„Kult – Mythos – Terror: NS-Orte in Bremen und Niedersachsen“

„Kult – Mythos – Terror: NS-Orte in Bremen und Niedersachsen“

Organisatoren
Landeszentrale für politische Bildung Bremen; Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten; die Museen der Stadt Delmenhorst; die Oldenburgische Landschaft; der Bremer Verein "Erinnern für die Zukunft e.V."
Ort
Bremen
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.10.2006 - 07.10.2006
Url der Konferenzwebsite
Von
Sabine Lueken, Gedenkkreis Wehnen e.V.

Wie soll man mit den nationalsozialistischen Kultstätten und „Ehrenmalen“ umgehen, die nach 1933 so zahlreich entstanden sind? Welche Rolle spielten sie bei der Formierung der Bevölkerung zur „Volksgemeinschaft“? Sind sie noch heute faszinierend? Wie ist das Verhältnis zwischen NS-Kult und NS-Terror zu beschreiben? Diesen Fragen widmete sich die dritte Tagung der Reihe „Kult-Mythos-Terror- NS-Orte in Bremen und Niedersachsen“ am 6. und 7. Oktober 2006 in Bremen. Die Tagung setzte eine Bestandsaufnahme fort, die 2001 in Delmenhorst ihren Anfang genommen hat und noch nicht abgeschlossen ist. Gerade in Nordwestdeutschland gab es eine Vielzahl von NS-Kultstätten, die allerdings zumeist von lokaler oder regionaler Bedeutung waren. Darüber hinaus gab es aber auch herausragende Stätten wie das Gelände der Reichserntedankfeste bei Hameln, die Festspielstätte Stedingsehre bei Delmenhorst sowie Orte des Terrors wie das KZ Esterwegen und andere Lager im Emsland oder die Baustelle des U-Boot-Bunkers „Valentin“ mit einer Vielzahl von Zwangsarbeiterlagern ringsum.

„Biederer Backstein“

Zunächst zeigte Gerhard Kaldewei, Leiter der Museen Delmenhorst, Kontinuitäten in den Werken von Fritz Höger auf. Der aus Schleswig-Holstein stammende Hamburger Architekt sei, so Kaldewei, konservativ und völkisch gesinnt gewesen. Von seinen Hochseefischer-Denkmälern in Bremerhaven bis zum Denkmal gegen den Krieg in Itzehoe ließe sich eine Linie ziehen. Höger war in den zwanziger Jahren durch den Entwurf des Hamburger Chilekontorhauses im Auftrag von Henry Sloman international bekannt geworden. 1931 war er in die NSDAP eingetreten und wurde Professor an der „Nordischen Kunsthochschule“ Bremen, deren Direktor der Worpsweder Maler Fritz Mackensen war. Die von Höger favorisierten Baumaterialien waren „biederer Backstein“ und Klinker, die er als „deutsch“, als „ehrlich und wahrhaftig“, als das norddeutsche Wesen verkörpernd ansah. 1936 wurde in Bremerhaven sein Busse-Ehrenmal zu Ehren des Begründers der industriellen Hochseefischerei eingeweiht. Das zweite Ehrenmal, für das Höger ebenfalls von den Nazis einen Auftrag erhielt, sollte ein gewaltiges Ehrenmal für auf See gebliebene Hochseefischer werden. Das Monument gegenüber der großen Schleuse zum Fischereihafen, das die „heldische Pflichterfüllung“ und den „Kampf mit den Urgewalten“, zeigen sollte, wurde allerdings niemals fertiggestellt. In Teilen verwandt sind das Bremer NS-Kriegerdenkmal auf der „Altmannshöhe“ und das Marinedenkmal in Laboe. Bei keinem der Bremerhavener oder Bremer Denkmäler weisen Erklärungstafeln auf den Entstehungszusammenhang hin.

„Reichsmusterdorf“

„Das ist ein Reichsmusterdorf – das ist ein Scheißmusterdorf“. Dieser Ausspruch wird dem „Gauleiter Weser-Ems“ Carl Röver zugeschrieben. Bei der Besichtigung des Dorfes Dötlingen im Oldenburger Land war er beim Aussteigen aus dem Auto in eine Pfütze getreten. Das führte zur Degradierung Dötlingens vom „Reichs“- zum „Gaumusterdorf“. Karsten Grashorn beleuchtete Aspekte der Geschichte des Ortes von 1932 bis 1945. Dabei betonte er vor allem die Umstände, unter denen Dötlingen zuvor im Vorfeld der Olympischen Spiele 1936 den – nie offiziellen – Status eines „Reichsmusterdorfs“ erlangte. Beispielsweise habe man dort einen großen Findling durch das Dorf einen Berg hinaufgeschleppt, um ihn am 22. Oktober 1933 zu einem Nazi-Denkmal mit Hakenkreuz zu „weihen“. Nach 1945 sollte der Stein gesprengt werden. Letztendlich wurde aber nur das darauf befindliche Hakenkreuz entfernt und der Stein auf die Seite gelegt. Aus dem Ort gibt es heute Anträge, den Stein wiederaufzurichten.

