Räume des Subjekts um 1800. Zur imaginativen Selbstverortung des Individuums zwischen Spätaufklärung und Romantik

Räume des Subjekts um 1800. Zur imaginativen Selbstverortung des Individuums zwischen Spätaufklärung und Romantik

Organisatoren
Rudolf Behrens; Jörn Steigerwald (Romanisches Seminar der Ruhr-Universität Bochum)
Ort
Bochum
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.05.2007 - 19.05.2007
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Von
Susanne Goumegou, Romanisches Seminar, Ruhr-Universität Bochum

Die von der Thyssen-Stiftung geförderte Tagung, bei der unterschiedliche Formen der imaginationsgeleiteten Relationierung von Subjekt und Welt um 1800 in den Blick genommen wurden, knüpft an eine in der Bochumer Romanistik schon länger verfolgte Forschungsthematik an. Gemäß ihrem Ansatz gingen die Veranstalter von der Beobachtung aus, dass die literarische Neuorientierung des Subjekts im Raum um 1800 zeitgleich zu einer ‚phänomenologischen’ Ausrichtung der zeitgenössischen Imaginationstheorien erfolgt, und formulierten die Hypothese, dass die Selbstbestimmung des Individuums zu einem großen Teil über die Raumwahrnehmung geschehe, wobei sich das Subjekt Techniken zu erarbeiten suche, die eine Selbststabilisierung im Raum bewirken. Allerdings könnten diese Versuche des Subjekts sowohl an der instabilen Subjekt-Raum Struktur scheitern als auch zu tendenziell transgressiven Verfahren führen, mit denen sich das Subjekt selbst Gefährdungen aussetze, um sich auf neue Weise im Raum zu erfahren. Die Vortragenden griffen diese Anregungen auf und kamen in ihren Analysen, in denen sich phänomenologische, gnoseologische und epistemologische Ansätze produktiv ergänzten, wiederholt auf Goethe, Rousseau, Chateaubriand und Mme de Staël, aber auch auf Moritz, Wordsworth, Nodier und Foscolo zu sprechen.

Einleitend stellte Rudolf Behrens (Bochum) fünf Indizien vor, an denen sich der Wandel im Verhältnis zwischen Subjekt, räumlich wahrgenommener Welt und dem Wahrnehmen selbst um 1800 ablesen lasse. Dies seien erstens die Darstellung der Raumstruktur in den literarischen Texten, zweitens die Impulse, die Kant mit seiner Annahme eines räumlichen Apriori für die Erkenntnis der Entwicklung des Raumbegriffs gegeben habe, drittens die Dynamisierung der Position des Wahrnehmenden sowie die Wendung hin zur differenzierteren Wahrnehmung des Innenraums, viertens die Zurichtungen des Sehens zu dieser Zeit und fünftens die Aufwertung der Imagination, die erst im Rahmen der Episteme der Tiefendimensionalität als Zugang zur Welt fungieren könne, da sie zuvor nur als Vortäuschung von Repräsentation und somit nicht als wissensgenerierend gegolten habe.

In den Vorträgen des ersten Nachmittags wurde der Anteil von Imagination und Schreibpraxis an der Raumwahrnehmung und Raumproduktion besonders deutlich. Im ersten Beitrag zu "Rousseaus fünfter Rêverie" legte der vorwiegend epistemologisch argumentierende Rainer Warning (München) eine neue Lektüre dieses viel diskutierten Textes vor, den er pointiert als 'Stadtpoesie' analysierte. Denn der Schreibort Paris und die Streifzüge des Autors durch Paris hinaus in die ländliche Umgebung begründeten ein komplexes Spannungsverhältnis zwischen dem schreibenden Ich und dem imaginativ erinnerten Aufenthalt auf der Petersinsel im Bieler See derart, dass die Schrift einen heterotopen Textraum entfaltete. Mit der Ansicht, dass es sich nicht um eine Utopie, sondern um eine Heterotopie handele, wandte er sich gegen eine von H. J. Frey formulierte These und sah nicht die Repräsentation des Vollkommenen als Ziel des Rousseauschen Schreibens, sondern das Ausschreiben einer Glücksphantasie. Dabei fungiere die Schrift als Artikulationsmedium des imaginativen Erinnerns, was er als Beispiel für die Aufwertung der Imagination im Spätwerk wertete. Das Subjekt, so Warning im Anschluss an Castoriadis, werde selbst zur Bühne des Phantasmas und der Subjektbegriff sei damit instabil.

