kongruenz in allen vier Ländern eine ähnliche theologisch-eschatologische Umdeutung der Muslime, gleich welcher Herkunft, zu Erzfeinden des Christentums, zum Antichristen, zu Dienern des Satans etc. entstanden zu sein. In einem von Endzeitvorstellungen geschwängerten Umfeld wurden ihnen möglichst inhumane Verhaltensweisen und Gräueltaten zugeschrieben. Transportiert und distribuiert wurde dieses Bild in vielerlei medialen Formen – u.a. Türken-Drucken, Reiseberichten oder Büchern -, die europaweit zirkulierten.

Als Themenkomplexe, die ob der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit in der Sektion nicht hinlänglich zur Sprache kamen, wurden in Einleitung wie Diskussion benannt: 1) die Notwendigkeit einer ergänzenden Betrachtung der vorgestellten Türken-Texte durch eine Untersuchung der Visualisierungen des Moslems wie sie beispielsweise in Flugblatt-, Traktat-Illustrationen oder Gemälden anzutreffen sind, um zu untersuchen, ob und inwieweit sich durch die europäischen Malschulen ein europäischer visueller Code für das Bild des Moslem verfestigt haben könnte, der wiederum auf seine Wechselwirkungen mit den sprachlichen Diskursen zu befragen wäre. 2) Zudem wäre, wie von Gabriele Haug-Moritz einleitend bemerkt, die Erweiterung der europäischen Vergleichsperspektive anzuregen, wobei insbesondere die Wahrnehmung des Moslem in den mit dem „Türken“ nicht unmittelbar militärisch konfrontierten Ländern Nord- und Nordwesteuropas von Interesse sein könnte. Und schließlich 3) sollte, entsprechend den Forderungen Almut Höferts, der eurozentrische Blick aufgegeben werden und sowohl der islamische Blick auf den Westen, als auch weitere außereuropäische Identitäts- und Alteritätskonzepte untersucht werden, wobei bei einer solchen Forschungsperspektive der anders gelagerten islamischen Medienlandschaft besondere Aufmerksamkeit zu zollen wäre, worauf insbesondere Johannes Burkhardt (Augsburg) in einem Diskussionsbeitrag nachdrücklich hinwies.

Dass dies im Hinblick auf die sich gegenwärtig ausbildenden und transformierenden Identitätsstrukturen Europas und der Diskussion um die Aufnahme der Türkei in die EU unumgänglich ist, zeigte Peter Rauscher in seinen Ausführungen zur österreichischen Erinnerungskultur am Beispiel der Zweiten Türkenbelagerung Wiens (1683) eindringlich auf. Wie Almut Höfert beschrieb auch er das gegenwärtige europäische Bild der islamischen Welt als von politischen Gruppen wie Al Kaida, Hisbollah, Hamas, Taliban oder der Angst vor Terroranschlägen negativ dominiert, was im Falle Österreichs im diesjährigen Wahlkampf von rechtspopulistischen Parteien mit Erfolg zum Stimmenfang instrumentalisiert wurde. Es sei dies eine Perpetuierung des jahrhundertealten Feindbildes, das nicht zuletzt durch Jubiläumsfeierlichkeiten, wenngleich nicht immer bewusst befördert oder thematisiert, so doch im kulturellen Gedächtnis präsent gehalten werde. Dass Jubiläen, oder vielmehr die Auswahl der Jubiläumsereignisse, zudem „ein geeignetes Instrumentarium [sind], um Geschichtsbewusstsein im Interesse bestimmter Gegenwartsziele zu steuern“ 3, veranschaulichte er anhand einer diachronen Analyse der Entstehungszusammenhänge der Säkularfeiern zur Zweiten Wiener Türkenbelagerung in den Jahren 1783, 1883, 1933 und 1983.

Ausgangspunkt des Erinnerns bilde das von Papst Innozenz XI. eingeführte Anniversarium zum Gedenken an den Sieg über die Osmanen in der Kahlenbergschlacht in Form des „Mariä Namen“-Festes, das in älterer römisch-christlicher Tradition des Schlachtengedenkens stand und zugleich die Art der Erinnerung als „Glorifizierung des Katholizismus“ in der universellen Auseinandersetzung mit dem islamischen „Erbfeind“ mitgeprägt habe. Während das erste Jubiläum 1783 in der Reformdekade Josephs II. (1780-1790) trotz traditionell religiöser Formen im Gedenken an die Tapferkeit der Wiener Verteidiger vor allem städtischen Charakter gehabt habe, in dessen Rahmen die religiöse Christen-Türken-Dichotomie wie auch die Kirche überhaupt eine eher untergeordnete Rolle spielte, sei die 200 Jahr-Feier 1883 von Stadt wie Kirche gleichermaßen politisch instrumentalisiert und inszeniert worden.

In der Auseinandersetzung zwischen liberalen und konservativen Kräften um die Gewichtung der Protagonisten, sei das Feindbild des Türken vor allem im kirchlichen-konservativen Kontext wieder in den Vordergrund gerückt worden, als der christliche Sieg über den Erbfeind zu einem weltgeschichtlichen Ereignis, der Verteidigung des Abendlandes mit besonderem Verdienst des Papstes gegen den besonders grausam und fanatisch dargestellten Türken stilisiert worden. Letzterer wurde zudem mit dem neuen ideologischen Feind der Kirche, dem Liberalismus, gleichgesetzt. Auf städtischer Seite sei das Jubiläum vor allem zur Darstellung städtischer Präsenz mit der Einweihung des neuen Wiener Rathauses genutzt worden, jedoch wurden hier ebenfalls drastische Feindbilder vom Türken als „Barbaren“ und „wilden Asiaten“ bemüht, wie auch insgesamt eine deutliche Nationalisierung des Gedenkens festzustellen sei. Dies habe sich 1933 fortgesetzt als vor allem Kirche und Staat Träger des Gedenkens gewesen seien und neben den Dichotomien von „Deutschtum“, “Christenheit“, „Heldenzeitalter Österreichs“, „Abendland und seine Kultur“ versus der „östlichen Barbarei“, die Türken nun mit Sozialismus und dem barbarischen Feind aus dem Osten gleichgesetzt und somit wiederum für ein neues Feindbild instrumentalisiert wurden.

1983 hingegen habe man sich bewusst gegen eine Thematisierung des militärischen Sieges entschieden und habe sich bemüht, den Friedensgedanken in den Vordergrund zu rücken, nicht zuletzt in zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen, die anlässlich des Jubiläumsjahrs erschienen. Gleichwohl habe die katholische Kirche mit dem österreichischen Katholikentag und dem Besuch Papst Johannes Paul II. in Wien im September die Traditionslinie einer christlich-positiven Erinnerung von 1683, wenngleich mit starker Betonung des christlichen Friedensideals und der Forderung nach einer differenzierten Geschichtsbetrachtung, fortgeführt.
Die Publikation der Beiträge ist geplant.

Anmerkungen:
1 Goellner, Carl, Turcica, 3 Bde., Bukarest 1961-1978.
2 Höfert, Almut, Den Feind beschreiben: "Türkengefahr" und europäisches Wissen über das Osmanische Reich 1450-1600, Frankfurt am Main 2003.
3 Mitterauer, Michael, Politischer Katholizismus. Österreichbewußtsein und Türkenfeindbild. Zur Aktualisierung von Geschichte bei Jubiläen, in: Beiträge zur historischen Sozialkunde 12 (1982), 4, 111-120, hier: 113.


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