„Ahnenerbe“

Der Rolle der Archäologie bei der Vermittlung der ideologischen Botschaften des Nationalsozialismus ging Henning Hassmann vom Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege nach. Er zeigte „Kultorte der Prähistorie“ sowie Beispiele für propagandistisch äußerst geschickte Ideologievermittlung im Sinne des Goebbelschen Verständnis, dass Propaganda die Leute so überzeugen solle, dass sie nicht mehr loskommen vom Gesehenen, aber davon nichts merken. Beispiele dafür seien das Büchlein „5000 Jahre Deutschland: Germanisches Leben in 700 Bildern“ von Jörg Lechler und die Ausstellung „Lebendige Vorzeit“ des „Reichsbundes für deutsche Vorgeschichte“. Für diese wurde mit Sondermitteln der Organisation Todt extra nach Exponaten gesucht. Bestimmte Objekte zielten auf die Glorifizierung des Germanentums sowie auf die Rechtfertigung der Expansionspolitik der Nazis. Dazu zählten Musterkoffer mit Steinzeitgegenständen für die Schule, Sammelbilder von Erdal oder Schultafeln, die in fast jedem Klassenzimmer hingen. Die Harpstedter Rautöpfer, eine eisenzeitliche Kultur benannt nach ihren Keramikprodukten, wurde auf diesen Erdal-Bildchen z.B. beim Überqueren des Rheins gezeigt. Die damaligen Betrachter sollten es ihnen nachmachen – so Hassmann. Niedersachsen mit seinen Menschen, die „selbstbewusst und wortkarg ihren Weg gehen“, sich aber auch „willig in die Gemeinschaft fügen“, galt als „arisches Kernland". Archäologische Fundstellen dienten der Verbreitung der Ideologie vom Herrenmenschentum. Um die Bevölkerung von seiner Stärke und Größe zu überzeugen, gab es an diesen „Kraftorten“ gottesdienstartige Inszenierungen mit Rundfunkübertragungen, die HJ wurde zum „Ehrenschutz von Hünengräbern“ eingesetzt.
Ein Vertreter solcher Ideen war auch Hermann Wille. Er stellte eine direkte Verbindung von den Megalith-Gräbern über das norddeutsche Hallenhaus zu den Tempeln der Griechen und Römern her. Er hatte wiederum Einfluss auf den Reichsbauernführer Darré. Hitler lehnte diese Art von Germanenkult allerdings ab und orientierte sich eher direkt an Griechen und Römern. „Germanenkitsch“ galt als Verunglimpfung der echten Germanen. Renommierte Prähistoriker wie Jakob Friesen und Herbert Jankuhn, beide ausgewiesene Nationalsozialisten, ließen in Kleinkneten extra Grabungen durchführen, um Wille zu widerlegen. Darrés Einfluss („Der germanische Wehrbauer kämpft nur, wenn er angegriffen wird“) war spätestens 1936 beendet, als das „Ahnenerbe“ dem persönlichen Stab des „Rasse- und Siedlungshauptamt der SS“ unterstellt wurde.
Als der Braunschweiger Dom zur SS-Weihestätte umgebaut werden sollte, wollte man die Gräber von Heinrich dem Löwen und seiner Frau Mathilde umbetten. Die Graböffnung wurde in Anwesenheiten von Hitler, Himmler und Rosenberg vorgenommen. Die Nazigrößen wollten sich an diesem Kraftort laben. Für eine Expertise wurde extra Eugen Fischer vom Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Anthropologie aus Berlin hinzugezogen. Allerdings stellte er bei Heinrich dem Löwen eine erblich bedingte Missbildung der Hüften und eine Gehbehinderung fest. Um diesen Makel von Heinrich zu entfernen musste eine ganze Historikerphalanx aufgeboten werden: Er sei vom Pferd gefallen, daher stammten die Deformationen in seinem Skelett. Später stellte sich heraus, dass das vermeintliche Skelett Heinrichs das seiner Frau Mathilde war, und seine Gebeine sich in einem bis dorthin nicht beachteten Ledersack befunden hatten. Dass die Archäologie Argumentationshilfen für die Blut- und Boden-Ideologie geliefert hat und sich somit von den Nationalsozialisten instrumentalisieren ließ, stand für Hassmann außer Frage. Die Frage, ob diese Wissenschaftler die Nazi-Politik nicht auch selbst aktiv vorangetrieben haben, stellte er aber nicht. Er betonte hingegen, dass Goebbels´ moderne Marketingkonzepte, die die NS-Botschaften in die Vergangenheit projizierten, eine gewisse Nachhaltigkeit bis heute hätten.