Im zweiten Beitrag "Falsches Wandern und Echos: Wordsworth und Coleridge" skizzierte Eckhard Lobsien (Frankfurt am Main) zunächst den für die englische Romantik seit Edward Young maßgeblichen Imaginationsbegriff, nach dem schon die Wahrnehmung mit einem Akt der Imagination verbunden sei, also das, was Coleridge später als primäre Imagination bezeichne. Dadurch werde der Raum zu einer Produktion des Subjekts und das Schauen in den Raum zu einem Sich-selber-Sehen. Interessant und künstlerisch produktiv seien nun aber vor allem Fälle, in denen die Einheit von imaginativ produktivem Subjekt und umgebender Welt aufbreche. Dies sei das Ergebnis der sekundären, d. h. der schöpferischen, Imagination, die als Echo der ersten zu verstehen sei. Dies illustrierte Lobsien am Beispiel von William Wordsworth's The Prelude (1805), wo der real durchwanderte Raum durch das Einbrechen eines imaginierten Raums zerbrechen könne bzw. wo die Natur die Kraft der Imagination, den Raum zu verwandeln, vorführe.

Winfried Wehle (Eichstätt) machte in seinem Vortrag "Energische Kunst. Schreiben im Bilde des Vulkans" die Vesuv-Besteigungen von Goethe und Chateaubriand zum Thema. In diesem Vortrag wurde vor allem die Dialektik von Deskription und imaginativer Vergegenwärtigung deutlich, denn Wehle konnte zeigen, dass die Beschreibung des Vesuvs in erheblichem Maße von der Situierung und der Disposition des Beobachters abhängt. Präsentiere die Natur sich zunächst als entfesselte Energie bar jeglichen Sinns, so gelinge es erst dem durch Kultur geleiteten Blick, ihr einen Sinn abzugewinnen. Während jedoch Goethe durch die Rahmung des Blicks aus dem Schlossfenster eine Bildwerdung des Vulkans erreiche, werde dieser bei Chateaubriand zur Projektionsfläche seiner von ihm ausgehenden Ansichten, etwa wenn er die Zeitgeschichte am Vulkan ablese. Ebenso gehe die Kunst im Lavagestein auf den Blick des Betrachters zurück, der schließlich mit dem Lauschen auf den eigenen Herzschlag eine besondere Subjektivitätserfahrung mache. Hier wurde in der Diskussion, wie schon bei dem Warningschen Beitrag, die Frage nach dem epistemischen Substrat und die Bedeutung des Epistemebruchs um 1800 erörtert.

Im ersten Block des zweiten Tages, in dem Imagination und Meditation auf ihre Stellung in der (christlichen) Anthropologie hin befragt wurden, dominierte dann ein phänomenologisch ausgerichteter Ansatz. Rudolf Behrens (Bochum) untersuchte in seinem Vortrag "Fließtext. Raumwahrnehumg, Kunstbetrachtung und Imagination in Corinne ou l'Italie von Germaine de Staël" die Darstellungs- und Wirkungsästhetik in diesem Roman. Dabei zeigte er, dass bei der Wahrnehmung von Landschaft, aber auch von architektonisch geformtem Raum, durch die Anschauung eine imaginative Unbestimmtheit entstehe. Wichtigste Funktion der Imagination im Roman sei es, die Wahrnehmung in Richtung auf die Selbstreflexion zu überschreiten. Durch die oft unterlassene Unterscheidung zwischen auktorialer und personaler Erzählhaltung entstehe dabei ein interpersonaler Fluss der Wahrnehmung, ein "Fließtext". Mit dieser Metapher stellte Behrens ein Modell vor, mit dem sich literarischen Verfahren gerecht werden lässt, bei denen die wahrnehmungstheoretische und epistemische Rückbindung an einen festen Subjektstandort offen gehalten scheint. Durch diese interpersonale Wahrnehmung gelinge es dem Text möglicherweise, etwas zum Ausdruck zu bringen, was die Figuren trotz ihrer Wahrnehmung nicht erkennen würden.

