Aufbruch in die Moderne. Der Rheinische Adel in westeuropäischer Perspektive zwischen 1750 und 1850

Aufbruch in die Moderne. Der Rheinische Adel in westeuropäischer Perspektive zwischen 1750 und 1850

Organisatoren
Landschaftsverband Rheinland; Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit (Universität zu Köln); Vereinigte Adelsarchive im Rheinland e.V.
Ort
Pulheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.09.2007 - 15.09.2007
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Von
Florian Schönfuß, Universität zu Köln

Über geraume Zeit eher vernachlässigt, erlebt die historische Adelsforschung seit einigen Jahren eine regelrechte „Renaissance“. Unter Berücksichtigung der starken regionalen Verschiedenartigkeit nicht nur des deutschen Adels weckten neben der traditionellen Untersuchung einzelner Familien zuletzt vor allem einzelne „Adelslandschaften“ das Interesse der Historiker. Unter diesen nimmt das Rheinland einen ganz besonderen Platz ein, was sich bisher jedoch kaum in der Intensität der Forschung widerspiegelte. Demgegenüber wird nun gerade der rheinische Adel in der „Sattelzeit“ Gegenstand eines breitangelegten Forschungsprojektes sein. Den Auftakt zu diesen Forschungen bildete die internationale Tagung „Aufbruch in die Moderne. Der Rheinische Adel in westeuropäischer Perspektive zwischen 1750 und 1850“, zu der sich vom 13. bis zum 15. September 2007 15 Referentinnen und Referenten aus Deutschland, den Niederlanden und Belgien in der ehemaligen Abtei Brauweiler bei Köln zusammenfanden. Organisiert vom Landschaftsverband Rheinland in Kooperation mit den Vereinigten Adelsarchiven im Rheinland e.V. und Gudrun Gersmann als Inhaberin des Lehrstuhls der Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität zu Köln, zielte diese Tagung zunächst darauf ab, eine Bestandsaufnahme der zur Verfügung stehenden Quellen und Überlieferungen zu erbringen, auf denen ein solches Projekt einer westeuropäischen Adelsgeschichte der „Sattelzeit“ basieren muss.

Vor diesem Hintergrund deutete bereits das Grußwort von MILENA KARABAIC (Landesrätin für Kultur und Umwelt des Landschaftsverbands Rheinland) auf die hohe wissenschaftliche Bedeutung der zahlreichen adeligen Privatarchive hin, während Adolf Freiherr von Fürstenberg (Vorsitzender der Vereinigten Adelsarchive im Rheinland) die langandauernde gute Zusammenarbeit der Vereinigten Adelsarchive mit dem Landschaftsverband Rheinland und die allgemein guten archivarischen Rahmenbedingungen für die Forschung betonte.

In ihrer Einführung steckte GUDRUN GERSMANN als zukünftige Leiterin des Deutschen Historischen Instituts in Paris und maßgebliche Initiatorin des Projekts, die künftigen Forschungsfelder ab. Diese erstrecken sich von Fragen nach adeliger Revolutionserfahrung und den Karrierewegen des Adels in dieser Zeit über den Stellenwert von Paris als dem kulturellen Orientierungspunkt und dem Verhalten des Adels gegenüber der französischen Herrschaft bis hin zur Frage nach der Bedeutung des Adels für die Frühindustrialisierung der Region und den Chancen eines adeligen Neubeginns nach der napoleonischen Herrschaft. Schon jetzt sei absehbar, dass in Ergänzung zu den Quellenbeständen der Privatarchive, von denen die meisten bisher noch in keinster Weise untersucht worden seien, aufgrund der teilweise sehr starken Verbindungen vieler rheinischer Adeliger nach Frankreich auch die Hinzuziehung französischer Archivbestände notwendig sei – einer Aufforderung, der das Projekt durch die Kooperation mit dem Deutschen Historischen Institut in Paris in hervorragender Weise gerecht werden könne.

