Die Herausgabe der Korrespondenz von Daniel Ernst Jablonski. Probleme einer wissenschaftlichen Briefedition

Die Herausgabe der Korrespondenz von Daniel Ernst Jablonski. Probleme einer wissenschaftlichen Briefedition

Organisatoren
Prof. Dr. Joachim Bahlcke; Dr. Hartmut Rudolph; Jablonski-Forschungsstelle am Historischen Institut der Universität Stuttgart
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.03.2006 -
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Von
Samuel Feinauer, Stuttgart

Seit 2004 ist die von Prof. Dr. Joachim Bahlcke ins Leben gerufene Jablonski-Forschungsstelle am Historischen Institut der Universität Stuttgart angesiedelt. Eine der vorrangigen Aufgaben sieht die Forschungsstelle darin, den verstreuten Briefwechsel Daniel Ernst Jablonskis zu sammeln, elektronisch zu erfassen und kritisch zu edieren. Der Umfang des Briefwechsels wird derzeit auf etwa 5000 Briefe von und an Jablonski geschätzt, die auf Archive und Bibliotheken in ganz Europa verteilt sind. Mit der Edition einher gehen die Organisation von Tagungen zur Kultur- und Ideengeschichte der Frühen Neuzeit und die Sammlung thematisch einschlägiger Literatur zu und von Jablonski. Darüber hinaus entstehen universitäre Qualifikationsschriften zum engeren thematischen Umfeld.

Daniel Ernst Jablonski (1660-1741) erlebte als reformierter Hofprediger in Berlin drei verschiedene Brandenburg-Preußische Herrscher mit. Seine leitende Funktion in der Brüder-Unität, sein Einsatz für verfolgte Protestanten in Ungarn und Polen, sein nahezu ganz Europa erschließendes Netzwerk an protestantisch-reformierten Kontakten und seine Kirchenunionspläne machen ihn zu einem bedeutenden und interessanten Gelehrten seiner Zeit. Dennoch liegen von ihm bisher lediglich Predigten und einzelne Schriften gedruckt vor, während sein Briefwechsel zum größeren Teil bis zur Gegenwart unbekannt ist. Zusätzlich erschwert wird die Überlieferung dadurch, dass der Nachlass Jablonskis seit 1945 als verschollen gilt.

Unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr. Joachim Bahlcke und Dr. Hartmut Rudolph, dem Leiter der Leibniz-Editionsstelle Potsdam der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, fand am 10. März 2006 in den Räumen der Akademie in Berlin ein eintägiger Workshop zum Thema „Herausgabe der Korrespondenz von Daniel Ernst Jablonski. Probleme einer wissenschaftlichen Briefedition“ statt. Die Verbindung zur Leibniz-Edition drängt sich auf, da sich Jablonski und Leibniz nicht nur über Jahre angeregt über Kirchenunionsfragen austauschten, sondern auch im Jahr 1700 gemeinsam die Brandenburgische Societät der Wissenschaften – die Vorgängerin der heutigen Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften – gründeten, deren Präsident Jablonski von 1733-1741 war. Ziel des Workshops war es, offene Fragen zur Briefedition in der Anfangsphase des Unternehmens mit Fachleuten zu diskutieren. Als Teilnehmer waren deshalb Leiter und Mitarbeiter qualitativ und quantitativ ähnlicher Editionsvorhaben eingeladen, um anhand ihrer Erfahrungen Grundsätzliches zu organisatorischen und technischen, aber auch inhaltlichen Editionsfragen zu erörtern.