Mythos und Kult

Wie entsteht ein Mythos? Die Untersuchung der Schlageter-Denkmäler sei prädestiniert zur Beantwortung dieser Frage, so Christian Fuhrmeister aus München. Schlageter war ein Freikorpskämpfer, der 1923 im Ruhrkampf den Abtransport von Kohle durch die Franzosen sabotiert hatte, anschließend von ihnen verhaftet und zum Tode verurteilt worden war. Gruppierungen aus dem rechten Spektrum widmeten Schlageter in ganz Deutschland über 100 Denkmäler, von Soltau (1923) über Hanskühnenburg im Harz bis Langeoog (1933/34). Sie bestehen großenteils bis heute und zwar ohne erläuternde Hinweise. Viele von ihnen wurden vom Jungdeutschen Orden errichtet, andere vom Stahlhelm. Fuhrmann, der ein Buch über die Material-Ikonographie von „Stahl – Klinker – Beton“ veröffentlicht hat, zeigte Fotos einer ganzen Anzahl von Schlageter-Denkmälern im damaligen und heutigen Zustand. Einige sind im Stil von Offiziersgräbern des Ersten Weltkriegs errichtet, andere haben nur ein Birkenkreuz. Fuhrmeister zeigte sehr anschaulich, wie ein Märtyrer entsteht und zur Ikone gemacht wird. 1933 war das Gedenken an Schlageter noch christlich geprägt, um völkische Jungdeutsche und ähnliche konservative Gruppen einzubinden. Bereits 1934 war diese Phase beendet. Spätestens mit Kriegsbeginn war Schlageter zu einer „Marke“ geworden. Fuhrmeister zeigte zur Illustration dieser These einen Schlageter-Kalender von 1943, auf dem das Porträt bereits zu einer entindividualisierten Kämpfermaske geworden war.

„Am Anfang war es wüst und leer in der Heide...“

Die Geschichte der Rezeption von Hermann Löns im Nationalsozialismus in Niedersachsen, die von Thomas Dupke (Essen) referiert wurde, ist ein weiteres Lehrstück darüber, wie ein Mythos entsteht. Hermann Löns, der Dichter des Kaiserreichs, war bereits seit 1922 eine Kultfigur. Dabei eignete er sich eigentlich gar nicht dazu, so Dupke. Er war Journalist, wurde auch - wegen seines dandyhaften Auftretens - der hannoversche „Prince of Wales“ genannt und hatte Ehe- sowie Alkoholprobleme. Dennoch gab es Löns-Schnaps, Löns-Kekse, Löns-Gartenmöbel, Löns-Filme, wie zum Beispiel „Grün ist die Heide“ (1932). Eines der literarischen Werke, das später Kult wurde, war „Der Wehrwolf“, ein aktionistischer Weltanschauungsroman, der im dreißigjährigen Krieg spielt. „Am Anfang war es wüst und leer in der Heide....“ so beginnt dieses Werk, das sich gegen die Moderne richtet. Völkische Kreise feierten Löns als Vaterlandsbewahrer, es gab eine „Wehrwolf-Gruppe“, die mit dem Stahlhelm und der Reichswehr kooperierte. Die Nationalsozialisten reklamierten ihn als einen der ihren. Löns war freiwilliger Kriegsteilnehmer im Ersten Weltkrieg. Mit 48 Jahren, nach nur zwei Monaten als aktiver Soldat, fiel er und wurde in einem Massengrab bei Le Havre beigesetzt. Am 9. Mai 1934 begannen die Aktivitäten, die in einer feierlichen Beisetzung der „Löns-Gebeine“ in einer Gedenkstätte kulminieren sollten. Kurz zuvor hatte ein französischer Bauer ein Skelett gefunden, bei dem es sich angeblich um das von Löns handeln sollte. Die Umbettung wurde beschlossen, der erste anvisierte Termin war der 20. Todestag von Löns. Dieser Termin wurde, wie viele spätere auch, verschoben. Es kam das Gerücht auf, Löns hätte eine jüdische Großmutter. Die feierliche Beisetzung mutierte nun zu einer Nacht und Nebel-Aktion und die Werke Löns´, im Eugen Diederichs Verlag in Jena erschienen, wurden jetzt als durchsetzt von „typisch jüdischer Erotik“ betrachtet. Nach dem Röhm-Putsch, dem „Sieg“ der Reichswehr über die SA, wurde die Beisetzung Löns´ dann zu einem rein militärischen Akt umgewidmet. Der Sarg, vorher heimlich in der Kapelle von Fallingbostel beigesetzt, wurde nach Walsrode überführt. Löns wurde rehabilitiert. Bis 1945 entstanden ca. 25 Löns-Gedächtnisorte, die meisten davon in Niedersachsen. Der „Wehrwolf“ fungierte als Namensgeber für die Nazi-Kampforganisationen am Ende des Krieges. Am Löns-Grab erfährt man heute von all dem nichts. Eine Ehrenwache der Bundeswehr bewachte hier bis in die 80er Jahre an Gedenktagen wahrscheinlich das Grab eines unbekannten Soldaten, in dem zudem dem Sarkophag mit den fraglichen Gebeinen eine Kupferhülle beigefügt war mit einer Urkunde unterschrieben von Hitler „im Gedenken an den heldenhaften Kämpfer Löns“.

