Zur Geschichte des Gesellschaftsrechts in Europa

Zur Geschichte des Gesellschaftsrechts in Europa

Organisatoren
Wiener Rechtsgeschichtliche Gesellschaft
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
08.11.2002 -
Von
Julia Piffl und Philipp Scheibelreiter, Wien

Am 8. November 2002 fand auf der Juridischen Fakultät der Universität Wien ein Symposion "Zur Geschichte des Gesellschaftsrechts in Europa" statt, das von der Wiener Rechtsgeschichtlichen Gesellschaft organisiert wurde (http://www.univie.ac.at/wrg/symposium2002.htm). Zentrales Thema war der Versuch, anhand historischer Beispiele Entwicklungen, denen das Gesellschaftsrecht von der Antike bis heute unterworfen war, nachzuzeichnen und auszuwerten.

Schon in seinen Grußworten betonte der Dekan der juridischen Fakultät der Universität Wien, Walter Rechberger, die große Bedeutung der rechtshistorischen Fächer für die geltenden Rechtsordnungen. Dies treffe auch auf die dynamische Disziplin des Gesellschaftsrechtes zu - zu denken ist da etwa an die Entwicklung der "Societas Europea". Der Umgang mit gesellschaftsrechtlichen Strukturen, die weit über die Grenzen eines Nationalstaates hinausreichen und Wirkungen entfalten, kann auch dadurch erleichtert werden, dass man rechtsvergleichend die Entwicklung europäischer Gesellschaftsrechtssysteme betrachtet: Kann man einen größeren Wirtschaftsraum als den des antiken Rom ausmachen, der immerhin einen Großteil der damals bekannten Welt umfaßte und einer Vielzahl von Einflüssen ausgesetzt ein äußerst kompaktes und flexibles Wirtschaftssystem hatte?
"Wir müssen wissen, woher wir kommen, um zu wissen, wohin wir gehen!" - Dieses von Rechberger eingangs gebrachte Zitat Otto von Habsburgs konnte durch inhaltliche Bezugnahme der einzelnen Referenten darauf durchaus auch als ein Leitmotiv des Symposions angesehen werden.

Franz Stefan Meissel (Universität Wien) legte in seinem Vortrag "Plura vocabula quam negotia - Zur Dynamik des römischen Gesellschaftsrechts" eine wertvolle Basis für den weiteren Verlauf der Tagung. Ausgehend von der auf Konsensualvertrag beruhenden societas gelang es ihm, ein lebendiges Bild des römischen Wirtschafts- und Rechtslebens zu zeichnen. Die breite Möglichkeit inhaltlicher Ausgestaltung der societates - die Quellen berichten von Sklavenhandel, Wein- und Ölhandel genauso wie von "Grammatiklehrersozietäten" - darf aber nicht dazu verleiten, moderne Kategorien an die sozialpolitische und wirtschaftliche Situation des Imperium Romanum anzulegen. So warnte Meissel eindringlich vor dem Versuch, die großen Steuerpachtgesellschaften (societates vectigalium bzw. societates publicanorum), die sich auch durch den Verkauf von "partes", also Anteilen, finanzierten, mit etwa der modernen Aktiengesellschaft zu vergleichen. Sicherlich aber ließ der in seiner Grundstruktur relativ einfach konzipierte Vertragstyp der societas eine Reihe von speziellen Ausformungen zu, die sich nur aufgrund einer "Synthese von Vertragspraxis und Rechtswissenschaft" erklären lassen. Dieses Nebeneinander von juristischer Diskussion und kaufmännischer Praxis erwies sich als idealer Nährboden für die Schaffung gesellschaftsrechtlicher Kategorien und von Rechtsinstituten, auf der die weitere Entwicklung des europäischen Gesellschaftsrechts aufbauen konnte.