Für den Vormittag waren Einzelreferate vorgesehen, die am Nachmittag durch eine vorstrukturierte Diskussion fortgesetzt wurden. Mit der Begrüßung der Teilnehmer durch Gastgeber Dr. Johannes Thomassen (Berlin) begann der Workshop. Zunächst gab Bahlcke einen Einblick in die institutionelle und personelle Situation der Jablonski-Forschungsstelle und umriss den Stand der Edition. Im Anschluss stellte Dr. Alexander Schunka (Stuttgart) die geplante Arbeitsweise an der Edition vor, die von der Erfassung des Archivstücks in einer Datenbank und der Ablage der Kopien über die elektronische Transkription zur Buchpublikation führt. Die Verteilung der Briefe auf Europa hat einen deutlichen Schwerpunkt auf das Heilige Römische Reich, England und Ostmitteleuropa.

In den vier folgenden Referaten wurden vergleichbare Editionsprojekte vorgestellt. Dr. Nora Gädeke (Hannover) führte die Kriterien der Leibniz-Briefedition aus, die darüber entschieden, ob Stücke in die Briefedition aufgenommen würden. So würden auch über die Briefe hinaus beigelegte Schriften bei Relevanz aufgenommen, während nicht aufgenommene Stücke wenigstens im Apparat erwähnt seien, da die vollständige Überlieferung ohne Wertung Ziel sein müsse. Die Probleme der Spener-Edition bei der Auffindung der Briefe an den lutherischen Geistlichen führte letztlich zu einer Beschränkung auf Speners Briefe. Prof. Dr. Udo Sträter (Halle/Saale) und Dr. Veronika Albrecht-Birkner stellten als eine Schlüsselaufgabe der Edition die Rekonstruktion der Korrespondenzpartner der anonymisierten und undatierten, im 19. Jahrhundert gedruckten Spener-Briefe dar. Prof. Dr. Detlef Döring (Leipzig) erläuterte die Schwierigkeiten, Gottscheds eigene Briefe zu ermitteln, wodurch diese Briefedition nur auf die Briefe an Gottsched zurückgreifen kann. Geographisch verteilen sich die Absender hauptsächlich auf das Alte Reich und Preußen, abgefasst sind die Briefe in den Sprachen Deutsch, Latein, Französisch, Englisch und Italienisch. Im letzten Vormittagsreferat stellte Dr. Monika Meier (Potsdam) die Jean-Paul-Briefedition vor. Durch die umfangreichen Vorarbeiten Eduard Berends in den 1920er Jahren und dessen historisch-kritische Ausgabe der Briefe Jean Pauls kann sich die Arbeit nun auf die etwa 2200 Briefe beschränken, die an Jean Paul adressiert waren und größtenteils bisher unbekannt sind.

Am Nachmittag folgte eine Diskussion systematischer Aspekte sowie zentraler Themenkreise einer Edition. Zunächst ging es um Fragen des Auffindens von Material. Hier sprachen sich mehrere Teilnehmer für das Verfahren der flächendeckenden Archivanfrage aus, da im Blick auf die zugänglichen Archivinformationen und Vorort-Recherchen immer auch mit Enttäuschungen gerechnet werde müsse. Bisher unbekannte Stücke zu Jablonski könnten möglicherweise mit dem wachsenden Bekanntheitsgrad seiner Person auch auf Auktionen zu finden sein. Fragen zur Abgrenzung des zu edierenden Corpus haben zentrale Bedeutung bei der Konzeption einer Edition. Zu der Verfahrensweise mit Briefbeilagen, Amtsschrifttum oder gar Notizzetteln gab es verschiedene Ansichten: Sowohl der konsequente Ausschluss von der Edition als auch die pragmatische Relevanzentscheidung von Fall zu Fall wurden als Positionen vertreten. Einigkeit herrschte in der Schwierigkeit, diese Frage eindeutig zu beantworten, ohne der Edition in ihrem Nutzen Abbruch zu tun. Lägen Stücke allerdings bereits gedruckt vor, so sei anhand der Zugänglichkeit dieses gedruckten Werks über die Aufnahme der Stücke zu entscheiden. Die formalen Editionskriterien sollten nicht dazu führen, dass sich Edition und Kommentar auf bestimmte Leserkreise fixieren, da die Nutzbarkeit für Wissenschaftler verschiedener Disziplinen durch eine möglichst offene Wiedergabe des Textes gewährleistet sein müsse. Darüber hinaus wurden Lesbarkeit des Textes, Benutzerfreundlichkeit und der stets sichtbare Eingriff des Editors im Kommentar als entscheidende Kriterien genannt. Verschiedene Ansichten gab es in der Frage, ob jedem Stück ein Regest vorangestellt werden sollte, ob das nur bei fremdsprachlichen Texten notwendig sei oder aber aus Gründen der Ökonomie ganz wegfallen müsse. Der Benutzerfreundlichkeit von Regesten – insbesondere für nicht-muttersprachliche Stücke – ist der nicht zu unterschätzende Zeitaufwand entgegenzuhalten, den ein gutes Regest erfordert. Ohnehin sei es für die Jablonski-Briefedition wünschenswert, insbesondere bei Briefen in slawischen Sprachen, Fachleute der jeweiligen Sprache hinzuzuziehen.