„Reichswebschule“

Die Heteronomie von „modernen“ und „anti-modernen“ Entwicklungen des Nationalsozialismus zeigte sich auch am Beispiel der Reichswebschule in Bückeburg, die Mareike Berweger aus Kassel vorstellte. In dieser Schule, die bis Anfang der 1970er Jahre bestanden hat, wurden unter der Federführung von Hildegard von Rheden, einer Verfechterin völkischer und nationaler Konzepte von Bäuerlichkeit, junge Frauen zu Weberinnen ausgebildet oder angelernt. Dabei wurde an lokale Traditionen Bückeburgs angeknüpft. Dazu trat die Vermittlung der Nazi-Ideologie: Das „jüdische Ullsteinmuster“ bringe „die Halbweltmode aus Paris bis auf den Tisch der Dorfschneiderin“, das führe zur „Lösung vom bäuerlichen Kleid“, und in den städtischen Kaufhäusern „beschwatzen“ „gerissene jüdische Verkäuferinnen“ die Bauersfrau zum Kauf dieser Kleider in zudem schlechter Qualität. Abhilfe dagegen sollten die in Bückeburg ausgebildeten jungen Frauen schaffen, indem sie den alten Bäuerinnen traditionelle, bäuerliche Verfahren vermittelten, was letztlich aber scheiterte.

Nach dem ersten Tagungsabschnitt ließ sich der Schluss ziehen, dass Kult und Mythos auf der einen und „Modernität“ auf der anderen Seite keine Gegensätze sein müssen. Deren Gleichzeitigkeit und Verquickung scheint vielmehr ein Spezifikum des „Dritten Reiches“, z.B. in der Archäologie, wo Luftbilder und Pollenanalyse eingesetzt wurden. Für diese Erkenntnis lieferte die Tagung spannendes Anschauungsmaterial, das allerdings zuweilen auf der Ebene des Anekdotischen verblieb und eine Bewertung und Kontextualisierung vermissen ließ.

Orte des Terrors

Die mörderische Ergänzung der Kultorte, die für den Versuch der Formierung der „Volksgemeinschaft“ durch Legenden, Mythen und Unterhaltung stehen, waren die Orte des Terrors. Diese Orte dienten zunächst der Ausgrenzung der als nicht dazu gehörig Definierten. Im Krieg waren sie vor allem Orte, an denen Zwangsarbeit geleistet wurde. Auch Bunker gehörten dazu, da diese überwiegend von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen errichtet wurden. In Bremen gibt es relativ viele Bunker, 1944 waren es 131 Luftschutzbunker, die ca. 200.000 Leute aufnehmen konnten, das waren 2/3 der Bevölkerung. Wie konturieren diese Bunker den Erinnerungsraum der Stadt Bremen? fragte Inge Marszolek von der Universität Bremen. Nach 1945 wurde in Bremen der Mythos gepflegt, dass der Nationalsozialismus in dieser Stadt niemals richtig Fuß gefasst hätte, ein Mythos, an dem die Lokalhistoriker eifrig mitgestrickt und aufgrund dessen sich die Bremer mit der Aufarbeitung der Vergangenheit besonders schwer getan hätten. Nach 1945 sahen sie kein Problem darin, die Bunker weiter zu nutzen. Der Bunker zwischen Rathaus und Dom z.B. diente zunächst als Militäruntersuchungsgefängnis. Ab August 1945 wurden Bunker als billige Hotels genutzt und bis 1976 als Unterkunft für obdachlose Männer. Erst Mitte der 70er Jahre begann eine kritische Auseinandersetzung, initiiert durch Ernst Klee. Ab 1991 wurden dann Asylbewerber, v.a. aus Afrika, Kurdistan sowie Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien darin untergebracht. Ein Wettbewerb unter Künstlern zur Nutzung der Bunker und zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus führte zu heftiger Kritik in der jeweiligen Nachbarschaft. Die Anwohner wollten die Bilder von Krieg und Verfolgung nicht dauernd sehen. Marszolek sieht die Bunker in einer Reihe mit anderen Orten des „anderen“, mit Gefängnis, Psychiatrie, Armenhaus. Von ihnen ginge Abscheu, aber auch Faszination aus. An diesen Orten sei, so Marszolek, die Topografie nicht lesbar. Es seien Gedächtnisorte, die erst zum Sprechen gebracht werden müssten, Orte eines Kampfes um Erinnerung. Ihr Kontext sei nicht für immer gesichert. Damit thematisierte sie als einzige die Schwierigkeiten, die mit „Erinnerung“ und „Gedenken“ als kollektiver Aufgabe verbunden sind.