In ihrem Beitrag zu "Raum-Gestalten: narrative Flächen und spatiale Intensität in Chateaubriands René" vertrat Kirsten Dickhaut (Gießen) die These, dass ihm eine der Idee nach phänomenologische Auffassung des Raums zugrunde liege, die über eine der Erzählung inhärente Intensität der Ich-Empfindung zur Subjektkonstitution beitrage. In René entwachse der subjektiv gebundene Raum sowohl senkrechten als auch horizontalen, jeweils narrativ vermittelten Flächen, die damit Kennzeichen einer erzählerischen Extension seien. Ihr antithetisches Pendant besäßen sie in einer Intensität, die das Subjekt im Blick auf den Fuß des Ätna oder im Durchschreiten der Räume der Kindheit empfinde. Im Anschluss an de Certeau unterschied Dickhaut zwischen geographischen Orten und subjektivem Raum, der erst durch die Aneignung in der Bewegung entstehe. Durch die wechselseitige Bestimmung von Raum und Subjekt erfolge eine Aneignung der Orte als meditative Räume, die Stabilität generiere. Diese über Horizontalen und Vertikalen bestimmten Räume prägten für René einen Anthropokosmos, d.h. einen durch Meditation harmonisch gestimmten Raum.

Jörn Steigerwald (Bochum / Köln) zeigte in seinem Vortrag "Flüchtige Visionen. Zu Charles Nodiers Les Proscrits (1802)", dass in dieser Erzählung vor dem Hintergrund des neuzeitlichen Anthropodizeeproblems die Frage nach der Verortung des Menschen in einer gottgegebenen, aber dem Menschen nicht mehr einsichtigen Ordnung der Welt verhandelt werde. Im Zentrum dieser Verhandlungen stehe das menschliche Vermögen der Einbildungskraft, das Nodier als ‚belle et religieuse imagination’ fasse, da selbige nicht nur zwischen Leib und Seele sowie Geist und Buchstabe vermittle, sondern auch den Übergang zwischen Diesseits und Jenseits herbeiführe. Der mit dem Protagonisten identische Erzähler erschaffe sich im Schreiben einen imaginierten Raum, zeige den Weg an, sich darin zu verorten, und stelle durch sein eigenes Schicksal zugleich die Irrwege vor, die es zu vermeiden gelte, wenn man ein gottgefälliges und natürliches Leben führen wolle. Nodiers paradoxes Resultat laute schließlich, dass man sich mit der allgemeinen Unruhe synchronisiere müsse und gerade nicht stillstehen dürfe, um sich eine stabile Position im Raum zu verschaffen.

In den Nachmittagsvorträgen traten die lebensweltliche Dimension des Themas und die Darstellung von Lebenswelt in der Kunst stärker in den Vordergrund. Zunächst sprach Barbara Thums (Tübingen) in ihrem Vortrag "Kloster als Heterotopie um 1800" über das Kloster als Produkt des kulturellen Imaginären im bürgerlichen Zeitalter, das als imaginäre Gegenwelt für all das fungiere, was als Produkt einer hypertrophen Einbildungskraft gelte und der gesellschaftlichen Normierung bedürfe. In einem Exkurs zum "Kloster im Kopf" – einer Metapher, die in der folgenden Diskussion problematisiert, aber als Metonymie für produktiv gehalten wurde – wies sie Strukturaffinitäten zu zeitgenössischen Theorien des Wahrnehmungsapparates (v. a. Herder) nach: In beiden Fällen laufe die Wechselbeziehung von Ein- und Ausschluss über die Dichotomie Körper – Geist, und auf dieser Basis werde das Konzept einer autonom produzierenden Einbildungskraft entworfen. Auch die in Karl Philipp Moritz' Hartknopf-Romanen mit ihrem komplexen Gefüge von einander widerstreitenden Raumordnungen und Subjektivitätsentwürfen entfaltete Lebenskunstlehre der Resignation als negativ begründbarer Entwurf von Subjektivität sei damit strukturell vergleichbar. Diese Lebenskunstlehre sah Thums im Kontext von Moritz' narrativer Kunst der resignatio, die sie als eine Kunst des permanenten Rückzugs der Zeichen verstand, wodurch die kritische Reflexion der entworfenen Selbstkonzepte angezeigt werde.

