Mehrsprachigkeit in der Renaissance

Mehrsprachigkeit in der Renaissance

Organisatoren
Institut für Romanische Philologie der Freien Universität Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.11.2002 - 09.11.2002
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Von
Eva Erdmann, Universität Erfurt

Es war eine vorbildliche Weise, auf die sich das Symposium „Mehrsprachigkeit in der Renaissance“ ihrem Thema näherte: Das Symposium, das vom 7. bis 9. November im Blauen Salon des Henry-Ford-Baus an der FU Berlin stattfand, tagte in mehreren Sprachen. Vorträge in deutscher, französischer und italienischer Sprache wechselten sich ab, auch das Diskutieren der Beiträge wurde vor allem dadurch produktiv, dass die jeweilige Fremdsprache passiv – zuhörend – gegenseitig verstanden wurde, ohne aktiv – sprechend – zum Hindernis des Dialogs zu werden. Ist das 21. Jahrhundert wieder bei dem Ideal der Mehrsprachigkeit des 16. Jahrhunderts angekommen, das die Tagung in den Blick zu nehmen sich vornahm? Sicher nicht, leider nein. Das Ergebnis der Tagung machte allzudeutlich, dass die Situation der Mehrsprachigkeit der Renaissance sich von der aktuellen Situation und Debatte um mögliche – überschätze oder unterschätzte – Werte mehrsprachiger Kulturen erheblich unterscheidet.

Wurde die Tagung ihrem Gegenstand in sprachpragmatischer Hinsicht von Anbeginn gerecht, so wurde dahingegen im Verlauf des Symposions die zeitliche Kluft stets von Neuem deutlich, die uns vom historischen Gegenstand trennt. Die Formen der Mehrsprachigkeit der Renaissance haben mit der Sprachenvielfalt in multikulturellen Zeiten wenig gemeinsam. Das beginnt mit der Geltung einzelner Sprachen: es versteht sich von selbst, dass das Italienische im Kontext der Renaissance-Forschung einen herausragenden Stellenwert hat. Die Kompetenz des Italienischen am Beginn des 21. Jahrhunderts dagegen versteht sich auf mitteleuropäischen Tagungen keineswegs von selbst, sondern sie ist höchstens für einige romanistische Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen noch gang und gäbe. Die Veranstalterinnen der Tagung, Christiane Maass (Hannover) und Annett Volmer (FU Berlin), kommen aus der sprachwissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen Romanistik, sie hatten mit der Tagung aber auch ein interdisziplinäres Forschungsinteresse im Sinn und so versammelte das Programm neben den romanistischen anglistische und germanistische Beiträge, es wurden historisch-geschichtswissenschaftliche und ethnographische Zugänge aufgezeigt, die Methoden der gender studies, der Autobiographie-Forschung oder der linguistisch-empirischen Erhebung passierten noch einmal Revue. Allein die Vielfalt der Aspekte einer kritisch betrachteten, mehrsprachigen Renaissance zeigt die große Breite ihrer Bedeutung auf, hinter der Diskussionen, etwa um die zu fördernde Zweisprachigkeit zum Zwecke einer wünschenswerten Kulturvermittlung erblassen. Und doch gönnte die Beschäftigung mit der faktischen Mehrsprachigkeit einer schmalen und privilegierten Bevölkerungsschicht des 15. und 16. Jahrhunderts den Teilnehmern keinen Blick ins multikulturelle Paradies. Die Mehrsprachigkeit der Renaissance ging weniger aus einem kulturellen Pluralismus hervor als sie sich vielmehr aus der hegemonialen Stellung des Lateinischen speiste. Das Latein war als Bildungs- und Gelehrtensprache selbstverständlich, um sich allerdings verständlich zu machen, war die Kenntnis weiterer Sprachen notwendig.

