Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus

Kunstgeschichte an den Universitäten im Nationalsozialismus

Organisatoren
Institut für Kunstgeschichte der Universität Karlsruhe (TH), Guernica-Gesellschaft
Ort
Karlsruhe
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.10.2002 - 12.10.2002
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Von
Nikola Doll, Bonn

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Verglichen mit anderen wissenschaftlichen Disziplinen zeigte die Kunstgeschichte bislang wenig Neigung, die deutschsprachige Fachgeschichte fuer den Zeitraum des Nationalsozialismus kritisch zu reflektieren. 1 Martin Warnkes Vortrag auf dem Kunsthistorikertag 1970 in Koeln bleibt als geradezu visionaer in Erinnerung als Zeugnis des Aufbegehrens einer Generation von Studierenden und jungen Dozenten gegen die Mischung aus Verschleierung und Amnesie der amtierenden Ordinarien.

Die zeitgeschichtliche Wende des Jahres 1989 und das zunehmende Interesse an den Formen des "kulturellen Gedaechtnisses" sowie der Erinnerungskultur beguenstigten die Wissenschaftshistoriographie jedoch erneut, was auch in der Kunstwissenschaften nicht ohne Resonanz blieb. Jedoch blieben insbesondere die Debatten der Historiker ueber Methoden, Diskurse und nicht zuletzt das Verhalten der akademischen Eliten vor 1933 und nach 1945 fuer die universitaere Kunstgeschichte bislang weitgehend ohne vergleichbare Nachfolge.

Vielmehr vollzog die Disziplin einhergehend mit postmodernen Denkmustern und der zunehmenden Kontextualisierung der bildenden Kuenste im Nationalsozialismus einen "retour à l´ordre". Fragestellungen zu Wissenschaftspolitiken, die handlungstheoretische mit biografischen und institutionsgeschichtlichen Ansaetzen im Sinne einer "New Intellectual History" verbinden, wurden nicht formuliert. Diesem Defizit innerhalb der kunstgeschichtlichen Wissenschaftshistoriografie widmete sich erstmals eine vom Kunsthistorischen Institut der Universitaet Karlsruhe in Kooperation mit der Guernica-Gesellschaft durchgefuehrte Tagung zur "Kunstgeschichte an den Universitaeten im Nationalsozialismus" (11.10.-12.10.2002).

Einleitend skizzierte Jutta Held (Osnabrueck) die Auseinandersetzung der Kunstgeschichte mit den Wissenschaftspraktiken der eigenen Disziplin waehrend des Nationalsozialismus. Im Gegensatz zur weitgehend dokumentierten Vertreibung deutscher und oesterreichischer Kunsthistoriker ins englische oder amerikanische Exil infolge der nationalsozialistischen "Machtergreifung" im Jahr 1933 2, wurde das Wirken der in Deutschland verbliebenen Wissenschaftler weitgehend tabuisiert. Wesentliche Impulse, die die Exilgeschichte als Komplement haette leisten koennen, blieben jedoch unberuecksichtigt. Neue, institutionskritische Fragestellungen verfolgende Konzeptionen innerhalb der Kunstgeschichte praesentierte erstmals wieder die Sektion "Kunstgeschichte im NS" anlaesslich des Kunsthistorikertages 2001 in Hamburg. 3

Die Struktur der Tagung resuemierend, plaedierte Held fuer einen handlungstheoretischen Ansatz als Geschichte der Verhaeltnisse und Entscheidungen fuer die Erforschung der Disziplin. Dabei wurden drei Perspektiven markiert: Der biographische Blick auf die Akteure, der institutionengeschichtliche Aspekt des Faches und seiner Vernetzung sowie die forschungsgeschichtliche Fragestellung nach den Methoden und Gegenstaenden der Kunstgeschichte waehrend des Nationalsozialismus.

