XIV. Sonnenstein-Symposium: Eliteschulen als Instrumente der Machtsicherung in der Zeit des Nationalsozialismus

XIV. Sonnenstein-Symposium: Eliteschulen als Instrumente der Machtsicherung in der Zeit des Nationalsozialismus

Organisatoren
Sächsiche Landeszentrale für politische Bildung; Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischen Gewaltherrschaft; Kuratorium Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein e.V.
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.10.2006 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Hagen Markwardt

Zum ersten mal in seiner 14-jährigen Geschichte fand das, traditionell von der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, der Sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung, dem Kuratorium Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein und erstmals auch dem Institut für Geschichte der TU Dresden veranstaltete, Sonnenstein-Symposium nicht am historischen Ort Pirna-Sonnenstein statt. Das Schulmuseum Dresden bot in diesem Jahr den sechs Referenten und zahlreichen Gästen Platz, um sich mit einer weitgehend unbehandelten Thematik des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Eliteschulen als Instrumente der Machtsicherung in der Zeit des Nationalsozialismus, lautete der Titel des Symposiums. Anstoß dafür war die Untersuchung der Geschichte der Adolf-Hitler-Schule Sachsen, die sich zwischen 1941 und 1945 in Pirna befand. Schnell wurde deutlich, dass eine Reduktion auf die regionalhistorische Betrachtung der Schule nicht ausreichen würde, und dass das Phänomen der Elitebildung im Nationalsozialismus einer eingehenderen Untersuchung bedurfte. Die Organisatoren der Veranstaltung entschieden sich daher dafür drei allgemeinen Beiträgen zur Pädagogik und Elitebildung im Nationalsozialismus drei Untersuchungen konkreter Schulorte zur Seite zu stellen.

Den Auftakt gestaltete Uwe Sandfuchs (Dresden) der in seinem Referat die allgemeinen Grundzüge der nationalsozialistischen Erziehungspolitik darstellte. Er widerlegte die These, die Nationalsozialisten hätten von Beginn an, einen zielstrebigen und reichseinheitlichen Umbau des vorhandenen staatlichen Schulwesens vorangetrieben. Viel mehr unterstellte er ihnen eine weitgehende Konzeptlosigkeit in ihrer Schulpolitik, die auch starke regionale Divergenzen einschloss. Es gab keine konkrete Planung dafür, wie die Entwicklung reichseinheitlich vorangetrieben werden sollte. So gelang es dem Reichserziehungministerium, unter der Leitung von Reichsminister Bernhard Rust, erst 1940 die Lehrpläne aus der Weimarer Zeit zu ersetzen. Durch diese anhaltenden Verzögerungen, fühlten sich einige Beamte auf Länder/Gauebene dazu genötigt, durch Eigeninitiative neue Lehrpläne zu entwicklen. Der Kriegsausbruch 1939 beendete die Fortführung einer regulären und planvollen Schulpolitik. Der totale Krieg bedeutete, dass der Schulbetrieb immer weiter eingeschränkt werden musste. Neben Lehrermangel, Stundenausfall durch Fliegeralarm und Zerstörungen hatten viele Schüler bereits militärische Funktionen wahrzunehmen.