Dass sich der Quellenbestand zur Untersuchung der rheinischen Adelsgeschichte nicht allein auf Archivalien beschränke, dokumentierte sogleich der Vortrag FRANK KRETZSCHMARS (Rheinisches Amt für Denkmalpflege), der die zahlreichen kunsthistorischen Quellen zur adeligen Sachkultur vom Ancien Régime bis zur preußischen Zeit thematisierte. Er sensibilisierte die Teilnehmer für die künstlerisch-kulturellen Impulse der „Franzosenzeit“ auf den rheinischen Adel und stellte neben den architektonischen Zeugnissen und anderen Realia auch den hohen Aussagewert der mit ihnen verknüpften Archivalien wie z.B. Skizzenbücher, Bau- und Gartenpläne, Musterbücher für Stoffe und dergleichen heraus, die vor allem in den Privatarchiven gefunden werden könnten.

Die Ausführungen zur adeligen Baukultur am Ende des Ancien Régime konzentrierte HARALD HERZOG (Rheinisches Amt für Denkmalpflege) auf das Beispiel von Schloss Miel, einem nach dem französischen Vorbild der „maisons de plaisance“ in den Jahren 1768-1771 gebauten Lustschloss des kurkölnischen Staatsministers und Reichsgrafen von Belderbusch. Besonders hob Herzog die ausgefeilte Repräsentation und Selbstdarstellung des Schlossherren in formstrengem Baustil und Intérieur hervor, der sich eben nicht zuvorderst mit den klassischen Attributen des Adels versah, sondern gemäß seinem Selbstverständnis Gelehrsamkeit, Bildung und Arbeitseifer dokumentieren wollte und möglicherweise ganz bewusst von gesetzten Normen abwich.

Den ersten Tag der Tagung beschloss schließlich der Vortrag von MARIA RÖßNER-RICHARZ (Bonn) über Selbstzeugnisse des Adels als Quellen zur Rekonstruktion privater Lebenswelten zwischen Ancien Régime und Moderne. Dazu ließ Rößner-Richarz in Form mannigfaltiger Auszüge vor allem die Quellen selbst sprechen und konstatierte eine Schwerpunktverschiebung hin zum „Privaten“ im ausklingenden 18. Jahrhundert, die sich jedoch bei weitem nicht in allen Aspekten zeige, da eine Reihe genuin adeliger Verhaltensmuster auch über die Umbruchszeit hinweg konserviert worden sei.

Am zweiten Tag führte CHRISTIAN REINICKE (Personenstandsarchiv Brühl) anhand von Kirchenbüchern und Zivilstandsregistern die große Bedeutung dieser Personenstandsquellen nicht allein für die Demographie-, Sozial-, und Genealogiegeschichte vor, sondern auch weiterreichende Erkenntnisgewinne. Diese exemplifizierte er mit Blick auf die Auswirkungen des revolutionär-französischen Scheidungsrechts auf den Adel, der Bevorzugung bestimmter Pfarrbezirke durch den Adel, aber auch über die Weiterführung napoleonischer Titel und Würden in preußischer Zeit, die auch nach 1815 noch in den Kirchenbüchern verzeichnet worden seien. Reinicke gab dabei zu bedenken, dass diese Quellenbefunde unbedingt durch die Heranziehung anderer personenbezogener Quellen zu ergänzen seien.

Einen weiteren Forschungszugang eröffnete im Anschluss HANS-WERNER LANGBRANDTNER (Landschaftsverband Rheinland) durch seinen Vortrag über Bibliotheken als Spiegel adeliger Bildung. Der Buchbestand der Adelsbibliotheken, von denen nicht wenige durch Kriegseinwirkung oder Brände schwer gelitten haben oder durch Versteigerung auseinandergerissen wurden, lasse sich anhand von Inventaren und Rechnungen aber auch Auktionskatalogen relativ gut bestimmen. Auch wenn der Umfang der meisten Adelsbibliotheken eher gering gewesen sei, lasse dies keinesfalls auf eine Bildungsferne des Adels schließen. Sei über das 16. und 17. Jahrhundert hinweg die utilitaristische „Gebrauchsbibliothek“ vor allem beim finanziell meist schwächeren Niederadel die Regel gewesen, zeige sich eine Ausprägung individueller Sammelleidenschaft bis hin zu wahren „Gelehrtenbibliotheken“ im Grunde erst im 18. Jahrhundert.