Roland Galle (Duisburg-Essen) untersuchte in seinem Vortrag über "Das Porträt als Raum der Subjektbildung", wie in der zweidimensionalen Malerei die Beziehungen von Innen und Außen, und das heißt auch das Verhältnis von Oberflächenstruktur und (seelischem) Innenraum, wiedergegeben werden können. Dazu skizzierte er zunächst Platons Vorstellung vom darstellenden Sichtbarmachen des Unsichtbaren, stellte die Diderotsche Ekphrasis und die ekphrastischen Vergegenwärtigung fiktionaler Bilder vor, die seit dem 18. Jahrhundert in Romanen und Dramen zum Kristallisationspunkt der Werke werden könnten. Schließlich betrachtete Galle literarische Porträts, die Innenräume erschlössen, welche dem Blick von außen versperrt blieben, und die Personendarstellung in fiktionalen Texten. Dabei wurde am Beispiel des Doppelporträts in Wilhelm Meisters Lehrjahren die Bindung der Porträts an subjektive Perspektivträger deutlich, was deren physiognomische Schlichtheit aufhebe und dazu führe, dass die Porträts immer auch Aussagen über ihre Urheber machten.

Zum Abschluss dieses zweiten Tages sprach die Kunsthistorikerin Beate Söntgen (Bochum) über "Bild und Bühne. Das Interieur als Rahmen wahrer Darstellung". Sie zeigte, dass das Interieur, das als Bildthema um 1800 relativ wenig vertreten sei, durch die Dramatisierung des Verhältnisses von Bild und Betrachter und durch seine publikumsorientierte Privatheit zum Modellfall moderner Darstellung werde. Söntgen bezog sich dabei vor allem auf kunsttheoretische Überlegungen Diderots und auf Gemälde von Greuze. Am Beispiel des Tableau vivant zeigte sie, dass die Emotionalisierung der Darstellung und ihrer Betrachtung auf einem vor allem im bürgerlichen Salon praktizierten Kommunikationsmodell beruhe, in dem das Sich-Zeigen von Leidenschaften mit ihrer Beobachtung verbunden sei, und zwar sowohl der eigenen Emotionen wie der Gefühlsregungen der anderen. Eine solche Intimisierung erfordere aber einen unsichtbaren, vorzugsweise hinter dem Vorhang versteckten Beobachter.

Die Vorträge des letzten Tages schließlich machten anhand von Konkretionen der Raumerfahrung nochmals drei unterschiedliche Aspekte der imaginativen Selbstverortung deutlich. Dorothea von Mücke (New York) machte in ihrem Vortrag über "Goethes Straßburger Münster-Erlebnisse als ästhetische Theorie die Fähigkeit des Subjekts, sich mittels der Kunst als autonomes Selbst zu entwerfen, stark. Dazu las sie Goethes Essay Über die Baukunst als einen Beitrag zur ästhetischen Theorie, mit dem die Architektur von einer Kunst unter anderen zur reinen Kunst erhoben werde. Zweck der Kunst sei nicht die Verschönerung oder die Mimesis, sondern sie ziele auf die Subjektivität und habe eine Erbauungsfunktion. Zum Fundament dieser neuen Ästhetik, der es nicht mehr um Repräsentation gehe, sondern um Verkörperung, werde die emphatische Präsenz in Architektur, Bildhauerei und Tanz. Das Beispiel von Goethes Münster-Erlebnis zeige, wie diese Präsenz durch die Betrachtung entstehe, und zwar durch einen Betrachter, der selber zum Künstler werde, der sich und seine Welt erschaffe.

Im Gegensatz dazu zeigte David Nelting (München / Bochum) in seinem Vortrag über "Gelebte, ersehnte und durchschrittene Räume: Ugo Foscolos Ultime lettere di Jacopo Ortis", dass die Autonomisierung des Subjekts hier nicht zur Selbstbehauptung, sondern zur Destruktionskraft gerate. In diesem Roman der Bewegung im Raum werde ein Subjekt entworfen, dessen radikal selbstbezüglicher Welt- und Ich-Entwurf den Autonomiegedanken konsequent zu einem pessimistischen Ende denke, an dem für das Subjekt nur noch die Selbstaufhebung bleibe. Dabei seien die imaginären Besetzungen der Räume durch den Protagonisten so stark, dass sie jede andere Semantik der Räume tilgten, was mit der Konturlosigkeit der auf der Diskurs-Ebene entsemantisierten und nicht distinktiv beschriebenen Räume korreliere. Im Zentrum des Romans stehe somit, so Nelting, nicht der Außenraum, sondern der imaginäre Innenraum des Subjekts, das sich als eigene Welt betrachte. Aus dieser Perspektive werde der Selbstmord zum alleinigen Garanten der absoluten Selbstidentität ohne störende Differenz zu Anderen.