Eine biografische Auseinandersetzung waehlte Marlene Deubner (Karlsruhe) fuer die Darstellung der "Architektur- und Kunstgeschichte an der Universitaet Karlsruhe" unter der Leitung des Architekturhistorikers Oskar Wulzinger. Neben den Schwierigkeiten, die eine rein auf biografischen Indizien aufbauende Schilderung birgt, ergab sich fuer Wulzingers Lehre in Karlsruhe der Eindruck einer unauffaelligen wissenschaftlichen Praxis. Lediglich die nur am Rande fluechtig erwaehnten, aber nicht weiter ausgefuehrten Forschungen Wulzingers im Bereich der Siedlungsgeographie vermittelten eine Ahnung von der politischen Anschlussfaehigkeit an raumpolitische Konzepte des Nationalsozialismus.

Auf die Bedeutung intertextueller Strukturen verwies hingegen der Beitrag Adam Labudas (Berlin) ueber "Kunstgeschichte an der Reichsuniversitaet Posen". Er profilierte die Kunsthistoriker Karl Heinz Claasen und Otto Kletzl als Vertreter eines neuen, politisch opportunen Typus des Hochschullehrers, der ausser theoretisch-wissenschaftlichen auch die Qualifikationen des politisch-handelnden Menschen verkoerperte. Die Kunstgeographie bildete fuer Kletzl die Methode, Kunstwerke im "Grenzland" wissenschaftlich fuer das deutsche Reich zu usurpieren. Diese in Abstimmung mit der landesgeschichtlichen Forschung durchgefuehrten Projekte lieferten insofern einen Beitrag zu den Umsiedlungsprogrammen im Kontext der Neuordnung des Ostens, als sie die pseudo-wissenschaftliche, von anderen Disziplinen erarbeitete Basis um kunsthistorische "Erkenntnisse" erweiterten. Der von Labuda gewaehlte Gegenstand eroeffnete auch weitere Dimensionen der universitaeren Aktivitaeten, wie die Instrumentalisierung der Denkmalpflege und der "Kunstgeschichte im Wartheland" fuer den Kunst- und Kulturgutraub und damit als Teil des Systems der totalen Enteignung des oeffentlichen, privaten und juedischen Besitzes der polnischen Bevoelkerung.

Die fliessenden Uebergaenge zwischen wissenschaftlicher Forschung und nationalsozialistischer Kulturpropaganda, zwischen sicherndem "Kunstschutz" und entziehendem "Kunstraub" benannte auch Michael Sprenger (Marburg) in seinem Referat ueber Richard Hamann, dem Direktor des Preussischen Forschungsinstituts fuer Kunstgeschichte in Marburg. Sprenger durchleuchtete kritisch Hamanns Funktion als organisatorischer Leiter der Fotokampagnen zur Dokumentation von Kunstdenkmaelern in den besetzten Gebieten Europas waehrend des Zweiten Weltkrieges. Evident wird die Verquickung wissenschaftlicher Ambitionen mit militaerischen Institutionen wie dem "Kunstschutz", mit dessen Unterstuetzung die "Kampagnen" ab 1939 in Osteuropa sowie parallel ab 1940-44 in Belgien und Frankreich durchgefuehrt wurden. Sprenger markierte die fotografische Dokumentation als signifikantes Beispiel fuer die durchaus fragwuerdigen Positionen der Kunstgeschichte, deren Vertreter im Namen von Wissenschaftlichkeit nicht davor zurueckschreckten, fuer die Aufstockung des Bilderbestandes die Gunst der Stunde fuer die eigenen Zwecke zu nutzen und schwer zugaengliche, respektive ihnen bislang unzugaengliche Objekte fuer die deutsche Kunstgeschichte zu dokumentieren.