Andere Aspekte berührte der Vortrag von RIK OPSOMMER (Stadsarchief Ieper), der zunächst einmal die Ausformung und die Besonderheiten der belgischen Archivorganisation ansprach, dann über Quellen zur Adelsgeschichte in belgischen Archiven referierte. Welche Chancen diese Arbeit biete, erläuterte er indem er auf Familienarchive auch über den Beneluxraum hinaus bedeutender Adelshäuser rekurrierte. Zu nennen wären hier Namen wie Croy, Arenberg oder Merode-Westerloo, die neben ihrer großen Bedeutung für die klassische Adelsforschung auch unter institutionen-, rechts-, kultur-, militär- und kirchengeschichtlichen Gesichtspunkten hochinteressantes Material böten.

Einen anderen geographischen Schwerpunkt legte JACQUES VAN RENSCH (Regionaal Historisch Centrum Limburg) mit seinem Vortrag über den Quellenreichtum zum Adel im Maasgebiet zwischen Ancien Régime und Moderne. Neben den zahlreichen, häufig gut gepflegten und zusammengehaltenen Familienarchive wies van Rensch auf die Bestände der ehemaligen adeligen Stifter und ständischen Gerichte hin, die ähnlich wie die Familienarchive bisher kaum zur historischen Forschung genutzt worden seien. In seiner Form einzigartig sei außerdem das in Limburg befindliche Archiv des „departement meuse inférieur“ als einziges, erhalten gebliebenes französisches Departementarchiv in den Niederlanden.

Mit der durchaus als „Europäische Dynastie“ zu bezeichnenden Familie der Arenberger befasste sich der Vortrag Wolf-Rüdiger Schleidgens (Vorstand der Arenberg-Stiftung/ Landesarchiv NRW – Hauptstaatsarchiv Düsseldorf), der die Arenberger als „Paradebeispiel für den Adel im Umbruch“ vorführte. Fragen nach den spezifischen Anpassungsformen der Familie an neue Gegebenheiten, nach der Konservierung althergebrachter Verhaltensweisen, nach der Vernetzung einzelner Arenberger innerhalb der Familie wie auch im gesamteuropäischen Adel oder der Herrschaftsorganisation in ihren Territorien bildeten auch in diesem Fall die offenen Desiderate der Forschung. Hierfür sei jedoch angesichts der über eine große Zahl von Archiven vor allem in Belgien, den Niederlanden und Deutschland weitverstreuten Quellen die Erstellung eines Gesamtinventars dringend erforderlich.

Zum Thema „Musikkultur an Adelshöfen“ führten dann GERALD HAMBITZER (Kölner Hochschule für Musik) und Paula Aguirre (Förderkreis Kultur & Schlösser e.V.) aus rheinischen Adelsarchiven stammende Noten vor, die Hambitzer auf dem Cembalo interpretierte. Zwischen den einzelnen musikalischen Beispielen erläuterte er die Aussagekraft dieser Quellen, die nicht nur dem Musikhistoriker sonst kaum zu erlangende Einblicke in den Musikgeschmack, die Instrumentensituation und die musikalische Ausbildung gestatte und somit einen anschaulichen Beitrag zur Untersuchung adeliger Alltags- und Festkultur leiste. Dabei betonte Hambitzer die „eigenständige Persönlichkeit“ jener Musik und regte an, die Quellenbasis für solche Untersuchungen wenn möglich noch auf damals durchaus übliche Konzertbeschreibungen oder schriftliche Kompositionsaufträge auszudehnen. Auch daran ließe sich abschätzen, wie stark die westeuropäische Kultursphäre auf den rheinischen Adel inspirierend gewirkt habe.

