Visuelle Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen in Deutschland und Polen II (ab 1939)

Visuelle Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen in Deutschland und Polen II (ab 1939)

Organisatoren
Deutsches Polen-Institut; Marburger Herder-Institut
Ort
Darmstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.09.2006 - 01.10.2006
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Von
Markus Krzoska, Mainz

Die Diskussion über die Visualisierung von Geschichte und deren Einbettung in einmal mehr, einmal weniger umfassende Formen von Geschichtspolitik stellt eines der aktuellsten Beispiele für die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit in ganz Europa dar. Die durch die zunehmende Globalisierung, die Auflösung klassischer Lebens- und Arbeitsmuster, aber auch durch die Dominanz der Postmoderne und des (Post-)Konstruktivismus in allen Bereichen von Wissenschaften und Kunst verursachten Unsicherheiten haben in großen Teilen der Bevölkerung einen Wunsch nach Sicherheit und Altvertrautem geweckt, der nicht nur die Politik maßgeblich prägt. Dass diese Reaktion etwas Natürliches ist und an ähnliche Entwicklungen in der von den gewaltigen Industrialisierungswellen des 19. Jahrhunderts erschütterten Welt erinnert, wird häufig vergessen.

Anknüpfend an die Berliner Tagung von 2004, deren Beiträge mittlerweile in Buchform vorliegen 1, wandte sich der Arbeitskreis deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger bei seiner Jahrestagung in Darmstadt, die vom Deutschen Polen-Institut und dem Marburger Herder-Institut veranstaltet wurde, in einer Vielzahl von Referaten den visuellen Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen in Deutschland und Polen nach 1939 zu. Die Brisanz des Themas lag auf der Hand, versuchen doch gerade einige Geschichtspolitiker in Polen ohne jede Hemmungen ein rückwärtsgewandtes nationalkatholisches Geschichtsbild in der Gesellschaft durchzusetzen, das in seiner autistischen Ausprägung das Land immer weiter von Europa zu entfernen droht. Auch in Deutschland erinnern wir uns noch gut an die Versuche der letzten Jahre, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs umzudeuten und der Deutsche Historikertag in Konstanz erlebte kürzlich eine heftige Auseinandersetzung um Guido Knopps Doku-Soaps im deutschen Fernsehen.

Die Sehnsucht nach dem scheinbar Heilen, Kleinteiligen jenseits von allen Formen der Moderne, zeigt sich im verstärkten Wunsch nach Rekonstruktion verloren gegangener Bauwerke und Denkmäler, eine Bewegung, die bereits im Westdeutschland der 1980er Jahre begann und für die eine Reihe von Städtenamen symbolisch stehen könnten: Hildesheim und Frankfurt am Main, Berlin und Dresden, Potsdam und Frankfurt (Oder). In diesem Diskurs wird häufig auf das Vorbild Polens verwiesen, wo unter anderem das von den Deutschen völlig zerstörte Warschau in seinem Kern nach 1945 „ganz selbstverständlich“ nach historischen Vorlagen wiedererrichtet worden sei. Der Mitbegründer und spiritus rector des Arbeitskreises, der Warschauer Kunsthistoriker Andrzej Tomaszewski, verwies in seinem Auftaktvortrag zwar auf die beachtliche Wiederaufbauleistung und das damit verbundene Signal an die polnische Gesellschaft, betonte jedoch zugleich, dass zumindest im Falle der Warschauer Altstadt eben nicht vollständig an die Vorkriegsarchitektur angeknüpft worden sei, sondern an ein Jahrhunderte altes Idealbild, weswegen die spätere Aufnahme in die Weltkulturerbeliste der UNESCO wegen der Bedeutung für die Nachkriegsarchitektur nach 1945 erfolgt sei. Außerdem habe der Wiederaufbau keineswegs im Widerspruch zu den stadtplanerischen Überlegungen des Stalinismus gestanden.

Einem derartigen Umgang mit Rekonstruktionen begegnete man im Laufe der Tagung immer wieder, etwa wenn Jacek Friedrich (Danzig) auf die recht willkürliche malerische Ausgestaltung des Rechtsstädtischen Rathauses in Danzig nach 1945 verwies und Piotr Korduba (Danzig) die Adaptationen der Vergangenheit dieser Stadt in der gleichen Zeit skizzierte oder Tadeusz Zuchowski (Posen/Thorn) auf die Peripetien der nach 1945 in Polen wiederaufgestellten Reiterstandbilder an einigen Beispielen hinwies. Es war somit kein Zufall, wenn immer wieder die Frage nach dem Authentischen, künstlerisch Wertvollen auftauchte. Was bedeuten denn die eindrucksvollen neuen Möglichkeiten der Technik, die Manfred Koob (Darmstadt) anhand seiner Projekte zur binären Rekonstruktion verlorener Baudenkmäler vorführte? Stellen sie wirklich eine flexible Konvertierung der Vergangenheit dar, wie es Piotr Kuroczynski (Darmstadt) präsentierte, der zugleich für eine „neue Gedächtnisarchitektur zur Rekonstruktion der verlorenen Heimaten“ plädierte. Die Chance, diese zentralen Fragen ausführlich und offensiv zu diskutieren, wurde nur teilweise genutzt. In der Schlussdiskussion war es allein Dieter Bingen (Darmstadt), der die Sprengkraft der neuen Technologien erfasste und die Frage nach Authentizität und Originalität stellte. Zu Recht stellte er den Gegensatz zwischen den strengen Regeln von Kunstgeschichte und Denkmalschutz einerseits und einer benötigten neuen Kreativität der nachfolgenden Generationen andererseits heraus. Ein synkretistischerer Umgang mit den Bauten könne die im Laufe der Geschichte entstandenen Brüche und Gemeinsamkeiten stärker aufzeigen und zu einer versöhnlicheren Akzeptanz der Rezipienten beitragen. Schon Winfried Speitkamp (Gießen) hatte in seinem Einführungsreferat dafür plädiert, die Pluralität von Erinnerungskulturen ernst zu nehmen und nicht zu versuchen, Denkmäler als europäisch zu definieren, wenn diese eine eindeutig nationale Entstehungsgeschichte besitzen. Stattdessen sollten sich geteilte Erinnerungsorte in ihrem trennenden und verbindenden Charakter auf die Vergangenheit beziehen. Wie ein solches Nebeneinander konkret aussehen könnte, veranschaulichte in Ansätzen Beata Halickas (Frankfurt/Oder) Beitrag über sich auf verschiedene Epochen beziehende Denkmäler und Erinnerungstafeln entlang der Oder, mit Blick auf kontroverse innerpolnische Diskurse auch Ewa Chojeckas (Kattowitz) Ausführungen über Kattowitzer Denkmalkunst, etwa anhand der Gegenüberstellung der beiden Denkmäler Józef Pilsudskis und Wojciech Korfantys.