Umfang und inhaltliche Ausrichtung des Kommentars werde wohl von den bedeutsamen theologischen Aspekten des Briefwechsels dominiert, wobei die Fixierung des Kommentars auf eine konkrete Zielgruppe vermieden werden soll. Rudolph nannte Personen und Anspielungen auf Schriften als einer Kommentierung bedürftig, auch der Verweis auf eine vermutlich verwendete Buchausgabe des damaligen Benutzers könne gegeben werden. Döring hingegen befürwortete eine Angabe von dem Nutzer zugänglichen Ausgaben im Kommentar anstelle der vermeintlich damals verwendeten Ausgabe. Zur Frage nach der Einführung von Personen und der Erstellung von Biogrammen schlug Döring vor, die in einschlägigen biografischen Lexika erfassten Personen lediglich mit Geburts- und Todesdatum zu versehen. Die Nennung von Forschungsliteratur im Kommentar wurde diskutiert und keineswegs einhellig befürwortet, da, so der Einwand, auf lange Sicht die Edition durch den Fortschritt der Forschung und das Veralten der Literaturangaben an Aktualität verlieren werde. Thomassen betonte zur Frage des technischen Ablaufs, dass die Dateneingabe gleichzeitig möglichst viele Ausgabeoptionen bieten sollte, zum Beispiel eine Onlineversion parallel zu einer gedruckten Version. Daran schloss sich die Frage der Publikationsform an. Die Online-Vorabveröffentlichungen böten heute eine große Chance, die Forschung direkt in die noch im Entstehen begriffene Edition mit einzubeziehen. Abschließend wurden sowohl institutionelle und finanzielle Rahmenbedingungen als auch die zeitlichen Abläufe eines Vorhabens wie die Jablonski-Briefedition diskutiert. So wurde auch die Frage erörtert, welche Periode des Briefwechsels für die ersten Bände in Frage käme. Sträter führte hier als Beispiel die Spener-Edition an, bei der mit der Frankfurter Zeit begonnen wurde. Die Überlegung, zum Beispiel mit den Briefkonzeptbüchern des Berliner Francke-Nachlasses eine gut überlieferte und zugleich bedeutsame Periode der Korrespondenz für den ersten Band zu wählen, fand Unterstützung. Die Einblicke in die Praxis anderer Editionsprojekte zeigten, dass verschiedene Wege gangbar sind, daß aber Entscheidungen vor allem im Hinblick auf das zu bearbeitende Quellencorpus getroffen werden müssen, um den jeweiligen Eigenheiten gerecht werden zu können.

Durch den eingehenden Erfahrungsaustausch mit Wissenschaftlern anderer Editionsprojekte verliefen die Diskussionen Gewinn bringend und konnten so wichtige Impulse für die konkrete Umsetzung der Stuttgarter Edition liefern.


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