Albrecht Cordes (Universität Frankfurt) demonstrierte hierauf anhand eines explizit gewählten Beispieles die Probleme, die sich im Umgang mit rechtshistorischen Quellen und deren Bewertung ergeben können. Im Rahmen seines Vortrages "Nord- und süddeutsches Gesellschaftsrecht im Spätmittelalter" präsentierte Cordes drei Möglichkeiten zur Interpretation der juristischen Dogmatik von Quellen unterschiedlicher Rechts- und Wirtschaftskreise, wie im Spätmittelalter zB. der des Heiligen Römischen Reiches oder der Stadtstaaten Italiens: Neben einer "nominalistischen Methode", die sich an den verwendeten Quellenbegriffen orientiert, hob Cordes als Ansatz einer substantiellen Interpretation die Möglichkeit hervor, anhand "moderner" Strukturen zu versuchen, die Quelle in einen Kontext zu stellen. Da lag es nahe, auf die Forderung Max Webers nach der Schaffung von "Universalbegriffen" zu verweisen. Ein dritter und nicht weniger problematischer Zugang ist nach Cordes der Versuch, Quellen anhand zeitgenössischer Strukturen zu beurteilen. Das von ihm gewählte Beispiel, ein Gesellschaftsvertrag aus dem Köln des späten 15. Jhdts., zeigte dazu noch die Bedeutung geographischer und politischer Determinanten bei der Interpretation einer Rechtsquelle: So ließ sich hier die Verwendung einer Terminologie erkennen, wie sie für die Vertragssprache der Hanse gebräuchlich war.
Einen zweiten Schwerpunkt in seinen Ausführungen setzte Cordes, indem er auf die oft formulierte Frage der Bedeutung von Rechtsgeschichte für "modernes Recht" bezug nahm: Dabei unterstrich Cordes als weitere Funktion der Rechtsgeschichte die Darstellung von "Andersartigkeit". Es sei nicht nur wichtig, die Ursprünge von Rechtsnormen zu verstehen und Entwicklungen nachzeichnen zu können, auch Modelle, die nicht fortgesetzt wurden oder als Vorbild für geltendes Recht fungieren, verdienten es, im Rahmen des wissenschaftlichen Diskurses beachtet zu werden.
Eine umfassende Liste von Gesellschaftsformen des Mittelalters rundete als "besonderer Teil" den Beitrag von Cordes ab.

Arno Weigand (Wien) gab in seinem Vortrag "Der lange Weg der Kodifikation - Partikularismus der gesellschaftsrechtlichen Gesetzgebung in den österreichischen Erblanden vom 17. bis zum 19. Jahrhundert" eine Übersicht zur Gesetzgebungsgeschichte der Wechsel- und Fallitenordnungen. Die ersten Wechselordnungen finden sich im 17.Jahrhundert zur Regelung der örtlichen Markt- und Handelsverhältnisse. Diese enthielten vor allem Protokollierungen der Gesellschafter und privilegierten den Markthandel. Weigand beleuchtete auch die ersten Fallitenordnungen: 1734 "Falliten-Ordnung" für Wien (Karl VI.), die erstmals eine Ausweisung des Handlungsfonds je nach Größe und Gegenstand der Gesellschaft und die Offenlegung der Verhältnisse vorschrieb. Die Fallitenordnung von Triest aus 1758 enthielt gegenüber ihrer Vorläuferin aus 1734 detailliertere Regelungen, wobei die Ursache für die besondere Beachtung, die dem "Littorale", also den Küstenregionen der Monarchie, entgegengebracht wurde, im Außenhandelsdefizit Österreichs des frühen 18. Jhdts. gesehen werden kann. So wurde vor allem der Stadt Triest besonderes Augenmerk geschenkt, etwa ein eigenes Sanitätsamt errichtet und eigene Markt- und Wechselgerichte für Fiume und Triest geschaffen. Der Weg bis hin zur Allgemeinen Wechselordnung 1850 mußte noch über das Wechselpatent von 1763 genommen werden. Weigand gelang es, die aufgrund der Fülle an Quellen leicht der Gefahr der Unübersichtlichkeit ausgelieferte Materie zu systematisieren und dem Auditorium greifbar zu machen.