Trotz dieser personellen und strukturellen Beruehrungspunkte der politischen Logik mit der Wissenschaftslogik kann fuer die Kunstgeschichte keine durchgaengig einheitliche "Nazifizierung des Faches" festgestellt werden. Eine Ahnung von dem wachsenden Legitimationsdruck, dem auch die universitaeren Kunsthistoriker innerhalb der strukturellen Entwertung der traditionellen geisteswissenschaftlichen Disziplinen durch die nationalsozialistische Politik ausgesetzt waren, vermittelte das Referat von Sabine Arend (Berlin) ueber Albert Erich Brinckmanns Publikation "Geist der Nationen. Italiener - Franzosen - Deutsche" (1938). Arend beschrieb Brinckmann als Vertreter einer Generation von Kunsthistorikern, die den Uebergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus ohne besondere Identifikationsprobleme vollzogen sowie den kulturpropagandistischen Thesen der deutschen Aussenpolitik Rechnung getragen habe. Im "Geist der Nationen" legte Brinckmann die kulturelle Ueberlegenheit der deutschen Kunst aus voelkerspychologischen Gesichtspunkten dar. Waehrend Brinckmann bereits 1938 auf pan-europaeische Konzepte rekurrierte, schlagen sich vergleichbare Thematiken nach Beginn des Zweiten Weltkrieges auch im Werk anderer Kunsthistoriker nieder.

Auch die Konvergenzen zwischen dem Raumbegriff, den Hans Jantzen der im Rahmen der "Aktion Ritterbusch" begonnenen Publikation "Ottonische Kunst" (1948) zugrundelegte, mit Versatzstuecken der nationalsozialistischen Ideologien, zeigen, dass oftmals nicht einzelne Begriffe fuer sich allein die Fuelle des politisch-sozialen Bedeutungszusammenhangs enthalten, sondern sich der Bedeutungszusammenhang erst in der Verwendung der Begriffe erschliesst. Exemplarisch untersuchte Jutta Held (Osnabrueck) die Analogien von Jantzens in kulturelle Zentren und Peripherien differenzierendem Raumbegriff mit konkreten Raumplanungen der historischen und geografischen Siedlungsprogramme waehrend des Nationalsozialismus. Waehrend Jutta Helds Darstellung der raumtheoretischen Ansaetze Jantzens keine eindeutige Konnotation mit den raumpolitischen Konzepten des Nationalsozialismus herstellen konnte, warf ihr Beitrag jedoch die grundsaetzliche Frage einer Trennung von wissenschaftlichem Werk und politischem Handeln auf.

Die Differenzierung zwischen nationalistischen und nationalsozialistischen Theoremen behandelte auch Hans Aurenhammer (Wien). Aurenhammer profilierte den Ordinarius fuer Kunstgeschichte in Wien, Hans Sedlmayr, institutionell und politisch als Repraesentanten einer nationalsozialistischen Wissenschaft. Mit der Person Sedlmayrs vollzog sich bereits in der Mitte der 1930er Jahre eine grundlegende Transformation der Neuen Wiener Schule, die sich in einer methodischen Verengung und Angriffen auf die Vertreter der Ikonologie niederschlug. Sedlmayrs Eintreten fuer ein Projekt zur Umgestaltung der Wiener Innenstadt, das den Stephansdom und die neuzuerrichtende "Hitlerstadt" als symbolisches Zentrum anvisierte, beleuchtet exemplarisch Sedlmayrs autoritaeres Denkmodell, das einer katholisch-konservativen Ideologie verpflichtet war. Aurenhammer verankert demnach auch den "Verlust der Mitte" (1948), dessen Manuskript Sedlmayr seit Ende der 1930er Jahre bearbeitete, im Kontext ganzheitlicher Theorien und Begrifflichkeiten, die ideologisch mit dem Nationalsozialismus konvergierten. Tatsaechlich laesst sich feststellen, dass Sedlmayrs Denkmodelle nach seiner Entlassung 1945 als illegaler Nationalsozialist und seinem Wechsel nach Muenchen in der deutschen Nachkriegskunstgeschichte weitgehend ungebrochen Bestand hatten.