Der einleitende Festvortrag mit dem Titel „Latino-Volgare-Greco. Plurilinguismo e storia letteraria nell’umanesimo” wurde von Gabriella Albanese und Letizia Leoncini gehalten und untersuchte von zwei Seiten betrachtend sowohl die theoretisch formulierten Ansprüche des humanistischen Mehrsprachigkeitsideals, die unter anderem auf Leonardo Bruni zurückgehen, als auch die mehrsprachige Praxis humanistischer Dichter, zum Beispiel Dante, dessen poetische Praxis sich linguistisch stark am Mittelalter orientierte. Die geforderte Gleichstellung des Griechischen, Lateinischen und des Dialekts wurde nicht von allen humanistischen Dichtungen eingelöst.
Der Begriff der Mehrsprachigkeit wurde von Sandra Pott in ihrem Beitrag „Mehrsprachigkeit in der poetologischen Lyrik des Humanismus“ einer ersten kritischen Betrachtung unterzogen und wurde für die linguistische Situation auf dem Territorium des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation nicht akzeptiert. Präziser träfe vielmehr der Begriff der Zweisprachigkeit zu, der sich durch den Gebrauch des Lateinischen und Volkssprache ergibt und der auch die Lyrik prägte.
Dagegen zeigte Ursula Kocher an einsprachigen Texten und Novellen – den Decameron-Novellen Boccaccios – inwiefern diese durch intertextuelle Mechanismen auf eine latente Mehrsprachigkeit verweisen. („Sprache und Erzählen. Zum Verhältnis von lateinischer und volkssprachlicher Renaissancenovellistik“). So setzte sich in der volkssprachlichen Novellen-Dichtung durch implizite Bezüge die lateinische Tradition der Novellen-Dichtung unmittelbar fort.
Eine ergiebige Quelle für mehrsprachige Texte zeigte Gabriele Jancke in einem Korpus autobiographischer Schriften, aus dem auch die Funktionalität der Wahl von Sprachen hervorgeht. Ihr Beitrag „Beziehungen zum Publikum gestalten – Landessprachen und Gelehrtensprachen in autobiographischen Schriften des deutschsprachigen Raums“ hob die Verbindung einer benutzten Sprache zu dem sozialen Kontext einer Handlung hervor.
Der Konfrontation mit Fremdsprachen ist auf Reisen oft nicht auszuweichen.
Elke Waiblinger stellte in ihrem Beitrag „Tante novità – Vom Begreifen und Beschreiben fremder Wirklichkeit. Aus italienischen Reiseberichten des 16. Jahrhunderts“ Briefe von Kaufleuten und Reisenden vor, die auch über die Romania hinaus unterwegs waren und dort unterschiedliche Erfahrungen der Befremdung durch Sprache oder der sprachlichen Assimilation gemacht haben. Die Diskussion befasste sich mit der Frage, wie zwingend die Notwendigkeit gewesen sein mag, für Reisen fremde Sprachen zu erlernen.
Axel Heinemann erinnerte in seinem Beitrag zur französischen Lexikographie („Les dictionnaires plurilingues en tant qu’expression du multilinguisme renaissant“) an die Tradition mehrsprachiger Wörterbücher des 15. und 16. Jahrhunderts, die in drei oder vier Spalten verschiedene Sprachen nebeneinander auflisteten, oft ohne jede Erklärung der Lexik. Wenn im Verlauf des 16. Jahrhunderts die Verbreitung dieser „Wörterbücher“ oder Wortlisten rückläufig war, so konnten mehrere Gründe dafür gefunden werden: die zunehmende Ausbreitung des Französischen spielte hierfür eine Rolle, was statistisch durch eine stark zunehmende Bevölkerung und Sprecherzahl in Frankreich belegt ist, und die Italophilie der Franzosen ebbt ab, sie verliert sich auch lexikographisch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Hinzu kam, dass auch Wissenschaftler wie Du Bellay beginnen, in Ihren Schriften das Französische anstatt das Lateinische zu benutzen.
Fabrizio Franceschini zeigte aus linguistischer Sicht und anhand von Sprachatlanten den wirkungsvollen Effekt, den eine lateinische Grammatik auf das italienische volgare ausübte („I volgari italiani nella tradizione manoscritta delle ‚Regule grammaticales‘ di Francesco da Buti“). Der Verbreitung von da Butis lateinischem Grammatikwerk (Regule grammaticales, 1370) ist es zu verdanken, die italienische Dialektsituation der Zeit einschätzen zu können. Die Übersetzungen benutzter Wortbeispiele, die da Buti für das Pisanische selbst übernahm, wurden von weiteren Kopisten für andere Regionen mit den süditalienischen, florentinischen oder sizilianischen Entsprechungen vorgenommen und weitergetragen. Die linguistische Dokumentation der italienischen Dialektsituation des frühen 15. Jahrhunderts gelingt durch die gemeinsame lateinische Quelle.