Den Beginn des dritten Tagungstages markierte ein Blick auf den westfälischen Adel im Königreich Westphalen 1807-1813 von INGEBORG SCHNELLING-REINICKE (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin), zu dem das Geheime Staatsarchiv größtenteils noch nicht ausgewertete Quellen bereithalte. Die Referentin verdeutlichte dies mit ihren Ausführungen zur Schaffung eines Verdienstadels nach napoleonischem Modell, für den zuallererst der „Orden der Westphälischen Krone“ gedient habe. Am Vorbild der französischen Ehrenlegion orientiert, zeige der Orden die intensiven Bemühungen um die Gunst bedeutender Untertanen, auf die er identitätsstiftend habe wirken sollen. Zentrale Quellen dazu fänden sich in den sogenannten „bulletins des lois“. Dass die in einer eigenen Ordensmatrikel eingetragenen Mitglieder des Ordens der Westphälischen Krone bei weitem nicht identisch mit dem dortigen „alten“ Adel seien, sei bereits ein wichtiger Befund.

Der westfälische Adel stand im Mittelpunkt des Vortrags von WOLFGANG BOCKHORST (Westfälisches Archivamt Münster), der deutlich machte, mit welcher Wucht die Auswirkungen der französischen Herrschaft den westfälischen Adel trafen, der vor allem in den Kirchenämtern der zahlreichen, nun säkularisierten geistlichen Territorien Westfalens ein funktionierendes System der Herrschafts- und Statussicherung gefunden hatte. Ganz bestimmte Formen von Revolutionserfahrung traten dabei ebenso zu Tage und hätten, so Bockhorst, den Zeitgenossen die Besonderheit ihrer Epoche vor Augen geführt, was sich äußerst positiv auf die Überlieferungssituation ausgewirkt habe. Er verwies u.a. auf die Notwendigkeit, den Strategien des „Obenbleibens“ des westfälischen Adels größere Aufmerksamkeit zu schenken und auch den Grad seiner Frankreichorientierung besser auszuloten, für die sich u.a. in einschlägigen Reiseberichten entsprechende Quellen finden ließen.

Im letzten Vortrag ließen ROELOF BRAAD (Rijkheyt-Centrum voor Regionale Geschiedenis Heerlen) und PETER WEBER (Landschaftsverband Rheinland) anhand des Familienarchivs der Grafen von Hoensbroech zu Haag die Potenziale eines digitalisierten Archivbestandes erkennen. Die Vorteile eines komfortablen Zugangs zu den Quellen, ihrer Schonung und besseren Sicherung, des Erreichens eines breiten Publikums und damit der Anregung zum Quellenstudium an sich und auch einer Förderung des grenzüberschreitenden Kulturaustauschs lägen auf der Hand; die Adelsforschung könne letztlich gerade „in der Breite“ enorm von der Digitalisierung der Bestände aus den Privatarchiven profitieren. Erste Digitalisate präsentierte er am Bildschirm. Die Freischaltung der Webseite sei für das Frühjahr 2008 geplant.

Nach abschließender Diskussion ergriff noch einmal GUDRUN GERSMANN das Wort und verwies auf das Ziel der Tagung im Sinne einer „Bestandsaufnahme“, bei der man noch nicht so sehr nach konkreten Antworten gesucht habe und zu der man ganz bewusst den Weg über die Quellen genommen habe. Sie skizzierte die weitere Planung, die sowohl eine Reihe von Publikationen als auch von Sachinventaren und Quellenkompendien vorsehe, dabei aber auch weitere Kooperationspartner vor allem auf französischer Seite zur Mitarbeit einladen wolle. Die zeitnahe Publikation der Tagungsergebnisse ist geplant.