Den Abschluss bildete schließlich ein Vortrag von Brigitte Heymann (HU Berlin) über "Phädra in Sankt Petersburg. Ortlosigkeit und Raumerfahrung des Exils bei Mme de Staël", in dem die gelegentlich schon angeklungene Bedeutung des Exils für die Selbstverortung des Subjekts anhand des (unvollendeten) autobiografischen Textes Dix années d’exil von Mme de Staël Thema war. Heymann zeigte, dass das Denken der Autorin immer von Paris ausgehe, um das Exil nicht zum Ort der Identifikation werden zu lassen. Die Verbannung aus Paris bedeute für Mme de Staël eine Enteignung vom gesellschaftlichen Wesen, und verschiedene Passagen brächten die Ohnmacht der im Exil de-plazierten Autorin zur Anschauung. Vor allem Russland mit seinen Weiten, das den Ausfall der raumzeitlichen Koordinaten und damit auch solcher Konzepte wie Identität, Entwicklung und Geschichte bedeute, verstärke den Eindruck des Exils und werde der Autorin zum Raum der Barbarei. Nur in der Kunst gelinge es, die Ortlosigkeit des Exils in Heterotopien zu zerspielen, was aus dem autobiografischen Diskurs mit seiner Rhetorik des Widerstands gegen das Exil allerdings ausgeschlossen bleiben müsse.

Der großzügig bemessene Raum für die Diskussion wurde in einer Atmosphäre der konstruktiven Kritik produktiv genutzt, wobei viele Querverbindungen zwischen den Vorträgen hervortraten und Ergebnisse systematisiert wurden. Die Komplementarität von epistemologischen und phänomenologischen bzw. gnoseologischen Modellen erwies sich als weiterführend, da die Leistungen der Imagination nur durch eine epistemologische Fundierung präzise beschrieben werden können, aber gerade Texte wie die von Mme de Staël, Chateaubriand oder Nodier neue, d.h. eher phänomenologisch ausgerichtete Herangehensweisen erfordern. Hier erwiesen sich die Konzepte des Fließtextes, der imaginativen Vision oder der Aufladung mit Intensitäten als fruchtbar. Ferner lässt sich festhalten, dass die Religion im Kontext von Subjektbildung und Imagination eine erhebliche Rolle spielt, sei es als kosmologischer Weltenentwurf, sei es als Rahmen für Subjekttechnologien wie Meditation oder Vision. Deren Potenzial für die Zeit um 1800 müsste allerdings noch umfassender herausgearbeitet werden. Außerdem wurde immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von Raum und Zeit gestellt. Hier wird man wohl sagen müssen, dass es sich weniger um eine Konkurrenz, als vielmehr um eine historisch variierende Komplementarität handelt. Für den Zeitraum um 1800 jedenfalls hat der Raum eine wesentliche Bedeutung für die Subjektbildung, die im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts indes allmählich zurückgeht. Schließlich ergaben die vorgelegten Analysen, dass die imaginative Selbstverortung sowohl zur Selbstbehauptung als auch zur Destabilisierung des Subjekts führen kann, wobei letztere im Bereich des Ästhetischen als Grenzerfahrung oder als Entkonturierung zwar auch positiv gefasst werden können, im Extremfall aber zur Selbstzerstörung des Individuums führe. Bei den untersuchten Autoren dominierte der destabilisierende Aspekt, hier wären weitere Studien, etwa zu Lamartine oder Gautier, interessant. Aber auch Autoren des Libertinage und der literarischen Phantastik sind zu bedenken, will man ein umfassendes Bild der Selbstverortung des Subjekts um 1800 erhalten.


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