Es folgte Gisela Miller-Kipp (Düsseldorf) mit ihrem Vortrag zum Thema: Elitebildung im „Dritten Reich“. Institution, Behauptung und Wirkung. Sie erörterte die Frage in wie weit Anspruch und Wirklichkeit im Bereich der nationalsozialistischen Eliteschulen miteinander korrespondierten. Dazu stellte sie zunächst kurz die verschiedenen Konzepte vor, welche sich seit 1933 mit der Einrichtung von Eliteschulen befassten. Sie verdeutlichte den institutionellen Pluralismus, der auch für viele andere Bereiche der NS-Herrschaft kennzeichnend war. Auch nichtstaatliche Institutionen versuchten das Themenfeld der Elitebildung zu besetzen, ein weiteres Indiz für die relative Schwäche des Reichserziehungsministeriums. Zwar gelang es Rust mit den Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (NPEA) die zahlenmäßig größten Eliteschulen zu gründen, dennoch standen diese seit 1936 unter dem zunehmenden Einfluss der SS. Auch andere Einrichtungen, wie die Adolf-Hitler-Schulen(AHS), unter der Führung des Reichsorganisationsleiters und Chefs der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Robert Ley, später der HJ, und die Reichsschule der NSDAP in Feldafing, gelang es, sich erfolgreich gegen eine Einflussnahme durch Rust zu wehren. Miller-Kipp wies darauf hin, dass im „Dritten Reich“ nie explizit von Eliteschulen gesprochen worden war. Es handelt sich dabei um ein Etikett der zeithistorischen Forschung. Trotzdem betonten die Schulen gezielt den elitären Charakter ihrer Einrichtungen. Besondere Bedeutung kam in diesem Zusammenhang dem scheinbar leistungsorientierten Ausleseprozess für die Schulen zu. Er suggerierte das Bild einer strengen Auswahl der Schüler, die nur die Besten unter ihnen bestehen konnten. Die Kriterien entzogen sich aber weitgehend einer objektiven Beurteilung. Charakterliche Fähigkeiten wie Mut, Führungsgeist und Gehorsam ließen sich nicht eruieren. Die Referentin verdeutlichte außerdem, dass intellektuelle Fähigkeiten der Kandidaten nur im geringen Maße Einfluss auf die Entscheidung hatten. Ein weiteres wichtiges Element, besonders um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu steigern, war die Suggerierung des Eindruckes es handle sich bei den Schulen um Institutionen die allen Bevölkerungsschichten offen standen. Der Anspruch der Ausleseschulen eine qualitativ hochwertige Bildung zu vermitteln konnte zu keinem Zeitpunkt umgesetzt werden. Gerade in der Anfangsphase bestanden keine schlüssigen Konzepte darüber wie Wissen und Fähigkeiten vermittelt werden sollten. Die AHS entwickelten erst im Laufe des ersten Schuljahres einen Lehrplan, der aber nicht mehr umgesetzt werden konnte. Der zweite Weltkrieg führte auch hier zu einer Reduzierung des Lehrbetriebes auf ein absolutes Minimum. Zum Abschluss ging Miller-Kipp auf die Wirkungsgeschichte der Ausleseschulen ein. Sie betonte, dass der Anspruch der Schulen als Ort der Elitebildung von weiten Bevölkerungsteilen, vor allem den ehemaligen Schülern selbst, als historische Realität empfunden wurde. Dies führte sie auf die gelungene Selbstinszenierung der Schulen zurück, deren reale Bedeutung nicht ausreichend hinterfragt wurde.

Die folgenden drei Vorträge untersuchten einzelne Ausleseschulen in Sachsen. Zuerst stellte Ina Schaller (Plauen) ihre Forschungen zur geplanten Einrichtung der Adolf-Hitler-Schule Sachsen in Plauen-Schneckengrün vor. Sie konzentrierte sich vor allem auf die bürokratische Auseinandersetzung, die damit im Zusammenhang stand. Nachdem Robert Ley im Januar 1937 die Einrichtung von zunächst sieben Adolf-Hitler-Schulen verkündet hatte, bemühte sich der sächsische Gauleiter Martin Mutschmann, auch eine AHS für den Gau Sachsen einzurichten, was bis dahin nicht dafür vorgesehen war. Gleichzeitig bemühte sich der Bürgereister von Plauen Kurt Gruber, seine Stadt als sächsischen Standort zu etablieren. Er verwies dabei auf Plauen als Entstehungsort der Hitlerjugend. Schließlich wurde beschlossen, in Schneckengrün bei Plauen eine Adolf-Hitler-Schule zu errichten. Im Rahmen der reichsweiten Grundsteinlegung der AHS am 15. Januar 1938 wurde auch dort eine feierliche Zeremonie veranstaltet. Allerdings befand sich zum Zeitpunkt der Feier das Gelände noch nicht im Besitz der DAF. Bis 1945 hielt der bürokratische Streit um die Besitzrechte an, obwohl keine realistische Chance mehr bestand in Plauen überhaupt den Bau abzuschließen. Schaller verdeutlichte anschließend an Hand der noch vorhandenen Planungsunterlagen die architektonische Konzeption der Schule. Schneckengrün wurde als weithin sichtbare Landmarke entworfen. Eine große Freitreppe, neben denen die Lehr- und Wohngebäude gruppiert wurden, führte zu zwei monumentalen Türmen die auf extrem großen Distanzen erkennbar sein sollten. Auch hier, wie in den anderen geplanten AHS, sollte die Vermittlung eines Eliteanspruches nicht zuletzt durch Inszenierung und Ästhetisierung erreicht werden. Die Grundsteinlegung 1938 blieb bis zuletzt ein symbolischer Akt, die Realisierung der gewaltigen Baupläne blieb aus.