In dem literaturwissenschaftlichen Beitrag von Sabine Greiner ging es um „Die Funktionalität des Dialekts bei Ruzante“, dessen Gesamtwerk seit 1967 in einer zweisprachigen Ausgabe vorliegt, die das Italienische und den Dialekt wiedergibt. Die Zuweisung dialektaler Elemente wie des Paduanischen, des Bergamaskischen oder des moscheto zu Traditionslinien des Theaters wie der Farce, den opere maccheroniche oder gelehrten Komödien verweist die spezifische Sprachverwendung in den Gattungszusammenhang.
Dass das Mehrsprachigkeitsideal der Renaissance zwar viele Sprachen integriert haben mochte, Frauen aber ausschloss zeigte der Beitrag von Susanne Gramatzki „Die andere Stimme. Frauen und das Mehrsprachigkeitsideal der Renaissance“. Statt einer koexistierenden und genderüberschreitenden Mehrsprachigkeit zog sie eine klare Trennlinie zwischen den Bereichen des weiblich praktizierten volgare (der Muttersprache) und dem männlich praktizierten Latein (der Vatersprache). Die beiden Sprachdomänen bildeten die Geschlechterhierarchien ab und seien, vom volgare zum Latein, kaum durchlässig gewesen.
Der Beitrag „Pluralität und Kodifizierung der Diskurse in petrarkistischen Dichtungen und neoplatonischen Traktaten des 16. Jahrhunderts“ von Irmgard Osols-Wehden zeigte eine Mehrstimmigkeit in Dichtungen von Autorinnen, die mit dem petrarkistischen Diskurs experimentierten, ohne ihn zu verlassen.
Annett Volmer untersuchte ebenso den Umgang weiblicher Autoren mit dem Latein („ ‘... se non mi giovasse il volgare, mi servirei del latino ...’. Sprache als Reflexionsgegenstand in Texten italienischer Renaissanceautorinnen vom 15. Bis zum 17. Jahrhundert“). Als wichtiger Grund für den Ausschluss der Frauen aus dem Gelehrtenleben wurden oft mangelnde oder fehlende Lateinkenntnisse genannt. Erst durch die Akzeptanz des volgare als Schriftsprache verbesserte sich die Situation der Autorinnen. Selbst wenn Lateinkenntnisse vorhanden waren, blieb den gelehrten Frauen der Zugang zum Publikationswesen versperrt.
Christoph Hochs Thema: „Literarische Mehrsprachigkeit als Kanonreflexion. Zum Funktionswandel von Prätextreferenzen zwischen Renaissance-Petrarkismus und polyglotter Barockdichtung“ holte das Mehrsprachigkeitsideal von der Höhe des „lebendigen Bewußtseins von einer einheitlichen Romania“ (Curtius) herunter auf den Boden der Zitationsrhetorik, die von Autoren wie Lope de Vega gepflegt wurde. De Vega wurde als Kronzeuge eines literarischen plurilinguismo dargestellt, seine Sonette waren aus verschiedensprachigen Zitaten collagiert. Hoch zeigte zwei unterschiedliche Sprachmischungsverfahren auf: das horizontale, das verschiedene romanische Sprachen mischt, und das vertikale, das eine romanische Sprache mit dem Latein mischt.
In einem genauen Blick auf Übersetzungen dreier englischer Dramen ins Deutsche zeigte Ralf Haekel den Verlust von Mehrsprachigkeit, der mit dem Sprachtransfer verbunden ist. („Übersetzung als Aneignung dramatischer und theatralischer Formen“). Der Übersetzer des Dramas Lingua von Thomas Tomkis, Johannes Rhenanus, betont die dramatische und theatralische Umsetzung des Stückes, in der die Sprache selbst ein Fremdkörper sei.

Das Mehrsprachigkeitsideal der Renaissance wurde durch die interdiziplinäre Breite der Beiträge und durch die ausführlichen Diskussionen auf seine sozio-historischen Bedingungen hin befragt, seine linguistische Integrationsleistung wie die geschlechtsspezifischen Exklusionsmechanismen wurden verdeutlicht und schließlich wurde die Diskrepanz poetologischer Visionen und poetischer Praktiken mehrsprachiger Literaturen und Dichtungen rekapituliert.


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