Schliesslich stellte Martin Papenbrock (Karlsruhe) den von Martin Heidegger beeinflussten Ansatz von Kurt Bauch zur Diskussion, demzufolge sich jedes einzelne Kunstwerk als eine Manifestation von Geschichtlichkeit darstellt. Papenbrock charakterisierte den wissenschaftlichen und institutionellen Beitrag von Bauch, der ab 1939 als Ordinarius fuer Kunstgeschichte in Freiburg wirkte, zu einer nationalsozialistischen Kunstgeschichte als weitgehend eigensinnig und unauffaellig. Diese ambivalente, im Kontext rechtskonservativer Theorien verankerte Position Bauchs, dokumentiert einerseits die implizite politische Anschlussfaehigkeit des kunsthistorischen Diskurses an die Hauptbestandteile der ideologischen Versatzstuecke des Nationalsozialismus und andererseits ihre ungebrochene Rezeption nach 1945, indem sie sich einer eindeutigen Zuordnung entzogen.

Papenbrock zeigte sich auch verantwortlich fuer den ersten Versuch einer datenbankgestuetzten "Dokumentation der Kunstgeschichte 1933-45" 4, welche Lehr- und Forschungstaetigkeit an den kunsthistorischen Instituten im Nationalsozialismus zusammenstellt. Diese Sammlung ist der grundsaetzlichen, im Verlauf der Tagung immer wieder thematisierten Notwendigkeit einer breiten, quellengestuetzten historiographischen Aufarbeitung der Fachgeschichte waehrend des Nationalsozialismus verpflichtet und darf als eine erste Form der Annaeherung an die Aufarbeitung der Kunstgeschichte, ihrer Institutionen und Forschungsschwerpunkte waehrend des Nationalsozialismus gewertet werden. Grundsaetzlich ist jedoch zu kritisieren, dass die Tagung Fragestellungen nach dem Universitaetsbetrieb, nach der Kontinuitaet und den Bruechen wissenschaftlichen Arbeitens jenseits der politischen Zaesuren ausgeklammerte. Zu diesem Aspekt sowie der Rekonstruktion von Forschungsschwerpunkten im Kontext der epochalen Fachdiskurse haette insbesondere die Auseinandersetzung mit der Instituts- und Wissenschaftspolitk der "grossen" kunsthistorischen Institute, wie Berlin, Bonn, Leipzig oder Muenchen beitragen koennen.

Nikola Doll, Kunsthistorisches Institut der Universitaet Bonn

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Anmerkungen:
0 Der Beitrag erscheint auch in der Zeitschrift des oesterreichischen Kunsthistorikerverbandes: Kunsthistoriker Aktuell, Jg. XIX, 4/2002.
1 Eine Ausnahme bilden die institutionsgeschichtlichen Untersuchungen von Heinrich Dilly und zu prominenten Einzelfiguren wie Wilhelm Pinder. Vgl. Heinrich Dilly, Deutsche Kunsthistoriker 1933 - 1945 ; Muenchen/Berlin 1988; Marlite Halbertsma, Wilhelm Pinder und die deutsche Kunstgeschichte, Worms 1992.
2 Vgl. Karen Michels, Transplantierte Kunstwissenschaft. Deutschsprachige Kunstgeschichte im amerikanischen Exil, Studien aus dem Warburg-Haus, Bd. 2, Berlin 1999; Ulrike Wendland, Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil. Leben und Werk der unter dem Nationalsozialismus verfolgten und vertriebenen Wissenschaftler, Muenchen 1999.
3 Vgl. insbesondere: Sabine Arend, Sandra Schaeff, Daniel Zeller, Kunstgeschichte 1933-1950, in: kritische berichte, 2/2002, S. 47-61.
4http://www.uni-karlsruhe.de/~Kunstgeschichte/homepage-kg/projekt/kg-ns/ind ex.html

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