Anschließend sprach Maria Fiebrandt (Dresden) über die Ausweichlösung Pirna. Sie führte aus, dass die übereilte Gründung der AHS 1937 nicht auf adäquate strukturelle Planung traf. Auch die Fertigstellung der Schulneubauten war auf Grund der Kriegsbedingungen in weite Ferne gerückt. Seit 1939 zeichnete sich ab, dass die Unterbringung aller Schüler am Standort Sonthofen nicht mehr haltbar war. 1941 kam es in Pirna zur Einrichtung der AHS Sachsen als Übergangslösung. Dazu wurden zahlreiche Gebäude der 1939 aufgelösten Landesheil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein genutzt. Da die Vorbereitungen nicht rechtzeitig abgeschlossen werden konnten, wurden die Schüler selbst zu den Umbaumaßnahmen herangezogen. Fiebrandt thematisierte die Frage, ob der Anspruch der Schule Teil einer aufstiegsoffenen egalitären Volksgemeinschaft zu sein, bei der Rekrutierung der Schüler für die AHS in Pirna zutraf. Hierzu untersuchte sie die soziale Struktur der Schüler des Jahrganges 1937 und 1938. Sie kam zu dem Ergebnis, dass Kinder von einkommensschwachen Eltern immer noch unterrepräsentiert waren, und somit der selbstgestellte Anspruch, allen Schichten einen Zugang zu den Schulen zu bieten nur teilweise erfüllt werden konnte. Die selektive „Auslese“ der Schüler diente der Konstruktion eines elitären Bewusstseins. Fiebrandt verstand dabei, den Elitebegriff nicht als Bildungselite. Dieser Anspruch scheiterte schon bei der Erstellung der Lehrpläne und zog sich bei der Auswahl der Pädagogen fort, die im zunehmenden Maße von den Restriktionen des Krieges bestimmt wurde. Um den Lehrbetrieb gewährleisten zu können, wurde vom Ziel, besonders ideologisch überzeugte, junge Lehrer einzusetzen, abgesehen. Dennoch wurden die Schüler noch vor dem Abschluss ihrer Schulausbildung als Multiplikatoren der nationalsozialistischen Ideologie, etwa als Lagermannschaftsführer während der Kinderlandverschickung, eingesetzt. Die Intention, eben nicht eine Bildungselite, sondern eine Funktionselite auszubilden, konnte somit zum Teil noch vor dem Kriegsende verwirklicht werden.

Nach den beiden Vorträgen zu den AHS, stellte Hanka Blesse (Chemnitz) die Entwicklung der Nationalpolitischen Erziehungsanstalt (NPEA) in Dresden-Klotzsche vor. Sie konzentrierte sich dabei vor allem auf Funktion und Einfluss der Schulleiter. 1934 wurde die Landeserziehungsanstalt Dresden-Klotzsch in die NPEA „Rudolf-Schröter-Schule“ umgewandelt. Die Leitung übernahm zunächst der Ministerialrat Dr. Walther Kleint. Dieser war seit 1925 Mitglied der NSDAP und setzte im Zuge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums das Ausscheiden vieler Lehrer durch. Auch die Auslese der Schüler wurde zunehmend verschärft. Insbesondere unter dem Nachfolger Kleints, Dr. Herbert Barth, wurde die politische Überzeugung ausschlaggebend für die Aufnahme. Während Kleint einen väterlichen Umgang mit den Schülern pflegte, setzte Barth eine Militarisierung des Schulalltags durch. Die NPEA Klotzsche sollte in der öffentlichen Wahrnehmung als eine Mustereinrichtung gelten. Dazu suchte er die Zusammenarbeit mit der Dresdner NSDAP sowie HJ, ebenso wie öffentlichkeitswirksame Auftritte. Die NPEA Klotzsche sollte als ein Symbol der neuen Erziehung auftreten.