Um das Wechselspiel der Entwicklung des Aktienrechts in Deutschland und Österreich im 19. und 20. Jahrhundert ging es Susanne Kalss (Universität Klagenfurt). Sie zeigte auf, dass das Vorurteil, Österreich habe das deutsche Aktienrecht stets nur kopiert, nicht zutreffe. Anhand seiner Entstehungsgeschichte bewies sie, dass sich vielmehr das geltende Aktienrecht im Rahmen eines dialektischen Prozesses entwickelt hat. Österreich habe in der Zeit von 1869 bis 1900 ausgereifte Aktienrechtsentwürfe vorgelegt und diskutiert, die dann von Deutschland auch übernommen wurden. Die Vortragende arbeitete heraus, dass die Aktienrechtsgeschichte ein weit aktiveres und schöpferischeres Bild Österreichs darstelle, als man annehmen würde. Die rechtshistorische Forschung sei wichtig, so Kalss, um neue Ideen für rechtspolitische Fragen zu gewinnen und mache außerdem eine Kontrolle dieser Ideen möglich: Durch die geschichtliche Betrachtung sei eine Analyse dahingehend sinnvoll, ob sich das damals Neue im Zeitablauf bewährt habe. Daher sei Rechtsgeschichte gerade im Gesellschaftsrecht Stütze für die Betrachtung des geltenden Rechts und darauf aufbauend auch für neue Entwicklungen.

Johannes Semler (Frankfurt/Main) beleuchtete "Die Entwicklung des deutschen Aktienrechts im 20. Jahrhundert" als "Geschichte seiner Reformen". Er machte deutlich, wo die Intentionen des Gesetzgebers in den einzelnen Perioden der Aktienrechtsgesetzgebung lagen, und welche Entwicklungen in der Praxis immer wieder neue Anpassungen und Reformen des Aktienrechts notwendig machten. Die einzelnen Funktionen der Organe Vorstand, Aufsichtsrat und Aktionärsversammlung wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts immer wieder neu diskutiert und bewertet. Semler skizzierte das Aktiengesetz von 1937, welches an Reformbemühungen der Zwanziger Jahre anschloß und die Verantwortungsbereiche der Organe genau abgrenzte. Der Vorstandsvorsitzende wurde in dieser Periode deutlich gestärkt (Stichwort: "Führerprinzip") und in den Fünfziger Jahren auch daher der Ruf nach Änderungsvorschlägen laut. Durch die Aktienrechtsreform 1965 wurde dieser "Ungleichgewichtung" wieder entgegengewirkt und außerdem eine Verbesserung der Publizität in Hinblick auf die Ertragslage der Gesellschaften, der Schutz von Minderheitsaktionären und wieder eine höhere Einflußnahme der Aktionäre in der Hauptversammlung durchgesetzt. Semler machte die Problematik deutlich, einen Mittelweg zu finden, zum einen im Lichte des Individualschutzes des Anlegers umfassende Regelungen im Bereich des Gesellschaftsrechts anzustreben und zum anderen dabei nicht der Kritik der Überregulierung und mangelnden Anpassung an den Kapitalmarkt ausgesetzt zu werden. Mit seinem Vortrag arbeitete Semler diese unterschiedlichen Ansprüche, die in der jüngsten Rechtsgeschichte an den Aktienrechtsgesetzgeber gestellt wurden, deutlich heraus und gab dadurch anschließend zahlreiche Anhaltspunkte für eine spannende Diskussion.

Dank der fünf Beiträge, die ganz unterschiedliche Epochen beleuchteten, wurde deutlich, dass das Gesellschaftsrecht seit jeher verschiedenen Determinanten wie Politik, Wirtschaft und Realität des Rechtsalltags unterworfen war. Anpassungen, Änderungen und die damit verbundenen Probleme können dadurch besser verstanden werden, Rückschlüsse auf kommende Entwicklungen sind möglich.
Die im Rahmen des Symposions teilweise heftig geführten wissenschaftliche Auseinandersetzungen waren aber auch Zeichen für die Aktualität der Diskussion von Gesellschaftstypen und Kompetenzverteilung innerhalb dieser Organisationsform. Daneben war es gelungen, Modelle der historischen Interpretation zu vergleichen und methodisch aufzuarbeiten.

Kontakt

Mag. Philipp Scheibelreiter (E-Mail: philipp.scheibelreiter@univie.ac.at)
Mag. Julia Piffl (E-Mail: julia.piffl@univie.ac.at)
Beide: Institut für Römisches Recht und Antike Rechtsgeschichte, Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien, Schottenbastei 10-16, A-1010 Wien

http://www.univie.ac.at/wrg/symposium2002.htm
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