Der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs kommt dabei nach wie vor eine entscheidende Rolle zu, wie in Darmstadt deutlich wurde. Die Frage, wie die Erfahrung des Leides der Lagerinsassen an die nächsten Generationen weitergegeben werden könne, war in den Überlegungen der Überlebenden von Anfang an präsent. Dies demonstrierten Zofia Wóycicka (Warschau) für den polnischen Diskurs der späten 1940er Jahre und Kai Kappel (München) anhand der Planungen für die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Die Möglichkeiten der modernen Kunst im geschichtspolitischen Auftrag waren und sind dabei begrenzt. Catharina Winzer (Bonn) thematisierte dies mit Blick auf eine internationale Ausstellung der Warschauer Zacheta-Galerie im Jahre 1995, die auf weitgehendes Unverständnis oder Desinteresse stieß. Auch der Beitrag von Eva Pluharová-Grigiene (Nidden/Hamburg) über das Projekt des Berliner Galeristen René Block aus dem Jahre 1967, jüngere westdeutsche Künstler zu einer Bildspende für ein im tschechischen Lidice geplantes Museum zu bewegen, verwies auf eine gewisse Zeitgebundenheit, bezogen sich die gelieferten Arbeiten doch weniger auf das NS-Verbrechen von 1942 als auf die Studentenproteste der Bundesrepublik der 1960er Jahre.

Im vielleicht spannendsten Beitrag der Tagung, die immer wieder auf die aktuellen Ereignisse in Polen Bezug nahm, untersuchten Zuzanna Bogumil und Joanna Wawrzyniak (Warschau) die Visualisierung der NS-Besatzung in ausgewählten Warschauer Museen. Während das relativ bald nach 1945 wiedereröffnete Historische Museum der Stadt Warschau ganz im Geiste der kommunistischen Machthaber verfahren musste und den „hitleristischen Unmenschen“ in den Vordergrund stellte, präsentiere das neue Museum des Warschauer Aufstands den traditionellen Heldenmythos der polnischen Romantik in museumspädagogisch und technisch aufbereiteter Form, wobei Deutsche und Polen explizit gegeneinander gestellt würden. Demgegenüber schlage das „Haus für historische Begegnungen“ stärker einen Bogen zur totalitären Erfahrung mit Deutschen und Russen und stelle dabei das Schicksal des Individuums in den Vordergrund, wie es in neueren westlichen Museen die Regel ist.

Interessanterweise stieß die an und für sich selbstverständliche Bemerkung, dass ein Museum keine historischen Wahrheiten ausstelle und es eine Wertfreiheit in der Wissenschaft nicht gebe, auf einen gewissen Widerstand, der ein Schlaglicht auf die Selbstpositionierung des Faches Kunstgeschichte wirft. Während sich die meisten Referentinnen und Referenten souverän in den Kategorien der Interdisziplinarität und ihrer Methoden bewegten, hatte der eine oder andere Teilnehmer seine Schwierigkeiten damit, auf den einheitlichen, letztlich irrationalen Kunst- und Wissenschaftsbegriff zu verzichten. Weitgehend vergebens bemühte sich Beate Störtkuhl (Oldenburg) darum, auf die erworbenen Fähigkeiten des Kunsthistorikers hinzuweisen, auch scheinbar fachfremde Sachverhalte zu interpretieren, indem sie für mehr Selbstbewusstsein plädierte. Tapfer schwebte nämlich ein eher bildungsbürgerlicher Kunstbegriff im Raume, wenn halb resignierend auf den Bedeutungsverlust des kunsthistorischen gegenüber dem geschichtlichen Wert verwiesen wurde und einzelne davor warnten zu vergessen, dass die Grenzen zwischen Wissenschaftlichem und Populären immer wieder neu definitiv werden müssten.

Alles in allem überwog jedoch angesichts der durchgehend hohen Qualität der präsentierten Vorträge und der perfekten Organisation der Veranstalter der positive Gesamteindruck. Lediglich das Fehlen der sowjetischen Dimension der deutschen wie der polnischen Nachkriegsgeschichte wurde von einer Teilnehmerin zu Recht moniert.

1 Born, Robert; Labuda, Adam S.; Störtkuhl, Beate (Hgg.), Visuelle Erinnerungskulturen und Geschichtskonstruktionen in Deutschland und Polen 1800 bis 1939. Beiträge der 11. Tagung des Arbeitskreises deutscher und polnischer Kunsthistoriker und Denkmalpfleger in Berlin, 30. September – 3. Oktober 2004, Warszawa 2006.


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