Harald Scholtz (Berlin) ging im abschließenden Referat auf die Konzeption der Ordensburgen von Robert Ley, deren öffentliche Inszenierung und tatsächlichen Ausbildungsbetrieb ein. Zunächst konstatierte er eine Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung der Ordensburgen, die zum Teil bis heute noch am Ideal Leys orientiert ist, und der tatsächlichen Umsetzung der Pläne bis 1945. Die Existenz gigantischer Bauwerke, verdeckt bis heute, dass die Ausbildung an den Ordensburgen nur rudimentär stattgefunden hat. Die ursprüngliche Planung sah drei Ausbildungsjahre, an jeweils drei verschiedenen Ordensburgen, Sonthofen, Vogelsang und Krössinsee vor. Obwohl ein jährlicher Standortwechsel vorgesehen war, absolvierten die Ordensjunker schließlich lediglich verkürzte Lehrgänge, welche zwischen sechs Monaten und einem Jahr dauerten. Doch selbst dafür existierte keine einheitliche Ausbildungsordnung. Bereits zum 1. September 1939 wurden die Lehrgänge endgültig eingestellt. Das Scheitern der Ordensburgen war wiederum mit dem Widerstand des Chef-Ideologen Hitlers, Alfred Rosenbergs, verbunden. Dieser verfolgte eine eigenständige Konzeption zur Einrichtung einer Hohen Schule, die er für die „besten“ Ordensjunker reservieren wollte. Am Beispiel des Völkischen Beobachters verdeutlichte Scholtz, die Formen der propagandistischen Darstellung, welche die Bedeutung der Ordensburgen dramatisch überhöhte. Ley versuchte sich als Beauftragten des Führers für die „Eliteausbildung“ zu stilisieren, konnte sich aber gegenüber dem Ämterpluralismus des „Dritten Reiches“ nicht behaupten.

Den Abschluss der Veranstaltung bildete eine Diskussionsrunde. Vor allem die anwesenden Zeitzeugen, nutzten diese Gelegenheit, individuelle Erfahrungen zu schildern. Sie wiesen darauf hin, dass die Zugehörigkeit zu einer NS-Ausleseschule kein zwingendes Zeugnis blinden ideologischen Gehorsams sein musste. Bemerkenswert war dabei, wie unterschiedlich ideologische Inhalte im Unterricht und Alltag wahrgenommen wurden. Die ehemaligen Schüler forderten eine differenziertere Auseinandersetzung ihrer Geschichte. Vor allem alltagsgeschichtliche Aspekte dürften vor dem funktionalen Erklärungsmuster der Schulen nicht in den Hintergrund treten. Dies scheint auch im Hinblick auf eine fundierte Einschätzung der Wirkungsgeschichte der Ausleseschulen unerlässlich.
Im Anschluss an das Symposium führte der Vorsitzende des Museumsfördervereins, Hartmut Voit (Dresden), interessierte Teilnehmer durch das im Frühjahr 2006 eröffnete Schulmuseum Dresden.

Das XIV. Sonnenstein-Symposium verdeutlichte die Bedeutung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Elitebildung im Nationalsozialismus. Im Vordergrund stand die Wirkung der Schulen, vor allem auf das Selbstverständnis der in ihnen ausgebildeten Schüler und der Wahrnehmung von außen, die wesentlich durch die gelungene Selbstdarstellung der Schulen determiniert wurde. Die Referenten konnten allerdings den tatsächlichen Erfolg der Schulen überzeugend relativieren. Ein Fehlen weiterer regionalhistorischer Untersuchungen zu einzelnen Schulstandorten erschwert zur Zeit eine genaue Verortung der Ausleseschulen im stark fragmentierten NS-Bildungssystem. Eine offene Frage bleibt, in wie weit die geplante Erziehung und Ausbildung zukünftiger Funktionsträger des NS-Regimes auf eine Perpetuierung des Politischen Systems über einen, vermeintlich gewonnen Rassekrieg hinaus, zur Transformation einer charismatischen zur rationalen Herrschaft hätte beitragen können.


Redaktion
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