Das Schweigen der Räume

Zum Tagungsprogramm gehörte auch ein Besuch des U-Boot-Bunkers „Valentin“. Über den derzeitigen Stand der Führungskonzeptionen referierte einleitend Katharina Hoffmann vom „DenkOrt Bunker Valentin“. Sie erarbeitet zurzeit mit den ehrenamtlich tätigen Mitgliedern des Geschichtsvereins und den Zivilangestellten der Bundeswehr neue Konzepte für Führungen durch den Bunker und über das ehemalige Lagergelände. Auf dem militärischen Sperrgebiet einer Bundeswehrkaserne in Schwanewede – angrenzend an Bremen Farge – befindet sich der Verein „Dokumentations- und Gedenkstätte Geschichtslehrpfad Lagerstraße/U-Boot Bunker Valentin e.V.“, der in der Baracke 27 über das KZ-Außenlager Neuengamme in Bremen Farge und den U-Boot-Bunker „Valentin” informiert. Die Besucher werden dort durch das ehemalige Lagergelände, heute Truppenübungsplatz der Bundeswehr, geführt. Gerhard Scharnhorst, Mitglied des Geschichtsvereins, berichtete über die verschiedenen Lagerstandorte. Dazu zählt auch ein Rundbunker der Kriegsmarine, der als Tanklager gebaut worden war und zur Unterbringung von KZ-Häftlingen diente. Anschließend ging es in den Bunker„Valentin“, der eine morbide Faszination ausübt. Er wird heute zu 40% von der Bundeswehr als Marinedepot genutzt. Im Ruinenteil befindet sich eine stark verwitterte kleine Ausstellung über den Bunker, die von Schülern eines Bremer Gymnasiums zu Beginn der 1990er Jahre erstellt wurde.
Der Bunker, mit dessen Bau im Juli 1943 begonnen wurde, wurde bis Kriegsende nicht mehr fertig und die U-Boote des Typs 21, der „Wunderwaffe“ der Marine, die hier wie am Fließband aus einzelnen Bootssegmenten gebaut werden sollten, fertigte man dann auf traditionellen Wege in Bremer Werften. Beim Bunkerbau, der gewaltige Ausmaße aufweist, waren täglich bis zu 10.000 Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge unter mörderischen Bedingungen tätig. Rolf Keller von der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten erläuterte, dass zur Zeit ein Konzept erstellt wird, wie die „Erinnerungslandschaft“ Farge/Schwanewede, die den Bunker „Valentin“, die Öltanklager, die früheren Lagerstandorte und einen Friedhof umfasst, in einen „Denkort“ umgewandelt werden kann. Den Beginn soll dabei im Mai 2007 die Ausstellung „DenkOrt Bunker Valentin – Marinerüstung und Zwangsarbeit“ machen.

Der zweite Tag der Veranstaltung machte augenfällig, dass es neben dem Schweigen der Opfer und der Täter auch das Schweigen der Orte gibt. Es ist zu hoffen, dass die geplante „Erinnerungslandschaft“ Farge/Schwanewede die Topografie zum Sprechen bringt, indem die Menschen, die dort gelitten haben, aber auch die Täterseite angemessen dargestellt werden. Eine Auswahl der wichtigsten Referate aus den bisherigen Tagungen der Reihe „Kult – Mythos – Terror“ soll im nächsten Jahr veröffentlicht werden.


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